"Vielleicht hätte ich mitgemacht"
Gespräch mit zwei Aktivisten, die sich teils in klandestinen Gruppen, teils in Antirepressionsstrukturen organisiert haben, über militante Politik, einschüchternde Repression und falsche Erwartungen.
Seit 2001 gibt es die militante gruppe, die den Lesern der Interim durch viele Beiträge zur Militanzdebatte und zahlreichen Anschlagserklärungen bekannt ist. Was verbindet ihr mit der militanten gruppe?
Tina: Die militante gruppe ist in dem Jahr entstanden, in dem es zu den militanten G8-Protesten und einem toten Demonstranten in Genua und dem Einsturz des World Trade Centers in New York kam. Ereignisse, die auch an unserer Politik nicht spurlos vorbeigegangen sind und Auswirkungen bis heute haben. Auch in Zeiten der Schwäche ohne Aussicht auf linke Mehrheiten ein Projekt wie die militante gruppe zu starten, verdient erst mal Anerkennung. Die über Jahre kontinuierliche Praxis der militanten gruppe hat deutlich gemacht: Die meinen es ernst. Und das ist ja heutzutage leider nicht alltäglich. In unseren Gesprächen und Diskussionen ist die militante gruppe immer mal wieder Thema gewesen. Wir scherzten: „Die militante gruppe hat die gleichen Ziele wie wir. Vielleicht begegnen wir ihnen einmal bei unseren nächtlichen Aktionen.” Einzelne aus meinem Umfeld haben sämtliche ihrer Texte gelesen und sich auch in die Militanzdebatten eingemischt. Wäre ich gefragt worden, ob ich bei ihnen mitmachen will, hätte ich vielleicht ja gesagt.
Tom: Aber es gab natürlich auch Fragen: Ob ein Brandsatz an den Türen des Sozialamts in Reinickendorf, der nur zu Brandflecken führt, das richtige Mittel sei. Oder ob das Sozialgericht, das einigen armen Schluckern zu ihrem Recht verhilft, das richtige Ziel sei. Aber auf den verschiedenen Ebenen ist bei der militanten gruppe auch eine Entwicklung bemerkbar gewesen. Einige Aktionen wie die Sabotage durch den Brandanschlag auf Bundeswehrjeeps in Strausberg anlässlich des Angriffskriegs gegen den Irak fand ich richtig gut.
Ermittlungsverfahren gegen die militante gruppe nach §129a StGB gibt es seit 2001. Die Solidaritätsarbeit begann aber erst mit den Verhaftungen am 31. Juli 2007. Wie habt ihr sie wahrgenommen?
Tina: In der Anfangszeit stellte sich für uns die Frage: Was sagen die Beschuldigten? Wie stellt die Soli-Gruppe diese dar? Also konkret: Mit wem sollen wir solidarisch sein? Zugespitzt: Mit Unschuldigen oder mit Täten? Davon hing für uns ab, wie wir selbst in der Sache aktiv werden.
Tom: Aber auch aus Erfahrungen, wie beispielsweise der Soli-Arbeit zu den RZ-Verfahren, zog ich Konsequenzen. Ich hatte kein Interesse an der Mitarbeit in der Soli-Gruppe. Während dem RZ-Verfahren wurde in der damaligen Soli-Gruppe die Politik völlig heraus gehalten. Man war nicht handlungsfähig. So hing die Soli-Arbeit in der Luft. Das wollte ich nicht noch ein zweites Mal.
Tina: Anders als damals registrieren wir heute jedoch die Äußerungen vor allem der Beschuldigten, die das BKA beim Anzünden von Bundeswehr-LKW ertappt haben will und denen ein Prozess droht. Mit ihren Stellungnahmen setzen sie wichtige politische Akzente. Und ich hoffe, dass vor dem Prozess noch mal eine deutliche Positionierung erfolgt, aus der einerseits hervorgeht, wofür sie Unterstützung wollen und andererseits ein politisches Kampfverhältnis deutlich wird. Darüber kann dann auch die Bundeswehr thematisiert und der Legitimationsspielraum des Gerichts eingeschränkt werden.
Warum hattet und habt ihr und andere so hohe Erwartungen an die Beschuldigten?
