Das Trennungsgebot zur Zusammenarbeit
Institutionalisierte Kooperation von Polizei und Diensten
KGT, IGR, KGIntTE, GTAZ, GASIM, GIZ ... die inflationäre Zunahme "hybrider Organisationen" aus Polizei und Geheimdiensten ist eine der wesentlichen Neuerungen der deutschen "Sicherheitsarchitektur". VertreterInnen von Polizei und Geheimdiensten haben sich zwar bereits seit 1982 vierteljährlich getroffen, um ihre Antiterrormaßnahmen zu koordinieren. Doch erst Anfang der 1990er Jahre begann man mit völlig neuen Organisationsformen zu experimentieren. Seitdem ist abseits der Öffentlichkeit eine ganze Reihe neuer parallel zueinander existierender Strukturen entstanden, die die ungehinderte Zusammenarbeit in unterschiedlichen Bereichen erlauben.
Die Legitimationsgrundlagen für die neuen Einrichtungen wechselten im Laufe der letzten 17 Jahre ebenso wie das jeweilige Akronym. Die Zahl dieser institutionalisierten Zusammenarbeitsformen und der beteiligten Akteure sowie der Grad ihrer Vernetzung stiegen jedoch kontinuierlich an. Begonnen hat dieser Prozess einen Monat nach dem RAF-Attentat auf den Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder am 1. April 1991. Am 3. Mai beschloss der Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz die Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten und Polizei zu intensivieren: Neben dem verstärkten Informationsaustausch und der Erstellung gemeinsamer Lagebilder sollte nun auch eine "Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung" (KGT) entstehen.
VertreterInnen des Bundeskriminalamtes (BKA), der Landeskriminalämter (LKA), des Bundesamtes für Verfassungsschutzes (BfV) und der Landesämter (LfV) sowie der Bundesanwaltschaft (BAW) sollten sich unter dem Dach des BKA in regelmäßigen Abständen treffen. 29-mal trat die Koordinierungsgruppe bereits im ersten Jahr ihres Bestehens zusammen.
Ihre konkreten Aufgaben blieben für die Öffentlichkeit im Dunkeln, denn die Beschreibungen des Aufgabenbereichs der KGT bewegten sich auf einem sehr hohen und deshalb wenig aussagekräftigen Abstraktionsniveau: Sie diene "der Koordinierung des schnellen und umfassenden Informationsaustausches, der Bewertung von Lagebildern, der Abstimmung von Maßnahmen, dem gezielten Einsatz von Ressourcen und der Entwicklung neuer Bekämpfungskonzepte", erklärte die Bundesregierung am 6. August 1991. (BT-Drs. 12/1033)
Konkrete Aufgaben blieben im Dunkeln
Gleichzeitig betonte sie, dass eine gemeinsame Datei genauso wenig existiere wie eine gemeinsame operative Tätigkeit, noch hätte die KGT eigenständige Weisungsbefugnisse gegenüber irgendwelchen Behörden oder anderen Stellen. Das Trennungsgebot sei somit beachtet worden. Dass die KGT jedoch schon in dieser frühen Phase eine informelle Weisungsfunktion hatte, darüber war man sich im Bundesinnenministerium (BMI) sehr wohl bewusst: Aus einem internen Papier geht hervor, dass man davon ausging, dass "ihren Vorschlägen ungeachtet der bestehenden gesetzlichen Zuständigkeiten eine gewisse Verbindlichkeit" zukomme. (Bürgerrechte & Polizei/CILIP 42 )
Dass die KGT neben ihrer "gewissen Verbindlichkeit" auch eine operative Rolle spielte, bewies sie bereits am 27. Juni 1993: Die Planung und "Nachbearbeitung" der in einer Schießerei endenden Verhaftungsaktion auf dem Bahnhof Bad Kleinen im Juni 1993, bei der das RAF-Mitglied Wolfgang Grams und der GSG-9-Beamte Michael Newrzella starben, war maßgeblich der KGT zu verdanken.
Mit der Selbstauflösung der RAF 1998 wurde es auch um die Koordinierungsgruppe wieder still. Erst fünf Jahre später wurde sie im Zusammenhang mit dem §129a-Ermittlungsverfahren gegen die militante gruppe (mg) wieder ins Gespräch gebracht. Im Herbst 2003 meldete der Focus einen vermeintlichen Ermittlungserfolg des BKA. Vier Berliner seien als die Verantwortlichen für die Brandanschläge der mg identifiziert. Zeitgleich berichtet der Spiegel Online die mg betriebe laut Verfassungsschutz "die Vernetzung von Untergrundzellen". (Spiegel Online, 8.11.03) Man erwäge eine Sondersitzung der KGT einzuberufen. Über die Frage, ob die massive Weitergabe geheimdienstlicher Informationen ans BKA in diesem wie auch in dem Verfahren gegen die "militante Anti-G8-Kampagne" (vgl. ak 523) auf eine rege Aktivität der KGT hindeutet, kann nur spekuliert werden.
