Lesestunde im Gericht
Prozeß gegen »militante gruppe«: Bundesanwaltschaft konzentriert sich nun auf linke Debattenbeiträge. Verteidigung bezweifelt deren Beweiskraft
Es war der Auftritt von Stefan Finkel. In Folge 49 des Gerichtsverfahrens gegen drei Berliner Linke, die am Mittwoch im Saal B 129 des Kriminalgerichts Berlin-Moabit lief, übernahm der stellvertretende Richter des 1. Strafsenats am Kammergericht ganz überraschend die Hauptrolle. Seit September 2008 verhandelt er mit seinen vier Berufskollegen gegen Oliver R., Axel H. und Florian L. Denen wird vorgeworfen, Mitglieder der als »kriminelle Vereinigung« eingestuften »militanten gruppe« (mg) zu sein. Zudem sollen sie im Sommer 2007 einen Brandanschlag auf Bundeswehr-Lkw in Brandenburg (Havel) geplant haben.
Finkel trat im Prozeß bisher kaum in Erscheinung. Doch gestern – das muß man neidlos anerkennen – spielte er seinen Part bravourös. Wie der Jurist voller Emphase mehr als eine Stunde lang die meist spröden Texte der »mg« präsentierte, trug teilweise kabarettistische Züge. Finkel, der auch Vizechef des Berliner Richterbundes ist, zitierte pointiert Passagen über kommunistische Theorie, Endlossätze zur Legitimität »revolutionärer Gewalt« und referierte akzentuiert die Positionen der »mg« zu anderen linksradikalen Gruppen. Nur manchmal unterbrach er für ein paar Sekunden seine Rede. »Was für ein Deutsch«, sagte Finkel dann mit pädagogisch motiviertem Blick in Richtung der Beschuldigten.
Initiator der Lesung war die Bundesanwaltschaft (BAW). Was die Anklagebehörde damit bezweckte, blieb allerdings unklar. Normalerweise werden Akten von den Prozeßbeteiligten im sogenannten Selbstleseverfahren, also außerhalb der Verhandlung, studiert. »Wahrscheinlich will uns die BAW einfach nur mürbe machen«, vermutete einer der Strafverteidiger im Gespräch mit junge Welt. Der Beweiswert des Textes dürfte jedenfalls gering sein. Zumal die Autoren bislang unbekannt sind. Die Anwälte bezweifeln zudem, daß es sich bei den Verfassern der unzähligen Papiere, die in den Szenezeitschriften interim und Radikal veröffentlicht wurden, um nur eine Gruppe handelt. Um das zu belegen, wollen die Verteidiger die einzelnen Texte von einem Sprachwissenschaftler begutachten lassen. »Anhand von Satzbau und Vokabular wird sich zeigen, daß die Erkärungen von verschiedenen Gruppen stammen«, begründete Rechtsanwalt Alexander Hoffmann den Antrag.
Doch bis dahin werden Prozeßparteien, Publikum und Presse wohl noch einige Exkurse in linksradikale Debatten zugemutet. Bundesstaatsanwalt Jochen Weingarten kündigte gestern schon mal an, daß die der »mg« zugerechneten Diskussionsbeiträge auch an den nächsten Verhandlungstagen im Mittelpunkt stehen werden. Eine erst am Dienstag bekanntgewordene Erklärung, nach der sich die »mg« aufgelöst habe (siehe junge Welt vom 8.7. 2009), erwähnte Weingarten dagegen nicht.
Die Fortsetzung folgt am kommenden Mittwoch. Dann findet im Berliner »mg«-Verfahren der 50. Prozeßtag statt.