Lautloses Ende

Mit größtem Einsatz ermittelte die Bundesanwaltschaft gegen 18 Linksradikale. Doch nun stellte die Staatsanwaltschaft die Verfahren ein.

Es war kurz vor acht, als Rene Paulokat durch heftige Schläge gegen seine Wohnungstür aus dem Schlaf gerissen wurde. Als der Programmierer öffnete, warfen ihn die hereinstürmenden Polizisten erst mal gegen die Wand im Flur; Sekunden später standen rund 15 Beamte in seiner Zweizimmerwohnung.

Paulokat ist Vorstandsmitglied des Vereins so36.net, eines nichtkommerziellen Internet-Providers mit Sitz in Berlin-Kreuzberg. Ins Visier der Ermittler war er geraten, weil bei so36.net nicht nur viele Bürgerinitiativen E-Mail-Accounts unterhalten, sondern auch Linksradikale, die von der Bundesanwaltschaft der "Bildung einer terroristischen Vereinigung" beschuldigt wurden.

Die Hausdurchsuchung bei Rene Paulokat war Teil der größten Terrorismus-Razzia seit vielen Jahren. 900 Beamte verschafften sich am 9. Mai 2007 im Norden und Osten der Republik Zutritt zu insgesamt 40 Wohnungen und Büros. Die Bundesanwaltschaft hatte den Zeitpunkt der martialischen Aktion mit Bedacht gewählt. Globalisierungsgegner und Autonome bereiteten gerade Protestaktionen gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm vor. Die 18 Linksradikalen, bei denen die Bundesanwälte durchsuchen ließen, wurden der "Gründung einer terroristischen Vereinigung" nach Paragraf 129 a des Strafgesetzbuches beschuldigt. Sie sollten mehrere Brandanschläge zu verantworten haben.

Die Staatsmacht marschierte auf, als stünde die Sicherheit der Bürger auf dem Spiel. Doch die Generalbundesanwältin Monika Harms verteidigte das Säbelrasseln gegen jede Kritik: "Wir sind nicht über das Ziel hinausgeschossen." Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sekundierte: Er habe "nicht die geringsten Zweifel an der Angemessenheit und Seriosität der Ermittlungsmaßnahmen".

Vorige Woche ging der letzte Akt des Verfahrens über die Bühne, vollkommen lautlos, ja fast klammheimlich. Die Staatsanwaltschaft Hamburg teilte den Anwälten aller Beschuldigten mit: "Das Ermittlungsverfahren gegen Ihren Mandanten ist eingestellt worden." Formlos, ohne Angabe von Gründen und selbstverständlich ohne ein Wort des Bedauerns. Die Bundesanwaltschaft fühlt sich nicht mehr zuständig und hüllt sich in Schweigen.

Doch so still, wie es sich die Chefermittler der Republik wünschen, dürfte es nicht bleiben. Rechtspolitiker, Oppositionspolitiker und Anwälte halten sich mit ihrer Kritik nicht zurück. Von einer "Fehleinschätzung der Bundesanwaltschaft", wie weit der Paragraf 129 a auszulegen sei, spricht der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sieht "die Verantwortlichen bei dem Versuch gescheitert, die Anti-G-8-Bewegung zu kriminalisieren und in die terroristische Ecke zu stellen".

Vor allem ärgert viele Kritiker, dass der umstrittene Terror-Paragraf 129 a viel zu schnell, zu oft und zu undifferenziert angewandt wird, offenbar in der Absicht, den Fahndern weitreichende Ermittlungsmaßnahmen zu ermöglichen. Für die Unverhältnismäßigkeit gibt es handfeste Indizien: Weniger als ein Fünftel der Ermittlungen nach Paragraf 129 a führen offiziellen Statistiken zufolge zu Anklagen. Da würden Leute "überwacht und durchleuchtet bis ins Innerste", kritisiert der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, Axel Filges, "um am Ende zu sagen: War wohl doch nichts".

