Wenn das Telefon merkwürdige Dinge tut
Seit Jahren wird gegen 27 G-8-Gegner und Linksradikale ermittelt, die angeblich Anschläge verübt haben sollen - und zwar mit allen Mitteln: Durchsuchungen, DNA-Analysen, Wanzen im Auto. Obwohl ihnen nichts nachzuweisen war, ziehen sich die Verfahren weiter hin. Von Michael Sontheimer
Berlin - Wenn Armin Meyer, 66, aus der Küche seines Hauses in Niederfinow unweit der polnischen Grenze tritt, blickt er über das weitgehend unberührte Eberswalder Urstromtal. "Autonomes Altersheim" nennt der dreifache Großvater sein idyllisches Domizil. Verfassungsschützern, Polizisten und Bundesanwälten dagegen gilt das Haus als höchst verdächtiger Unterschlupf von subversiven Staatsfeinden oder gar als Treffpunkt für Terroristen.
Die Ermittler meinen, Meyer habe zusammen mit anderen Veteranen der Berliner Autonomenszene Linksradikale rekrutiert, die vor über einem Jahr aus Protest gegen G-8-Gipfel in Heiligendamm eine Serie von Brandanschlägen verübt hätten. Die Globalisierungsgegner, so warf es die Bundesanwaltschaft dem pensionierten Politologen und seinen Genossen vor, hätte eine "terroristische Vereinigung" gegründet.
Der Bundesgerichtshof (BGH) bremste die Bundesanwälte Ende vergangenen Jahres schon einmal kräftig aus. Der BGH entschied, Meyer und 19 weitere Beschuldigte dürften nicht nach Paragraph 129a als Terroristen verfolgt werden. Die Anschläge, um die es geht, seien nicht geeignet gewesen, den "Staat erheblich zu gefährden". Ähnliche, für die Bundesanwälte blamable Entscheidungen ergingen im Fall von Berliner Linksradikalen, die angeblich als Mitglieder einer "militanten gruppe" seit 2001 rund 25 Anschläge verübt haben sollen.
Bis heute konnte die Bundesanwaltschaft trotz intensiver Observation mit Videokameras, trotz Telefon- und Computerüberwachung, Hausdurchsuchungen, DNA- und Geruchsanalysen keine Beweise für ihre Konstruktionen beibringen. Der Aufwand - in Meyers Auto allein wurden mittels einer Wanze rund 1500 Gespräche belauscht - steht in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Dennoch laufen die Ermittlungsverfahren weiter. Obwohl sich der Tatverdacht nicht bestätigt hat, ist ihr Ende nicht abzusehen.
"Das ist richtig unverschämt", ärgert sich die Berliner Anwältin Christina Clemm, die einen Soziologen vertritt. "Eine große Belastung", meint sie, seien solche Ermittlungen für die Betroffenen. Die Bundesanwaltschaft, sagt Clemm, habe den Paragrafen 129a bewusst angewandt, "um so umfassend überwachen zu können".
Bedenklich ist in jedem Fall die schiere Länge der Ermittlungen: Seit sechs Jahren beispielsweise ermittelt die Bundesanwaltschaft, die zu den Verfahren derzeit keine Auskünfte geben will, schon gegen vier Berliner. Mit zweifelhaften Textanalysen hatten Beamte des Bundeskriminalamtes angebliche Übereinstimmungen zwischen Bekennerschreiben der "militanten gruppe" und den Beschuldigten zugeschriebenen Texten ausgemacht. Obwohl auch umfassende Überwachung über mehrere Jahre keine Beweise brachte, wurde das Ermittlungsverfahren nicht eingestellt.
Während im Fall der vier Berliner die Bundesanwaltschaft weiter ermittelt, musste sie das Verfahren gegen Meyer und die G-8-Gegner nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs an die Staatsanwaltschaft in Hamburg abgegeben, wo die meisten der Anschläge verübt wurden.
Lauschangriff auf subversive Privatgespräche
Doch es dauerte zunächst mal knapp sechs Monate, bis Beamte des Bundeskriminalamts die Ermittlungsakten sortiert hatten und endlich nach Hamburg schickten. Die Anwälte der Beschuldigten befürchten deshalb, dass die Akten möglicherweise auch frisiert wurden, beispielsweise Protokolle von Telefongesprächen mit Anwälten oder Journalisten vernichtet wurden, die nicht belauscht werden durften.
Bestärkt sehen sie sich in diesem Verdacht durch eine Ankündigung der Staatsanwaltschaft Hamburg. Diese benachrichtigte den Anwalt von Meyer, dass beabsichtigt sei, "die Aufzeichnungen aus der Telefonüberwachung sowie die Protokolle der Telefonüberwachung" demnächst "endgültig zu löschen". Der hält dies für strafbare "Urkundenunterdrückung" und legte postwendend Widerspruch ein.
Meyer, der aus seiner antikapitalistischen Gesinnung keinen Hehl macht, ärgert bei seiner Überwachung eines besonders: In ihrem Rahmen hörte die Polizei auch zwei Telefonanschlüsse seiner Lebensgefährtin ab. Diese aber wurde nicht einmal, wie es das Gesetz vorsieht, im Nachhinein von dem Lauschangriff unterrichtet.
Eine Staatsanwältin in Hamburg muss sich nun durch 264 in 35 Umzugskisten verpackte Ordner mit Akten über die G-8-Gegner arbeiten. Anschließend hat sie zu entscheiden, ob die Ermittlungsverfahren eingestellt werden. Vor Herbst dieses Jahres ist mit dieser Entscheidung nicht zu rechnen.
Die Beschuldigten haben das Gefühl, dass ihre Überwachung derweil munter weiterläuft. "Unsere Telefone tun merkwürdige Dinge", sagt der Berliner Sozialwissenschaftler Andrej Holm. Er und seine Lebensgefährtin werden den Eindruck nicht los, dass sie nach wie vor abgehört werden. "Man ist beim Telefonieren gehemmt", so Holm, und frage sich: "Kann das missverstanden werden?" Die Observationen, so der Anwalt eines anderen Beschuldigten, erschienen seinem Mandanten "nicht mehr so systematisch, aber gestoppt wurden sie nicht".
Der Beschuldigte Matthias B. aus Leipzig fragt: "Soll das ewig so weitergehen?" Der Sozialwissenschaftler ist geborener Ostdeutscher und war in der DDR als kritischer Schüler ins Visier der Stasi geraten. Im Herbst 1989 sei er auch deshalb auf die Straße gegangen, ärgert er sich, "damit wir so eine Schnüffelei nicht mehr erleben müssen".