Bericht vom 25. Prozesstag (19.02.2009)
Nachdem sich die BesucherInnen mal wieder durch die Sicherheitskontrollen gequält hatten, wurde der Prozess kurz nach Beginn für ca. eine Stunde unterbrochen, weil sich der Sachverständige Frank Wendt zu der Verhandlungsfähigkeit eines Angeklagten mit dem Senat besprechen sollte. Ein Antrag der Verteidigung hierzu wurde verteilt und nach der Pause bekam der Sachverständige den Auftrag, sich auf den aktuellen Stand zu bringen und demnächst eine neue Bewertung abzugeben.
Im Anschluss gab RA Lindemann eine Erklärung ab, worin er zum Ausdruck brachte, dass objektiv festzuhalten sei, dass Zeugen "Flexibilität im Umgang mit der Wahrheit" geübt hätten, was auch aus den Vermerken, die gestern eingereicht wurden hervorgehe. Allerdings sei es Aufgabe der zuständigen Staatsanwaltschaft, festzustellen, ob sie gelogen hätten. RA Hoffmann ergänzte, dass es keine Klärung gäbe, ob das was in den Vermerken steht, sich so zugetragen hätte.
Auseinandersetzung
Weiter ging es mit einem Antrag der Verteidigung, worin der Vernehmung des Zeugen Damm, welcher zu heute geladen war, widersprochen wurde. In den Akten fehlen Sachstandsberichte, die der Zeuge verfasst hat, lediglich sein Abschlussbericht ist Teil der vorliegenden Akten, weshalb die Verteidigung beantragte, die Vernehmung solange zurück zustellen, bis diese Sachstandsberichte hinzugezogen seien.
Die Bundesanwaltschaft (BAW) beantragte eine Pause um eine Erklärung dazu abgeben zu können, so dass es eine halbe Stunde Pause bis 10:40 Uhr gab.
Nach der Pause führte die BAW aus, dass der Zeugenvernehmung nichts entgegenstünde. Sachstandsberichte seien keine Beweismittel, sie stellten lediglich einen Ermittlungsstand dar und seien eine "Service-Leistung" des BKA. Der letzte Sachstandsbericht (Abschlussbericht) sei schließlich Teil der Akten und die anderen seien irrelevant. Auch würden sie nicht weiterhelfen bei der Vernehmung des Zeugen. Ausgangslagen und Verdachtsmomente ergäben sich aus den Beweismitteln, welche vollständig vorliegen würden.
RA Hoffmann betonte hingegen, dass für eine effektive Verteidigung die vollständigen Ermittlungen wichtig seien und die Dokumentation dieser kein Service, sondern Teil der Ermittlungsarbeit sei. RA Lindemann ergänzte, dass es hier schließlich um den Ermittlungsführer ginge und außerdem die BAW die Berichte kenne und die Verteidigung und der Senat nicht, was nicht unbedingt fair sei.
Die Bundesanwältin Greger erwiderte, dass die Einschätzungen der Beamten irrelevant blieben. Dies ermunterte RA Franke den Antrag zu stellen, der Vernehmung des Zeugen generell zu widersprechen, da dieser nach Aussage der BAW sowieso nur zu völlig irrelevanten Dingen befragt werden solle, laut Ladung, und er deshalb denkt, dass der Zeuge ein völlig ungeeignetes Beweismittel sei.
Der Vorsitzende Richter Hoch ordnete an, dass der Zeuge Damm heute zu vernehmen sei. Er werde zu den Ermittlungen vernommen werden.
RA Lindemann beantragte dagegen einen Gerichtsbeschluss und fragte, ob denn der Senat die Hinzuziehung der Sachstandsberichte erwäge. Der Vorsitzende Richter antwortete, der Senat werde dies nach der Vernehmung entscheiden. RA Franke erläuterte noch einmal, dass die Sachstandsberichte wohl wichtig seien für den Prozess der Ermittlungen. Nach einer Äußerung des Bundesanwalts Weingarten, dass es nichts zur Sache tue, welche Meinung der Generalbundesanwalt vertrete in der Frage §129a oder §129 führte RA Lindemann aus, dass die Hartnäckigkeit, mit der die BAW diese Berichte zurückhalte doch gerade auf deren Wichtigkeit hindeute.