Sicher ist weder, ob die von Spiegel Online erwähnte Sondersitzung je stattgefunden hat, noch ob die KGT überhaupt noch regelmäßig tagt. Eine offizielle Stellungnahme dazu gibt es nicht, wohl auch weil sich beide Verfahren kaum zu einer Erfolgsmeldung verarbeiten lassen. Inzwischen haben die Strafverfolgungsbehörden die Verfahren gegen die Beschuldigten in diesen beiden Fällen eingestellt.
Nur eineinhalb Jahre nach der Einrichtung der KGT entstand im Dezember 1992 zunächst als Untergruppe der KGT und später als eigenständige Organisation die "Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer/terroristischer insbesondere fremdenfeindlicher Akte" (IGR). Organisatorisch war sie, abgesehen von dem Umstand, dass der Verfassungsschutz hier aus nicht näher ausgeführten "sachlichen Gründen" die Federführung übernahm, das genaue Abbild der KGT. Jedoch lässt die thematische Ausrichtung der IGR auf eine sehr weite Terrorismusdefinition schließen, die es ihr ermöglichte, sich auch mit Bereichen alltäglicher Kriminalität zu befassen. Ihre operative Ausrichtung lässt sich bereits an ihrer Aufgabenbeschreibung ablesen. Laut Bundesregierung soll sie "vorhandene Erkenntnisse zusammenzuführen und ggf. koordinierte landes- bzw. bundesweite Exekutivmaßnahmen vorbereiten". (BT-Drs. 13/854)
Die Anschläge vom 11. September 2001 boten abermals die Gelegenheit, die Zusammenführung von Polizei und Diensten weiter auszureizen. Schon am 28. September wurde unter dem Vorsitz des BKA die "Koordinierungsgruppe Internationaler Terrorismus" (KGIntTE) eingerichtet. Auch sie erinnert organisatorisch stark an ihre Vorgänger, der Kreis der Beteiligten wurde jedoch diesmal massiv erweitert. Zusätzlich zum BKA, den LKAs, dem damaligen Bundesgrenzschutz (BGS) und der BAW wurden mit dem BND, dem Bundesamt und den Landesämtern für Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) und dem mittlerweile aufgelösten Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr alle Geheimdienste der BRD mit einbezogen. Aufgabe der KGIntTE ist zum einen "eine ständige Bewertung und Fortschreibung des Lagebildes"; zum andern soll sie dem Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz "Empfehlungen für bundesweit abgestimmte Polizeimaßnahmen zur Terrorismusbekämpfung im Bereich Prävention und Repression" geben. (BT-Plenarprotokoll 15/104)
Eine völlig neue Stufe polizeilich-geheimdienstlicher Zusammenarbeit wurde am 14. Dezember 2004 mit der Einrichtung des "Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin-Treptow erreicht. Das GTAZ führt 40 Behörden des Bundes und der Länder zusammen. Beteiligt sind die 19 Geheimdienste (16 LfV, BfV, BND und MAD), 18 Polizeibehörden (16 LKA, BKA und BGS resp. Bundespolizei), das Zollkriminalamt sowie die BAW und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Sie alle sind mit MitarbeiterInnen und eigenen Räumlichkeiten vertreten. Eingebunden sind ebenso ausländische Partnerbehörden, die jedoch nicht namentlich benannt werden und nicht am "Echtzeit-Informationsaustausch" partizipieren können. Anlassbezogen werden auch SpezialistInnen aus anderen deutschen Behörden, zum Beispiel aus den Ausländerbehörden, beteiligt.
Um den Anschein der Trennung zu wahren, ist das GTAZ in eine nachrichtendienstliche und eine polizeiliche Analyse- und Informationsstelle (NIAS und PIAS) untergliedert. Deren Aufgaben sind auf den "Phänomenbereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus" beschränkt, jedoch innerhalb dieses Themengebietes sehr vielfältig: Das Zentrum bietet den Rahmen für "Ressourcenbündelung bei Internetrecherchen und Übersetzungen", für allgemeine "Gefährdungsbewertungen", "themenspezifische Analysen" ebenso wie für konkrete "Fallauswertungen". "Operativer Informationsaustausch" zur Abstimmung von "Exekutivmaßnahmen und Ermittlungsansätzen" geht Hand in Hand mit der "Einschätzung der Entwicklung des Personenpotentials", die in einem "ganzheitlichen Bekämpfungsansatz" auch als "Klärung ausländerrechtlicher Statusfragen" verstanden wird. (BT-Drs. 16/9833)
GTAZ: Neue Stufe der Zusammenarbeit
Aufgehoben wird die räumliche und organisatorische Trennung durch die tägliche Lagebesprechung zum "Austausch aktueller Lageerkenntnisse", "zur Erstellung anlassbezogener Erstbewertungen" und "Abstimmung einzelner Maßnahmen" sowie durch sieben Arbeitsgruppen.
