Der erste Stammheim-Prozess

Vorbemerkung: Der Text kann auch als Filmrenzension  des  Machwerkes  von Aust verstanden werden, denn dort wird der Prozess - wenn auch entstellt - behandelt.

Am 21 Mai 1975 beginnt der Prozess gegen Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe und Andreas Baader, in dessen Verlauf die Justiz alle Mittel benutzt, um die Gefangenen bzw. deren politische Identität zu brechen und auszulöschen. Ursprünglich sollte auch gegen Holger Meins verhandelt werden, doch er verstarb am 9.11.1974 nach einem achtwöchigen Hungerstreik verursacht durch die Tortur der Zwangsernährung und gleichzeitigen zu geringen Nahrungszufuhr. Verantwortlich für die Haftbedingungen waren neben dem BKA unter der von Leitung Horst Herold,der zuständige Haftrichter Prinzing, der später in Stammheim als Vorsitzender Richter fungierte, sowie die Generalbundesawaltschaft unter Buback, der meinte: "Schon fünf Angeklagte waren manchen zu viel".

Schon der speziell für diesen und die folgenden Staatsschutzprozesse gegen die RAF errichtete, berüchtigte Prozessbunker von Stammheim dokumentiert die Entschlossenheit des Staates, dieses Ziel auch zu erreichen.

Die niederländische Tageszeitung "Het Parool schrieb dazu: " Für 12 Millionen DM  ist das Gefängnis zu einer Festung  umgebaut worden, in dessen Nähe nicht einmal ein Vogel unbemerkt  gelangen konnte, wie ein Wächter dies ausdrückte."

" Auf den Dächern sind Soldaten zu sehen. Fernsehkameras registrieren alles. Helikopter halten die Umgebung im Auge. überall Kontrollposten, bestehend aus Militär und Polizei- und Geheimdiensten." De Telegraaf"

Der Spiegel  zählt an die 700 Beamte. Im  Prozeß muß der Besucher all seine persönliche Sachen abgeben. "und verliert  ein wenig von seiner Identität und seiner normalen Wahrnehmung ...Durch dieses Gefühl beginnt er zu begreifen, was Langzeitisolation in diese künstlichen und aseptischen Atmosphäre bedeutet, wo Worte, Gesten und Zeichen durch ständig durch ein Filter der Filter passieren." (Ouotidien de Paris 10.7.75)   

So wird dann auch eine politische Prozessführung permanent unterdrückt, die RAF gilt als "kriminelle Vereinigung". Im August 1976 wird der § 129a "Bildung , Unterstützung und Werbung (für) eine/r terroristische/n Vereinigung" geschaffen. Als "Terroristen werden alle GegnerInnen des Staates definiert. Zunächst richtet er sich nur gegen die RAF, weil - wie die Bundesregierung ganz offen sagt - die RAF so besser als Gruppe verfolgt werden kann, ohne einen EinzeltäterInnennachweis erbringen zu müssen.  Mit dem § 129a werden alle Sonderhaftbedingungen und Sonderermittlungen begründet.

In Verfahren nach §129a StGB kontrolliert ein Richter die Korrespondenz zwischen Verteidiger/innen und Gefangenen (§148 Abs. 2 StPO). Dieser hält die Post zurück, wenn er der Auffassung ist, sie diene nicht dem Zweck der Verteidigung. Dadurch und durch Durchsuchungen in Zellen und Kanzleien mit einhergehenden Beschlagnahmungen von Prozessunterlagen konnten sich Polizei und Staatsanwaltschaft einen Einblick in das Verteidigungskonzept verschaffen. Auch der mündliche Verkehr wurde kontrolliert und akustisch überwacht. Der baden-württembergische Innenminister räumte im März 1977 öffentlich ein, dass in zwei ›Ausnahmesituationen‹ im Stammheimer Knast Gespräche zwischen Gefangenen aus der RAF und ihren Verteidigern heimlich auf Tonband aufgenommen worden sind.

