Erster Prozesstag (25.09.08) - Ausführlicher Bericht

Für die ZuhörerInnen begann der "Prozess" bereits um 8.00 Uhr vor Portal V des Gerichtsgebäudes in der Turmstraße 91 in Berlin-Moabit. Dort musste sich die interessierte Öffentlichkeit einfinden, um durch die Sicherheitskontrollen in den Saal 700 eingelassen zu werden. In diesem Saal finden 50 ZuhörerInnen Platz, weitere 30 Plätze sind für die Presse vorgesehen.

Die von der Justiz eingeplanten 60 Minuten reichten nicht aus, um alle Interessierten bis pünktlich zu Prozessbeginn einzulassen, da die Sicherheitskontrollen sehr umfangreich ausfielen, eben so wie vom Vorsitzenden Richter Josef Hoch angeordnet.

Nach der körperlichen Durchsuchung, die auch das Schuhwerk umfasste, wurden die Ausweise der ZuhörerInnen kopiert. Dazu wurden sie durch einen Briefschlitz geschoben, um außerhalb des Gesichtsfeldes der Besitzerin/des Besitzers in einem Nebenraum kopiert zu werden. Des weiteren mussten alle Gegenstände an die JustizwachtmeisterInnen ausgehändigt werden, bis auf ein Blatt Papier und einen Bleistift. Auf Nachfrage wurde die Mitnahme von einem Taschentuch gestattet.

Der Saal 700 befindet sich in einem Bereich des Gerichtsgebäudes, der nicht mit Toiletten ausgestattet ist, so dass die ZuhörerInnen gezwungen waren, den gesamten Bereich zu verlassen, um eine Toilette aufzusuchen: Ein Umstand, der später auch Gegenstand eines Antrages während des Prozesses werden sollte.

Mit einer Kontrollkarte gelangte man in den Gerichtssaal der pünktlich um 9.00 Uhr geöffnet wurde. Die Sitzung wurde vom Vorsitzenden Richter eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich 22 interessierte ZuhörerInnen in Gesellschaft von 3 bewaffneten Polizisten im Zuschauerraum, 3 weitere Bewaffnete befanden sich im Pressebereich, der sich direkt vor den ZuhörerInnenbänken - abgetrennt durch eine hölzerne Balustrade - befindet. Die VertreterInnen der Presse waren bereits anwesend.

Bevor Richter Hoch die Personalien der Angeklagten feststellen konnte, beantragten die Anwälte die Aufhebung der Sicherheitsverfügung in den Punkten eins, zwei und vier, da beispielsweise die Anwesenheit bewaffneter Polizisten im Gerichtssaal oder auch die Sicherheitskontrollen der ZuhörerInnen unverhältnismäßig und damit unzulässig sind. Auch das Kopieren der Ausweise bzw. wann die vom Richter verfügte Vernichtung dieser Kopien stattfindet, wird nicht genau definiert.

Der Vorsitzende Richter Hoch lehnte die Aufhebung mit der Begründung ab, dass es sich hierbei um die üblichen Sicherheitsvorkehrungen bei Prozessen mit großem öffentlichem Interesse handele und diese dazu dienen, die Öffentlichkeit zu schützen. Von Mal zu Mal können diese Verfügungen überprüft werden.

Diesem Antrag folgte ein weiterer, der die Unterbrechung des Verfahrens beantragte, da die Öffentlichkeit nach wie vor nicht vollständig hergestellt war, da sich zu diesem Zeitpunkt nach wie vor interessierte ZuhörerInnen in den Sicherheitskontrollen und vor dem Gerichtsgebäude befanden. Daher unterbrach Richter Hoch die Sitzung um 9.20 Uhr.