In die Parade gefahren sind der Bundesanwaltschaft die Richter des Bundesgerichtshofs. Sie begrenzten Ende 2007 in zwei Entscheidungen die Anwendung des Paragrafen 129 a. Die "militante gruppe", die bei Brandanschlägen Sachschäden verursacht hatte, so befanden sie, sei keine terroristische Vereinigung, sondern höchstens eine kriminelle. Zudem gab der 3. Strafsenat der Beschwerde eines G-8-Gegners gegen die Hausdurchsuchungen statt. Dem Generalbundesanwalt fehle es an der "Strafverfolgungskompetenz", urteilten die Richter, da die vorgeworfenen Brandanschläge nicht unter den Paragrafen 129 a fielen, der automatisch eine Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft nach sich zieht. Die Anschläge seien nicht geeignet, "einen Staat erheblich zu schädigen". Die Verfahren wurden daraufhin nach Hamburg abgegeben.

Mit dem geräuschlosen Finale liefern Staatsanwälte nun selbst die Argumente. Nicht nur die Verfahren gegen die G-8-Kritiker wurden beendet, die Bundesanwaltschaft stellte auch - nach sieben Jahren - die Ermittlungen gegen drei Berliner Linksradikale ein, denen sie die Mitgliedschaft in der "militanten gruppe" vorgeworfen hatte. "Ausreichende Beweismittel, die auf eine Einbindung der Beschuldigten in die 'militante gruppe' oder gar auf die unmittelbare Beteiligung an Brandanschlägen hinweisen", heißt es nun in dem Beschluss, lägen nicht vor.

Dabei hatten die Bundesanwälte in beiden Fällen das ganze Arsenal genutzt, das der Terror-Paragraf 129 a den Ermittlern bietet: Telefonüberwachung, E-Mail-Kontrolle, Peilsender an Autos, Wanzen in Autos, auf Haustüren gerichtete Videokameras, Abhören in einer Wohnung, DNA-Analysen und sogar Geruchsproben. Bei einem der Beschuldigten waren allein 1300 Gespräche im Auto und rund 3000 Telefongespräche belauscht worden. "Ermittlungsparagraf" oder "Ausforschungsparagraf" nennt der Verteidiger Christoph Kliesing deshalb den Paragrafen 129 a.

Wie grenzenlos die Sammelwut der Fahnder zuweilen ist, zeigt das Beispiel des Jonas F., 36. Seit 2001 war gegen ihn wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ermittelt worden. Über 40 Leitz-Ordner füllt seine Ermittlungsakte, die jetzt geschlossen wurde. Erst nachdem Jonas F. im Herbst 2007 - also nach sechs Jahren - endlich Akteneinsicht erhalten hatte, wurde ihm klar, wie er in den Verdacht geraten war, Mitglied der "militanten gruppe" zu sein. Der Verfassungsschutz hatte Hinweise an das Bundeskriminalamt geliefert. Dessen Beamte hatten Bekennerschreiben zu Anschlägen mit Forderungen der linksradikalen Gruppe "Libertad" verglichen, zu der Jonas F. gehört. Weil die Ermittler auf ähnliche Themen stießen, stuften sie ihn als terrorverdächtig ein.

Dass man sehr leicht zum Beschuldigten werden kann, hat auch Stefan "Mao" Meyer erfahren. Der Berliner hatte an einem vor über vier Jahren erschienenen Buch über die Geschichte der Autonomen mitgeschrieben. Im Mai vergangenen Jahres stellte sich der dreifache Vater der Polizei, nachdem die ihn während der Großrazzia nicht gefunden hatte. Meyer und andere Ex-Beschuldigte wollen jetzt Entschädigung beantragen.

Denn zwei Tage nach den Durchsuchungen war er seinen Job als Erzieher an einer Schule in Berlin-Kreuzberg los.

CAROLINE SCHMIDT, MICHAEL SONTHEIMER

* Im linken Kulturzentrum "Rote Flora" am 9. Mai 2007.

DER SPIEGEL 42/2008 vom 13.10.2008, Seite 86

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