§ 129 bedroht die Freiheit von Forschung und Lehre

Brief an die Generalbundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof

Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof
Brauerstraße 30
D-76137 Karlsruhe

An den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof

Wir schreiben Ihnen, um unsere ernsthafte Besorgnis über die Behandlung von Andrej Holm und anderen Beschuldigten auszudrücken, die der Mitgliedschaft oder Unterstützung der so genannten „militanten gruppe“ verdächtigt werden. Diese verstößt gegen die Grundprinzipien von Demokratie und Freiheit.

Planning Action ist eine Gruppe aus Stadtplanern, Architekten und Aktivisten in Toronto, Kanada, die sich zusammen mit Nachbarschaftsinitiativen und Bewohnern unterschiedlichster Herkunft für die Abschaffung von Diskriminierungen und Benachteiligungen ökonomischer, kultureller und ökologischer Art einsetzen. Wir beschäftigen uns mit Themen wie „öffentlicher Raum“, „Gentrifizierung“, „soziale Polarisierung“ und „Exklusion“. Unsere Arbeit umfasst wissenschaftliche, professionelle und quartiersbezogene Initiativen sowie die Kooperation mit sozialen Bewegungen. Unsere Mitglieder setzen sich zusammen aus Vertretern dieser unterschiedlichen Bereiche. Wir sind der Überzeugung, dass sowohl intellektuelles als auch soziales Engagement Voraussetzungen für eine aufgeklärte Bürgerschaft sind. Wissenschaftler sind in Kanada ein wesentlicher Bestandteil von Netzwerken und Initiativen, die sich für gesellschaftliche Reformen stark machen.

Wir sind zutiefst bestürzt angesichts des jüngsten Vorgehens der deutschen Regierung. Die Überwachung und Inhaftierung von Aktivisten und Wissenschaftlern, die sich mit Fragen sozialer Gerechtigkeit in Städten beschäftigen, ist überaus beunruhigend. Ein gesundes demokratisches Gemeinwesen und dessen Regierung sind sowohl auf wissenschaftliche Kritik als auch auf eine Kultur des praktischen Streits angwiesen. Nur die Kombination aus beidem ermöglicht die Arbeit und den Einsatz für einen positiven sozialen Wandel.

Die gegenwärtigen Entwicklungen in Deutschland untergraben demokratische Bürgerrechte sowie die Freiheit intellektuellen Denkens und Handelns. Zudem werden Andersdenkende kriminalisiert. Dabei handelt es sich nicht nur um einen groben Verstoß gegen die Bürgerrechte der jeweiligen Betroffenen, sondern auch um einen Präzedenzfall, der die Rechte und Freiheiten progressiver sozialer Bewegungen weltweit gefährden kann.

Durch die Anwendung von § 129 StGB bedroht die Generalbundesanwaltschaft die Freiheit von Forschung und Lehre ebenso wie jedwede demokratische Praxis. Deshalb fordern wir die umgehende Einstellung aller Verfahren nach § 129a sowie die sofortige Freilassung der Inhaftierten.

Hochachtungsvoll,

Deborah Cowen, University of Toronto
Heather McLean, York University
Ute Lehrer, York University
Sue Bunce
Amy Siciliano, University of Toronto
Vanesse Parlette, University of Toronto
Douglas Young, York University
Paul Jackson, University of Toronto

im Auftrag und im Namen von Planning Action, Toronto
http://planningaction.org
info[at]planningaction.org