Berlin: Ermittlungs-Bruchstücke mg-Verfahren

Zum Fraß vorgeworfene Ermittlungs-Bruchstücke in einem der bekannt gewordenen mg-Verfahren. Ein Schreiben vom Bundesamt für Verfassungsschutz - Eine Überraschung?!?

„Anliegendes Schreiben wurde Ihnen bereits am 17.Oktober 2008 mittels Postzustellungsurkunde übersandt. Leider ging die Zustellungsurkunde auf dem Postweg verloren. Ein Nachweis, dass Sie anliegendes Schreiben erhalten haben, liegt hier somit nicht vor. Um sicherzustellen, dass Ihnen das Schreiben tatsächlich zugegangen ist, wird Ihnen daher das Schreiben ein weiteres Mal übersandt.“

Das „Mit freundlichen Grüßen …“ vom Bundesamt für Verfassungsschutz unterzeichnete Schreiben wurde W.B. Anfang Dezember 2008 auf dem dieses Mal sicheren Postweg zugestellt. Darin stand geschrieben, dass in der Zeit vom 15.03.2004 bis 26.10.2006 gemäß §12 Abs.1 G 10 … sein Telefon, seine E-Mail’s und Postverkehr überwacht, aufgezeichnet und geöffnet worden ist.

Zum ersten Mal wurde W.B. so von offizieller „Behördenseite“ mitgeteilt, dass gegen ihn über Jahre nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt worden sind. Eine „Überraschung“ ?
Beginnen wir von vorne:

Am 8.Nov. 2003 wurde über die Zeitschrift „Focus“ bekannt gegeben, dass „ Feierabend Terroristen“ vom BKA enttarnt worden wären. W.B. erfuhr durch diese und andere Presseveröffentlichungen, dass das BKA gegen vier schon etwas in die Jahre gekommene politische Aktivisten ein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in der „militante gruppe (mg)“ führt – und dass ER einer davon sein sollte.

Anzumerken ist, dass in den ersten Tagen diese Presseinformation ungeprüft übernommen wurden. Das Spektrum reichte vom Berliner Kurier „Berlin: BKA enttarnt linksradikale Gruppe – Terroristen aßen Pizza mit dem Kanzler“, über die Berliner Zeitung „Polizei hat angeblich mehrere linksextremistische Gewalttäter enttarnt, sie sollen zur berüchtigten Militanten Gruppe (mg) gehören“ bis zum Neuen Deutschland: „Feierabend Terroristen enttarnt“.
Gegen diese Berichterstattung konnte eine als Terrorist diffamierte Person in zwei Zeitungen eine Gegendarstellung erwirken.

Wie W.B. sich angeblich dazu verhalten haben soll, liest sich im BKA Protokoll der TKÜ vom 08.11.03 (16:52): „Als erste Reaktion lacht B.“, und am nächsten Tag - wiederum laut TKÜ- soll er „… das Ganze nur ein bisschen witzig“ gefunden haben, er, als Alt-Autonomer, Mitglied der „militanten gruppe (mg)“ …!!!

W.B. tat dann, was alle tun würden: Über seinen Rechtsanwalt beantragte er am 13.November 2003 erstmalig Akteneinsicht. Die Antwort kam nach 5 Wochen, und dass liest sich dann so:

„Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt, den von Ihnen im Bezug genannten Medienberichten zu Ermittlungen gegen Mitglieder der so genannten Militanten Gruppe liegt keine Presseerklärung des Generalbundesanwalts zugrunde.
Ich sehe daher zu einer Erläuterung der Meldung oder anderen Maßnahmen in diesem Zusammenhang keinen Anlass.“
Letztmalig wurde mit einem von Frau Bundesanwältin Vanoni unterzeichneten Brief vom November 2007 ein weiterer Antrag auf Akteneinsicht auf Eis gelegt:
„…dass die begehrte Akteneinsicht derzeit nicht gewährt werden kann, da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Nach Abschluss der Ermittlungen werde ich auf ihr Akteneinsichtsgesuch zurückkommen.“

