VS-Chefin: "Es ist verheerend, linke Gewalt zu rechtfertigen"
Berlins Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid spricht mit dem Tagesspiegel über Autozündler, Trittbrettfahrer und Bündnisse von Demokraten mit Autonomen.
Gibt es in Berlin No-go-Areas für Reiche?
Nein, die gibt es nicht. Allerdings konzentrieren sich linke
Gewalttaten schon auf bestimmte Bereiche der Stadt: Friedrichshain,
Kreuzberg und Prenzlauer Berg.
Warum gerade diese Viertel? Liegt das daran, dass dort viele Linke wohnen?
Offensichtlich. In unserer neuen Studie zu linker Gewalt, die an diesem
Mittwoch vorgestellt wird, haben wir die Wohnorte von Extremisten und
die Tatorte auf Karten übereinandergelegt. Dabei gab es gemeinsame
Schwerpunkte.
Bei den Autobrandstiftungen geht es endlos weiter. Ist das alles noch links?
Aus politischen Motiven angezündete Autos haben wir leider ja schon
seit den 80er Jahren in Berlin. Das hat derart zugenommen, dass wir von
einer ganzen Reihe Trittbrettfahrer ausgehen. Erst am Wochenende haben
Jugendliche in Staaken versucht, Autos anzuzünden. In der linken Szene
werden die Brandstiftungen allerdings teilweise kritisch gesehen. Es
sei nicht vermittelbar, wenn das Auto des Gemüsehändlers an der Ecke
angezündet wird, heißt es. Andere Stimmen bejubeln jedes abgebrannte
Auto.
Wie hoch ist der Anteil der Trittbrettfahrer?
Das ist offen. Die Polizei kann den Anteil nur schwer benennen, weil
das Vorgehen bei allen Taten ähnlich ist. Es wird in wenigen Sekunden
mit Kohlenanzündern gearbeitet. Klar zuzuordnen ist eine Tat erst dann,
wenn ein Selbstbezichtigungsschreiben vorliegt. Wenn es Firmenwagen wie
die von DHL oder Siemens sind, ist die Tat auch offenkundig politisch
motiviert. Wenn es wie jetzt in Staaken Kleinwagen sind, müssen wir
sehr genau prüfen, ob das linksextremistisch ist. Das hindert aber
einen Teil der Szene nicht, jedes abgebrannte Auto auf das eigene Konto
zu buchen.
Wer ist bei den Linken voll dafür?
Zum Beispiel die „direct action“-Aktivisten. Im Internet gibt es eine
Seite, bei der so ziemlich jeder Brandanschlag dazugerechnet wird. Dazu
gibt es die Parole, „ein angezündetes Auto ist eine Straftat, 100
angezündete Autos sind ein politisches Signal“.
Nun bringen zwei laufende Prozesse gegen mögliche
Brandstifter offenbar nicht den von den Anklägern gewünschten Erfolg.
Gibt das der Szene weiter Auftrieb?
Natürlich wurde das bejubelt. Das ohnehin sehr ausgeprägte
Selbstbewusstsein der linksextremistischen Szene lässt sich dadurch
aber nicht mehr steigern. Wir beobachten bereits seit geraumer Zeit
eine besondere Aggressivität nach dem Nato-Gipfel in Straßburg und dem
diesjährigen 1. Mai in Kreuzberg. Auch vor dem G8-Gipfel in
Heiligendamm oder den sogenannten Freiraum-Aktionstagen war die
Gewaltrate angestiegen.
Jetzt brauchen gar keine Aktionstage mehr ausgerufen zu werden, es brennt auch so fast jede Nacht…
Ja. Das hat sich verselbstständigt. Weil geworben wurde, wie leicht das
ist, sind viele Trittbrettfahrer aufgesprungen. Es hat sich eine
Eigendynamik entwickelt.
Ist das eine ähnliche Entwicklung wie am 1. Mai in Kreuzberg – linke Randale und Freizeitkrawall ohne politische Inhalte?
Das kann man so sehen. Wir haben ein gesellschaftliches Problem
zunehmender Gewalt, gerade unter Jugendlichen, die staatliche
Autoritäten missachten. Das ist ein Potenzial, das sich mitreißen
lässt.
Wieso ist das in Berlin so stark?
Das ist ein Großstadtphänomen. Ähnlich betroffen ist auch Hamburg. Bei
der Tagung am Mittwoch ist deshalb auch der Leiter des Hamburger
Verfassungsschutzes, Heino Vahldieck, eingeladen.
Wie ist die Gewalt besser zu bekämpfen?
