Schallende Ohrfeige
Der Bundesgerichtshof hat die Überwachung von drei Mitgliedern der linken Szene für rechtswidrig erklärt und die Methoden von Polizei und Geheimdienst scharf kritisiert.
Von Frank Brunner
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem erst jetzt bekanntgewordenen Beschluß vom 11.März Dutzende Abhör- und Observationsmaßnahmen von Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesamt für Verfassungsschutz für rechtswidrig erklärt. Zum Zeitpunkt der Anordnung habe kein ausreichender Tatverdacht bestanden, so die Richter in ihrer Urteilsbegründung. So hätte ein entlastendes Gutachten des BKA keine Berücksichtigung gefunden. Hintergrund der Entscheidung: Zwischen 2001 und 2006 hatten Polizei und Verfasungsschutz drei Linke observiert sowie deren Telefonanschlüsse und den E-Mail-Verkehr überwacht, weil sie der Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« (mg) verdächtigt wurden. Die Untergrundorganisation hatte sich bis zu ihrer Selbstauflösung 2009 zu 25 Anschlägen bekannt.
Rückblick: Im Juni 2001 erhielten der Regierungsbeauftragte für die Entschädigung der Zwangsarbeiter, Otto Graf Lambsdorff, sowie zwei Repräsentanten der »Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft« anonyme Drohschreiben. »Auch Kugeln markieren einen Schlußstrich« stand in den Briefen, denen auch eine scharfe Patrone beigelegt war. Die Entschädigungssummen für die während der Nazizeit von deutschen Firmen ausgebeuteten Zwangsarbeiter seien nicht ausreichend, begründete die »mg« diese Aktion. Es folgten Attacken auf Sozialämter, Polizeifahrzeuge und Autohäuser. Schnell gerieten linke Aktivisten und Wissenschaftler ins Visier. Der Soziologe Andre Holm beispielsweise. Formulierungen in seinen Publikationen würden mit Vokabeln übereinstimmen, die auch in den Bekennerschreiben der »mg« verwendet werden, so die BKA-Fahnder. Die Ermittler starteten eine gigantische Ausspähaktion. Spezialisten hörten Telefongespräche ab, installierten Videokameras vor Wohnungen und plazierten GPS-Sender in Fahrzeugen. Staatsschützer protokollierten Banküberweisungen und analysierten Bekennerschreiben. »Hunderte Menschen, die in den fünf Jahren Kontakt zu den drei Beschuldigten hatten, gerieten so ins Visier der Fahnder«, kritisierte Rechtsanwalt Sönke Hilbrans am Freitag gegenüber junge Welt. Hilbrans vertritt einen der früheren Beschuldigten. Der Erfolg der Observation war ohnehin äußerst bescheiden. 2008 mußten die Verfahren eingestellt werden.
Nun moniert der BGH auch die Ermittlungsmethoden. So seien die linguistischen Analysen lediglich »Indizien mit einem allenfalls äußerst geringen Beweiswert«, stellten die Richter fest. »Diese Profilingmethode dürfte sich nach diesem Urteil erledigt haben«, so Jurist Hilbrans. Die BGH-Richter gehen noch weiter. Präventive Gefahrenabwehr sei nicht Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden und dürfe nicht durch Ermittlungsmaßnahmen auf Grundlage der Straßprozeßordnung durchgeführt werden. Ob das Urteil auch Auswirkungen auf ein weiteres Verfahren gegen mutmaßliche »mg«-Mitglieder hat, ist indes zweifelhaft. Im Oktober 2009 wurden drei Berliner zu Freiheitsstrafen verurteilt. Ihnen wird vorgeworfen, 2007 in Brandenburg/Havel versucht zu haben, einen Brandanschlag auf Bundeswehr-LKW durchzuführen. »Auch wenn sich die Richter mit ihrem Urteil ebenfalls auf sehr dünnem Eis bewegen, so haben sie doch darauf geachtet, ihren Spruch nicht mit den Überwachungsmaßnahmen zu begründen«, so Alexander Hoffmann, einer der Strafverteidiger. Die haben ebenfalls Revision beim BGH eingelegt.