Sonderaktionswochen des Bundeskriminalamtes/BKA und des Bundesamt für Verfassungsschutz/BfV
Vorlauf
Am 31.7.2007 wurden Dr. Andrej H., Soziologe der Berliner Humboldt-Universität und Dr. Matthias B., Politologe und Mitarbeiter eines Forschungszentrums verhaftet. Ihnen wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach Version 129a vorgeworfen. Namentlich geht es um die ›Militante Gruppe‹ (mg), der 25 Brandanschläge, u.a. auf Polizeifahrzeuge, auf einen Supermarkt und das Institut für Wirtschaftsforschung zugeschrieben werden.
Im Zuge dieser Fahndung wurden weitere Personen inhaftiert, die man dieser Taten bezichtigt. Den beiden Akademikern wird vorgeworfen, dass sie die Fähigkeit besitzen dürften, die anspruchsvollen, schwierigen, bis schwer zu verstehenden ›Erklärungen‹ der mg verfasst haben zu können. Als kriminalistischer Beweis dient ihre Akademikerlaufbahn: Sie haben Zugang zu Bibliotheken, die Fähigkeit zu akademischen Abhandlungen, die Übereinstimmungen in »Schlagwörtern und Phrasen« zu den Bekennerschreiben aufweisen.
Der Nachweis, dass diese beiden Beschuldigten nicht nur die Kompetenz zur Darstellung komplexer Zusammenhänge besitzen, sondern darüber hinaus Mitglieder der mg seien, ergebe sich aus ihrem »konspirativen Verhalten« im Umgang mit anderen für verdächtig gehaltenen Personen. Dieses konspirative Verhalten wollen die Ermittlungsbehörden daran erkannt haben, dass an Handys überwachter Personen Treffen vereinbart bzw. bestätigt wurden, ohne (den Lauschern) Ort, Zeit und Intention mitzuteilen.
Die nicht ganz so akademische, gefühlte Definition von Terrorismus aus einer Addition von Nähen zu anderen Beschuldigten, intransparentem Habitus und »anschlagsrelevanten Themen« ist nicht neu.
Ungewöhnlich harsch, rechtstaatlich sind die Reaktionen namhafter, auflagestarker Zeitungen: Während die Faz noch fragt: »Phrasen als Indizien?«1 stellt die Frankfurter Rundschau nur noch fest: »Neun Wörter – ein Terrorverdacht«2.
Auch die Initiative ›Orwell goes future/OgF‹ rät, diese Kritik äußerst ernst zu nehmen und verloren gegangenes Vertrauen ohne Tabus zurückzugewinnen. Um die Lücke zwischen delinquenter Verfassungstheorie und bewährter Rechtspraxis zu schließen, schlägt OgF einen Maßnahmekatalog vor, der im Folgenden kommuniziert und gemacht wird.
Selbst-Anzeige
Nicht nur in vielen Branchen unserer boomenden Wirtschaft wird der Fachkräftemangel beklagt. Auch und gerade im Bereich ›Linksterrorismus‹ beobachten die dafür zuständigen Behörden seit Jahren Nachwuchssorgen. Die Nachfrage übersteigt deutlich das Angebot.
Aus diesem Grund starten das Bundeskriminalamt und das Amt für Verfassungsschutz eine gemeinsame Anwerbeoffensive.
Wir möchten Ihnen diese im Folgenden vorstellen.
Sie suchen die Herausforderung, wollen sich verändern, sind mit Ihrer jetzigen akademischen Tätigkeit unzufrieden, fühlen sich schlicht unterfordert.
Ihnen fehlt der Praxisbezug. Sie wollen aus der akademischen Wagenburg ausbrechen, aus dem intellektuellen Elfenbeinturm springen, mitten ins spannende, deregulierte Leben.
Sie sind mit ihrem beruflichen Umfeld, ihrer Zielgruppe unzufrieden. Sie glauben nicht mehr an die intellektuelle Avantgarde, die bestenfalls gegen Studiengebühren protestiert.
