Terrorparagrafen abschaffen! Die §129ff sind Fremdkörper im deutschen Strafrecht

Die Terrorparagrafen im deutschen Strafrecht haben eine lange Tradition, die bis in die Anfänge des Deutschen Kaiserreichs zurückreichen. Mit dem § 129 Strafgesetzbuch (StGB) »Bildung einer kriminellen Vereinigung« wurden bereits zu Zeiten des Bismarckschen Sozialistengesetzes 1878-1890 SozialdemokratInnen verfolgt, die sich angesichts des Verbots der Sozialdemokratischen Partei um einen Zusammenhalt der illegalen Organisation bemühten. Der gleiche Paragraf diente in der frühen Bundesrepublik Deutschland unter Kanzler Konrad Adenauer (CDU) zur Rechtfertigung der Verfolgung von über 200.000 Menschen infolge des KPD-Verbots 1956.

1976 wurde unter dem Vorwand der Bedrohung durch die RAF die »kriminelle Vereinigung« um die »terroristische Vereinigung« erweitert. Der neue § 129a StGB gibt den ErmittlerInnen noch mehr Spielraum für willkürliches Vorgehen und dient seit seiner Einführung vornehmlich der Ausspitzlung und Kriminalisierung linker Gruppierungen. Dafür wurde die Definition »Terrorismus« im Straftatenkatalog ständig erweitert. So wurde die Terrorkeule bald auch gegen HausbesetzterInnen, GegnerInnen der Frankfurter Startbahn West, Autonome und AntifaschistInnen geschwungen. Seit Ende der 1980er Jahre werden der § 129a und der § 129 zur Kriminalisierung der Arbeiterpartei Kurdistans PKK genutzt.

Politisches Kampfinstrument in Paragrafenform
Die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA dienten 2002 als Vorwand zur Einführung des schon lange in der Schublade gelegenen § 129b »terroristische Vereinigung im Ausland«. Allein außenpolitische Interessen der Bundesregierung und die Einschätzungen ihrer Partnerländer definieren, wer als TerroristIn verfolgt und wer als FreiheitskämpferIn hofiert wird. Für eine Verfolgung nach § 129b muss die Bundesregierung ihre Zustimmung geben. Schon dies zeigt, dass es sich hier um ein politisches Kampfinstrument handelt. Richteten sich die ersten Verfahren tatsächlich vor allem gegen islamistische Gruppierungen wie die irakische Ansar al-Islam, so sind mittlerweile auch linke Bewegungen wie die Türkische Kommunistische Partei/Marxisten- Leninisten ins Fadenkreuz der Bundsanwaltschaft geraten. Gegen fünf türkische Linke wird seit März 2008 in Stuttgart-Stammheim ein Prozess wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer ausländischen »terroristischen Vereinigung « innerhalb der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) geführt. In den Augen der VerteidigerInnen soll hier ein Präzedenzfall für die weitere Anwendung des § 129b StGB gegen linke und antiimperialistische Organisationen geschaffen werden.

Den §§ 129, 129a und 129b StGB ist gemeinsam, dass sie einen Fremdkörper im deutschen Strafrecht bilden, indem sie nicht auf individuell nachzuweisende Straftaten abzielen, sondern Einzelpersonen aufgrund ihrer Gesinnung in Kollektivhaftung für Organisationsdelikte nehmen. Es genügt die bloße Mitgliedschaft in der jeweiligen »kriminellen« oder »terroristischen« Vereinigung. Damit verstößt dieses Sonderstrafrecht gegen die Grundsätze des Schuld- und Tatstrafrechts.

Der Willkür wird Tür und Tor geöffnet
In ihrer praktischen Anwendung zielen die §§ 129 ff. StGB weniger auf eine tatsächliche Verurteilung. In Tausenden Ermittlungsverfahren, die seit Einführung des § 129a StGB 1976 eingeleitet wurden, kam es in 80 bis 95% aller Fälle zu Verfahrenseinstellungen ohne Anklage, während normalerweise die Anklagequote bei knapp 50% liegt. Ziel dieser Paragrafen ist es vielmehr, den Ermittlungsbehörden umfassende Sondervollmachten zu geben. So können groß angelegte Razzien und Massenkontrollen auf öffentlichen Plätzen durchgeführt werden und mit der Schleppnetzfahndung massenhaft Daten gänzlich unbeteiligter BürgerInnen erfasst werden. Ermöglicht werden Maßnahmen wie die umfassende Überwachung der Telekommunikation, von Wohnungen und Briefen sowie verdeckte Observation. Im Zusammenhang mit Ermittlungsverfahren nach den §§ 129ff StGB stieg die Zahl abgehörter Telefone von 448 Personen im Jahr 2006 auf 845 im folgenden Jahr. Zudem ist beim § 129a StGB Untersuchungshaft möglich, wenn die üblichen Haftgründe wie Flucht oder Verdunkelungsgefahr nicht vorliegen. Dies war etwa der Fall bei den wegen Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« (mg) Angeklagten, die über Arbeitsplätze, Wohnungen und Familie verfügten. Während der Untersuchungshaft kann der freie Verkehr mit dem/der VerteidigerIn eingeschränkt und die Isolierung des Gefangenen durch Verhängung einer Kontaktsperre ermöglicht werden.

