(I) Einstellungsantrag: Aufklärung täte Not
In der Strafsache gegen Axel H. u.a. (Aktenzeichen (1) 2 StE 2/08-2 (21/08)) wird beantragt, das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen.
Begründung :
Bereits zu Beginn dieses Verfahrens hat die Verteidigung beantragt, das Verfahren einzustellen, weil zu befürchten war, dass die Angeklagten ein faires Verfahren nicht zu erwarten hatten.
Diese Befürchtung hat sich im Laufe des nunmehr einjährigen Verfahrens bestätigt.
Von einem fairen Verfahren kann nicht gesprochen werden, wenn ein Geheimdienst, wie hier das Bundesamt für Verfassungsschutz, in dem Gesamtermittlungskomplex „mg“ eine so entscheidende Rolle spielt, die naturgemäß in einem Gerichtsverfahren nicht überprüft werden kann. Die Steuerung des BfV im Verfahren gegen unsere Mandanten erscheint nicht so eklatant. Das ist aber das Ergebnis der von der Verteidigung schon zu Beginn des hiesigen Verfahrens kritisierten willkürlichen Aufteilung des Gesamtkomplexes in verschiedene Einzelverfahren durch das BKA und die BAW. Nichtsdestotrotz taucht in der Anklage als gewichtiges Indiz für die Mitgliedschaft unserer Mandanten ein Behördenzeugnis des BfV auf. Aus dem Behördenzeugnis geht hervor, dass dem BfV eine „nachrichtenehrliche“ Quelle zur Verfügung steht, die Kenntnis von der Mitgliedschaft der Angeklagten in der „mg“ hat.
Im Laufe des Verfahrens hat sich allerdings herausgestellt, dass dieses Wissen nicht aus eigenem Erleben, sondern lediglich vom Hören-Sagen stammt. Hierdurch wird offenkundig, dass das BfV durch das Vorenthalten wesentlicher Informationen alle Verfahrensbeteiligten Glauben machen wollte, es habe gesicherte Erkenntnisse hierzu. Dieses Beispiel macht deutlich, dass Behördenzeugnisse nicht unüberprüft übernommen werden können, wie es der Senat an anderer Stelle getan hat. Mit Beschluss vom 03.09.2009 lehnte er ab, dass die Erkenntnisse des BfV zum „Runden Tisch der Militanten“ in ähnlicher Weise wie das Behördenzeugnis zur angeblichen Mitgliedschaft in der „mg“ unserer Mandanten auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft wird. Trotz der hinsichtlich des Behördenzeugnisses zur angeblichen Mitgliedschaft nachgewiesenen „Unzulänglichkeit“ schenkt der Senat in diesem Fall wider besseren Wissens einem solchen Zeugnis Glauben, obwohl das BfV nachweislich an mindestens einem Punkt gelogen hat.
Auch in einem weiteren Punkt kann das Agieren des Senats nur als Missachtung des Prinzips eines fairen Verfahrens gewertet werden, dem nur durch die Einstellung des Verfahrens Abhilfe geschaffen werden.