Die Sicherheitsbehörden können es alleine nicht lösen. Das ist wie beim
Rechtsextremismus. Wir müssen überlegen, was die Gesellschaft noch tun
kann. Wir brauchen eine klare Ächtung von Gewalt. Gewalt darf durch
nichts entschuldigt oder gerechtfertigt werden.
Nun hat die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel an einer Demonstration
für drei mutmaßliche Mitglieder der Militanten Gruppe alias MG
teilgenommen, die das Kammergericht im Oktober wegen eines versuchten
Brandanschlags und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung
verurteilt hatte…
Frau Drohsel hat wie jeder andere das Recht, auf eine Demonstration zu
gehen. Doch grundsätzlich darf bezweifelt werden, ob es richtig ist,
mit autonomen Gruppen gemeinsame Sache zu machen. Zumindest sollten
Parteien und Organisationen links von der Mitte, die sich auf die
Bündnis-Politik von Linksextremisten einlassen, eine strikte Abgrenzung
zu Gewalt vertreten. Es ist verheerend, wenn Politiker das nicht tun
oder sogar Gewalt rechtfertigen, wie das bei der Militanten Gruppe die
Bundestagsabgeordnete der Linken, Inge Höger, getan hat.
Markiert das Urteil des Kammergerichts im Fall Militante
Gruppe für die linke Szene erst mal ein Ende der Strategie, mit einer
Untergrundbewegung den Staat und die Wirtschaft anzugreifen?
Von der Militanten Gruppe hat man jedenfalls seit der
Auflösungserklärung vom Juni nichts mehr gehört. Die MG hatte auch
keine allzu großen Sympathien in der Szene. Viele empfanden die
schwülstigen Erklärungen der Gruppe als übertrieben. Es ist aber nicht
auszuschließen, dass wir es in Zukunft wieder mit einer
Untergrundtruppe zu tun bekommen. Zumal es immer wieder Gruppierungen
gibt, die Anschläge begehen und dann eine Erklärung mit einem
Fantasienamen präsentieren. Ich halte es derzeit jedoch für
ausgeschlossen, dass der linksextreme Terrorismus nach dem Modell der
Roten Armee Fraktion oder der Bewegung 2. Juni wieder aufersteht. Die
Militante Gruppe hat ja vergeblich versucht, eine Debatte anzustoßen,
ob Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft liquidiert werden
sollten.
Wie groß ist denn die Gefahr, dass sich die Konfrontation zwischen
linken und rechten Extremisten zuspitzt – bis hin zu Anschlägen auf
einzelne Personen?
Die Aggressivität hat bei Neonazis wie bei Autonomen zugenommen. Das
kann, wie wir es schon in der Vergangenheit erlebt haben, wellenartig
eskalieren. Ich sehe allerdings keine Anzeichen für terroristische
Aktionen linker und rechter Extremisten gegeneinander.
Was unterscheidet linke von rechter Gewalt?
Bei den Rechtsextremisten sind fast alle Gewalttaten
Körperverletzungsdelikte. Die Opfer sind vor allem Menschen, die als
ausländisch angesehen werden, sowie Leute, die man für den politischen
Gegner hält. Linksextremisten hingegen üben vielschichtige Gewalt aus.
Sie attackieren weit mehr als Rechtsextremisten die Polizei, vor allem
bei Demonstrationen. Sie verüben Brandanschläge auf Autos und sie
begehen Überfälle auf Neonazis oder Personen, die sie dafür halten.
Heißt das, linke Gewalt gefährdet weniger Menschen als rechte Angriffe?
Die Gefahr schwerer und tödlicher Verletzungen ist auch bei linken
Gewalttaten groß. Wenn Linksextremisten Autos anzünden, werden immer
wieder Menschen gefährdet. Und bei Angriffen auf Rechtsextremisten
werden manchmal Personen krankenhausreif geschlagen. Andererseits haben
wir bei Linken noch nicht erlebt, dass sie so brutal auf ein Opfer
eintreten, wie es Rechtsextremisten im Juli in Friedrichshain taten.
Einen Bordsteinkick gibt es bei Linken nicht.
Wie lange wird es dauern, bis in Berlin linke und rechte Gewalt nachlassen?
Ich befürchte, dass wir noch länger erleben werden, wie sich beide
Seiten aufschaukeln. Außerdem ist kein Ende der Brandanschläge auf
Autos in Sicht. Deshalb ist es wichtig, dass endlich eine
gesellschaftliche Diskussion in Gang kommt, wie extremistische Gewalt
zu stoppen ist und wie man ihr vorbeugt.
Das Interview führten Jörn Hasselmann und Frank Jansen.