Bericht vom 58. Prozesstag (23.09.2009)
Der heutige Prozesstag begann mit einer Feststellung von RA Lindemann. Er habe zur Kenntnis genommen, dass die erst gestern eingetroffene Aktennachlieferung von August längere Zeit beim BKA gelegen habe. Er habe bis heute noch nicht alles lesen können und habe zu den Akten mehrere Nachfragen. Zum einen, warum in einem Schriftstück des BKA vom 23.07.09 mehrere ehemalige mg-Beschuldigte, deren Verfahren dieses Jahr eingestellt wurde, als Beschuldigte bezeichnet würden. Zum zweiten wollte er über den Inhalt eines Briefumschlags informiert werden, der das Aktenzeichen der aktuellen Verhandlung trägt. Zum dritten ging es ihm um die Identität einer Person, deren Initialen in einem Bericht auftaucht und als Verursacher von Spuren auf Asservaten benannt wurde.
RA Hoffmann gibt dazu an die Aktenlieferung nicht erhalten zu haben.
Die BAW antwortet, dass die Antworten auf die Fragen 1 und 2 sich aus den gelieferten Akten ergeben würden. Warum das BKA die im Schriftstück benannten Personen als Beschuldigte bezeichnet, könne die BAW nichts sagen.
Die 12 Anträge des Tages:
Antrag 1:
Gutachten mg-Texte
Die Verteidigung machte eine Gegenvorstellung zum am 10.09.09 abgelehnten Antrag auf Ladung eines Sachverständigen, der ein sprachwissenschaftliches Gutachten zu den in der radikal Nr.161 erschienenen mg-Texte abgeben sollte. Mit einem Gutachten soll überprüft werden, ob es Übereinstimmungen zwischen den bisher in den Prozess eingeführten mg-Texten und den aktuellen Texten von 2009 gibt.
Antrag 2:
Sachverständigengutachten Minihandbuch
Die Verteidigung beantragte ein Gutachten durch einen Sachverständigen für Druck- und Kopiertechnik. Dieser werde aussagen, dass sich die Qualität einer Kopie zB. in Schriftgröße und -schärfe von der Qualität eines Originalausdrucks unterscheiden würde. Er würde auch bestätigen, dass es sich bei einem in der Wohnung eines der Beschuldigten beschlagnahmten Asservats, dem sogenannten Minihandbuch, nicht um einen Originalausdruck bzw. einer ersten Kopie eines Originals handeln würde, sondern um eine Kopie einer Kopie einer Kopie. Bisher wurde vom BKA noch nicht untersucht, ob es sich beim gefundenen Asservat um eine Mehrfachkopie handelt. Der bisher gezogene "Insider"-Schluss“ in der Anklageschrift, sei demnach allerdings fern liegend.
Siehe Vollversion: Antrag Minihandbuch
Antrag 3:
Nobelkarossentod
Im dritten Antrag forderte die Verteidigung die Ladung des Zeugen KHK Matzig (BKA). Dieser könne genauere Aussagen, als der Zeuge Wick, zu der Verbreitung und Verwendung des Brandsatzes Nobelkarossentod (NKT) im Berliner Raum machen. Der Zeuge werde aussagen, dass der NKT schon seit den 90ern in Berlin existiert und von verschiedenen Gruppen verwendet wurde/wird. Bereits zum Zeitpunkt des ersten Anschlags der mg wurde dieser Brandsatz 65 Mal benutzt. Insgesamt gesehen kommt die mg auf nicht mehr als ein Fünftel der Anschläge in Berlin und Brandenburg, bei denen dieser Brandsatz Verwendung gefunden hat. Es könne also keinesfalls der Schluss gezogen werden, dass Anschläge bei denen der NKT Verwendung fand automatisch der mg zugerechnet werden können.
Siehe Vollversion: Antrag Nobelkarossentod
Antrag 4:
mg-Anschläge von 2009
Die Verteidigung beantragte, die Akten der folgenden Ermittlungsverfahren beizuziehen: Brandanschlag auf das Sozialgericht Brandenburg in Potsdam (13.01.2009), Brandanschlag auf das JobCenter Charlottenburg (14.01.2009), Brandanschlag auf Funkwagen der Bundeswehr in Burg/Sachsen-Anhalt (26.02.2009). Aus den beizuziehenden Akten wird sich die Authentizität der Übernahme der Verantwortung der mg für die oben genannten Anschläge, die im Interview in der radikal Nr:161 veröffentlicht wurde, ergeben. Die Akten werden zeigen, dass zum einen weder zeitnah, noch später, Bekennerschreiben bei der Presse eingingen, zum zweiten, dass in dem Bekenntnis in der radikal 161 Hinweise zum Tatgeschehen gegeben werden, die sich nicht aus Presseveröffentlichungen entnehmen ließen. Weiter wird in dem Antrag ausgeführt, dass die mg in der Vergangenheit in verschiedenen Texten erklärt hat, dass nur als authentisch zu werten ist, was von ihr unter dem entsprechenden Signet verfasst wurde. So dementierte die mg in der Vergangenheit mehrmals ihr zugerechnete Anschläge.
