Schluss mit der Kriminalisierung linker Strukturen – Einstellung der 129(a)-Ermittlungen sofort!
Stellungnahme von Beschuldigten aus vier §129(a)-Verfahren und Unterstützer/innen
Im letzten Jahr wurden vier Ermittlungsverfahren wegen Terrorismus (§129a ) gegen linke Aktivisten bekannt und sorgten für öffentliche Kritik an der Praxis der Ermittlungsbehörden. Unbemerkt von der Öffentlichkeit laufen alle vier Verfahren weiter und mit ihnen die Überwachungsmaßnahmen gegen insgesamt über 40 Beschuldigte. Obwohl die Richter am Bundesgerichtshof (BGH) bereits im November und Dezember 2007 zwei der Verfahren der Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft (BAW) entzogen und sie an die örtlichen Staatsanwaltschaften verwiesen, sind die Akten dort bisher nicht angekommen. In einem anderen Verfahren werden – möglicherweise entlastende – Ermittlungsergebnisse vom BKA nicht bekannt gegeben. Das Bekanntwerden von drei der Verfahren jährt sich morgen zum ersten Mal.
Am 9. Mai 2007 stürmten Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) 40 Wohnungen, Büros und Projekte von linken Aktivisten. Offizielle Begründung war die Suche nach einer terroristischen Vereinigung „Militante Kampagne zur Verhinderung des G8“. Die bundesweite Razzia war der Höhepunkt der Repression gegen soziale Bewegungen und linke Aktivisten im Vorfeld des G8-Gipfels im vergangenen Jahr in Heiligendamm. Betroffen von den Hausdurchsuchungen am 9. Mai waren auch drei Berliner, gegen die zu diesem Zeitpunkt bereits seit sieben Jahren ein Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung („militante gruppe“) geführt wurde.
Kurz nach diesen bundesweiten Durchsuchungen wurden im Juni Wohnungen von jungen Antifaschisten in Bad Oldesloe und Berlin durchsucht. Auch hier lautete der Vorwurf: Bildung einer terroristischen Vereinigung nach §129a StGB.
Ein weiteres Verfahren gegen angebliche Mitglieder der „militanten gruppe“ (mg) führte am 31. Juli 2007 zu Festnahmen. Die öffentlichen Proteste gegen die Inhaftierung von Dr. Andrej Holm hatten im Oktober 2007 die Aufhebung des Haftbefehls durch den BGH zur Folge. In einer weiteren Entscheidung verschonte der Bundesgerichtshof (BGH) die anderen drei Inhaftierten von der Untersuchungshaft und negierte die Anwendbarkeit des Terrorismusparagraphen §129a.
Alle vier Verfahren begannen als §129a -Ermittlungen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. In mindestens zwei der vier Verfahren hat das Bundesamt für den Verfassungsschutz (BfV) die Ermittlungen unmittelbar angeregt und zum Teil gezielt gesteuert. In drei der vier Verfahren haben mittlerweile die Richter am BGH die Ermittlungsbehörden kritisiert, die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft und des BKA in Frage gestellt sowie in allen Fällen die Anwendbarkeit des §129a StGB verneint.
Allen vier Verfahren ist gemein, dass in ihnen die strafprozessualen Überwachungsinstrumente über das rechtlich zulässige Maß hinaus angewandt wurden. Zum Teil wurden über viele Jahre Überwachungsmaßnahmen vom zuständigen Ermittlungsrichter regelmäßig verlängert, obwohl die Totalüberwachung keine Hinweise erbracht hat, die den Anfangsverdacht hätten bestätigen können. Gemäß der Logik: Wenn bei einem Verdächtigen keine Hinweise gefunden werden, die die Verdachtslage stützen, handelt er konspirativ, was den Verdacht erhärtet. In der Folge wurden immer mehr Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen genehmigt, die immer stärker in die Privatsphäre der Beschuldigten eingriffen und weit in das Umfeld der Betroffenen hineinwirkten. Der absurde Höhepunkt dieser Logik war die zwangsweise Abnahme von Geruchsproben.
Das BKA und die Geheimdienste unterliegen keiner Kontrolle. Am Verlauf dieser vier Verfahren wird deutlich, dass weder die zuständigen Ermittlungsrichter noch parlamentarischen Kontrollgremien einen einschränkenden Einfluss auf die Sicherheitsbehörden haben. Wie die übermittelten Ermittlungsakten in diesen vier Verfahren zeigen, werden der Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensführung, der Schutz von Berufsgeheimnisträgern und der richterliche Vorbehalt bei den BKA-Ermittlungen systematisch und umfangreich verletzt. Auch kann von der Trennung zwischen Polizei und Geheimdienst nicht mehr die Rede sein; vielmehr regt der VS das BKA zu Ermittlungen an und wirkt an diesen mit. Die parlamentarischen Kontrollgremien und der Richtervorbehalt haben keinen Einfluss auf die Verfassungsschutzämter.
Das BKA darf keine Geheimdienstbefugnisse bekommen. Die Praktiken des BKA in diesen Verfahren sind wie ein Vorgriff auf das BKA-Gesetz. Der Ausbau des BKA wird vorangetrieben, dem mit dem neuen BKA-Gesetz geheimdienstliche Tätigkeiten zugestanden werden sollen.
Die Totalüberwachung der linken Szene muss aufhören. Die §§129, a, b müssen abgeschafft werden. Die Durchsuchungen am 9. Mai dienten dem BKA nach eigenem Bekunden nicht der Aufklärung von Straftaten. Mit mehr als 40 Beschuldigten und etwa 2.000 von den Ermittlungen erfassten Personen wurde mittels der §129(a)-Verfahren eine flächendeckende Überwachung und Einschüchterung der linken Szene betrieben. Nach der derzeitigen Aktenlage ermöglichten mehr als 200 Überwachungsbeschlüsse des Ermittlungsrichters die Überwachung von insgesamt etwa 100 Telefonanschlüssen, 60 E-Mailadressen und die Videoüberwachung von mindestens 20 Wohnadressen. Mit mindestens 12 kleinen und 2 großen Lauschangriffen sowie 12 GPS-Peilsendern an Fahrzeugen wurden auch technische Überwachungsmittel massiv zum Einsatz gebracht. Unabhängig von der konkreten Verdachtslage dienen solche §129(a)-Ermittlungen in erster Linie der Ausforschung linker Strukturen.
Wir fordern die sofortige Einstellung aller Ermittlungen nach §129(a) und die Abschaffung der Schnüffelparagrafen 129, a, b!