Neben der 1974 erfolgten Einschränkung des Erklärungsrechts des Gefangenen in der Hauptverhandlung (Streichung des §271a StPO) wurde auch das Recht von Verteidiger/innen, Erklärungen abzugeben, beschnitten. (Justiz-)kritische Äußerungen wurden mit Ehrengerichtsverfahren beantwortet. Verteidiger/innen wurden von Verfahren ausgeschlossen, u.a. mit der Begründung, sie hätten eine ›kriminelle‹ bzw. ›terroristische Vereinigung‹, nämlich die Gefangenen aus der RAF, ›unterstützt‹. Mit ähnlicher Begründung wurden vier Verteidiger u.a.  Klaus Croissant, Armin Newerla und Arndt Müller  verhaftet und zu Gefängnisstrafen und Berufsverbot verurteilt. Ziele dieser Eingriffe in das Verteidigungsrecht waren erstens, die Isolation der politischen Gefangenen zu verschärfen, diese werden einer der wenigen ihnen verbliebenen Kommunikationsmöglichkeiten beraubt; zweitens eine politische Verteidigung zu verhindern und drittens zu verhindern, dass die staatlichen Maßnahmen gegen die Gefangenen an die Öffentlichkeit gelangen (vgl. Bakker Schut, Todesschüsse S.137ff.).

1974 wurde die Höchstzahl der Wahlverteidiger/innen auf drei, das Verbot für AnwältInnen mehrere KlientInnen in ein und demselben Verfahren zu verteidigen und die Erlaubnis, die Hauptverhandlung ohne Angeklagte durchzuführen im Strafrecht festgeschrieben und im Stammheimer Verfahren gegen Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe praktiziert.  

Die Isolationshaftbedingungen

Vom Stammheimer Gericht bestellte Gutachter kommen 1975 zum Ergebnis, dass die Gefangenen nach der jahrelangen Isolation nicht mehr verhandlungsfähig sind .Die Isolationsfolter wird auch weiße Folter genannt, weil sie keine sichtbaren physischen Spuren am Körper hinterlässt. Sie dient der sensorischen Deprivation und sozialen Isolation, die auf das Aushungern der Seh-, Hör-, Riech-, Geschmacks- und Tastorgane zielt und dadurch zu lebensgefährlichen Zuständen führen kann. Selbst die UNO hat die Isolationshaft als Folter geächtet. Folgen sind z.B. Kopfschmerzen, Schwindelanfälle, Konzentrationsschwierigkeiten, Müdigkeit, Schlafstörungen, chronischer Schnupfen, Gedächtnisverlust ... Diese Sonderhaftbedingungen gehen an keinem der Gefangenen spurlos vorbei. Dazu kommen Langzeitfolgen.

Erforscht wurde sie in Hamburg am Universitätskrankenhaus Eppendorf. Dienten diese Haftbedingungen anfangs zu Aussageerpressung, zielten sie später auf Vernichtung der Gefangenen. Die Gefangenen aus der RAF wehrten sich in 10 kollektiven Hungerstreiks. Insgesamt 9 politische Gefangene überlebten den Knast nicht.

Selbst vom Gericht betellte Gutachter befürworteten, die Isolation aufzuheben und die Häftlinge in so genannten "interaktionsfähige Gruppen" von 10 bis 15 Gefangenen zusammenzulegen. Aber die Isolation wird nicht aufgehoben, sondern verrechtlicht. Der Bundesgerichtshof argumentiert in seinem Beschluss: Die Gefangenen hätten ihre Haftbedingungen "selbst verschuldet", und zwar "wegen der fanatischen Verfolgung ihrer Ziele auch aus der Untersuchungshaft heraus". So hätten sie den Behörden keine andere Wahl gelassen. Es war also klar: Es gibt Isolation. Isolation zerstört die Gefangenen, aber: Nach Ansicht der Justiz ist Isolation gerechtfertigt, weil die Gefangenen ihre Identität nicht aufgeben.

