Urteil im §129b-Prozess in Stuttgart
Am 7. August fiel das vorläufige Urteil im §129b-Prozess in Stuttgart-Stammheim gegen Mustafa Atalay, Ilhan Demirtas und Hasan Subasi. Das Strafmaß beläuft sich für Mustafa Atalay auf 5 Jahre, für Ilhan Demirtas 3 Jahre und 6 Monate und für Hasan Subasi 2 Jahre und 11 Monate. Der Haftbefehl für Mustafa Atalay besteht weiterhin, für Ilhan und Hasan wurde er unter Auflagen ausgesetzt. Die Auflagen umfassen Meldungen über den Wohnsitz und eventuellen Wechsel des Wohnsitzes, geplante Aufenthalte im Ausland, sowie schriftliche Begründungen über Ziel und Dauer dieser. Zusätzlich wird ihnen jeglicher Kontakt zu Vereinen und Personen verboten, welche das Gericht als zugehörig zu der DHKP-C definiert.
Hintergrund der frühzeitigen Urteilsverkündung sind Erklärungen der
drei Angeklagten, in denen sie sich aufgrund der gesundheitlichen
Situation teilweise auf bestimmte Anklagepunkte einließen. Die
Erklärungen umfassten die Fälschung von Dokumenten, die Bereitstellung
von PKWs, sowie die Kenntnis der Programmatik der DHKP-C. Nie aber
waren Bekenntnisse noch Distanzierungen zur DHKP-C Teil dieser
Erklärungen.
Am heutigen Freitag, den 07.08.2009, bestätigte
der Senat trotz der nicht vollständig abgeschlossenen Beweisaufnahme,
der unzureichenden Prüfung der Beweisführung und etlichen
Verfahrensfehlern in seinem Urteil beinahe vollständig die
Anklagepunkte der Bundesanwaltschaft. In der Begründung des Urteils
wurden Sachverhalte als tatsächlich dargestellt, die im Verlauf des
Prozesses nicht hinreichend geklärt werden konnten noch Gegenstand der
Verhandlung waren. Ein Beispiel dafür ist die Annahme des Gerichts,
dass einer der Angeklagten, Mustafa Atalay, eine führende Rolle
innerhalb der DHKP-C gehabt haben soll. Um diese Anschuldigung zu
beweisen wurden weder Zeugen geladen, noch wurden Dokumente der
Telefonkommunikationsüberwachungen herangezogen – Mustafa Atalay war im
öffentlichen Verfahren nie Teil der Beweisaufnahme.
Die
Anklagepunkte sah der Senat durch die Aussagen der Zeugen bestätigt.
Dass diese sich vor allem durch Unwissenheit auszeichneten, zeigte sich
deutlich an der Vernehmung der BKA Beamten, worin sich keineswegs die
Anklagepunkte bestätigen ließen.
Die berechtigten Zweifel an
der Glaubhaftigkeit des Hauptbelastungszeugen Hüseyin Hiram wurden im
Urteil zwar thematisiert, aber als unbedeutend dargestellt. Der Senat
bezog sich in seiner Begründung auf die Aussagen, die Hüseyin Hiram
bereits 2003 bei seiner Verurteilung wegen Doppelagentschaft gemacht
hat, die aber in diesem Prozess von ihm nicht bestätigt wurde. Dass
Hiram selbst während eines Prozesstages seine Aussagen hierüber
zurückzog, wurde vom Senat durch sein Krankheitsbild entschuldigt und
nicht berücksichtigt.
Ein weiterer Punkt in der Begründung des
Urteil, die ebenfalls einer Berichtigung bedarf, ist die
gesundheitliche Situation und die medizinische Versorgung der
Angeklagten während ihrer 2 ½ - jährigen Inhaftierung. Im Fall von
Mustafa Atalay geht das Gericht trotz zahlreicher Atteste unabhängiger
Psychiater und Ärzte immer noch von der Haft- und Vernehmungsfähigkeit
aus.
Nicht zuletzt hat die Haft die gesundheitliche Situation
aller Angeklagten verschärft Ein Grund dafür war die unzureichende
medizinische Versorgung der Angeklagten, die das Gericht im Widerspruch
zu Aussagen der Betroffenen selbst, über die gesamte Dauer der Haft
ausreichend gewährleistet sah. Diese für die Angeklagten nicht länger
hinnehmbare Haftsituation war für die Angeklagten mit ein Grund durch
ihre Aussagen eine Beschleunigung der Entlassung aus der Haft zu
erreichen.
Letztlich bestätigt dieses Urteil, dass es in
diesem Verfahren nicht um die Aufklärung der Sachverhalte ging, sondern
um eine zügige Verurteilung und der damit verbundenen Etablierung des
Paragraphen 129b abseits der Öffentlichkeit. Dass dieser Paragraph
zukünftig eine verstärkte Bedeutung gerade für politische aktive
Migrantinnen und Migranten haben wird, bestätigt sich ebenfalls in der
Urteilsbegründung des Senats. Um dem erheblichen Einschnitt in das
Rechtssystem, den der §129b darstellt, begegnen zu können ist und wird
eine kritische Öffentlichkeit notwendig sein.
Gegen das Urteil wird die Verteidigung kommenden Montag Revision einlegen.
Komitee gegen die §§129
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