Tom: Die Erwartungen an die Beschuldigten waren von Beginn an sehr hoch. Vielleicht denken viele, an den Beschuldigungen ist was dran. Und wenn Menschen davon ausgehen, erwarten sie deshalb von den Beschuldigten, dass sie sich wenigstens dazu positionieren, wie es beispielsweise aufrechte Christen nach ihren antimilitaristischen Aktionen tun oder früher die Gefangenen der RAF getan haben. Aber die Beschuldigten tun es nicht. Vielleicht, weil ihre Anwälte davon abraten. Aber was wissen wir überhaupt? Seit den Verhaftungen am 31. Juli 2007 ist weder eine Ausgabe der radikal erschienen noch die militante gruppe in irgendeiner Form aufgetreten.
Was willst du damit sagen?
Tom: Das ist doch zumindest ein Beleg dafür, dass die Repression einschüchtert und Wirkung zeigt. Leider. Aber ich muss einen Schritt zurück. Was mich an der Soli-Arbeit für die militante-gruppe-Beschuldigten gestört hat, war die bürgerlich-demokratische Schwerpunktsetzung. Durch die Beschäftigung mit dem §129a und den damit möglichen Überwachungsmethoden werden andere Maßnahmen, die es auch ohne §129a gibt, unberücksichtigt gelassen: Vorratsdatenspeicherung, Kfz-Kennzeichen-Scans, biometrische Daten in Pässen usw. Und um in Wohnungen einzudringen oder Abhörmaßnahmen einzuleiten braucht der Verfassungsschutz keinen §129a. So greift selbst unter bürgerlich-demokratischen Gesichtspunkten die bloße Forderung nach Abschaffung des §129a zu kurz. Aber auch das ganze Reden über Überwachung und die plötzliche Empörung darüber muss Linke doch verwundern, die seit Jahren davon ausgehen und mit dem Bewusstsein leben überwacht zu werden, und deshalb ihre Handys nicht mitschleppen oder auf Treffen den Akku raus nehmen. Alle, die den Staat abschaffen wollen und dazu eine Praxis entwickeln, rufen die Geheimdienste und Repressionsbehörden auf den Plan. Davon darf man sich nicht einschüchtern lassen, sondern seinen politischen Weg weiter gehen.
Tina: Nun hat nach meiner Einschätzung die Repression auch einzelne Menschen getroffen, die niemals ein Papier mit „Für den Kommunismus” unterzeichnen würden, die keine militante Politik und nächtliche Aktionen (mehr) machen, sondern Bürgerrechtler geworden bzw. geblieben sind. Von denen kann man nicht erwarten, sich positiv auf eine Politik zu beziehen, die sie nicht (mehr) richtig finden. Und als einige der angehenden Professoren sagten, was sie wirklich denken, hagelte es Kritik. Manche hätten gerne etwas anderes gehört. Ich ehrlich gesagt auch. Aber das was sie sagen und tun, ist authentisch. In ihrer Logik ist die Empörung über die Bespitzelung schlüssig. Dass sie politisch Position beziehen und Überwachung, deren Grundlagen und Folgen skandalisieren und sich nicht distanzieren, ist ihnen hoch anzurechnen.
Aber steht das nicht einer revolutionären Perspektive entgegen?
Tina: Du kannst auch nicht von Amnesty oder dem Grundrechtekomitee revolutionäre Positionen erwarten. Und willst du ihnen deswegen das Maul verbieten? Revolutionäre Positionen zu formulieren ist Aufgabe der radikalen Linken. Dass solche Stimmen so marginal sind, drückt etwas über die Linke aus. Aber es ist auch ein weiterer Ausdruck davon, dass Repression etwas bewirkt und die Einschüchterung greift. Manch einer war ja überrascht, welchen politischen Wandel einige Beschuldigte, die plötzlich zu unschuldigen Wissenschaftlern wurden, durchgemacht haben. Ich glaube, ein Problem der Soli-Arbeit ist, dass die zwölf mg-Beschuldigten unterschiedlich sind und mit der Repression sehr unterschiedlich umgehen. Und ich vertrete übrigens die These, dass das mit ihrer Klassenzusammensetzung zusammenhängt.
Tom: Eins ist klar: „Weg mit dem §129a” ist keine revolutionäre Forderung. Aufklärung über Repression und §129a hat vielleicht eine Schutzfunktion, aber das Potential, das damit mobilisiert wird, richtet sich in der Regel gegen die Politik, auf die der Staat mit Repression reagiert und damit zuletzt gegen diejenigen, denen der Prozess gemacht wird. Und daran ändert sich nichts, solange der Antrieb für diese aufklärerische Politik der moralische Reflex derer ist, die in diesem Staat noch zu Hause sind und Karriere machen wollen. Eine Mobilisierung muss deshalb auch mit der Propaganda militanter Politik verbunden sein und selbst zur militanten Aktion kommen.