Um in den Genuss dieser umfassenden Ausforschungsvollmachten zu kommen, werden von der Bundesanwaltschaft (BAW) immer wieder mit abenteuerlichen Begründungen »terroristische Vereinigungen « herbeihalluziniert. Im Falle der »militanten gruppe« wurde einem Beschuldigten vorgeworfen, in wissenschaftlichen Publikationen ähnliche Formulierungen zu verwenden, wie sie auch in Bekennerschreiben der mg vorkämen. Er sei »intellektuell in der Lage«, solche Bekennerschreiben zu veröffentlichen und ihm stünde eine Bibliothek zur Verfügung. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hier später ebenso wie bei den Ermittlungen gegen die »militante Kampagne« zum G8-Gipfel die willkürliche Aufbauschung einfacher Straftaten zur »terroristischen Vereinigung« für unzulässig erklärt, da Brandstiftungen und Farbeierwürfe kein Terrorismus sind. Kritisch angemerkt werden kann an dieser Stelle, dass es bis heute keine allgemein verbindliche Definition von Terrorismus gibt.

Die Terrorkeule hatte als Kriminalisierungs- und Ausforschungsinstrument auch in den nachträglich vom BGH gerügten Fällen ihre Schuldigkeit getan. Niemand weiß, in welche dunklen Kanäle jetzt die nur durch rechtswidrige Anwendung des § 129a StGB zustande gekommenen Dossiers über linke AktivistInnen gelangt sind.

Selbst, wenn die §§ 129ff StGB »rechtsstaatlich« im Sinne des BGH angewendet werden, dienen sie der Ausforschung vor allem linker Milieus, der Kriminalisierung und Einschüchterung sozialer Protestbewegungen. Von 62 Verfahren nach § 129 und § 129a StGB im Jahr 2007 richtete sich dagegen nur ein einziges, mittlerweile eingestelltes Verfahren gegen einen Rechtsextremisten.

Der Terrorismusverdacht führt zur Entsolidarisierung gemäßigter Teile einer Bewegung mit den Beschuldigten und entzieht diesen die Energie für laufende politische Arbeit. Dazu kommen die häufig gravierenden persönlichen Nachteile für die Verfolgten durch Untersuchungshaft, öffentliche Stigmatisierung als »Terroristen« und Beschlagnahmung wichtiger Arbeitsgegenstände wie Computer.

Weitere Verschärfungen geplant
Geht es nach Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), sollen die Terrorparagrafen noch in dieser Legislaturperiode ausgeweitet werden. Auch Einzeltäter sollen nach einem von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) ausgearbeiteten Gesetzentwurf mit demselben Sonderrechtssystem wie die bislang aus mindestens drei Personen bestehende »terroristische Vereinigungen« verfolgt werden. Schon der Besitz und die Verbreitung von Schriften, die objektiv zur Anleitung schwerer Gewalttaten geeignet sein könnten, sollen unter Strafe gestellt werde, ohne dass eine tatsächliche Absicht zu solchen Anschlägen vorliegen muss.

Uneinigkeit zwischen Zypries und PolitikerInnen von CDU/CSU herrscht noch darüber, ob schon der Aufenthalt in einem sogenannten Terrorcamp strafbar sein soll. Hier scheint auch die Justizministerin rechtsstaatliche Bedenken zu haben. Nur wenn nachweisbar sei, dass die Ausbildung in so einem Camp zur Vorbereitung eines Anschlags dient, soll das Gesetz zur Anwendung kommen. UnionspolitikerInnen haben derartige Skrupel nicht. Wenn man zuerst eine solche Anschlagsplanung nachweisen müsse, werde das Gesetz zu einem stumpfen Schwert, lautet die Kritik an Zypries. Allein der Erwerb technischen Fähigkeiten soll also schon strafbar sein und nicht mehr erst die konkrete Tatvorbreitung.

Sollten diese Verschärfungen geltendes Gesetz werden – auch in der von der SPD unterstützten Variante –, würde dies die ohnehin im politischen Strafrecht bestehenden Rechtsunsicherheiten weiter verschärfen und weiterer politisch motivierter Willkür der Ermittlungsbehörden gegenüber oppositionellen Personen und Vereinigungen verstärken. Dies ist umso besorgniserregender, weil gleichzeitig mit dem BKA-Gesetz das Bundeskriminalamt zu einer geheim ermittelnden Staatspolizei mit weitreichenden Sondervollmachten bis hin zur geheimen Onlineüberwachung ausgebaut werden soll. Der als Lehre aus dem Faschismus geltende Trennungsgrundsatz zwischen Geheimdiensten und Polizei wird dabei fallen gelassen.
Solange die politisch motivierten Gesinnungs- und Ausforschungsparagrafen 129ff. StGB existieren, werden sie von den Ermittlungsbehörden eingesetzt werden. Nachträgliche Rügen des BGH oder häufige Verfahrenseinstellungen ändern nicht daran, dass die Sondervorschriften dieser Paragrafen schwerwiegende Einschränkungen in die Grundrechte Verdächtiger wie auch gänzlich Unbeteiligter darstellen. Aus rechtsstaatlicher Sicht kann es daher nur eine Schlussfolgerung geben. Die Terrorparagrafen gehören ersatzlos gestrichen.

Die Autorin ist innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

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