Kritische Wissenschaft ist kein Terrorismus
Die Fachschaft Sozialwissenschaften kritisiert die Kriminalisierung kritischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und befürchtet einen Generalverdacht gegen gesellschaftspolitisch engagierte Studierende. Wir fordern außerdem die Freilassung von Andrej H. aus den unwürdigen Haftbedingungen in Berlin – Moabit.
Konstruierte Faktenlage
In der Nacht vom 30. zum 31. Juli 2007 wurden drei Männer verhaftet, weil sie versucht haben sollen, Bundeswehrautos in Brandenburg an der Havel anzuzünden. Nur einen Tag später am 01. August 2007 wurde der promovierte Sozialwissenschaftler Andrej H. in seiner Wohnung wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet und in Karlsruhe dem Haftrichter vorgeführt.
Andrej H. wird vorgeworfen sich mit einem der mutmaßlichen Brandstifter zwei Mal konspirativ getroffen zu haben, wobei jedoch nichts über den Gesprächsinhalt bekannt ist. Des Weiteren erhebt die Generalbundesanwaltschaft den Vorwurf, dass sich "Phrasen und Schlagworte" in seinen Publikationen und den Bekennerschreiben der „mg – militante gruppe“ gleichen. Daraus konstruiert die Bundesanwaltschaft den Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung nach § 129a StGB, was für die Beschuldigten weit reichende Konsequenzen hat. Sie werden 23 Stunden am Tag in Isolationshaft gefangen gehalten. Es gibt eine Stunde Ausgang am Tag. Privaten Besuch können sie im zweiwöchentlichen Rhythmus für eine halbe Stunde erhalten. Jegliche Post und Kommunikation mit den AnwältInnen wird überprüft. Die Familien und Angehörigen und selbst die AnwältInnen können nur durch eine Panzerglasscheibe und in Anwesenheit von BKA-Beamten mit den Inhaftierten sprechen.
Umfassende Überwachung
Mittlerweile wurde auch bekannt, dass Andrej H. und drei weitere Wissenschaftler seit längerem umfassend – auch an ihren Arbeitsstätten – vom BKA seit September 2006 überwacht wurden. Alle werden verdächtigt, dass sie auf Grund ihres freien Zugangs zu Bibliotheken und ihrer Fähigkeit, intellektuell anspruchsvolle Texte zu verfassen, der ideologische Kopf der “mg“ seien.
Andrej H. wurde jedoch als einziger verhaftet, da wegen des "konspirativen" Treffens, eine Verbindung zwischen den der Brandstiftung Beschuldigten und dem ideologischen Überbau konstruiert wurde. Daraus leitet sich auch der Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung ab. Allein deswegen können die drei der Brandstiftung Beschuldigten überhaupt nach §129a beschuldigt werden und auch Andrej H. könnte ohne den vermeintlich konspirativen Kontakt nur schwerlich die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen werden.
Als Fachschaft sehen wir von den Vorwürfen nicht nur Andrej betroffen, sondern jedeN kritischeN SozialwissenschaftlerIn, der oder die sich gesellschaftspolitisch engagiert. Insbesondere die - mit den Ermittlungen nach §129a einhergehende umfassende - Überwachung von Wissenschaft und Lehre im universitären Bereich muss scharf kritisiert werden.
Generalverdacht
Bei der derzeitigen Faktenlage werden kritische SozialwissenschaftlerInnen unter Generalverdacht gestellt. Sich sozial und politisch zu engagieren bzw. gesellschaftskritisch zu äußern, scheint gefährlich. Damit setzen sich kritische SozialwissenschaftlerInnen womöglich der Verdächtigung aus, terroristische Vereinigungen zu unterstützen. Auf einer derart dünnen Beweislage festgenommen und der Isolationshaft ausgesetzt zu werden, stellt einen tiefen Einschnitt in das private Leben dar und gefährdet den beruflichen Werdegang nachhaltig. Die physischen und psychischen Belastungen sind nicht entschuldbar. Wir erkennen in der Verhaftung von Andrej H. einen Präzedenzfall und betrachten uns nach der Logik der Bundesanwaltschaft alle als verdächtig.
Die Fachschaft Sozialwissenschaften unterstützt ausdrücklich die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen und begrüßt aktives gesellschaftliches Engagement von SozialwissenschaftlerInnen. Die Verhaftung von Andrej H. lässt jedoch vermuten, dass kritische Wissenschaft unerwünscht sei und für jedeN von uns gefährlich werden könnte. Das verurteilen wir ausdrücklich. Wir fordern deshalb die Entlassung von Andrej H. aus den unwürdigen Haftbedingungen und die Einstellung von Ermittlungs- und Überwachungsmaßnahmen nach §129a StGB gegen kritische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.
Kritische Wissenschaft ist kein Terrorismus!
Fachschaftsrat Sozialwissenschaften
Berlin, 17. August 2007
Link zur Solidarisierung:
http://www.freeandrej.net.ms