Um 10.00 Uhr ging es weiter. Die Anwälte ergänzten ihren Antrag und sagten, der Grundsatz der Öffentlichkeit würde damit eingeschränkt, dass sich im ZuhörerInnenbereich keine Toiletten befinden und damit die ZuhörerInnen gezwungen sind das Gebäude zu verlassen. Noch einmal bezogen sie sich auf das Kopieren der Ausweise: Da diese durch einen Briefschlitz gesteckt werden und in einem Nebenraum kopiert werden, können die InhaberInnen sich nicht sicher sein, wie oft ihr Ausweis kopiert werde. Hier wiesen die Anwälte darauf hin, dass im Bereich der Sicherheitskontrollen auch das LKA anwesend ist und die Verteidigung davon ausgeht, dass die Daten der BesucherInnen gespeichert werden.

Die Bundesanwaltschaft (im Folgenden BAW), vertreten durch Bundesanwalt Dr. Herbert Diemer, verwehrte sich gegen diesen Vorwurf: Keiner der hier eingesetzten Beamten hätte einen Grund sich rechtswidrig zu verhalten. Das Publikum teilte diese Meinung nicht und der Vorsitzende Richter Hoch sah sich veranlasst, mit Ordnungsgeldern bis zu 1000 Euro und Ordnungshaft bis eine Woche zu drohen, wenn sich das Publikum nicht ruhig, sondern weiter störend verhalte.

Die Anwälte merkten nochmals an, dass nicht eindeutig klar ist, wann die Ausweiskopien vernichtet werden. Der Vorsitzende Richter Hoch sagte, dass dies spätestens am nächsten Tag passiere oder aber direkt nach der Sitzung.

Weiterhin beantragten die Anwälte, die bewaffneten Polizisten in einen Nebenraum zu verweisen. Auch dies wurde durch Richter Hoch abgelehnt. Nochmals sagte der Richter Hoch nachdrücklich, dass er bei den Sicherheitsverfügungen bleibe und er nicht bereit ist, hier etwas zu ändern.

Bevor der Vorsitzende Richter Hoch mit den Angaben zur Person der Angeklagten fortfahren konnte, beantragten die Anwälte das Verfahren wegen Vorliegen eines Verfahrensfehlers einzustellen, da die der Verteidigung vorliegenden Akten nicht vollständig sind. (Der Einstellungsantrag ist in der Pressemappe vom 14. Oktober 2009 (http://einstellung.so36.net/files/200910pm.pdf, Seite 9-14) dokumentiert.) Damit liege ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor, wie in der Europäischen Menschenrechtskonvention in Artikel 6 verankert. Die Verteidigung geht davon aus, dass weder dem Gericht noch ihr selbst, wahrscheinlich sogar der Bundesanwaltschaft nicht alle Informationen zur Beurteilung des Sachverhalts vorliegen. Darüber hinaus hält die BAW wichtige Akten zurück. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen trennte die BAW das ursprüngliche Verfahren, in dem gegen 7 Beschuldigte ermittelt wurde. Bei dieser Trennung verblieben allerdings 31 DIN A-4-Ordner im Ursprungsverfahren und sind der Verteidigung nicht zugänglich. Die BAW behauptet, diese Ordner enthielten keine relevanten Informationen. Dies zu entscheiden obliegt aber der Verteidigung selbst. So entschied auch der Bundesgerichtshof (BGH).

Der Antrag ging auch darauf ein, dass die BAW seit 2001 in mehreren Ermittlungsverfahren gegen die militante gruppe (mg) ermittelt, insgesamt 12 bekannte und weitere unbekannte Personen. Die BAW sagte, dass der Verteidigung alle notwendigen Akten vorliegen und der Vorsitzende Richter Hoch lehnte den Antrag ab. Die Sitzung wurde um 10.30 Uhr unterbrochen.