Antrag 5:
Rüstungskonzern MAN AG und antimilitaristische Aktionen
In diesem Beweisantrag beantragte die Verteidigung Herrn Hakan Samuelson, Vorstandsvorsitzender der MAN AG, Mr. Jack Straw, Justizminister Großbritanniens und Mr. Dermot Ahern, Justizminister Irlands als Zeugen zu laden.
Im Antrag wird ein kurzer Abriss über die Geschichte des Konzerns gegeben, der seit seinem Bestehen seit 1758 bis heute beständig Rüstungsgüter produziert und weltweit verkauft. Laut Antrag ist diese Beweiserhebung durch den Zeugen Samuelson ist erforderlich, da es sich bei der MAN AG nicht um einen neutralen Fahrzeugbauer handelt, sondern um ein Unternehmen, dass insbesondere mit seiner Nutzfahrzeugsparte Militärgerät weltweit verkauft und damit einen fundamentalen Beitrag zu Angriffskriegen in aller Welt leistet. Bei den am 31.07.07 in Brandenburg/Havel angegangenen Fahrzeuge handelte es sich um Fahrzeuge der Firma MAN. Die beantragte Beweiserhebung wird insoweit unter Strafzumessungsgesichtspunkten ein mögliches Handeln der Angeklagten unter dem Aspekt, hierdurch Schlimmeres zu verhindern, in einem, anderen, milderen Licht erscheinen lassen.
Weiterhin ist die Beweiserhebung mittels der Zeugen Straw und Ahern erforderlich um eine einheitliche europaweite Rechtssprechung in Bezug auf antimilitaristische Aktivitäten zu gewährleisten. Beide Zeugen werden zu mehreren Aktionen verschiedener Aktivisten aussagen können, deren Prozesse vor den jeweiligen Gerichten mit Freisprüchen endeten. Die Gerichte erkannten in den jeweiligen Prozessen an, dass mittels der Aktionen größeres Unheil, nämlich der Tod von Menschen, verhindert werden sollte.
Siehe Vollversion: Antrag Rüstungskonzern MAN
Antrag 6:
Jugoslawienkrieg
Die Verteidigung beantragte, zum Beweis der Tatsache, dass sich die Bundeswehr mindestens seit 1999 an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen beteiligt, Beweis zu erheben, durch Ladung und Vernehmung folgender Zeugen:
der ehem. Oberbefehlshaber der NATO in Westeuropa, General Wesley Clark,
die ehem. US-Außenministeerin Madeleine Albright,
der ehem. Außenminister Joseph Fischer,
der ehem. Verteidigungsminister Rudolf Scharping.
Nach dem Antrag wird die Beweiserhebung ergeben, dass die Bundeswehr die oben genannten Angriffskriege seit 1999 führt und die militärische Führung der Bundeswehr sowie die politische Führung der damaligen Bundesregierung in Kriegsverbrechen verstrickt war, diese anordnete, billigte und durchführen ließ. Die Beweiserhebung wird auch ergeben, dass das internationale Völkerrecht dabei vorsätzlich gebrochen wurde.
Siehe Vollversion: Beweisantrag Jugoslawien I
Antrag 7:
Kosovokrieg
Die Verteidigung beantragte, zum Beweis der Tatsache, dass der NATO-Krieg gegen Jugoslawien die Vertreibung und Ermordung von Juden und Roma im Kosovo erst ermöglichte und sich unter Aufsicht der KFOR-Truppen ereignete, Beweis zu erheben durch die Ladung und Vernehmung folgender Zeugen:
Tilman Zülch, Ehrenvorsitzender der Gesellschaft für bedrohte Völker,
Kurt Holl, Mitarbeiter des ROM e.V.,
Cedo Prlincevic, Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Pristina,
Gerhard Schröder, ehem. Bundeskanzler
Laut dem Antrag ist die Beweiserhebung erforderlich, um die Propagande der NATO und der Bundeswehr zu widerlegen, wonach der Einsatz der NATO dazu bestimmt gewesen sei, das friedliche Zusammenleben der Völker im Kosovo erst wieder zu ermöglichen. Die Beweiserhebung wird ergeben, dass dieses niemals eine Rolle gespielt hat bei der Beteiligung der Bundeswehr am NATO-Krieg in Jugoslawien.
