Jahrelang rechtswidrig bespitzelt
Bürger klagen erfolgreich vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen den Verfassungsschutz
Von Peter Kirschey
Acht Jahre wurden BerlinerInnen systematisch überwacht. Grund war ihre angebliche Mitgliedschaft in der »militanten gruppe«. Gestern wehrten sich die Ausgespähten nun juristisch.
Auf der Anklagebank sitzen das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundesministerium des Innern. Und wie viele Angeklagte in Strafprozessen, so verhalten sich auch am Pranger stehende Behörden: Verstockt, uneinsichtig und sie geben nur das zu, was schon bewiesen ist. Ort des Verfahrens war gestern das Berliner Verwaltungsgericht, wo sich Bürger gegen jahrelange Bespitzelung durch den bundesdeutschen Geheimdienst wehrten.
Am 17. Oktober 2008 erhielten einige Berliner, eine Anwaltskanzlei und eine Bäckerei Briefe, in denen ihnen mitgeteilt wurde, dass sie in den Jahren 1998 bis 2006 vom Verfassungsschutz überwacht wurden, ihre Telefone abgehört, ihre Briefe geöffnet und gelesen und ihr E-Mail-Verkehr aufgezeichnet. Der Verdacht, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, habe sich jedoch nicht bestätigt, insofern seien die Maßnahmen eingestellt worden.
Der Fall hat nun ein juristisches Nachspiel, die Betroffenen klagten gegen die Abhörattacken. Die Verfassungsschützer argwöhnten damals, dass es sich bei den Personen um Mitglieder oder Anhänger der »militanten gruppe« handeln würde. Die »militante gruppe« (mg) wird für zahlreiche Anschläge zwischen 2001 und 2009 verantwortlich gemacht, bis sich die Gruppe nach eigenem Bekunden selbst aufgelöst hat. Nachdem die Verfassungsschützer keine Beweise für ihre Vermutungen erbringen konnten, wurden sie immer argwöhnischer. Wem nichts nachzuweisen ist, der ist nicht unschuldig, der ist nur viel raffinierter und versteht, sein terroristisches Handwerk gut zu tarnen. Sie beobachteten und beobachteten, ließen ihre Aktionen immer wieder verlängern.
Wie absurd die Spitzeleien wurden, zeigt der Fall eines Betroffenen. Hintergrund ist ein Geschehen im Jahre 2001. Damals wurde an drei Repräsentanten des Staates, darunter Otto Graf Lambsdorff, per Post scharfe Munition gesandt, um gegen den skandalösen Umgang mit Entschädigungszahlungen für Zwangsarbeiter in der Nazizeit zu protestieren. Diese Aktion wurde der »mg« zugerechnet. Da das Opfer des Lauschangriffs zwei Jahre in der Begegnungsstätte Auschwitz gearbeitet hatte und somit Kenntnis von der Sklavenarbeit unter den Nazis hatte, so die Logik der Verfassungsschützer, gehöre der Beobachtete zum Kreis der Verdächtigen. In einem anderen Fall wurde ein Veteranentreffen ehemaliger taz-Mitarbeiter zu einem konspirativen Treff von Verfassungsfeinden umgedeutet.
Das Gericht gab den acht Klagen der Abgehörten statt, die Bespitzelungen waren rechtswidrig.