Die Jahre vergingen und die Sammelwut des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des BKA war nicht zu stillen. Am 09.05.2007 wurden unter Federführung der Bundesanwaltschaft (BAW) unter anderen bei den drei anderen Beschuldigten des „mg“ Verfahrens im Vorfeld des sich organisierenden Widerstandes gegen das G8 Treffen in Heiligendamm Durchsuchungsaktionen durchgeführt.
Dadurch und durch die am 31.07.2007 festgenommenen drei Antimilitaristen in Brandenburg/Havel, welche auch sogenannte Mitglieder der „militante gruppe (mg)“ seien sollen, kamen immer mehr Informationen über die Ermittlungsmethoden des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundeskriminalamtes ans Tageslicht.
So musste W.B. feststellen, dass schon vor Beginn dieses Ermittlungsverfahrens im Jahre 2003 gegen ihn umfangreiche operative Maßnahmen durchgeführt wurden. Dazu zählen folgende belegte Maßnahmen:

· TKÜ (Telefon- und Handyüberwachung)
· E-Mail-Überwachungen
· Post-Überwachung und Öffnung
· Ausstattung des Firmenwagens mit GPS-Übertragungstechnik
· Videoüberwachungsmaßnahmen der Wohnanschrift
· Personen-Observationsmaßnahmen
· Überwachung von allen Telefonaten mit einer Telefonkarte aus öffentlichen Telefonzellen, nach dem durch Erkenntnisse aus Observationen, 1x der Standort, Zeit, Telefonzellennummer und Telefonkartennummer beim Betreiber abgefragt wurden. Der Betreiber wurde zur sofortigen Übermittlung aller Verbindungsdaten dieser Telefonkartennummer verpflichtet.

Vergleichen wir nun das Schreiben vom Dezember dieses Jahres mit obigen bekannt gewordenen Maßnahmen und geben dann die noch nicht offen gelegten dazu, dann schwankt doch die eine oder andere zwischen einem mehr als müden Lächeln und einem aufrechten Dankeschön für das wirklich aufschlussreiche Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Gedankt sei auch den Menschen, die sich um die jahrelangen Maßnahmen verdienstvoll gekümmert haben: „Die Überwachung wurde vom Bundesamt für Verfassungsschutz beantragt (§…), vom Bundesministerium des Innern angeordnet (§…) und von der vom Bundestag zur Überprüfung solcher Maßnahmen gebildeten Kommission für zulässig und notwendig erachtet (§…).“
Da unterschreiben Jahr für Jahr und Monat für Monat Richter und Bundestagsabgeordnete Anträge für Überwachungsmaßnahmen, ohne die Hintergründe zu prüfen. Parteizugehörigkeit bei den „Grünen“ oder in der Partei „Die Linke“ ist da einerlei.

Diese Überwachungsmaßnahmen haben weit mehr Menschen betroffen, als nur die bis heute namentlich bekannten Ermittlungsverfahren, unter welchem Vorwand auch immer.
Denn solange Menschen sich mit einer kritischen Haltung den herrschenden Verhältnissen gegenüber politisch organisieren und ihren Widerstand in verschiedenen Formen praktizieren, wird die Antwort des Staates Repression sein.

Falls jemand Schreiben vom BfV erhält oder erhalten hat, könnt ihr euch vertrauensvoll an den ERMITTLUNGSAUSSCHUSS im Mehringhof wenden. (EA, im Mehringhof Di. 20-22 Uhr, Gneisenaustr.2a -10961 Berlin). So verhindern wir einen vereinzelten oder isolierten Umgang damit.

Veranstaltung zum Prozess gegen AXEL, FLORIAN und OLIVER. Mit Berichten vom Solibündnis
und Internationalen Prozessbeobachtern aus Griechenland und der Schweiz.
Donnerstag, 18.12.2008, 18:30 Uhr im CLASH im Mehringhof Gneisenaustr. 2a

The story must go on
http://www.einstellung.so36.net

Tags: verfassungsschutz | mg-verfahren