Nach siebenminütiger Beratungspause verkündete der Vorsitzende Richter Hoch den Beschluss des Senats, wonach die Verteidigerrechte nicht eingeschränkt seien und nun also die Vernehmung des Zeugen Damm stattfinden könne.
RA Hoffmann beantragte eine Pause um zu klären, ob sein Mandant einen unaufschiebbaren Antrag stellen wolle. Der Vorsitzende Richter erklärte, dass dies aufgenommen sei und er denn auch später noch den Antrag stellen dürfte.
Zeugenvernehmung
Nun begann also die Zeugenvernehmung von KOK Oliver Damm, 37 Jahre vom BKA, welcher einen Abschlussbericht vom 27.05.2008 verfasst hatte. Der Zeuge sagte aus, dass die Ermittlungen in Sachen mg im Jahr 2001 begannen. Sein Hauptbetätigungsfeld war das sogenannte Strukturverfahren, welches eine Klammer um den Ermittlungskomplex mg bilde. Mit den drei Angeklagten habe er lediglich im Zuge der Asservatenauswertung zu tun gehabt. Die Ermittlungen würden erst seit dem ersten Bekenntnis der mg zu Anschlägen beim BKA geführt. Vorherige Ermittlungsarbeit leistete das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Ähnliche Anschläge, die es seit 1995 gab, werden von den Behörden jedoch auch der mg zugerechnet. Aus den veröffentlichten Texten sei die Gruppenstruktur der mg abzuleiten. Dazu hatte sich der Zeugen Notizen gemacht. Die Verteidigung beantragte Kopien der Notizen zu bekommen. Die BAW beantragte dies zurückzuweisen.
Der Senat zog sich zur Beratung zurück und entschied, dass kein Rechtsanspruch der Verteidigung auf diese Notizen bestehen. Auf Nachfrage von RA Franke jedoch gab der Zeuge bereitwillig seine Unterlagen zur Vervielfältigung heraus. Die BAW hielt dagegen, dass dies keine Verpflichtung sei und andere Zeugen, die ihre Notizen nicht preisgeben wollten, könnten unter Druck gesetzt werden, diese herauszugeben, damit sie sich nicht verdächtig machten. Dieses eine Mal sei man aber mit der Herausgabe einverstanden. Somit wurde eine fünfminütige Pause zum kopieren eingelegt.
Im Anschluss führte der Zeuge aus, dass es sich bei der mg um einen Zusammenschluss von mindestens drei Personen handeln müsse, es außerdem eine sog. "Ministruktur" gegeben habe. Aus diesem Begriff könne er aber keine Erkenntnisse ziehen. Die Gruppe sei heterogen, einige Mitglieder seien bereits seit Jahrzehnten politisch aktiv. Da eine strikte Abschottung nach Außen betrieben werde, müssten die Mitglieder enge soziale Beziehungen zueinander pflegen. Die Gruppe sein nicht hierarchisch organisiert, aber sie gingen davon aus, dass es eine ausführende Ebene und eine ideologische gibt. Daneben hätten sie gute geschichtliche Kenntnisse, insbesondere über den Kommunismus. Auch würden sie sich gut in der Tagespresse informieren. Es seien teilweise sogenannte Prekarisierte, die sich selbst der unterdrückten Klasse zuordnen würden. Der mg werden im Zeitraum von 1995 bis 2007 vom BKA insgesamt 39 Anschläge zugeordnet. Die Hauptangriffsobjekte seien Kfz, vornehmlich im Raum Berlin. Zu den Anschlägen
werde meist ein Brandsatz namens "Nobelkarossentod" verwendet, dessen Bauanleitung auch von der mg in der Zeitschrift "radikal" publiziert worden sei. Zu den Anschlägen würden jeweils Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht. Nach der Mittagspause wurde die Vernehmung fortgesetzt. Damm erwähnte, dass das BfV von der Personenidentität der sog. Selbstporträtgruppe, die Anschläge seit 1995 verübte, und er seit 2001 agierenden mg ausgegangen werde. Als Grund wird eine Textanalyse der Selbstbezichtigungsschreiben und anderer veröffentlichter Texte der Gruppen angegeben. Dann zählte der Zeuge alle 39 Anschläge und deren Hintergründe auf:
10.8.95 Chrysler, Berlin-Marzahn, Brandsatz. Begründung: Freiheit für Mumia Abu-Jamal! Bekannt hat sich hierzu die antiimperialistische Gruppe "Freiheit für Mumia Abu-Jamal".