Gemeinsam ist allen Arbeitsgruppen, dass sie Zugriff auf die "Anti-Terror-Datei" haben. Darin sind elf Grunddatenkategorien wie Name und Adresse, aber auch Einstufungen wie "Mitglied in einer terroristischen Organisation", "Ausübender", "Unterstützer", "Vorbereiter", "Kontaktperson" etc. erfasst. Gespeichert werden darüber hinaus in den erweiterten Grunddaten weitere 17 Datenkategorien: Eigene und mitbenutzte Telekommunikationsanschlüsse und -endgeräte, E-Mail-Adressen, Bankverbindungen, Volks- und Religionszugehörigkeit, Fertigkeiten in der Herstellung und im Umgang mit Sprengstoffen oder Waffen, Waffenbesitz und Gewaltbereitschaft, Tätigkeit in einer sicherheitsrelevanten Einrichtung, Aufenthalt in einem Ausbildungslager und Kontaktpersonen. Die erweiterten Grunddaten sind, außer im "Eilfall", nur nach Freigabe durch die speichernde Behörde zugänglich.
Wie eng die Anti-Terror-Datei in das Gefüge hybrider Organisationen eingebettet ist, zeigt sich an der Einschätzung der Bundesregierung, es handele sich bei ihr primär um ein "Kommunikationsanbahnungsinstrument", das "einen Erkenntnisaustausch auf Basis der bestehenden Übermittlungsvorschriften vorbereitet". Der eigentliche Austausch erfolgt somit in Organisationen wie dem GTAZ. Nicht umsonst fand hier auch der symbolische Knopfdruck zur Eröffnung der Datei statt.
Ebenso wie bei der KGT war die Einrichtung der neuen Kooperationsform GTAZ nur ein erster Schritt. Auch das Abwehrzentrum wurde zum Muster für die Einrichtung weiterer Quasi-Behörden. Im November 2004 war das "Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum Schleusungskriminalität" (GASS) entstanden, dass bereits im Mai 2006 in "Gemeinsames Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration" (GASIM) umbenannt wurde. Im GASS waren nur das BKA und der damalige BGS fest vertreten, BND und BfV aber nur lose "verknüpft". Letztere bilden im GASIM einen festen Bestandteil. Auch das BAMF sowie die Zollverwaltungen sind hinzugekommen. Insgesamt 33 Beamte arbeiten im GASIM. Das Ziel der Einrichtung ist es, der unerlaubten Einwanderung "operativ und mit strategisch ausgerichteten und konzeptionell fundierten Maßnahmen wirksam entgegenzutreten". (BMI-Presseerklärung, 17.7.06)
Der einfache Weg der Umdefinition
Am 26. Oktober 2007 stellte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble das "Gemeinsame Internetzentrum" (GIZ) der Öffentlichkeit vor und zog gleichzeitig eine positive Bilanz, denn das Zentrum existierte bereits seit Anfang des Jahres. Das "Kompetenzzentrum" steht unter der Leitung des BfV, hat aber seinen Sitz in der Liegenschaft des BKA in Berlin-Treptow. Hier arbeiten 30 Beschäftigte aus dem BfV, dem BKA, dem BND, dem MAD und der Bundesanwaltschaft sowie ein Vertreter des LKA Rheinland-Pfalz. Die anderen Bundesländer sind der Aufforderung des BMI zur Beteiligung an dem Zentrum nicht gefolgt. Aufgabe des GIZ ist "die frühzeitige Erkennung extremistischer und terroristischer Aktivitäten sowie von Rekrutierungs- und Radikalisierungsbemühungen im Internet".
"Manche halten das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten ja für einen Verfassungsgrundsatz", erklärte der Bundesinnenminister auf einem BND-Symposium am 1. November 2007 in Berlin. Die logische Fortsetzung dieses Satzes - "ich nicht" - hat sich Wolfgang Schäuble verkniffen. Seine kurze Bemerkung ist eines der wenigen offiziellen Statements aus den letzten Jahren, die die Fortgeltung des Trennungsgebots in Frage stellen. Die Westalliierten hatten der BRD mit ihrem "Polizeibrief" von 1949 dieses Gewalten teilende Prinzip mit auf den Weg gegeben. Nach der Vereinigung und dem Zwei-plus-Vier-Vertrag erhielt die BRD die volle Souveränität. Die anschließend geführte Debatte, ob das Trennungsgebot noch Verfassungsrang habe, ist heute weitgehend verstummt.
Man geht stattdessen den einfacheren Weg einer Umdefinition und erklärt: "Dem Informationsaustausch zwischen den Polizeien und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern steht nach Ansicht der Bundesregierung weder das Föderalismusprinzip noch das Trennungsgebot entgegen." (BT-Drs. 16/416) Oder noch klarer: "Aus der organisatorischen Trennung folgt die Pflicht zur informationellen Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Aufgaben und Befugnisse", wie es 2003 der damalige Leiter des Kriminalistischen Instituts des BKA und heutige BKA-Vizepräsident Jürgen Stock ausdrückte.
Jan Wörlein
Eine längere Fassung dieses redaktionell bearbeiteten Artikels erschien in der aktuellen Ausgabe von Bürgerrechte & Polizei/CILIP 90 (2/2008).