Widerstand gegen die herrschende Ordnung ist notwendig kriminell
Am 25. September beginnt vor dem Berliner Kammergericht (OLG) ein Staatsschutzprozess gegen die Genossen Axel, Florian und Oliver. Der Vorwurf lautet: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, konkret: militante gruppe (mg), und versuchte Brandstiftung, konkret: sie hätten Bundeswehrfahrzeuge auf dem Gelände der MAN AG in Brandenburg/Havel angezündet.
§129 – der kurze Weg zur Kriminalität
Mit dem §129-Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung waren in den letzten Jahrzehnten schon viele politische Aktivist/innen konfrontiert. In den 1970er Jahren wurde die Pilotenvereinigung Cockpit auf Grundlage des §129 überwacht und abgehört, weil sie einen Streik organisierte. Und in Hamburg erklärten die Behörden kurzerhand 150 Hausbesetzer/innen zur kriminellen Vereinigung, einige landeten im Knast. Auch Ulrike Meinhof ist nach §129 verurteilt worden. Mitte der 1980er Jahre wurden rund 2000 atomkraftkritische Bürger/innen des Landkreis Lüchow-Dannenberg wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in einer Datenbank erfasst. In den 1990er Jahren traf es autonome Antifaschist/innen aus Göttingen und Passau sowie das klandestine Zeitungsprojekt radikal.
Axel, Florian und Oliver befinden sich also in illustrer Gesellschaft, wenn Ende September der Prozess gegen sie eröffnet wird.
Nach dem Beschluss des Bundesgerichtshof vom Oktober 2007 werden sie nicht, wie die Bundesanwaltschaft das wollte, als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung nach §129a, sondern wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Begründung: Die Aktionen der militanten gruppe seien nicht geeignet, die gesellschaftliche Ordnung ernsthaft zu gefährden. Diese höchstrichterliche Entscheidung aus Karlsruhe bringt keine neue Erkenntnis. Auch die militante gruppe weiß sicherlich, dass Brandsätze nicht zur Überwindung des Kapitalismus ausreichen. Festzuhalten bleibt, dass der §129 nicht etwa die harmlose Variante des Terrorismus-Paragraphen 129a ist. Beide Paragraphen sind Sondergesetze mit klarer Funktion: Bespitzelung, Ausforschung, Kriminalisierung (nicht nur) der Linken. Sie sind klassisches Feindstrafrecht.
Aber anders als zu Zeiten, als es noch einen „Staatsfeind Nr. 1" (RAF u.a.) gab und einen Großteil des in über drei Jahrzehnten hochgerüsteten Sicherheitsapparats band, werden heute diese Kapazitäten auch zur Verfolgung von so genannter Kleingruppenmilitanz eingesetzt.
Es geht nicht nur um die mg
Die militante gruppe (mg) hat sich im Jahr 2001 auf den Weg gemacht, auch mit illegalen Widerstandsformen für eine herrschaftsfreie Gesellschaft zu kämpfen. In den Zeitungsprojekten Interim und radikal beteiligte sie sich an Debatten um Theorie und Praxis militanter Politik. Mit ihren Texten, Farbbeutel- und Brandanschlägen gegen multinationale Konzerne, Justizbehörden, Arbeitsämter und andere Institutionen griff sie Themen der Linken auf.
Die klandestinen Organisierungsversuche und die kontinuierliche militante Praxis in der Hauptstadt – nicht nur die der militanten gruppe – führte zu jahrelanger Überwachung und einer Kriminalisierungswelle. Ins Fadenkreuz gerieten Menschen, die für die Freiheit von Gefangenen aus Widerstandsprozessen eintreten, Menschen, hinter denen staatliche Behörden die Redakteure der radikal vermuten, Menschen, die die Anti-G8-Proteste vorbereiteten sowie zahlreiche weitere Personen aus der linken und autonomen Szene.
Die Absicht der Bundesanwaltschaft ist klar. Sie wird alles versuchen, dass ihr §129-Konstrukt festgeschrieben und die militante gruppe zur kriminellen Vereinigung erklärt wird. Das würde die Grundlage für weitere Staatsschutzprozesse unter gleichen Vorzeichen schaffen. Von daher wird sich der Erfolg der Gegenmobilisierung nicht allein am Strafmaß messen lassen oder daran, ob eine Verurteilung verhindert werden kann, so wünschenswert dies für die Betroffenen natürlich ist. Die entscheidende Frage sehen wir darin, ob es gelingt, das Vorhaben der Anklagebehörde zu Fall zu bringen. Denn der Kriminalisierungsversuch gegen die mg mittels §129, - das haben u.a. auch die Hausdurchsuchungen im letzten Jahr vor dem G8-Gipfel gezeigt - geht bei weitem über die Betroffenen und den politischen Zusammenhang militante gruppe hinaus.
Die Rolle des Verfassungsschutzes
Immer mit dabei ist auch das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Sitz in Köln. Seine Rolle in den Ermittlungen und der Anklage verdient ein besonderes Augenmerk. Der Verfassungsschutz entscheidet de facto, dass ein Verfahren geführt werden muss. Er lieferte die Behauptungen, die zur Aufnahme der Ermittlungen führten. Wo Beweise fehlen oder ausbleiben, reicht die Stimme aus Köln zur Fortsetzung der Ermittlungen. Und wenn ein Ermittlungsrichter ausnahmsweise die Überwachung durch das BKA nicht verlängert, führt sie der Verfassungsschutz mit den selben technischen Anlagen weiter.
Das aus Erfahrungen mit dem deutschen Faschismus resultierende Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und Polizei ist längst ausgehebelt – auch ohne BKA-Gesetz und der geplanten bundesweiten Abhörzentrale („Zentrum für Kommunikationsüberwachung").
Selbst in der Anklage taucht der Verfassungsschutz auf. Er behauptet schon wieder zu wissen, wer hinter der militanten gruppe stecke. Die Information stamme von einem seiner Spitzel. Möglicherweise ist das alles erstunken und erlogen, aber mindestens ebenso denkbar ist es, dass der Verfassungsschutz seit Jahren einen Spitzel in der Berliner linken Szene hat und deshalb so selbstsicher auftreten kann.
Solidarität ist eine Waffe
Ist das nur eine Parole oder unsere Wirklichkeit? Fest steht: Gesellschaftliche Veränderungen gibt es nicht zum Nulltarif und Staatsschutzangriffe wird es immer wieder geben. Repressalien gehören notwendigerweise zur Ausgangsbedingung linker Opposition. Ein Ziel dabei ist auch Einschüchterung und Abschreckung. Dagegen sind gemeinsames Auftreten und Solidarität die richtige Antwort. Keine Gruppe und kein Zusammenhang wird sich alleine gegen staatliche Verfolgung durchsetzen. Bei allen Unterschieden, die es oft genug gibt: Am eigenen politischen Engagement festzuhalten und wenn möglich das aufzugreifen, was kriminalisiert wird, ist ein erster Schritt. Und: Nur gemeinsam können wir den notwendigen Druck aufbauen und Schutz vor zukünftiger Repression schaffen.
Staatsschutzjustiz ist Klassenjustiz!
Solidarität mit den angeklagten Genossen!
Besucht den Prozess und stellt Öffentlichkeit darüber her!
Initiative Libertad!, September 2008