Großer Lauschangriff gegen linke Oppositionelle
Presseerklärung der Verteidigung im §129a-Verfahren „militante Kampagne gegen den G 8“
Hamburg, den 06.11.2007
Am 20. Oktober 2007 wurden einige Personen von der Bundesanwaltschaft (BAW) schriftlich darüber informiert, dass sie in einer Privatwohnung abgehört wurden. Die Abhörmaßnahme richtete sich gegen einen Beschuldigten in dem durch die großangelegten Durchsuchungen im Vorfeld des G 8-Gipfels bekannt gewordenen § 129a-Verfahren.
Konkret geht aus dem Schreiben der BAW hervor, dass „im Zeitraum vom 09.05.2007 bis 08.06.2007 aktivierbare abhörgeeignete technische Mittel in dieser Wohnung installiert“ und „das nichtöffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet“ wurde. Dabei wurde die Abhöreinrichtung im Rahmen der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten am 09.05.2007 heimlich eingebaut. Am 14.06.2007 wurde die Abhöreinrichtung durch heimliches Eindringen der Polizei in die Wohnung des Beschuldigten wieder abgebaut und entfernt. Die Wohnraumüberwachung wurde im genannten Zeitraum jeweils aktiviert, wenn gemäß Videoobservation und Telefonüberwachung anzunehmen war, dass ein oder mehrere Beschuldigte das Objekt betreten haben.
Eine entsprechende Maßnahme war bereits vor den Durchsuchungen auch in der Roten Flora geplant. Nach einem seinerzeit vor den Durchsuchungen verfassten Vermerk wurde aber zunächst deshalb davon abgesehen, weil „aufgrund der Sensibilität des dort verkehrenden Publikums die Installation der erforderlichen Überwachungs- und Aufzeichnungstechnik nicht möglich“ sei. Da auch die Rote Flora von der Durchsuchung am 09.05.2007 betroffen war, muss nunmehr davon ausgegangen werden, dass im Zuge der Durchsuchung auch dort Abhöreinrichtungen eingebaut wurden.
Der große Lauschangriff auf die Privatwohnung eines Beschuldigten reiht sich ein in eine ganze Kette bisheriger polizeilicher Exekutivmaßnahmen. Nach umfangreicher Observation und Telefonüberwachung, nach der Entnahme von Geruchs- und DNA-Proben, nach erkennungsdienstlicher Behandlung, nach Überwachung von E-Mails und nach der im Mai 2007 öffentlich gewordenen Durchsuchung der Post, erreicht die Überwachung in diesem Verfahren mit dem großen Lauschangriff eine neue Qualität. Unter dem Deckmantel der sogenannten „Terrorbekämpfung“ werden die Betroffenen bis in ihre Privaträume hinein bespitzelt. Mit einer solchen Maßnahme versuchen Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt das Bild der totalen Kontrolle aufzubauen. Gleichzeitig ist der große Lauschangriff ein weiterer Versuch der Einschüchterung und Kriminalisierung der Beschuldigten und darüber hinaus gehend des linken Widerstandes. Dies in Zeiten, in denen die Anwendung und uferlose Ausweitung des § 129 a StGB in der Öffentlichkeit zunehmend diskutiert und kritisiert wird.
Zwischenzeitlich steht die Bundesanwaltschaft mit ihrem Versuch, die Anwendung des § 129 a StGB immer weiter auszudehnen, unmittelbar vor einer schweren Schlappe!
Die Verteidigung hatte in den jeweiligen Ermittlungsverfahren Beschwerden gegen die Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse eingelegt. In diesem Zusammenhang teilte der Bundesgerichtshof mit Schreiben vom 22.10.2007 den Verteidigern bezüglich der Beschwerden gegen die vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs angeordneten Zwangsmaßnahmen mit, dass der Senat nach dem Ergebnis der Vorberatungen zu folgendem Ergebnis gekommen ist: Der Sachverhalt, für den der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes einen Anfangsverdacht bejaht habe, erfülle bereits nicht den Tatbestand des § 129 a StGB. Damit bestünden erhebliche Zweifel an der Zuständigkeit des Generalbundesanwaltes und damit auch des Ermittlungsrichters.
Damit ist der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes zu der rechtlichen Würdigung gelangt, dass Aktionen wie Brandstiftungen an Fahrzeugen oder Farbsprühereien an Gebäuden entgegen der bisherigen Behauptung der Bundesanwaltschaft den Tatbestand des § 129 a StGB nicht erfüllen, da es sich nicht um Straftaten handelt, die dazu bestimmt sind, die in der Bundesrepublik Deutschland bestehende Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu erschüttern und insbesondere die internationale Position der Bundesrepublik Deutschland als verlässlicher Partner im Verbund der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen erheblich zu schädigen. Rechtsanwalt Beuth erklärt hierzu: „Damit bricht das Konstrukt der terroristischen Vereinigung bereits tatbestandlich zusammen!“
Da ein Tatverdacht gemäß § 129 a StGB schon aus Rechtsgründen zu verneinen ist, war auch der Lauschangriff in Form der Wohnraumüberwachungsmaßnahme der Wohnung eines Beschuldigten rechtswidrig.
Offenbar sieht sich die Bundesanwaltschaft aufgrund der bevorstehenden für sie negativen Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu hektischen Aktivitäten veranlasst, um das bisherige Ermittlungsergebnis nachbessern zu können. So gab es bis in der Zeit vom 16. bis zum 18.10.2007 sechs ZeugInnenvorladungen durch das BKA in Hamburg. Keine der ZeugInnen aber kam dieser Vorladung nach. Zusätzlich setzte das BKA Eltern von Betroffenen unter Druck. Mehrere Beamte suchten diese ohne Vorankündigung auf und versuchten sie, zu einer Aussage zu drängen. Die Eltern haben ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Angehörige wahrgenommen und nicht ausgesagt.
Die derzeit laufenden weiteren § 129 a – Verfahren gegen linke Oppositionelle sind nicht voneinander zu trennen. Auch im Berliner Verfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der „Militanten Gruppe“ (Durchsuchungen vom 31.07.2007) sind ab dem 23.10.2007 insgesamt 25 ZeugInnen zur Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft in Berlin geladen worden.
Einige der Beschuldigten und weitere Betroffene erklären hierzu: „Wir lassen uns nicht einschüchtern und werden weiter für unsere politischen Ziele offensiv eintreten. Solidarische Grüße an alle anderen Betroffenen, insbesondere an Axel H., Florian L. und Oliver R., die in Berlin immer noch in Untersuchungshaft sitzen. Für die sofortige Einstellung aller gegen linke Oppositionelle geführten Ermittlungsverfahren!“
Für die Unterstützung der Betroffenen der § 129 a – Razzien vom 09.05.2007 und 13.06.2007 wurde ein gemeinsames Spenden-Konto eingerichtet.
Rote Hilfe e.V.
Postbank Dortmund
BLZ 440 100 46
Konto 191 100 462
Stichwort: „Razzien 2007“
Für die Verteidigung:
Andreas Beuth, Rechtsanwalt
Britta Eder, Rechtsanwältin
Manfred Getzmann, Rechtsanwalt