Bundesgerichtshof: BKA-Überwachung linker Aktivisten war illegal

Erklärung der Initiative Libertad!

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sämtliche Überwachungsmaßnahmen gegen unsere drei Berliner Genossen, gegen die das Bundeskriminalamt (BKA) seit 2001 wegen des Verdachts der Gründung der militanten gruppe (mg) ermittelt hatte, für rechtswidrig erklärt.

Im Sommer 2001 nahm das BKA Ermittlungen gegen drei Mitglieder unserer Berliner Ortsgruppe auf. Der Hintergrund: Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte, kurz nach dem ersten Anschlag der mg im Juni 2001, in einem Dossier die drei Aktivisten als Gründer dieser militanten Organisation bezeichnet. Die 1993 gegründete Initiative Libertad! versteht sich als linke Solidaritätsorganisation und als Teil der weltweiten Kämpfe für Menschenrechte und Emanzipation. Wir engagieren uns für die Freiheit der politischen Gefangenen, gegen Folter und imperiale Kriegspolitik – Themen, so die Analyse des Verfassungsschutzes, mit denen sich auch die mg befasst.

Das BKA setzte daraufhin ein Orwellsches Programm in Gang: Über ein Dutzend Telefonanschlüsse wurden abgehört, Emails wurden gelesen und die Internetnutzung ausgewertet. Auf die Haustüren waren hochauflösende Videokameras gerichtet, zeitweise wurden die Drei rund um die Uhr von Observationsteams begleitet. Das BKA verwanzte Autos und erstellte aus Peilsendern und den Funkzellendaten von Mobiltelefonen Bewegungsprofile. Kolleginnen und Freunde, Geschäftspartner und Familienangehörige wurden ausgespäht, selbst über die Telefonate von Kleinkindern legten die Fahnderinnen und Fahnder Auswertungsvermerke an.

Das BKA ließ sich auch die Personenakten des Ministeriums für Staatssicherheit kommen, dessen Beobachtungen der Westlinken bedenkenlos verwertet wurden. Ein Versuch, einen Spitzel einzuschleusen, scheiterte. Bei einer bundesweiten Razzia gegen Linke vor dem G8-Gipfel 2007 wurden auch die Wohnungen und Arbeitsstellen der drei Aktivisten sowie ein Libertad!-Büro durchsucht. Im Herbst 2008 schließlich stellte das BKA das Ermittlungsverfahren ein - mangels Beweisen.

Nach unserer Klage erklärte der 3. Strafsenat des BGH nun in dem am 11. März 2010 gefassten und Anfang Juni veröffentlichten Beschluss: "Die angeordneten und durchgeführten verdeckten Ermittlungsmaßnahmen waren bereits deshalb rechtswidrig, weil zum jeweiligen Zeitpunkt ihrer Anordnung und Durchführung ein ausreichender Tatverdacht ... nicht bestand." Das Verfassungsschutz-Dossier, das sieben Jahre lang als Begründung der Überwachung gedient hatte, enthalte nach Auffassung der BGH-Richter nichts über die drei Aktivisten, "was wesentlich über allgemeine Erkenntnisse über deren politische Orientierung hinausgeht".

Genehmigt wurden die Überwachungsmaßnahmen durch insgesamt 36 Beschlüsse eines Ermittlungsrichters am BGH, die sämtlich aufgehoben wurden. Dass das BKA dem Ermittlungsrichter über Jahre hinweg entlastende Beweise vorenthalten hatte, stieß den Richtern übel auf. Akribisch listet der BGH-Beschluss auf, welche der 25 Anschläge die Beschuldigten nicht begangen haben konnten, weil sie sich - ausweislich der Totalüberwachung - andernorts aufhielten. Gerügt wurde auch, dass der Generalbundesanwalt schon im ersten Überwachungsantrag ein "den Erkenntnissen des BfV entgegenstehendes linguistisches Gutachten des Bundeskriminalamts" mit keiner Silbe erwähnt hatte.

Wahrscheinlich vermuteten die Fahnderinnen und Fahnder anfangs tatsächlich, dass ihnen die Überwachung von Libertad! helfen würde, die Mitglieder der mg zu finden und zu verhaften. Dass dem nicht so ist, war ihnen nach zwei Jahren Totalüberwachung klar geworden - so steht es in einem BKA-Bericht von 2003, den der Ermittlungsrichter wohl nie zu Gesicht bekam. Anstatt das Verfahren einzustellen, dehnte das BKA die Ermittlungen auf Freunde und Kinder der Aktivisten aus; nach dem Motto: Wenn wir ihnen nichts nachweisen können, müssen sie Helfer haben. Dadurch konnte das BKA über Jahre hinweg alle verfügbaren Überwachungsmaßnahmen nutzen, um die linke Szene auszuspionieren.

Diese Praxis hat System: Kaum eines der Verfahren gegen Linke nach dem Terrorismusparagraphen 129a hat zu einer Anklage, geschweige denn einer Verurteilung geführt. Mehrfach hat der BGH Überwachungsmaßnahmen des BKA in solchen Verfahren in den letzten Jahren nachträglich für rechtswidrig erklärt.

Politisch dienen diese Ermittlungen dazu, eine Spaltung zwischen "berechtigtem" Protest und vermeintlich "extremistischen" Linken zu inszenieren und eine gemeinsame Organisierung von Widerstand zu verhindern. Das wurde vor dem G8-Gipfel 2007 versucht. Heute wird mit Macht versucht, den sich formierenden Protest gegen die kapitalistische Krisenpolitik und gegen den Afghanistankrieg zu spalten. Diesen Widerstand auszuweiten, dafür arbeiten wir.

Wir sind alle militant.

Initiative Libertad!, 19. Juni 2010
http://www.libertad.de

Spendenkonto: 8020069300, BLZ 43060967, GLS Gemeinschaftsbank.

Tags: bka | verfassungsschutz | mg-verfahren | baw