Wir sind alle 129a
Die Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) betrachtet die jüngste Eskalation bei der Verfolgung linker AktivistInnen nach Paragraf 129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung) als Angriff auf die freie Meinungsäußerung. Die gegen das BUKO-Mitglied Andrej H. vorgebrachten Vorwürfe bewertet die BUKO als Kriminalisierung auch ihrer eigenen politischen Arbeit. Die BUKO fordert die BAW auf, die Beschuldigten freizulassen und die Verfahren wegen 129a StGB einzustellen.
Am 1. August 2007 hat die Bundesanwaltschaft (BAW) Haftbefehle gegen vier mutmaßliche Mitglieder der nach § 129a StGB als "terroristische Vereinigung" eingestuften "militanten gruppe" (mg) erlassen. Den drei am Tag zuvor Verhafteten Florian L., Oliver R. und Axel H. wird ein versuchter Brandanschlag gegen Bundeswehrfahrzeuge zur Last gelegt, der, so die BAW, "eine Vielzahl von Parallelen zu Anschlägen der ,militanten gruppe (mg)' in der Vergangenheit" aufweist. Im Falle des vierten Beschuldigten, des Sozialwissenschaftlers Andrej H., reichen angebliche "konspirative Treffen" sowie die Benutzung von "Schlagwörtern und Phrasen, die in Texten der ,militante(n) Gruppe (mg)' gleichfalls verwendet werden", um ihn der Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung" zu bezichtigen.
Die Anwendung von Paragraf 129a auf diesen Fall zeigt, wie der Generalvorwurf "Terrorismus" benutzt wird, um gegen Kritik an Staat und Gesellschaft vorzugehen. Besonders deutlich ist dies im Falle des beschuldigten Andrej H.: Inhalte angeblicher konspirativen Treffen mit einem der drei anderen Beschuldigten sind der BAW nicht bekannt. "Terrorismus" wird ihm aufgrund von Passagen aus seinen wissenschaftlichen Arbeiten vorgeworfen.
Die Verhaftungen stehen in einer Linie mit der Razzia vom 9. Mai gegen Gruppen, die in die Vorbereitung der Proteste gegen den G8 involviert waren sowie mit den Durchsuchungen in Bad Oldesloe und Berlin kurz nach dem G8. Auch damals wurde das Phänomen "militante gruppe" als Argument für den Versuch angeführt, das Aufbewahren von Informationsmaterial, die Veröffentlichung von Büchern oder das Aufrufen zu Aktionen des zivilen Ungehorsams als "terroristische Akte" zu diffamieren und entsprechend gegen Beschuldigte vorzugehen.
Mit der Begründungen der Haftbefehle vom 1.August 2007 wird nun eine neue Dimension erreicht: Andrej H., Stadtsoziologe und langjähriger Aktivist in zahlreichen stadtpolitischen Gruppen beschäftigt sich vorrangig mit Themen wie Stadtumstrukturierung und der Verdrängung von MieterInnen durch Aufwertungsprozesse (Gentrifizierung). Das sind auch die Themen des BUKO-Arbeitsschwerpunkts Stadt-Raum, in der Andrej H. aktiv ist. "Wir, die BUKO und unsere Arbeit, werden hier unter Terrorismusverdacht gestellt" sagt Martina, BUKO-Mitglied und Mitbegründerin des Arbeitsschwerpunkts. Offensichtlich reicht den Strafverfolgungsbehörden die kritische Auseinandersetzung mit bestimmten Inhalten, um Menschen als "Mitglied einer terroristischen Vereinigung" zu kriminalisieren. Sollte sich eine als terroristische Vereinigung eingestufte Gruppe des Vokabulars oder der Themen eines von wem auch immer veröffentlichten Textes bedienen, kann der Autor - so wurde gerade bewiesen -- wegen § 129a StGB in Untersuchungshaft gesetzt werden. Das zeigt das ganze Ausmaß der Willkürlichkeit, die dieser Paragraf erlaubt. "Wenn es als ,terroristisch' gilt, Meinungen frei zu äußern, kritische Forschung zu betreiben oder sich für gesellschaftliche Veränderungen zu engagieren -- dann sind wir alle TerroristInnen.", sagt Armin Kuhn, ein Sprecher der BUKO. Paragrafen wie 129a StGB, die eingesetzt werden, um missliebige Meinungen zu unterdrücken, sind eines Rechtsstaates unwürdig und gehören abgeschafft.
Unsere Solidarität gilt den Beschuldigten sowie ihren FreundInnen und Angehörigen, denen wir für die kommende Zeit viel Kraft und Mut wünschen.
Kontakt:
Niklas Reese, Tel.: 0163/7 30 73 88,
niklas.reese [at] web.de