"Stammheim ist der Ort, an dem zum ersten Mal in der Justizgeschichte  der BRD die Grundsätze der präventiven Konterrevolution wissenschaftlich erprobt wurden: von den Isolationhaftprogrammen made in den USA bis hin zum Bau eines Prozeßbunkers auf dem Gefängnisgelände, vom auf seinen Stuhl manipulieren Gerichtsvorsitzenden bis hin zu offenen Gesetzesbruch durch Abhören der Verteidigergespräche und der Gefängniszellen, von der Zerschlagung der Verteidigung durch Sondergesetze, Verteidigerausschlüsse, Verhaftungen und Berufsverbote bis hin zur Verhängung totaler Kontaktsperre." Klaus Croissant in Bakker Shut Seite 11  

Die Gefangenen führen den Prozeß politisch

Obwohl der politische Charakter dieses Prozesses mit allen Mitteln verschleiert werden soll, verlesen Anfang Januar 1976 die Angeklagten eine 200 Seiten lange "Erklärung zur Sache". Darin geht es u. a. um die Befreiungskämpfe im Trikont, den ehemaligen Kolonien, und die dagegen gesetzte Völkermordstrategie des Westens  insbesondere in Vietnam ; insbesondere um die Rolle der daran beteiligten BRD und damit der Notwendigkeit, auch in der BRD (Metropole) guerillamäßig die weltweiten Befreiungskämpfe aktiv zu unterstützen. So haben die Anwälte der Gefangenen als Zeugen z.B. führende Politiker der BRD laden wollen, die über die Verbindung des Staates und der Wirtschaft mit den Kriegführenden in Vietnam aussagen sollen. Dies wird vom Gericht nicht zugelassen.

Aber auch nur noch 4 Gefangene waren den Herrschende zuviel, denn Ulrike Meinhof erlebte das Ende des Prozesses nicht. Ihr Tod am 9.Mai 1976 ist bis heute ungeklärt und die Internationale Untersuchungskommission kommt zu dem Schluß:"..daß Ulrike M. tot war, als man sie aufhängte und dass es beunruhigende Indizien gibt, die auf das Eingreifen eines Dritten im Zusammenhang mit diesem Tod hinweisen."

Mit Dritte sind gemeint, "Geheimdienste - neben dem Gefängnispersonal - Zugang zu den Zellen ...und zwar durch einen getrennten und geheimen Eingang"

Nicht verwunderlich ist, daß am 28.4.1977  Andreas Baader, Gudrun Ennslin und Jan-Carl Raspe zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt worden und starben kurz danach am 18.10.77. Ihr Tod ist bis heute ungeklärt.

"Stammheim ist der Ort , an dem die BRD  ihre "freiheitlich-demokratische Grundordnung" und ihre ganze Nachkriegsgeschichte gegen die den Angriff  und die Anklage aus der Schlußlinie nehmen und den politische Prozeß abwürgen mußte, die physische Vernichtung der Angeklagten in ihren Gefängniszellen eingeschlossen." Croissant in Bakker Schut, Seite 11

Auswirkungen auf heutige Staatschutzverfahren

Auch wenn das Verfahren damals in den siebziger Jahren einige Besonderheiten aufwies, wie ich eben schon darlegte, gibt aber auch Berührungspunkte, die ich kurz benennen will:

Zu Zeit findet zum einen in Berlin das Verfahren gegen Axel, Florian und Olli wegen "Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung mg" (§129) statt. Zum anderen wird  seit dem Frühjahr wird gegen 5 türkische migrantische Linke wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland" (§129b)verhandelt, was oft bei den Linken unter den Tisch fällt.

Aus einem Interview aus dem ak 531 vom 19.9.2008 mit Sven Lindemann, dem Rechtsanwalt von Florian:

"Wir verhandeln vor einem Sondergericht, unter Sonderbedingungen, unter Sonderparagrafen, unter einer Sonderanklagebehörde; das geht alles nur im Hinblick auf das Vereinigungsdelikt. Der §129 ist also das zentrale Element der Anklage. Gäbe es diesen Anklagepunkt nicht, fände der Prozess vor dem Amtsgericht .... statt, es ging lediglich um versuchte Brandstiftung, die Haftbefehle wären längst aufgehoben und der ganze Prozess würde in einer entspannteren Atmosphäre stattfinden.