3.11.95 Seat-Vertragshändler, Brandsatz: Begründung: Auslieferung von Benjamin, der in Berlin-Moabit wegen angeblicher ETA-Mitgliedschaft in Untersuchungshaft sitzt an Spanien. Bekannt hat sich der antiimperialistische Zusammenhang "Freiheit für Benjamin".
11.11.96 Chrysler-Vertragshändler in Adlershof, Brandsatz. Begründung: Freiheit für Mumia Abu-Jamal! Bekannt hat sich "eine antiimperialistische Gruppe".
13.12.97 Seat-Vertragshändler, Reinickendorf, Brandsatz. Begründung: Verurteilung der Mitglieder des Vorstandes der baskischen Partei Herri Batasuna zu langjährigen Haftstragen. Bekannt haben sich "autonom-internationalistische Gruppen".
16.12.97 Bei 13 SPAR-Standorten wurden Türschlösser verklebt, sowie Parolen gesprüht. Begründug: Beteiligung von SPAR an Sachleistungsmagazinen für Flüchlinge. Bekannt haben sich "Antirassistische militante Gruppen".
04.6.98 Bezirksamt Wedding, Direktion1 und Social Cop, zweimal Brandsätze und einmal Buttersäure und Schloss verklebt. Begründung: Massiv vorangetriebene Institutionalisierung des bezirklichen Sicherheisbeirates Wedding. Bekannt haben sich "militante Gruppen".
1999 BGS, Brandsatz. Begründung: Abschiebung, Rassismus, Repression.
30.08.2000 DaimlerChrysler Ausbildungszentrum, Brandsatz. Begründung: Weltpartner EXPO, Zwangsarbeit. Bekannt hat sich die "antiimperialistische aktion (aia)".
10.01.2001 Renault-Niederlassung, Brandsatz. Begründung: Festnahme von 7 mutmaßlichen PCE(r)/Grapo - Mitgliedern. Bekannt hat sich die "Militante Antiimperialistische Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney -".
23.09.2002 FIAT-Vertragshändler Centro, Brandsatz. Begründung: Solidarität mit BR/PCC. Bekannt hat sich die "Militante Antiimperialistische Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney -".
27.04.2003 Arbeitsamt Berlin Südwest, Brandsatz. Begründung: "Hartz-Konzept". Bekannt hat sich die "Militante Antiimperialistische Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney -".
13./14.12.2005 und 24./25.01.2006 Firmen und Institutionen, die an Zwangsräumungen beteiligt waren, Brandanschläge. Begründung: Zwangsräumung. Bekannt hat sich ein "Militantes Bündnis für einen Klassenkampf von Unten!".
05.05.2006 Polizeifahrzeuge, Brandsatz. Begründung: 1.Mai. Bekannt hat sich die "militante gruppe (mg).
Weitere Anschläge siehe Chronologie der Anschläge
Zum Schluss merkte er an, dass nach der Festnahme vom 31.07.2007 weder Texte von der mg aufgetaucht sind, noch Anschläge verübt wurden, die der mg zugerechnet werden.
Danach wurde die Vernehmung unterbrochen und wird am 26.02.2009 um 9.00 Uhr fortgesetzt.
Nächster Prozesstermin, Mittwoch, 25.02.2009, 09.00 Uhr mit dem Vizepräsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz als Zeugen, Hans Elmar Remberg.