Siehe Vollversion: Beweisantrag Jugoslawien II
Antrag 8:
Irakkrieg-Beteiligung der BRD
Die Verteidigung beantragte, zum Beweis der Tatsache der militärischen Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA und anderer Staaten gegen den Irak im Jahr 2003, die Ladung von Frank Walter Steinmeier, mehrerer Geheimdienstmitarbeiter (des BND) und einzelner US-Amerikanischer Militärs, die 2003 im Zusammenhang mit dem Irakkrieg tätig waren. Steinmeier könne als Koordinator der Geheimdienste ua. die Zusammenarbeit mehrerer Agenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) mit der zentralen militärischen Koordinationsstelle der US-Amerikanischen Militärs bestätigen. Die Geheimdienstmitarbeiter lieferten den Amerikanern aus Bagdad kriegswichtige Informationen, die zu verschiedenen Bombenangriffen und anderen Militäraktionen führten.
Siehe Vollversion: Beweisantrag zur Irakkriegsbeteiligung
Antrag 9:
Afghanistan-Kampfeinsatz und Widerstandsrecht
Durch die Ladung eines Zeugen von Grünhelme eV. werde nachweisbar, dass der anfänglich als zivile Aufbauhilfe deklarierte aktuelle Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan spätestens seit zwei Jahren zu einem nicht legitimierten Kampf- und Kriegseinsatz geworden ist. Bis heute aber werde gegenüber der deutschen Öffentlichkeit diese Tatsache systematisch verschleiert. Die Verteidigung unterstrich, dass Widerstand gegenüber einem solchen Krieg durch das im Grundgesetz existierende Widerstandsrecht (Artikel 20 Absatz 4 GG) gestützt werde.
Siehe Vollversion: Afghanistan Antrag I
Antrag 10:
Afghanistan-Widerstand gegen illegitimen Krieg
Mit der Ladung von Kriegsminister Franz Josef Jung, dem Oberbefehlshaber der ISAF in Afghanistan, dem Kommandeur der deutschen Truppen in Kunduz und Vertretern des deutschen Bundestages, der Bundeswehr und des Bundeswehrverbandes, würde folgendes bestätigt werden:
In Deutschland werde versucht Protest und Widerstand gegen den unbeliebten Afghanistankrieg präventiv zu verhindern. Dafür werde die Bevölkerung aus politischen, wirtschaftlichen und wahltaktischen Gründen durch Desinformation über den tatsächlichen Kriegszustand im Unklaren gehalten. Die genauen Umstände der Erschießung von Zivilisten durch die Bundeswehr, der Bombardierungen mit Hilfe der Tornado-Aufklärungsdaten, des Einsatzes der Quick Reaction Forces (QRF) zur Aufstandsbekämpfung, des Einsatzes der AWACS Flugzeuge, der aktuellen Bombardierung der Zivilisten und Tanklastzüge bei Kunduz und vieles mehr an Kriegsverbrechen würden auf den Tisch kommen. Zusätzlich würden die Zeugen bestätigen, dass ein Ziel der deutschen Regierung in Afghanistan sei, sich international als Global Player und Ordnungsfaktor zu positionieren. Das Land sei ein wichtiges Experimentierfeld und solle zu einer "NATO-Kolonie" gemacht werden. Es diene als Gradmesser für die Fähigkeit der NATO, Aufstände niederzuschlagen und Länder zu kontrollieren und zu unterwerfen.
