Gericht: Jahrelange Abhöraktion war rechtswidrig

Jahrelang wussten sie nicht, dass der Verfassungsschutz Telefonate belauschte und ihre Post mitlas. Als sie es erfuhren, zogen in Berlin linke Aktivisten, ein Anwaltsbüro und eine Biobäckerei vor Gericht. Nun gibt es Urteile.

Berlin (dpa/bb) - Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat nach Urteilen des Berliner Verwaltungsgerichts jahrelang rechtswidrig Telefone von linken Aktivisten in der Hauptstadt abgehört sowie Mails und Post kontrolliert. Es gab keine tatsächlichen Anhaltspunkte, dass die Abgehörten der linksextremistischen Gruppierung "mg" angehörten, urteilte das Gericht am Donnerstag. Mit diesem Verdacht waren die Abhöraktionen von 1998 bis 2006 begründet worden. Das Bundesinnenministerium hatte sie auf Antrag des Bundesamtes angeordnet. Der "mg" werden mindestens 25 Brandanschläge von 2001 bis 2007 mit einem Sachschaden von mehr als einer dreiviertel Million Euro zur Last gelegt.

Von Anfang an lagen keine gesetzlichen Voraussetzungen für die Überwachung vor, urteilte die erste Kammer. Telefonüberwachung sei nur als letztes Mittel der Aufklärung zulässig, wenn andere Maßnahmen aussichtslos seien. Acht Klagen gegen das Bundesinnenministerium waren damit in erster Instanz erfolgreich. Die Berufung zum Oberverwaltungsgericht wurde zugelassen.

Schon zuvor hatte Vizegerichtspräsident Wilfried Peters betont, für den Verdacht des Angriffs auf die demokratische Grundordnung müssten tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Aus der vagen Analyse von Verlautbarungen verschiedener Gruppen könne auch nicht auf eine "mg"-Mitgliedschaft geschlossen werden. Einige Kläger sollen einen Beitrag für einen Verein verfasst haben, der mit einem Schreiben der "mg" übereinstimmte.

Zudem hätten die Anordnungen zur Überwachung den Eindruck von Textbausteinen fernab der konkreten Fälle vermittelt, so Richter Peters. Er rügte auch, dass die Verfassungsschützer aus Nichttelefonieren von Betroffenen Verdachtsmomente konstruiert hätten.

Für das Innenministerium hatte Anwalt Heinrich Amadeus Wolff das Abhören als "Prognoseentscheidung" gerechtfertigt. Verfassungsfeindliche Bestrebungen aufzuklären, sei wie Stochern im Nebel. Der Verfassungsschutz müsse schon im Vorfeld von Straftaten aufklären.

Dagegen sprach Kläger-Anwalt Volker Gerloff von einem Skandal. Die Überwachung sei auch damit begründet worden, dass keine illegalen Aktivitäten festgestellt werden konnten. Da sei dann ein so hohes Maß an Konspiration vermutet worden - um damit weitere Kontrollen zu rechtfertigen. "Das hat einfach zu weit geführt."

Der Bundesgerichtshof hatte die "militante gruppe" zuletzt als kriminelle Vereinigung eingestuft, während sie anfangs als terroristische Vereinigung angesehen wurde. Die linksextremistische Gruppierung erklärte 2009 ihre Selbstauflösung, woran Ermittler zweifelten.

Zuvor hatte schon der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass die Überwachung aus strafrechtlicher Sicht rechtswidrig war. Laut Anwalt Gerloff könnten durch eine gerichtlich festgestellte Rechtswidrigkeit Schmerzensgelder eingeklagt werden.

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