... und sicherlich dürfte dann auch das Strafmaß anders ausfallen."

Weiterhin sind diese Staatschutzgerichte mit besonders ausgewählten geschulten Richtern ausgestattet, die Verteidigung wird generell benachteiligt wie z.B durch vorenthalte Akten, Einschüchterung und Behinderung der Öffentlichkeit durch drakonische Kontrollen  und die Prozesse werden auf Kosten und somit auf das Leben  von Gefangenen geführt, so z.B. gegen den herzkranken und somit haftunfähigen Mustafa Atalay, den an einer Psychosen leidenden Ilhan Demirtas sowie den retraumatisiert Florian aus dem Berliner Verfahren.

Offene Fragen

Oft wird von uns diskutiert, warum reagiert dieser Staat mit seinem ganzen Arsenal an Repression, obwohl die  radikale Linke auch schon mal stärker war, denn viele bewaffnete und militante Zusammenhänge aus den siebziger und achtziger Jahren gibt es hier nicht mehr.

Auch hier lohnt es ich auf das damalige Zeit einzugehen. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt meinte in der FAZ vom 21.1.75.: "Im Hinblick auf das atlantische Bündnis muß jedes Land im Auge behalten, dass es innenpolitisch fähig bleibt, seine außenpolitische Verpflichtungen zu erfüllen:"

Bei den heutigen diversen Auslandinterventionen der Bundeswehr von 8000 Soldaten, ist die Ruhe an der Heimatfront existenziell: die drei Genossen aus Berlin waren nach einer anti-militaristsichen Aktion verhaftet worden uns sollen wegen dieser  aktiver "Ruhestörung"  u.a. verurteilt werden.

Die Türkei ist ein wichtiger Partner für das expansive Nato-Bündnis. Der Verfassungsschutz Baden -Württembergs "warnt vor linksradikaler deutsch-türkischer Solidarität". (Bietigheimer Zeitung) Der VS bezog sich auf die Demo vom 5.7. und somit auf die Arbeit gegen den §129. Agierten die türkische und einheimische Linke leider meist getrennt, so wird das gemeinsame Auftreten  als Gefahr letztendlich für die "außenpolitische Verpflichtungen" der BRD und der Nato gesehen.

Vielleicht ist die Frage bezüglich der drakonischen Repression immer noch nicht ausreichend bzw. befriedigend beantwortet, gerade da nicht nur die Justiz, Polizei und Geheimdienste gegen uns eingesetzt, sondern auch Militär wie z.B. anläßlich der Proteste gegen das G-8-Treffen 2007 in Heiligendamm.

In dem 1971 erschienen Buch "Im Vorfeld des Krieges" schreibt Frank Kitson,damalige Kommandant der 2.Rheinarmee in der BRD, dass "Subversion und Aufruhr gegenwärtiger Formen der Kriegsführung sind, auf die sich die Streitkräfte sich einstellen müssen". Kitson verfügte über Erfahrungen in der Unterdrückung von Befreiungskämpfen in der 3.Welt sowie auch in Nordirland. Unter Subversion verstand nicht er nur Aktionen von bewaffneten Gruppen, sondern auch legalen Aktionen von unbewaffneten Bevölkerung, die Regierung zu stürzen "oder diese gegen ihren Willen zu bestimmten Handlungen zu zwingen". Zitiert aus Bakker Shut Stammheim, Seite 181/182.

Bestimmt können in einem Artikel zum damaligen Prozess nicht alle heutige Fragen beantwortet werden, aber  es können hoffentlich  doch hilfreiche Anregungen für heute gezogen werden.  

Wolfgang, Mitarbeiter beim Gefangenen Info und beim Netzwerk Freiheit für alle politische Gefangene

Literatur:

Bakker Shut: Stammheim

Niels Seibert: Isolationshaft in der BRD, in: "Bei lebendigem Leib" (Unrast-Verlag)

Tags: prozess | raf | stammheim | politische gefangene