Aus der "mg" einen Elefanten machen
Wie die Bundesanwaltschaft mit Hilfe des Verfassungsschutzes vor dem Kammergericht Berlin die Bundesrepublik Deutschland retten will. Von Oliver Tolmein
Im November 2007 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es sich bei der Organisation "militante gruppe", der mehrere Brandanschläge gegen öffentliche Einrichtungen angelastet werden, nicht um eine "terroristische Vereinigung" im Sinne des Paragraphen 129a StGB handelt. Trotzdem verfolgt die Bundesanwaltschaft mit Eifer angebliche Mitglieder der "mg". Zumindest die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung will sie drei Angeklagten nachweisen, gegen die jetzt in Berlin verhandelt wird. Aber die Beweislage ist dünn.
Mehr als 50 Erklärungen der „militanten gruppe“ finden sich im Internet: etliche davon befassen sich mit Grundsatzfragen linksradikaler Strategie und Taktik, mit linkem Antisemitismus und dessen Kritik, mit Stadtentwicklung und Rassismus – manche sind Bekennerschreiben zu Sprayattacken auf Häuser, in denen Polizisten wohnen, zu Brandanschlägen auf noch nicht fertiggestellte Supermarktgebäude großer Ketten oder auf Fahrzeuge der Polizei und der Bundeswehr. Strafbar – gewiss. Glaubt man aber der Bundesanwaltschaft droht die „militante gruppe“ die Grundstrukturen der Bundesrepublik Deutschland ins Wanken zu bringen. Da mochten nicht einmal die Richter des Bundesgerichtshofes den Chefanklägern aus Karlsruhe folgen. Der Haftbefehl gegen ein angebliches Gruppenmitglied wurde aufgehoben. Denn, so der BGH wörtlich: „Eine nennenswerte Beeinträchtigung der Tätigkeit der betroffenen staatlichen und privaten Stellen ist weder eingetreten, noch war sie zu erwarten; die Gesamtschadenssumme beläuft sich zudem nur auf etwa 1.000.000 Euro.“ Von einer terroristischen Vereinigung könne nicht die Rede sein.
Die Bundesanwaltschaft hat sich davon wenig beeindruckt gezeigt und das Verfahren gegen drei mutmaßliche Mitglieder der „militanten gruppe“, die nächtens versucht haben sollen drei Bundeswehr-LKW anzuzünden, auf Hochtouren weiter geführt. Auch Bundesanwälte haben ihren Stolz – und einen ausgeprägten Ehrgeiz wenigstens irgendwie recht zu behalten. Also haben sie nicht einfach Anklage wegen versuchter Brandstiftung erhoben - immerhin ein Verbrechen mit einer Höchststrafe von zehn Jahren Haft - sondern wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Das klingt nicht ganz so spektakulär wie „terroristische Vereinigung“, ist aber Grund genug den Prozess nicht wie bei Brandstiftung oder sogar Totschlag und Mord im Allgemeinen üblich am Landgericht zu beginnen, sondern eine Instanz höher, beim Kammergericht Berlin, das eine eigene Staatsschutzkammer hat: Auch wenn die drei Angeklagten vielleicht gar nicht zur militanten Gruppe gehören, auch wenn die militante Gruppe jedenfalls keine terroristische Vereinigung ist – behandeln kann man sie trotzdem wie eine.
Und das Kammergericht Berlin, mit Verfahren dieser Art vertraut, macht mit: Die Sicherheitsbestimmungen für den Prozess gegen drei Menschen, die sich auf freiem Fuß befinden, sind exorbitant. Die Verteidigung beklagt, dass sie – anders als es die Strafprozessordnung vorsieht – keinen umfassenden Einblick in die Akten erhalten habe. Dafür könnte es wiederum aus Sicht der Ermittler gute Gründe geben: Die Beweislage erscheint dürftig. Obwohl die Polizei angibt, die drei in der Nacht der versuchten Brandstiftung dauerhaft observiert zu haben, hat sie sie nicht in der Nähe der LKW festgenommen, sondern auf offener Straße im fahrenden Auto. Dass die drei angeblich Mitglied der „militanten gruppe“ sein sollen, bezeugt vor allem eine nicht näher beschriebene und schon gar nicht namhaft gemachte Quelle des Verfassungsschutzes , die aber immerhin, so die Anklageschrift „nachrichtenehrlich“ sein soll. Und noch ein starkes Indiz für die Mitgliedschaft der drei Angeklagten in der „militanten gruppe“ hat die Bundesanwaltschaft aufzubieten. Die klandestine Gruppe hat sich zu dem versuchten Anschlag, der dem Trio zur Last gelegt wird - nicht bekannt. Ein wahrhaft raffinierter Schachzug um die Ermittlungsbehörde hinters Licht zu führen, der nur noch durch den Scharfsinn der Bundesanwälte übertroffen wird, die mit so einer Finte nicht reinzulegen sind. Ob ein Prozess, der so geführt wird, zur Wahrheitsfindung beitragen kann, wird sich weisen. Aufschlußreich ist er schon heute: Er zeigt die Bundesanwaltschafts, die in der Verfolgung der RAF in den 1970er Jahren groß und einflußreich geworden ist, als einen traditionsbewußten Apparat, der – koste es was es wolle – von seinem Lieblingsfeind, dem linken Terrorismus, nicht lassen will.