Die Verteidigung hat von Anfang an darauf hingewiesen, dass nicht alleine ihr, sondern auch dem Senat wesentliche Aktenbestandteile vorenthalten werden. Über die Reichweite der notwendigen Aktenbestandteile gibt es unterschiedliche Auffassungen. Wir haben immer vertreten, dass alle zum Gesamtverfahrenskomplex gehörenden Akten Gegenstand dieses Verfahrens sein müssen. Der Senat ist uns nur zögerlich und teilweise gefolgt. Wie immer man auch zu dieser Frage steht, hat dieses Verfahren eine Entwicklung genommen, bei der es nicht mehr um einen „theoretischen Streit“ geht: Wir haben erlebt, dass ein BKA-Zeuge in der Hauptverhandlung während seiner Aussage alle Verfahrensbeteiligten angelogen hat – und das sei an dieser Stelle erwähnt, nur dank des Agierens der Verteidigung vor einer Falschaussage bewahrt wurde –, indem er die ihm bekannte Tatsache verschwieg, dass das BKA sich selber an der sogenannten Militanzdebatte beteiligt hat. Durch einen Zufall erhielt die Verteidigung einen Sachstandsbericht, in dem dieser Umstand für einen Artikel gekennzeichnet war. Darauf angesprochen, erschrak der Zeuge und erklärte, diese Variante der Akte sei nicht für die Verfahrensbeteiligen bestimmt. Mit anderen Worten: Der Zeug gab unumwunden zu, dass beim BKA Parallelakten geführt werden, deren Inhalt – und wie in diesem Fall nachgewiesen in gravierender Weise – gegenüber den Akten abweichen, die Verteidigung und Gericht zur Verfügung stehen. Offenkundig wurde also, dass selbst die vorgelegten Akten nicht vollständig sind. Vielmehr haben die Ermittlungsbehörden aus eigener Machtvollkommenheit rechtswidriger Weise entschieden, was Bestandteil der vorzulegenden Akten ist. Das von der Verteidigung von Anfang vorgetragene Misstrauen bewahrheitet sich nicht nur gegenüber dem BfV, sondern auch gegenüber BKA und BAW. Dennoch wurde vom Senat der Antrag der Verteidigung auf Beschlagnahme dieser vollständigen Ermittlungsakte abgelehnt, da es dem Senat ausreichte, dass die BAW sich schriftlich vor das BKA stellte und behauptete, es habe sich um ein peinliches Versehen gehandelt.
Wir halten fest: Der Senat ist konfrontiert mit einem nachweislich lügenden BKA-Zeugen und manipulierten Akten. Ein doppelter Skandal, der mit Fug und Recht in der bundesdeutschen Justizgeschichte als außergewöhnlich zu bezeichnen ist und entschiedenes Handeln im Sinne des Rechtsstaats, eines fairen Verfahrens und der Ehrenrettung und der Würde des Gerichts erfordert hätte.
Die Weigerung des Senats sich dieser Entwicklung im Verfahren mit aller Konsequenz zu stellen und sich nicht mit schriftliche Erklärung der BAW zufrieden zu geben, hat weitreichende Folgen für unsere Mandanten. Ob sich weitere geheimgehaltene eventuell entlastende Aktenteile beim BKA befinden, wird sich nie mehr klären lassen.
Hier geht es nicht nur um formale Fragen. Nachdem bekannt wurde, dass es zwei Texte des BKA zur „Militanzdebatte“ gab, machte die Verteidigung das Gericht darauf aufmerksam, dass einer dieser Texte im Verfassungsschutzbericht eines Landesamtes erwähnt und für authentisch gehalten wurde. Es wurde geklärt, dass keiner der Geheimdienste noch das BKA Kenntnis davon haben, wer zu solchen Mitteln greift und ob nicht gegenseitig die Texte anderer Behörden als authentisch aufgefasst und zur Textanalyse herangezogen werden.
Diese Gemengelage lässt sich nicht aufklären.
Aufklärung täte aber Not, weil diese Frage unmittelbar damit verbunden ist, ob es die „mg“ in der von der Anklagebehörde behaupteten Form überhaupt gibt und unsere Mandanten in irgendeiner Beziehung zu ihr stehen.
Aus diesen Gründen, halten wir dies nicht für ein faires Verfahren. Das Recht unserer Mandanten auf eine angemessene Verteidigung ist unheilbar missachtet. Dass es sich hier nicht um ein gewöhnliches Verfahren gehandelt hat, zeigte sich darüber hinaus in den Sonderhaftbedingungen, denen unsere Mandanten in der U-Haft unterlagen, der durch nichts gerechtfertigten Sicherheitsverfügung, die ihren wahren Kern in der Anwesenheit von bewaffneter Polizei im Gerichtssaal offenbarte und dass BKA-Beamte zugegen waren, die die Öffentlichkeit erklärter Maßen auf der Suche nach weiteren Ermittlungsansätzen beobachten.