Nach kurzer Zeit ging es weiter. Der Vorsitzende Richter Hoch gab als erstes den Beschluss bekannt, die Sicherheitsverfügung nicht zu ändern oder aufzuheben. Die Anwälte verlangten eine Kopie des von Richter Hoch gefassten Beschlusses. Dieser sagte, dass dies nicht möglich sei, da eine schriftliche Niederlegung dieses den Prozess unnötig verzögern würde. Nach Prozessordnung reiche es aus, den Beschluss mitzuteilen. Daraufhin stellten die Anwälte den Antrag auf Unterbrechung um sich zu beraten. Der Richter Hoch lehnte ab, vor den Angaben zur Person nochmals die Sitzung zu unterbrechen, um weitere Anträge vorzubereiten. Es wurden die Personalien festgestellt.

Folgend wollten die Anwälte einen Antrag zur Aussetzung des Verfahrens stellen, was jedoch vom Vorsitzenden Richter Hoch abgelehnt wurde. Er begründete dies damit, dass nun erst einmal festgestellt werden muss, worum es in diesem Verfahren geht, also die Anklage verlesen werden muss. Die BAW verlas die Anklageschrift.

Der Richter Hoch fragte folgend die Angeklagten einzeln, ob sie sich äußern werden oder nicht. Die Angeklagten sagten, dass sie sich nicht zum Sachverhalt äußern werden, jedoch eine Prozesserklärung (hier zu lesen) abgeben werden. Diese wurde von Axel verlesen und vom Publikum mit Beifall bedacht. Dies veranlasste den Vorsitzenden Hoch ein weiteres Mal anzukündigen, bei störenden Verhalten zukünftig Ordnungsgeld oder -haft zu verhängen.

Die Anwälte wiesen daraufhin, dass es sie nun den Antrag zur Aussetzung des Verfahrens aufgrund fehlender Akteneinsicht und Nichtlesbarkeit von durch die Bundesanwaltschaft digitalisierten Akten stellen möchten. Folgend verwehrte sich die Bundesanwaltschaft gegen den durch die Anwälte gestellten Antrag und sagte, dass das Kopieren und Digitalisieren von Aktenmaterial eindeutig eine Serviceleistung der BAW sei und die Anwälte könnten das nächste Mal die Akten selbst kopieren. Der Vorsitzende Richter Hoch lehnte den Antrag ab und die Sitzung wurde für die Mittagspause bis 13 Uhr unterbrochen.

Nach der Mittagspause folgte eine Stellungnahme der Anwälte zur Ablehnung der zuvor gestellten Anträge. Nochmals wurde auf die fehlenden Aktenbestandteile und die Problematik des Kopiervorganges der Ausweise der ZuhörInnen hingewiesen und von der Verteidigung festgestellt: "Die Verteidigung ist nach wie vor der Auffassung, dass durch das bisherige Verhalten des Senats den Grundsätzen eines fairen Verfahrens nicht in ausreichendem Maß Rechnung getragen wird." Abschließend folgte ein letzter Antrag bezüglich weiterer fehlender Akten mit der Forderung diese den Anwälten zur Verfügung zu stellen. Darauf antwortete Bundesanwalt Diemer, dass alle notwendigen Akten der Verteidigung zur Verfügung stehen würden und außerdem dem Vorsitzenden die von den Rechtsanwälten benannten fehlenden Akten vorgelegen hätten. Dieser Umstand wurde von der Verteidigung kritisiert und zu Protokoll genommen. Eine Entscheidung, wie mit den fehlenden Akten umgegangen werden soll, die jedoch dem Vorsitzenden vorgelegen haben, mochte der Vorsitzende Richter Hoch nicht treffen.

Als ProzessbeobachterInnen nahmen an diesem Tag der Theologe Heinrich Fink (hier im Video-Podcast) und die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke teil.

Der Vorsitzende legte für den nächsten Verhandlungstag am 1. Oktober 2008 ( 11:00 Uhr !!) fest, dass die für diesen Tag vorgesehenen Zeugenladungen verschoben werden. Der voraussichtlich nur zweistündige Verhandlungstag wird zur Beschlussverkündung genutzt werden.

Foto der Kundgebung: Björn Kietzmann

Tags: überwachung | prozess | baw | 1. prozesstag