Berlin: Vorschlag für nächste 129a-VV
Wer wir sind & weshalb wir dieses Papier verfasst haben
Wir haben uns nach der letzten VV am 29. August zusammengefunden, da wir – wie sicherlich viele der anwesenden GenossInnen – ziemlich unzufrieden mit deren abrupten Abschluss waren. Auf eine ausgiebige Zusammenfassung des offenen Treffens soll hier verzichtet werden, vielmehr wollen wir einige Vorschläge machen, wie eine weitere konstruktive Soli-Arbeit aussehen könnte.
Im Austausch über die bisherige Arbeit, insbesondere deren Außenwirkung in den bürgerlichen Medien, wurde von einem Teil der Anwesenden kritisch angemerkt, dass eigene Positionen aus der radikalen Linken nicht wahrnehmbar sind. So wurde bislang nach Außen einer Positionierung, in der die den drei Inhaftierten angelastete Unschädlichmachung von Bundeswehrfahrzeugen als legitimes Mittel im Kampf gegen Militarismus und Kriegszustand gewertet wird, noch nicht genügend Platz eingeräumt. Denn schließlich handeln nicht diejenigen verbrecherisch, die den Versuch unternehmen, Mordwerkzeuge zu beseitigen, sondern diejenigen, die von ihnen Gebrauch machen, um ihre Herrschaft abzusichern und/oder auszuweiten.
Schon seit Einführung wird der §129a vom linksliberalen Spektrum kritisiert, da er als Instrument der politischen Justiz einen Organisationsstraftatbestand konstruiert und so vor allem der Ausforschung, Kriminalisierung und Einschüchterung linker Widerstandspotentiale dient: Damit ist er geradezu prädestiniert, alle möglichen Leute ohne konkreten Tatverdacht ins Visier der ErmittlerInnen geraten zu lassen. Die Unschuldsvermutung ist somit aufgehoben, verdächtig sind alle, die ihre Politikinhalte und –formen nicht den von den Herrschenden vorgegebenen Handlungsspielräumen unterordnen wollen. In den bürgerlichen Medien wird dieser Kritik ein relativ großer Raum eingeräumt. Es kann allerdings nicht die Aufgabe einer linken Soli-Arbeit sein, durch (Wieder-)Herstellung eines auf konkrete Einzeldelikte abzielenden Strafrechts den Glauben der guten StaatsbürgerInnen an die Gerechtigkeit eines „demokratischen“ Rechtsstaates zu bestärken.
Ebenso sollte aber wohl allen klar sein, dass innerhalb dieser Logik das Maximum, was an Zustimmung seitens des bürgerlichen Spektrums momentan zu erzielen ist, eine Verurteilung der Inhaftierten wegen versuchter Brandstiftung ist - dass in einer Kampagne“, die ausschließlich auf Freispruch für Andrej durch Fallenlassen des §129a abzielt, für die anderen drei kein Platz bleibt.
Mit der Verhaftung unserer Genossen und der Anwendung des §129a versucht der Staat, die antimilitaristische Praxis als Solche zu kriminalisieren. Wir möchten daher die Vorschläge einiger GenossInnen aufgreifen, diesen Angriff mit einer (Soli-)Kampagne zu kontern, die die Kontinuität und Notwendigkeit antimilitaristischen Widerstands in Zeiten des permanenten Kriegszustands, in dem sich die BRD seit dem Angriff auf Jugoslawien 1999 befindet, deutlich macht. Anti-Repressionsarbeit bedeutet auch, Formen und Inhalte emanzipatorischer Politik gegen die Angriffe der Herrschenden zu verteidigen.
In einer Kampagne gilt es insbesondere aufzuzeigen, dass Antimilitarismus nicht als isolierter Teilbereichskampf aufzufassen ist: In Zeiten des Krieges sind alle gesellschaftlichen Entwicklungen und die Kämpfe, die aus ihnen hervorgehen, auch vor diesem Hintergrund zu interpretieren. Krieg bedeutet nicht zuletzt eine Reduzierung gesellschaftlicher Konflikte und Konflikt“lösungen“ auf Freund oder Feind – der möglichst umfassenden Ausweitung dieser Logik in alle Bereiche des Lebens.
Die BRD als Krieg führende Nation nach außen…
Seit nunmehr fast einem Jahrzehnt ist die BRD wieder als Krieg führende Nation in der Welt präsent. Von der Rot-Grünen Regierung 1998 als humanitäre Aktion etabliert, ist die Bundeswehr heute an über acht Kriegseinsätzen beteiligt, Tendenz steigend. Mit insgesamt rund 8.000 Soldaten stellt sie mittlerweile eines der größten Kontingente an Truppen bei internationalen Kriegseinsätzen. Zur dauerhaften Absicherung geostrategischer Interessen ist es jedoch notwendig, dass globale Engagement nicht allein in militärischen Händen zu belassen. Zunehmend werden zivile AufbauhelferInnen in eine zivil-militärische Kooperation („Civil-Military-Cooperation/CIMIC“) eingebunden. Gleichzeitig werden die Aufgaben von Polizei und Militär immer stärker miteinander verschränkt. Drei-Viertel der „zivilen“ Aufbauhilfe in Afghanistan sind Investitionen in den Aufbau der Polizeistruktur und deutsche Polizisten bilden irakische Sicherheitskräfte aus.
Parallel dazu ist ein stetiges Anwachsen der Militär- und Rüstungsausgaben zu verzeichnen. Eine kommende EU-Verfassung sieht ein konsequentes Aufrüsten per Diktat vor.
