"Bleibt zu hoffen, dass sie auch diesmal wieder grandios scheitern"
Interview mit Ulrich von Klinggräff, Verteidiger im Stuttgarter §129b-Verfahren
Herr von Klinggräff, seit Frühjahr wird in Stuttgart-Stammheim angeblichen Funktionären der DHKP-C der Prozess gemacht. Was wird ihnen vorgeworfen?
Das Verfahren in Stuttgart-Stammheim richtet sich gegen fünf Angeklagte. Ihnen wird vorgeworfen wird, als »hochrangige Kader« seit Inkrafttreten des §129b StGB für die DHKP-C tätig gewesen zu sein. Auch wenn die Organisation seit vielen Jahren keine Anschläge mehr in Deutschland verübt hat, sollen die Angeklagten als Teil der sogenannten Rückfront der DHKP-C in Europa als terroristisch bezeichneten Aktivitäten in der Türkei unterstützt haben. Dabei geht es insbesondere um die Aufrechterhaltung organisatorischer Strukturen, die Schulung von Mitgliedern, die Beschaffung von Finanzmitteln sowie propagandistische Aktivitäten.
Während der etwa 60 Verhandlungstage ist die gesamte Problematik des §129b StGB deutlich geworden, der die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in der BRD unter Strafe stellt, die nur im Ausland besteht: Zentrale Beweismittel werden über das Ausland beschafft und sind hier kaum überprüfbar.
In Stuttgart werden Ermittlungsergebnisse aus dem Folterstaat Türkei zur Grundlage der Anklage gemacht, deren Zustandekommen nicht nachvollzogen werden kann und die in der Hauptverhandlung dann auch nicht von unmittelbaren Zeugen sondern von BKA-Beamten wiedergegeben werden. Authentizität, Herkunft und Qualität von Dokumenten und Aussagen bleiben völlig unklar.
Darüber hinaus zeichnet das Verfahren all das aus, was auch für Verfahren nach §129 und §129a StGB prägend ist: ein politisch »zuverlässiger« Staatsschutzsenat, die Einschränkung von Rechten der Mandanten und der Verteidigung, Gesinnungsjustiz ...
Ist es richtig, dass sich die Bundesanwaltschaft im Wesentlichen auf die Aussagen eines ehemaligen Agenten des türkischen Geheimdienstes MIT stützt?
Ein zentraler Anklagepunkt ist der Vorwurf, die Angeklagten seien an einem Waffentransport in die Türkei beteiligt gewesen. Dieser Vorwurf basiert tatsächlich auf den Angaben eines türkischen Zeugen, der nachweislich als Doppelagent sowohl für den türkischen Geheimdienst MIT sowie das Landesamt für Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz tätig gewesen ist und in diesem Zusammenhang in Deutschland auch bereits verurteilt wurde. Es ist davon auszugehen, dass dieser Kronzeuge der BAW noch heute mit dem MIT in Verbindung steht. Dieser Kronzeuge ist über viele Verhandlungstage intensiv vernommen worden und hat sich dabei in erhebliche Widersprüche verstrickt.
Welche Rolle spielen »Ermittlungsergebnisse« aus der Türkei, die auf Folter beruhen?
Die Frage, ob wesentliche »Erkenntnisse« aus der Türkei, auf die sich die Bundesanwaltschaft bezieht, unter Anwendung von Folter zustande gekommen sind, ist für das Verfahren von zentraler Bedeutung. Wir haben zahlreiche konkrete Anhaltspunkte vorgetragen, dass Aussagen von Beschuldigten und Zeugen in der Türkei unter massiver Anwendung von Folter erpresst wurden. Die Bundesanwaltschaft versucht, entsprechende Hinweise zu leugnen und zu vertuschen. Sie macht sich so zum Komplizen der türkischen Folterpolitik.
Gleichzeitig hat sich der 6. Strafsenat des OLG Stuttgart nicht davon abhalten lassen, einen hochrangigen Polizeibeamten der Istanbuler Staatsschutzpolizei als Zeugen zu laden. Gegen diesen türkischen Beamten ist in der Türkei ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Anwendung von Folter anhängig. Die vehementen Proteste der Verteidigung haben immerhin dazu geführt, dass geplante weitere Ladungen von türkischen Beamten jedenfalls zunächst zurückgestellt worden sind.
Sehen Sie Parallelen zwischen dem Stuttgarter Verfahren und dem Prozess in Berlin? Beide Verfahren gelten als Präzedenzfälle. In Stuttgart soll zum ersten Mal der §129b nicht alleine gegen Islamisten zur Anwendung kommen, im Berlin Verfahren soll ein mg-Bezug hergestellt werden.
Das Verfahren in Stuttgart ist auf jedem Fall ein Präzedenzverfahren. Erstmalig soll mit dem seit 2002 geltenden §129b StGB einer linken Organisation aus dem Ausland der Stempel einer terroristischen Vereinigung verpasst werden. Der Ausgang dieses Verfahrens dürfte für eine Vielzahl weiterer Verfahren gegen vermeintliche Mitglieder der DHKP-C und auch anderer linker Organisationen entscheidend sein. Rechtsstaatliche Grundlagen, wie etwa das Verwertungsverbot von Aussagen, die unter Folter entstanden sind, aber auch das Unmittelbarkeitsprinzip, wonach zunächst die unmittelbaren Zeugen vernommen werden sollen und diese Aussagen nicht allein durch Polizeibeamte wiedergegeben werden dürfen, stehen hier auf dem Prüfstand und sollen von der Bundesanwaltschaft ausgehebelt werden.
Auch wenn das Stuttgarter Verfahren sicher andere Fragen aufwirft als das mg-Verfahren, gleichen sie sich durch die Versuche der polizeilichen Steuerung, der Einflussnahme durch den Verfassungsschutz und der Politik sowie dem Versuch, die Unschuldsvermutung zu ersetzen durch Kriminalisierung von politischen Überzeugungen. Dabei kann das Vorgehen der Bundesanwaltschaft gegen die mg sicher im Zusammenhang mit entsprechenden Kriminalisierungsversuchen der Bundesanwaltschaft in jüngster Vergangenheit, u.a. im Rahmen des G8-Gipfels in Heiligendamm, gesehen werden. Bleibt zu hoffen, dass sie auch diesmal wieder grandios scheitern wird.