Auslieferung nach 30 Jahren?
Am 25.2.2009 hat der Pariser Cour d´Appell in 1. Instanz entschieden, dass Sonja S. (76) und Christian G.(67) an die Bundesrepublik ausgeliefert werden.
Sonja und Christian wurden seit 1978 gesucht und haben seit 2000 „geduldet“ in Paris gelebt, ein französisches Gericht hatte damals nach ein paar Monaten Haft entschieden, dass die ihnen von deutschen Staatsschutzbehörden vorgeworfenen Taten nach französischem Recht verjährt seien und die Auslieferung abgelehnt. Die jetzige Entscheidung erfolgte aufgrund eines formal neuen "europäischen Haftbefehls" deutscher Behörden, also aufgrund einer veränderten Gesetzeslage und der französischen Auslieferungspolitik unter Sarkozy. Gleich geblieben ist die bundesdeutsche Verfolgungswut...
Die Taten, die beiden vorgeworfen werden, fanden in den 1970er Jahren statt: Am 22.8.1977 explodierte bei der Firma MAN in Nürnberg ein Sprengsatz. In einer Erklärung der „Revolutionären Zellen“ heißt es dazu: „ MAN exportiert Verdichter für eine Urananreicherungsanlage in Pelindabe in Südafrika… Südafrika als Atomstaat – damit wird ein rassistisches Unterdrückungssystem weiter abgesichert…Die BRD-Regierung sichert das Atomgeschäft durch Versicherungsgarantien ab („Hermes Bürgschaften“)…“ Am 30.8.1977 sollen beide an der Vorbereitung und Planung eines Sprengstoffanschlages auf die Firma „Klein, Schanzlin und Becker“ in Frankenthal beteiligt gewesen sein. In einer Erklärung der „Revolutionären Zellen“ heißt es dazu: …“ als der Welt größter Pumpenhersteller spielen diese Leute eine wesentliche Rolle des Zulieferns für Kernkraftwerke in aller Welt. 30% der Umsatzsteigerung im Jahr 1976 hat sich KSB durch das Atomgeschäft ergaunert…“
Am 18.5 1978 wurde auf das Heidelberger Schloss ein Brandanschlag verübt. In einem Text mit dem Briefkopf der Stadt Heidelberg heißt es: „Als Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg erkläre ich, dass irgendwelche Behauptungen ich hätte gestern Nacht im Königssaal des Heidelberger Schlosses Feuer gelegt, jeglicher Grundlage entbehren. Richtig ist vielmehr: Ich zerstörte und zerstöre Gebäude, die mir bei der Sanierung Heidelbergs im Wege stehen. – Wo gehobelt wird, fallen Späne…“
Die Tat wird den „Revolutionären Zellen“ zugeordnet, beteiligt gewesen sollen Sonja und Christian sein.
Sonja wird darüber hinaus vorgeworfen, sie und andere seien 1975 im Rahmen der Vorbereitung des Überfalls auf die Wiener Opec-Konferenz bei der Anwerbung von Hans-Joachim Klein anwesend gewesen und hätten Waffen und Sprengstoff nach Wien transportiert. Diese Behauptung stützt sich allein auf eine Aussage Kleins - der vor wenigen Tagen übrigens begnadigt wurde. Das Landgericht Frankfurt hat allerdings im Urteil gegen Klein sehr detailliert festgestellt, dass Klein bei genau diesen Beschuldigungen unglaubwürdig sei. In dem europäischen Haftbefehl gegen Sonja und Christian taucht diese offizielle Feststellung aber nicht auf.
Der Haftbefehl stützt sich ansonsten entscheidend auf "Vernehmungen" von Hermann F., der am 23.6.1978 durch einen Explosionsunfall schwerstverletzt wurde, weshalb ihm die Beine amputiert und beide Augen zu entfernt werden mussten. Durch die Explosion erlitt er auch eine Hirnschädigung, die zu einer posttraumatischen Epilepsie führte. Ab seiner Einlieferung in das Krankenhaus wurde Hermann polizeilich bewacht, um jeglichen Kontakt zwischen ihm, seinen Freunden, Vertrauten und Bekannten auszuschließen. Lediglich seinen Eltern wurden Besuche gestattet. Abgesehen vom Klinikpersonal gab es Kontakt ausschließlich mit polizeilichen Ermittlungsbeamten, zeitweise auch Staatsanwälten und einem Richter. Sie waren Bewacher, Ermittler, Pfleger und soziales „Umfeld“ in einer Person und ließen sich auch durch die erkennbar schweren Verletzungen nicht davon abhalten, die Gunst der Stunde zu nutzen, um „in die Revolutionären Zellen einzudringen“, wie sich der damalige Generalbundesanwalt Rebmann in einer Pressekonferenz am 4.7.1978 ausdrückte. Diese Abschottung Hermanns wurde in Polizeikasernen Oldenburgs und Münsters bis Ende Oktober 1978 aufrechterhalten, wo weitere Vernehmungen erfolgten, obwohl er eindeutig nicht haft- und vernehmungsfähig war. Eine psychische Behandlung fand nicht statt. Einen schwer verletzten, traumatisierten Menschen zum Werkzeug von Ermittlungszielen herabzuwürdigen, verletzt elementare Menschenrechte und auch das Verbot unzulässiger Vernehmungsmethoden. Dass auf Angaben aus einer solchen Verhörsituation nach wie vor ein internationaler Haftbefehl gestützt wird, ist ein echter Skandal.
Die Rechtsanwälte Hartmann und Heiermann aus Köln vertreten Sonja und Christian und haben eingehende Beschwerden gegen die Haftbefehle - und damit indirekt auch gegen die Auslieferungsentscheidung - eingelegt. Die Entscheidung der französischen Berufungsinstanz kann in den nächsten Wochen erfolgen und damit auch die Auslieferung.