Das mg-Verfahren - ein weiteres Argument gegen politische Organisationsdelikte
Aburteilungen im mg-Verfahren - mehrjährige Haftstrafen ohne Bewährung
Wann und warum wird aus Beschuldigten, denen eine versuchte Brandstiftung zur Last gelegt werden kann, eine "kriminelle Vereinigung"?
Als sich die alliierten Siegermächte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges daran machten, den deutschen Staat zu "entnazifizieren" und namentlich die westlichen Besatzungszonen in ein Bollwerk gegen den Systemfeind Sowjetsozialismus zu schaffen, wurde auch das Strafrecht einer Überprüfung unterzogen. Strafvorschriften, die ganz offenkundig der politischen Verfolgung, Drangsalierung und Einschüchterung dienten und dem demokratischen Neuanfang deshalb schlecht zu Gesicht gestanden hätten, wurden aufgehoben. Dem Rotstift zum Opfer fiel mit dem damaligen Paragraphen 129 ("kriminelle Vereinigung") ein Instrument, das den staatlichen Verfolgungsbehörden über das sonstige Maß repressiver Mittel hinaus Optionen an die Hand gegeben hatte, die Verfolgung politisch mißliebiger Organisationen wirksamer als unter Verwendung der übrigen, straftatbezogenen Vorschriften durchführen zu können.Paragraph 129 entstammte zwar keineswegs der Hitler'schen Gesetzgebung, sondern war bereits 1871 ins Strafgesetzbuch eingeführt worden, um die Arbeiterbewegung kriminalisieren und streikende Arbeiter als "kriminelle Vereinigung" verfolgen zu können. Nach Kriegsende hielten es die Siegermächte allem Anschein nach für opportun, im sich abzeichnenden Systemstreit zwischen Kommunismus und Kapitalismus den Wolf Kreide fressen zu lassen, sprich den eigenen Repressionsapparat ein wenig zu entschärfen, auf daß er nicht allzu schnell und allzu leicht kritisiert und angegriffen werden kann als das, was er tatsächlich geblieben ist, und so wurde Paragraph 129, der schon zu Bismarcks Zeiten der "Bildung krimineller Vereinigungen" gegolten hatte, in das Strafgesetzbuch der jungen Bundesrepublik nicht mit aufgenommen. In dem Gesetz von 1871 hatte es in Absatz 1 zu Paragraph 129 geheißen:
Wer eine Vereinigung gründet, deren Zweck oder deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, Straftaten zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt oder sie unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
Wozu ein solches, noch dazu mit hohen Gefängnisstrafen versehenes "Organisationsdelikt" von den damaligen Staatsschützern für erforderlich gehalten und in der Weimarer Republik in zunehmendem Maße gegen Kommunisten in Stellung gebracht worden wurde, liegt auf der Hand. Schon damals wurden die Mitgliedschaft in bzw. die Unterstützung einer Vereinigung, der unterstellt wurde, "darauf gerichtet" zu sein, "Straftaten zu begehen", unter Strafe gestellt, obwohl jede in Frage kommende Straftat ihrerseits selbstverständlich unter Strafe gestellt worden war. Die einzig plausible Schlußfolgerung über den Sinn und Zweck einer solchen Doppeltbestrafung liegt darin - und dies bereits zu einer Zeit, in der der Begriff "präventiv" im juristischen Kontext noch nicht gebräuchlich war -, mit diesem Paragraphen den politischen Gegner direkt zu kriminalisieren bzw. ihm unterstellte Absichten auch dann zu bestrafen, wenn es im klassischen Rechtsverständnis noch überhaupt nicht zu einer Straftat gekommen ist.