Weiterhin möchten wir zu bedenken geben: Ziel des Verfahrens ist die Kriminalisierung antimilitaristischen Widerstandes, ein staatliches Handeln, das in Deutschland Tradition hat. Je nach historischem Kontext wurden Antimilitaristen hierzulande wahlweise als Vaterlandsverräter, Wehrkraftzersetzer, Drückeberger, Feiglinge, Terroristen oder Kriminelle bezeichnet. Nichts Neues also in diesem Verfahren. Neu ist leider auch nicht, dass eben jene, die sich gegen Krieg, Aufrüstung und Militarisierung der Gesellschaft engagiert haben, am Ende meistens Recht behalten haben mit ihren Warnungen. So liegen die Dinge auch hier.
Anders bei Kriegsverbrechern: Der „Kameradenkreis der Gebirgsjäger“ trifft sich Jahr um Jahr zu Pfingsten unter Beteiligung der Bundeswehr und des ehemaligen Bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber im bayerischen Mittenwald zum traditionellen Schweinebratenessen und gedenkt dabei der eigenen Gefallenen der Weltkriege. Die schweren Kriegsverbrechen dieser Einheiten in Griechenland und Italien haben seit 64 Jahren keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich gezogen.
Ende August 2009 befiehlt ein Oberst der Bundeswehr in der Nähe von Kundus entgegen geltender Einsatzdirektiven der ISAF einen Luftangriff auf zwei zuvor gestohlene Tanklastwagen und Personen, die sich im Bereich der Lkw befanden. Nach Angaben der NATO starben dabei mehr als 100 Menschen. Nachdem sich der deutsche Verteidigungsminister erst nach Tagen - als es nicht mehr zu leugnen war - dazu bequemte, die Möglichkeit ziviler Opfer in Erwägung zu ziehen, schwadronierte Bundeskanzlerin Angela Merkel darüber, der Tod „unschuldiger Opfer, wenn es sie denn gegeben haben sollte“, tue ihr leid. Das impliziert, dass es auch „schuldige Opfer“ gegeben hat. Es ist unmissverständlich festzustellen, dass ein Diebstahl in keinem Fall ein solches Massaker rechtfertigen kann. Der Täter, Oberst Klein, muss sich indes keine Sorgen machen. Die Staatsanwaltschaft Potsdam, die die Einleitung von Vorermittlungen prüft, ein Instrument, dass es in der StPO gar nicht gibt, wird sofort öffentlich hierfür von Politikern kritisiert. Hinter den Kulissen wird über die deutschen Botschaften versucht, Druck auf westliche Staaten auszuüben mit dem Ziel, kritische Stimmen im Ausland mundtot zu machen, und das deutsche Verteidigungsministerium bezeichnet den Einsatz als „robusten Stabilisierungseinsatz mit eingeschlossenen Kampfhandlungen“. George Orwell hätte es nicht besser formulieren können.
1968 hieß es, die Freiheit Westberlins werde in Vietnam verteidigt; heute wird die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt. Die Profiteure dieses Systems sind allen bekannt: Sie heißen Thyssen/Krupp, KraussMaffei-Wegmann/Rheinmetall, MAN, Heckler & Koch usw.usw.
Sie stehen aber - im Gegensatz zu den Angeklagten - nicht vor Gericht, müssen sich nicht verantworten, sondern sind DAX-notiert, honorige Menschen, die Stützen der Gesellschaft eben.
Die einen hängt man, die anderen lässt man laufen. Dies kommt einem umweigerlich in den Sinn, wenn man das Verfahren gegen unsere Mandaten mit dem Umgang der bundesdeutschen Justiz mit dem Massaker von Kundus vergleicht. Auch aus diesen Gründen kommt nur eine Verfahrenseinstellung in Betracht.
Olaf Franke, Thomas Herzog, Alexander Hoffmann
Sven Lindemann, Stephan Schrage, Undine Weyers