In dem Antrag wurde resümiert: " Wenn Deutschland sich an völkerrechtswidrigen Handlungen beteiligt und solchen Handlungen zuarbeitet, ist Widerstand dagegen legitim. Wenn der Krieg, der von hier geführt wird, angegriffen wird, kann das nur als Widerstand gegen eine Beteiligung an einem illegitimen Krieg gewertet werden. Die versuchte Sachbeschädigung, um die es in diesem Zusammenhang geht, ist als symbolischer Angriff auf einen völkerrechtswidrigen Krieg zu begreifen, durch den die Dramatik der tatsächlichen Lage der Gesellschaft vor Augen geführt werden soll, frei nach der Devise:
-Was in Deutschland brennt, kann in Afghanistan keinen Schaden mehr anrichten-
Siehe Vollversion: Afghanistan Antrag III
Antrag 11:
ISAF und OEF
In einem weiteren Antrag wurde die Beteiligung der Bundeswehr an dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in Afghanistan in den Mittelpunkt gestellt. Die UNOmandatierte NATO-Operation ISAF und die völkerrechtswidrige Operation Enduring Freedom (OEF), die vom deutschen Parlament als unterschiedliche Einsätze behandelt wurden, seien in der militärischen Praxis untrennbar. Dies würde von den als Zeugen geladenen US-Kriegsgenerälen, benannten Bundeswehrangehörigen sowie vom ehemaligen Kriegsminister Struck bestätigt werden.
Siehe Vollversion: Afghansitan Antrag II
Zwischen den detailliert recherchierten politischen Anträgen, gab es immer wieder anerkennendes Klatschen aus dem gut besuchten ZuschauerInnenbereich.
Den Anträgen folgte eine mündliche Ausführung des Verteidigers Hoffmann, der den Bezug der politischen Anträge zu der zu Beginn des Prozesses vorgetragenen antimilitaristischen Prozesserklärung der Angeklagten herstellte. Sich gegen rechtswidrige Angriffskriege zu engagieren, Zeichen zu setzen und seien sie auch nur symbolisch, seien Ausdruck von Verantwortungsbewusstsein und nicht als organisierte Kriminalität zu verfolgen.
Siehe Vollversion: Erklärung zu den Beweisanträgen
Antrag 12:
Einstellung des Verfahrens
Von der Verteidigerin Weyers wurde mit einem letzten Antrag die Einstellung des Verfahrens aus mehreren Gründen gefordert. Es hätte durch die im Verfahren maßgebliche Rolle des Geheimdienstes (Bundesamt für Verfassungsschutz BfV) eine Steuerung des Prozesses und eine mangelnde Überprüfbarkeit von Behauptungen gegeben. Die "nachrichtenehrliche Quelle" (Spitzel), auf die sich die mg-Mitgliedschaftsthese der Anklage bedeutend stützte, hätte nichts ergeben, denn die Information hatte diese Quelle allein vom Hören-Sagen. Der lügende BKA Zeuge, die nur durch eine Panne öffentlich gewordene Beteiligung des BKA an der Militanzdebatte, manipulierte- und Parallelakten, das Zurückhalten von möglicherweise entlastendem Material, das Fehlen wesentlicher Aktenbestandteile, Sonderhaftbedingungen, die Sicherheitsverfügung, bewaffnete und zur Umfeldbeobachtung abgestellte Beamte im Gerichtssaal während des gesamten Prozesses, - kurzum - verschärfte Bedingungen hätten zu einem derart unfairem Verfahren geführt, dass eine Einstellung geboten sei.
Die Kriminalisierung antimilitaristischen Widerstands stehe in deutscher Tradition. Ebenso die Tatsache deutsche Kriegsverbrecher und Profiteure aus Industrie und Wirtschaft nicht zu verurteilen.
Mit dem Satz: "Die einen hängt man, die anderen lässt man laufen" wurde der Einstellungsantrag beendet. Allerdings nicht ohne noch einmal darauf hinzuweisen, dass engagierte Antimilitaristen mit ihren Warnungen meistens Recht behalten hätten.
Siehe Vollversion: Einstellungsantrag
Zum Ende des Prozesstags
Die Antwort der Bundesanwaltschaft (BAW) auf die Anträge fiel standardmäßig aus. Sie beantragte die Ablehnung sämtlicher Anträge und Zeugenladungen und vertrat die Meinung, sie seien für das Verfahren unerheblich. Außerdem sprach sie von "auf frischer Tat ertappten Angeklagten" und wichtiger - auch wenn nur kopierter -- Lektüre; dem Minihandbuch.
Die Entscheidung über die Anträge durch den Senat wurde auf den nächsten Prozesstag, Donnerstag den 24.9. 9 Uhr verschoben.
Weitere Termine wurden für Mittwoch 30.9. und Donnerstag 1.10. jeweils 9 Uhr angesetzt.
Alle Anträge sind auf der Webseite des Einstellungsbündnisses dokumentiert: http://einstellung.so36.net/de/prozess/beweisantraege