Sie finden Ihre akademischen Kollegen langweilig, blasiert. Sie haben es satt, auf Panels, Kolloquien, wissenschaftlichen Kongressen herumzusitzen, um sich gegenseitig zu erklären, dass die Welt schlecht und ungerecht ist.
Sie können die Parole ›Eine andere Welt ist möglich‹ nicht mehr hören.
Wir suchen ab sofort
unbefristet
Terroristen
im akademischen Bereich
(auch als Neben- und Freizeittätigkeit möglich)
Arbeiten Sie gerne im Team und selbstständig? Passen Sie sich schnell neuen, globalen Herausforderungen an? Sind Sie belastbar und mobil? Behalten Sie auch in Extremsituationen den Überblick und die Nerven? Reizen Sie Grenzbereiche und Grauzonen?
Wollen Sie sich jetzt Ihren Traum erfüllen, Privates und Politisches mit dem beruflichen zu verknüpfen?
Wie werden Sie
bei uns
Terrorist?
Wir wissen um den ungeheuren Erwartungs- und Fahndungsdruck, der auf den letzten Generationen von Terroristen lastete. Sie waren strapaziösen Mehrfachbelastungen ausgesetzt: Sie mussten ihr bisheriges bürgerliches Leben aufgeben, absolvierten zahlreiche terrorismus-spezifische Ausbildungen, arbeiteten an einer radikalen Gesellschaftskritik und nachts, trugen ein hohes persönliches und kollektives Risiko. Das Image des Elitären, des Spezialistentums, des Übermenschlichen haftete diesem Genre an.
Mit unserem neuen, niedrig-schwelligen Einsteigerprogramm wollen wir gewährleisten, dass in und für die Zukunft mehr Menschen Terrorist werden können. Deshalb haben wir unser Anforderungsprofil drastisch gesenkt, Schwellenängste abgebaut und so einen barriere-freien Zugang geschaffen.
Ab sofort werden außer Ihrer akademischen Ausbildung keine weiteren Zusatzqualifikationen verlangt. Auch die Planung und Durchführung von Anschlägen gehört nicht länger zu Ihrem Aufgabengebiet.
Wir erwarten von Ihnen nicht, dass Sie etwas tun, sondern dass man es Ihnen zutraut.
Welche Voraussetzungen müssen Sie erfüllen?
Wir haben für Sie im Folgenden eine Checkliste zusammengestellt.
Gehen Sie diese in Ruhe und Gelassenheit durch. Wenn Sie am Ende 80 Prozent unserer Anforderungen mit ›Ja‹ beantwortet haben, sind Sie unser Kandidat.
Checkliste
Berufliche Voraussetzungen
- Sie haben einen Hochschulabschluss?
- Sie sind in einem akademischen Beruf tätig?
- Sie haben bereits eine akademische Abhandlung geschrieben/publiziert?
- Ihnen sind Fremdwörter wie ›Gentrifizierung‹, ›Reproduktion‹, ›politische Klasse‹ geläufig?
- Sie beherrschen auch die gängigen Schlagwörter und Phrasen im akademischen Diskurs?
- Sie haben freien Zugang zu Bibliotheken?
Zusatzqualifikationen
- Sie zählen sich zur ›kritischen Wissenschaft‹?
- Sie haben Kontakt zu linken Aktivisten?
- Sie pflegen gerne auch Kontakte zu nicht-akademischen Kreisen?
- Sie bewegen sich in ›globalisierungskritischen‹ Milieus souverän?
- Sie scheuen nicht den Kontakt zu Protestpersonen, die z.B. gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm demonstrierten?
- Sie können Ihr Handy auch einmal zuhause lassen und erbringen so den Beweis, dass Sie Regeln konspirativen Umgehens intuitiv beherrschen?
Wenn dieses Anforderungsprofil auf Sie zutrifft, dann bewerben Sie sich jetzt.
In absentia (aller Rechtsgarantien)
Wolf Wetzel
Eine leicht gekürzte Fassung wurde in der Junge Welt vom 29.9.2007 ›Terroristen gesucht‹ veröffentlicht