Bundesanwälte blamieren sich mit überzogener Überwachung
Von Michael Sontheimer
Brandanschläge und Drohbriefe aus dem Untergrund? Jahrelang wurden drei Linke der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung "Militante Gruppe" verdächtigt - Beweise gegen sie gab es nicht. Jetzt musste die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen einstellen.
Berlin - Der Anwalt Wolfgang Kaleck ist als Strafverteidiger kein Anfänger. Doch als er eines Sonntags in seinem Büro in Berlin-Mitte die Akten des Ermittlungsverfahrens gegen mutmaßliche Mitglieder der "Militanten Gruppe" ("mg") studierte, wurde ihm doch mulmig.
Die aufgeführten Indizien gegen seinen Mandanten waren äußerst dünn, dennoch hatte die Bundesanwaltschaft wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sein Telefon überwachen, seine E-Mails kontrollieren und ihn observieren lassen. In seinem Auto ließen die Ermittler einen Peilsender einbauen. "Diese totale Überwachung", sagt Kaleck, "machte mir doch Angst."
Nun ist es mit dem Spuk vorbei. Die Bundesanwaltschaft musste nicht nur das Ermittlungsverfahren gegen Kalecks Mandanten, sondern auch gegen einen weiteren Berliner Linken und den Leipziger Politologen Matthias B. einstellen. Allen drei hatten die Bundesanwälte vorgeworfen, Mitglieder der konspirativ agierenden "Militanten Gruppe" gewesen zu sein. Die Untergrundtruppe hat seit Juni 2001 insgesamt 28 Anschläge unter anderem gegen Polizei- und Bundeswehreinrichtungen ausgeführt.
Kalecks Mandant war ins Visier des Verfassungsschutzes und dann der Bundesanwälte geraten, weil er mit zwei Männern telefoniert hatte, die verdächtigt wurden, Mitglieder der "mg" zu sein. Gegen diese wurden die Ermittlungen schon vor einigen Monaten eingestellt.
DNA-Analyse für 180.000 Euro - ohne Ergebnis
Regelrecht absurd war der Anfangsverdacht gegen Matthias B. Der Politikwissenschaftler hatte 1998 einen Aufsatz über den Krieg im Kosovo veröffentlicht, dessen Argumentationsmuster nach Auffassung von Beamten des Bundeskriminalamtes Texten der "mg" ähneln sollten.
Bei der Hausdurchsuchung im Sommer 2007 beschlagnahmten die Ermittler dann ein Buch des russischen Revolutionärs Leo Trotzki, das Mitglieder der "mg" zu einem ihrer akademisch-länglichen Traktate als Literaturhinweis aufgeführt hatten.
Doch jetzt mussten die Bundesanwälte einräumen, dass die aufwendige Überwachung "keinen Erkenntnisgewinn" gebracht habe, wie in einem Vermerk der Strafverfolger heißt. Weitere "erfolgversprechende Ermittlungsansätze" seien "derzeit nicht ersichtlich".
Allein eine umfangreiche Analyse von DNA-Spuren auf Schriftstücken hatte zwar bis zu 180.000 Euro gekostet, aber keine Beweise produziert. Auch "Schriftvergleiche, Textanalysen sowie die Überprüfung ihrer finanziellen Transaktionen wurden mit negativem Ergebnis" abgeschlossen.
"Quasi autistisches Dahinwurschteln"
Bereits Ende 2007 hatten die Richter des Bundesgerichtshof die Bundesanwälte gebremst. Die "Militante Gruppe", so befanden sie, sei keine terroristische Vereinigung, sondern höchstens eine kriminelle. Es könne deshalb nicht unter dem Paragrafen 129a ermittelt werden.
Diesen auf dem Höhepunkt des RAF-Terrorismus eingeführten Paragrafen des Strafgesetzbuches hält auch Anwalt Kaleck für "grundsätzlich problematisch". Der Paragraf 129a könne von der Bundesanwaltschaft "zu weit ausgelegt und zur Verfolgung radikaler Linker und Aktivisten in sozialen Bewegungen missbraucht werden".
Die Mitglieder der "Militanten Gruppe" veröffentlichten vergangene Woche im Untergrund-Blatt "Radikal" eine ausführliche Erklärung: Sie bekannten sich dabei zu drei Anschlägen im Januar und Februar diesen Jahres. Schließlich erklärten die mysteriösen Militanten: "Wir können nur, und das ist nicht wenig, feststellen, dass wir weder durch die Festnahme von linken Aktivisten im Sommer 2007 in unserer personellen Gruppenstruktur tangiert worden wären, noch sonst in unserer Existenz gefährdet sind."
Ihre Auflösung begründete die "Militante Gruppe" mit internen Querelen. Man sei "aus dem Stadium des quasi autistischen Dahinwurschtelns nie hinausgekommen".