Konstruierte Realität

Bei Ermittlungen gegen »militante gruppe« bedienten sich Polizei und Staatsanwaltschaft fragwürdiger Methoden

Schnelles Ende einer Zeugenvernehmung. Bereits nach zehn Minuten mußte Richter Josef Hoch am Donnerstag, dem mittlerweile 29. Prozeßtag im Verfahren gegen die »militante gruppe« (mg), den geladenen BKA-Beamten Reiner Josef Binz wieder entlassen. Eigentlich sollte der Kriminalhauptkommissar zu den insgesamt 39 Anschlägen, die der »mg« vom Bundeskriminalamt (BKA) zugeschrieben werden, vernommen werden. Doch die Bundesanwaltschaft (BAW) hatte es versäumt, den Strafverteidigern die entsprechenden Akten auszuhändigen. »So ist eine Zeugenbefragung nicht möglich«, kritisierte Undine Weyers, die Rechtsanwältin eines der drei Angeklagten. Immerhin würden der BAW die Unterlagen seit mindestens anderthalb Jahren vorliegen, sagte Weyers gestern im Kriminalgericht Berlin-Moabit. Dort wird seit September 2006 gegen Oliver R., Florian L. und Axel H. verhandelt, denen die BAW vorwirft, am 31. Juli 2007 versucht zu haben, in Brandenburg (Havel) Bundeswehrfahrzeuge anzuzünden. Außerdem sollen die drei der »mg« angehören, die nach Paragraf 129 als »kriminelle Vereinigung« eingestuft wird.

Doch die Beweislage ist dürftig. Zwar wurden die Angeklagten monatelang überwacht, aber zweifelsfrei konnte bis gestern weder der versuchte Brandanschlag noch die »mg«-Mitgliedschaft nachgewiesen werden. Immerhin offenbaren sich allmählich die Hintergründe dieses Verfahrens. So geht aus den Akten hervor, daß sich die Ermittlungen des BKA jahrelang im Kreise drehten. Doch spätestens als im Sommer 2005 ein Interview der »mg« in der linken Szenezeitschrift radikal erschien, hofften die Strafverfolgungsbehörden, daß über die ihnen bekannten Zeitungsmacher auch die Mitglieder der »mg« ermittelt werden können. Für solche Untersuchungen wäre allerdings nicht die BAW in Karlsruhe, sondern die für Pressedelikte zuständige Abteilung der Berliner Staatsanwaltschaft zuständig. Die kann aber nicht auf die umfassenden Überwachungsmöglichkeiten der BAW zurückgreifen, über die diese nach Paragraph 129 verfügt. Die BAW findet jedoch eine Lösung: Über eine Internetrecherche vergleicht das BKA die Aufsätze von einem jener Verdächtigen, den die Ermittler der radikal zurechnen, mit den Anschlagserklärungen der »mg«. Dabei stellen die Beamten fest, daß in beiden Texten ähnliche Begriffe, beispielsweise »Gentrifizierung« oder »marxistisch-leninistisch« vorkommen. In diesem Zusammenhang stoßen die Staatsschützer auch auf den Berliner Soziologen Andrej Holm. Aus dem Wissenschaftler wird nun ebenfalls ein mutmaßliches »mg«-Mitglied.

Die so konstruierte Verbindung zwischen radikal und »mg« ist aber noch aus einem anderen Grund erstaunlich: Bereits am 23. Januar 2004 hatte BKA-Ermittlungsführer Oliver Damm in einem internen Vermerk festgestellt, daß eine »mg«-Mitgliedschaft der Personen aus dem radikal-Umfeld ausgeschlossen werden kann. Die Ermittlungen gegen diese Beschuldigten im sogenannnten »mg-1-Verfahren« werden aber erst im Jahr 2008 eingestellt. Bis dahin geraten immer mehr Personen ins Visier von Polizei und Geheimdienst. So trifft sich Holm mehrmals mit einem der derzeit angeklagten Kriegsgegner. Angeblich unter konspirativen Umständen. Für die BAW ist daraufhin klar: Da Holm zur »mg« gehört, müssen auch die im aktuellen Verfahren Beschuldigten zu dieser Gruppe gehören. »Kontaktschuld« heißt das in der Sprache der Juristen. »Letztlich geht es hier um den Straftatbestand der ›Verfolgung Unschuldiger‹ durch das BKA«, sagte Rechtsanwalt Sven Lindemann am Mittwoch zu junge Welt.

BKA-Ermittlungsführer Damm, der an diesem 28. Prozeßtag als Zeuge ausgesagt hatte, hätte vielleicht für Aufklärung sorgen können. Doch statt dessen zitierte der hochrangige Beamte fast drei Stunden lang aus Zeitungsartikeln zur »mg«, die in zahlreichen Publikationen – u.a. in junge Welt – veröffentlicht wurden. Am 11. März wird der Prozeß fortgesetzt.

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