§129a in Frage gestellt

Andrej bleibt vorerst draußen. Der dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe will bis Anfang Oktober eine grundsätzliche Entscheidung über die Bewertung einer Organisation als »terroristische Vereinigung« fällen. Mindestens bis dahin bleibt der Berliner Soziologe, dem gemeinsam mit sechs weiteren Männern die Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« (mg) vorgeworfen wird, draußen. Dies teilten heute seine Anwältin und das »Bündnis für die Einstellung des §129a-Verfahrens« mit. Von Peter Schmidtke

Eine Entscheidung des Senats war ursprünglich für diese Woche erwartet worden. Die Verhandlung hat stattgefunden, weil die Bundesanwaltschaft (BAW) Widerspruch gegen die Haftverschonung für den Wissenschaftler und Aktivisten eingelegt hatte. Er war am 22. August gegen Kaution und Meldeauflagen von der Haft verschont worden, wo er und drei weitere Beschuldigte seit Anfang August einsaßen. Der zuständige Ermittlungsrichter war der Ansicht, dass »der Fluchtgefahr mit weniger einschneidenden Mitteln als der Untersuchungshaft begegnet werden kann«, hatte Andrejs Anwältin Christina Clemm erklärt. Axel, Oliver und Florian, die nach Ansicht der Ermittlungsbehörden ebenfalls Mitglieder der »mg« sein sollen, sitzen nach wie vor unter verschärften Bedingungen in Einzelhaft.

Bis Anfang Oktober will der BGH nun klären, ob die Anwendung des Paragraphen 129a im aktuellen Verfahren überhaupt angebracht ist. Der zweite Absatz des Paragraphen stuft eine Gruppierung unter anderem dann als »terroristisch« ein, wenn sie z.B. Brandanschläge und andere so genannte »gemeingefährliche Straftaten« begeht. Voraussetzung ist aber, dass diese Taten dazu bestimmt sind, »die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern«, oder politische und soziale Grundstrukturen des Staates »zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen«. Dass dies nicht gegeben ist, sieht selbst der Tagesspiegel. Die »militante gruppe« hat sich auf Sachbeschädigung beschränkt und die Verletzung von Menschen bewusst vermieden. Darüber hinaus gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der vorgeworfene versuchte Brandschlag vom 31. Juli überhaupt mit der »mg« zu tun hat.

Der Ausgang der Verhandlung dürfte also von großer Wichtigkeit für das Verfahren sein. Denn wenn die »militante gruppe«, deren Mitglieder die sieben Beschuldigten dem Konstrukt des Bundeskriminalamtes (BKA) nach sein sollen, nicht als »terroristische Vereinigung« eingestuft wird, dann fällt auch die abenteuerliche Konstruktion von BKA und BAW wie ein Kartenhaus im Wind zusammen. In diesem Fall würden sich die Vorwürfe auf konkrete Tatsachen stützen und nicht auf angebliche »konspirative Kontakte«. BKA und BAW wären nicht mehr zuständig und die Berliner Staatsanwaltschaft müsste die Ermittlungen wegen versuchter Brandstiftung übernehmen.

Das Konstrukt der Ermittler basiert auf einem Zirkelschluss: Die Wissenschaftler sollen die »intellektuellen Köpfe« der »mg« sein. Da ihnen aber keinerlei Straftat nachgewiesen werden kann, wird für die Verfolgung einer »terroristischen Vereinigung« ein »ausführender Arm« gebraucht. Diesen gibt das BKA vor gefunden zu haben: Wer nachts bei dem Versuch erwischt wird, Kriegsmaterial zu zerstören, muss zur »mg« gehören. Da aber gegen die Antimilitaristen nichts weiter vorliegt, als »ähnlich« vorgegangen zu sein, wie die »mg« (Zeit: Nachts, Art der Ausführung: Brandsatz, Thema: Antimilitarismus), werden wiederum die »Intellektuellen« gebraucht, um sie alle gemeinsam zu einer »terroristischen« Gruppe zu machen. Die einen machen die Kopfarbeit, die anderen die Handarbeit. Die gesamte Konstruktion hängt also an zwei »konspirativen« Treffen. Konspirativ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das BKA trotz umfassender Überwachungsmaßnahmen nicht weiß, worüber geredet wurde.

Darauf, dass das BKA mit aller Macht versucht, »Beweise« zu finden, deutet ein weiterer Vorfall hin. Am vergangenen Sonntag Durchsuchten Beamte ein weiteres Mal die Wohnung von Andrej, der nicht erst seit seiner Entlassung komplett überwacht wird. Das BKA suchte einen »schwarzen Beutel«. Was sich darin befand waren Ermittlungsakten, Andrej hatte an jenem Tag ein Gespräch mit seinen VerteidigerInnen. Die Ermittler inspizierten die Unterlagen auf handschriftliche Notizen, was nach Aussagen von Christina Clemm »selbstverständlich illegal« ist.

Angesichts der Situation hat die Soligruppe für die sieben Betroffenen in einer Pressemitteilung erneut die Freilassung der verbliebenen Gefangenen gefordert. »Die Bundesanwaltschaft hat sich mit dem Konstrukt der terroristischen Vereinigung völlig verrannt«, kommentierte Volker Eick, einer der Sprecher der Gruppe die Entwicklung. Der Vorwurf, die drei in Brandenburg Verhafteten seien Mitglieder einer »terroristischen Vereinigung« würde lediglich »aus zwei Kontakten mit Andrej H. konstruiert«. Das Bündnis fordert die Einstellung der Verfahren und die Abschaffung der Paragraphen 129a und b.

08.08.2007: Repression gegen die Linke geht weiter
Mehr bei der Soligruppe: http://einstellung.so36.net