Wer nun anzunehmen gewillt ist, dieser Vereinigungsparagraph solle lediglich Unterstützungshandlungen neben der eigentlichen Haupttat unter Strafe stellen, muß sich entgegenhalten lassen, daß bei vielen Straftaten auch die Beihilfe oder auch die bloße Verabredung unter Strafe gestellt wind. Wäre der Gesetzgeber der Weimarer Zeit zu der Auffassung gelangt, bei bestimmten Straftaten in dieser Hinsicht etwaige Strafbarkeitslücken ausfindig machen zu können, hätte ihm die Möglichkeit offengestanden, diese durch entsprechende Ergänzungen der Strafvorschriften gesetzlich zu schließen. Mit anderen Worten: Stichhaltig ist dieser Argumentationsversuch nicht. Er vermag die Deutung, daß es sich bei Paragraph 129 um ein Mittel politischer Repression handelt, das gezielt gegen Andersdenkende - in der bisherigen Praxis zumeist Linke - eingesetzt wird, nicht zu entkräften. Diese Vorschrift wurde eigens eingerichtet, um Überwachungsmaßnahmen, strafrechtliche Ermittlungen und Verurteilungen zu ermöglichen, auch wenn für den im Einzelfall häufig lästigen und und schwer zu erbringenden Tatnachweis kein Anhaltspunkt vorliegt.
In einem Staat, der beansprucht, ein demokratischer Rechtsstaat zu sein, stellt dies allerdings schon die Aufkündigung des Rechtsstaatsanspruch dar, weil die unter Strafe gestellte Mitgliedschaft in bzw. Unterstützung einer per Definition für "kriminell" erklärten Organisation stets eine Interpretation voraussetzt, durch die aus Handlungsweisen, die für sich genommen keineswegs strafbar sind, auf eine Mitgliedschaft oder eben Unterstützung rückgeschlossen wird. In der Frühphase der neukonstituierten Bundesrepublik Deutschland währte die Zeit, in der auf die in der Weimarer wie auch der NS-Zeit gleichermaßen sattsam bewährte Keule politischer Verfolgung verzichtet wurde, nicht lange.
Im Jahre 1951 wurde Paragraph 129 in das nun bundesdeutsche Strafgesetzbuch aufgenommen und gegen die KPD, bevor diese 1956 durch das Parteienverbot endgültig kriminalisiert und zerschlagen wurde, angewandt. In den 1970er Jahren wurde die politische Strafverfolgung durch den Ergänzungsparagraphen 129a, der die für "kriminelle Vereinigungen" geltenden Bestimmungen analog auf "terroristische" ausdehnte zu dem Zweck, die Strafbarkeitsbestimmungen sowie die Ermittlungsbefugnisse und Grundrechtsbeschneidungen bei Inhaftierungen abermals deutlich anzuheben, nicht nur ausgeweitet, sondern auch massiv angewendet. Doch selbst dann, als die bewaffnet gegen den Staat kämpfenden Organisationen wie RAF oder 2. Juni längst zu existieren aufgehört hatten, wurde der zu ihrer Bekämpfung eingeführte Paragraph 129a nicht wieder aufgehoben. Bis zum heutigen Tag lassen sich mit Ermittlungen, die mit dem Verdacht auf eine Straftat nach Paragraph 129a begründet werden, Telefonüberwachungen, Rasterfahndungen, Observationen, Durchsuchungen, Beschlagnahmungen und Festnahmen sowie der Einsatz verdeckter Fahnder begründen, auch wenn die Strafverfolger gegen die von ihnen Beschuldigten eigentlich nichts in der Hand haben.
Ein aktuelles Beispiel in der nicht endenden Abfolge zahlloser Anwendungsfälle, von denen nicht von ungefähr die meisten mit einer Einstellung des Ermittlungsverfahrens enden, weil sie in erster Linie der mit allen Mitteln der Kunst durchgeführten Auskundschaftung der jeweiligen "Szene" gegolten haben, ist das sogenannte "mg"-Verfahren in Berlin [1]. Der Staatsschutzsenat des dortigen Kammergerichts verurteilte am vergangenen Freitag den 37jährigen Oliver R. und den 48jährigen Axel H. zu je dreieinhalb Jahren Haft sowie den 37jährigen Florian L. zu einer Gefängisstrafe von drei Jahren. Die drei Angeklagten waren für schuldig befunden worden, an drei alten LKWs der Bundeswehr den Versuch einer Brandstiftung unternommen zu haben. Ein Sachschaden war an den Fahrzeugen nicht entstanden, und da alle drei Beschuldigten nicht vorbestraft waren und in stabilen Verhältnissen leben, wäre, hätte es nicht den politischen Kontext gegeben, in den die Ermittlungsbehörden dies gestellt haben, es bestenfalls zu einem Verfahren vor dem zuständigen Schöffengericht des Amtsgerichts gekommen, vor dem die drei aller Voraussicht nach eine Bewährungsstrafe zu gegenwärtigen gehabt hätten.