Deutschland, als federführender Stichwortgeber in der europäischen Sicherheitsdebatte war maßgeblich daran beteiligt, Begriffe wie die „asymmetrische Kriegsführung“ zu etablieren und in der Folge den europäischen Überwachungsapparat bis an die Zähne aufzurüsten.
Wird die Zivilbevölkerung als potentielle Bedrohung betrachtet, so ist nur folgerichtig, dass alle verdächtig sind und demzufolge bis ins Letzte ausspioniert werden müssen, wie es das neue BKA – Gesetz vorsieht. Dies führt zwangsläufig zu einer immer besser vernetzten Kriegsführung und Überschneidung und Ausweitung von militärischen, polizeilichen und den Befugnissen privater Firmen. In der Folge wird Krieg zunehmend privatisiert, parlamentarischer Einfluss oder Kontrolloptionen verschwinden nahezu vollständig. Dieselbe Diskussion stellt eben auch zur Disposition, ob es nicht angesichts globaler Bedrohungen geboten sei, sich gegebenenfalls über bestehende Gesetze hinwegzusetzen, um vermeintlich höhere Güter zu schützen. Schließlich wurde unlängst laut darüber diskutiert, ob es nicht längst an der Zeit sei, das Folterverbot aufzuweichen und es erscheint beinahe Konsens, dass unter Folter erlangte „Erkenntnisse“ zur Aufklärung heranzuziehen seien.
…und nach innen
Dem Krieg nach Außen haben sich innerhalb des Krieg führenden Staates alle gesellschaftlichen Sphären unterzuordnen. „Sicherheitspolitik“ – ein Euphemismus für die moderne Kriegführung – richtet sich eben gleichermaßen nach Außen und Innen. Zur Durchsetzung und Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung wurden in den letzen Jahren die Mittel der politischen Justiz massiv ausgeweitet: Der Erlass der Sicherheitspakete unter Rot-Grün, die Ausweitung des Terrorismusparagrafen auf im Ausland ansässige Organisationen oder das zukünftige BKA – Gesetz sind nur einige Mittel, die den Handlungsspielraum politisch denkender und handelnder Menschen massiv einschränken.
Umso mehr gilt dies, wenn die Betroffenen nicht über einen deutschen oder EU-Pass verfügen und somit dem neuen Aufenthaltsgesetz unterworfen werden, welches einem Maulkorb-Erlass für MigrantInnen gleichkommt.
Mit der fortschreitenden Beschneidung politischer Handlungsräume geht die inflationäre Ausdehnung des Terrorismus-Begriffs einher, der – wie in der Berichterstattung zu Heiligendamm 07 sichtbar wurde – auf jedwede Formen zivilen Ungehorsams – wie z.B. Straßen- oder Schienenblockaden - anwendbar scheint.
In den Kontext der Kriegsführung nach Innen gehört aber auch die Durchsetzung des sozialen „Friedens“. Das bedeutet u.a. die fortschreitende Abwicklung der Gewerkschaften durch Angriffe auf die Tarifautonomie oder, wie jüngst im Fall der Eisenbahnergewerkschaft, durch dass Verbot von Streiks, und schließlich die ganz grundsätzliche Disziplinierung eines/einer Jeden durch die Zuordnung in die Kategorien von Nützlich und Unnütz. In der Hartz- IV – Gesetzgebung oder nun auch in den meisten Ländergesetzen zum Strafvollzug findet dies im beschönigenden Schlagwort des „Fördern und Fordern“ seinen Ausdruck.
Im öffentlichen Diskurs nimmt die Tatsache, dass sich dieses Land in einem Zustand des permanenten Krieges befindet, jedoch keine zentrale Stellung ein. Der Krieg findet scheinbar woanders, in den „Krisenregionen“ der Peripherie und fernab unserer Metropolenrealität, statt…
Eine Kampagne „Bundeswehr abrüsten“ / “Abrüstung jetzt“
Wir laden daher alle interessierten Gruppen und Einzelpersonen ein, gemeinsam mit uns eine Kampagne auf den Weg zu bringen, die sich zeitlich auch an dem weiteren Prozessverlauf orientieren soll und z.B. in einer großen Demonstration im Sommer des nächsten Jahres ihren Höhepunkt finden könnte.
In Stichworten einige Punkte, die als Bestandteil einer Kampagne diskutiert werden könnten:
- Kleinere, dezentrale Veranstaltungen (Themen könnten u.a. Erfahrungen in allen Ländern (Berichte von AktivistInnen), Militarismus & Patriarchat, Verflechtung militärischer und ziviler Organisationen, Normalisierung des Kriegszustandes/ „humanitäre“ Einsätze der Armee und neuer Nationalismus sein)
- Begleitung durch Aktionsprogramm
- Öffentlichkeitsarbeit
- Kinospot
Die Kampagne soll auch dazu dienen, einen Diskussionsprozess innerhalb der „Szene“ in Gang zu setzen, in dem sich über die unterschiedlichen Vorstellungen und Ansätze einer antimilitaristischen Praxis ausgetauscht werden kann. Hier gab es u.a. den Vorschlag, einen parallel laufenden Diskussionskreis zu initiieren, an dem sich alle Interessierten beteiligen können.
Freiheit für Florian, Oliver, Axel und Andrej! - Freiheit für alle Gefangenen! Sofortige Einstellung aller Verfahren nach §129a, b
- Reaktion: http://delete129a.blogsport.de