Doch bestraft wurde mit den hohen Freiheitsstrafen nicht die reale Straftat, auch wenn diese nicht über das Versuchsstadium hinausgeführt werden konnte. Bestraft wurde die den Angeklagten unterstellte politische Überzeugung, dies gegossen in das Konstrukt einer zunächst terroristischen und nach Intervention des BGH "nur" noch kriminellen Vereinigung "militante gruppe" (mg), als deren Mitglieder die drei Angeklagten verurteilt wurden. In bester oder vielmehr schlechtester Tradition einer politischen Strafverfolgung, deren juristische Wurzeln, was den hier zur Anwendung gebrachten Paragraphen 129 betrifft, schon 1871 gelegt worden waren, wurde hier eine eigentlich politische Auseinandersetzung, nämlich die der gegen die Kriegführung der Bundesrepublik Deutschland gerichteten Protestaktionen, "entpolitisiert", noch bevor die Frage, ob nicht im Rahmen der gegenwärtigen Auslandseinsätze der Bundeswehr ungleich schwerwiegendere Straftaten bereits verübt worden sind oder möglicherweise noch begangen werden, als es Sachbeschädigungen bzw. Brandstiftungen, bei denen, wie Richter Josef Hoch den Angeklagten als mildernden Umstand zuerkannte, Menschenleben nie gefährdet wurden, öffentlichkeitswirksam überhaupt aufgeworfen werden konnte.
Die Härte des Gerichts ist nicht zu erklären durch die Höhe des Sachschadens, der möglicherweise ohne das Eingreifen der observierenden Polizeibeamten hätte entstehen könne. Die Härte des Gerichts beruht ebensowenig auf einer durch spezifische Auffassungen der Beteiligten erklär- und darauf reduzierbare Besonderheit, sondern stellt ein gerade klassisches Paradebeispiel politischer Organisationsdelikte dar. Die etwaigen Straftaten, die der Anwendung dieser Paragraphen zugrundeliegen bzw. mit ihr einhergehen, waren schon unter Strafe gestellt, lange bevor die für den Ausbau des Repressionsapparates verantwortlichen Gesetzgeber auf die Idee kamen, ihrer Polizei, aber auch den Geheimdiensten, wirksame Mittel an die Hand zu geben, um weit über den Rahmen "normaler" Strafverfolgung hinaus dem politischen Gegner - und zwar dem, wo auch sonst, auf der linken Seite stehenden - Daumenschrauben anlegen zu können.
Die Urteile in dem jetzigen Berliner Kammergerichtsprozeß, durch das erstmals Beschuldigte wegen Mitgliedschaft in der mg verurteilt wurden, sind noch nicht rechtskräftig. Die Verteidigung wird Revision einlegen, weshalb sich die drei Abgeurteilten noch auf freiem Fuß befinden. Der Verlauf ihres Prozesses, die vorherigen Observationen und Ermittlungen und selbstverständlich auch das Urteil sind selbstverständlich weitere Argumente gegen die Paragraphen 129 und 129 a.
[1] Siehe im Schattenblick in POLITIK\REPORT:
BERICHT/020: mg-Prozeß gegen Antimilitaristen vor dem Abschluß -
"Ein Nicht-Plädoyer" (SB)
INTERVIEW/029: Undine Weyers, Stephan Schrage - Verteidiger im mg-Prozeß (SB)