Bundesanwaltschaft gefährdet Grundrechte
Presseerklärung aus Anlass der Inhaftierung des Stadtsoziologen Andrej H. mit dem Vorwurf, an einer „terroristischen Vereinigung“ (§ 129 a StGB) beteiligt zu sein
Am 31. Juli 2007 ist der Berliner Stadtsoziologe Andrej H. unter Terrorismusverdacht inhaftiert worden. Andrej H. arbeitet über die zunehmende „Gentrifizierung“, sprich die Abschottung sozial ungleicher Bezirke und den Ausschluss ihrer Bewohnerinnen und Bewohner. Das Thema seiner drei Jahre alten Dissertation lautete: „Machtverhältnisse in der Stadterneuerung der 90er Jahre in Ostberlin“. Soweit die Gründe der Festnahme seinen Anwälten, Mitarbeitenden und der Öffentlichkeit bekannt geworden sind, bleiben sie alle im Spinnennetz bundesanwaltschaftlicher Terrorismus-Spekulation hängen.
Ungleich besser begründet klagen wir die Bundesanwaltschaft an. Sie – wie andere Instanzen des staatlichen Gewaltmonopols – gefährdet die Normalität und Normativität der unmittelbar geltenden Grund- und Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland. Befördert werden sie zusätzlich durch Risiko- und Sicherheitsphantastereien des Bundesinnenministers. Dieser untergräbt damit sein Amt, zuständig für den Schutz des Grundgesetzes, an erster Stelle der Grund- und Menschenrechte Art. 1 bis 19 GG. Für die wahrhaftig unmittelbare Gefährdung grundrechtlicher Freiheiten, hier durch die Bundesanwaltschaft, ist die Inhaftierung von Andrej H. symptomatisch. Das, was sich Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt im ersten halben Jahr 2007 geleistet haben, belegt den systematischen Charakter. Das, was zum angeblichen Schutz des G8-Gipfels geschehen ist, spottet jeder grundrechtlich unverkürzten Praxis. Nicht zuletzt mit Hilfe des in sich fragwürdigen, zusätzlich beliebig gedehnten §129 a StGB werden Einzelne und Gruppen im Sinne einer von der Bundesanwaltschaft und dem BKA praktizierten Verschwörungstheorie terroristischer Umtriebe verdächtigt, Wohnungen werden durchsucht, Bürgerinnen und Bürger festgenommen, und andere Menschenrechte werden bewusst und gewollt verletzt. Zur Einübung des Gehorsams in Deutschland. Das, was im Jahre 2007 rund um besagten Gipfel in Heiligendamm an realen, an belegbaren Gefährdungen für andere Bürgerinnen und Bürger, für eine ohnehin abstrakte „Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ und ihren Staat ding-, sprich personenfest gemacht worden ist, entspricht nicht einmal dem Gummirest eines zerplatzten Spekulationsballons.
Wir klagen an:
Staatliche Behörden und ihre Verdachtsspekulationen gefährden die Sicherheit in der Bundesrepublik. Sie gefährden an erster Stelle die Sicherheit ihrer Bürgerinnen und Bürger. Die antiterroristische Spekulation und darauf gegründete Grundrechtseingriffe von – nicht um ihrer spekulativen Kraft willen nötigen – Behörden sind ein Skandal. Dieser darf niemanden, dem grundrechtliche Freiheiten ernst sind, ruhen lassen. Konsequenterweise sind antiterroristisch ausgewucherte, schon gesetzesförmig fragwürdige Gesetze zu revidieren. Ihnen entsprechende Kompetenzerweiterungen von Behörden sind zurückzustutzen, die zum Schutz, nicht zu beliebig ausgedehnter Risikopropaganda und zum Risikomanagement, vorgesehen sind. Viel Geld kann gespart werden. Mehr Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger kann erzielt werden.
In Sachen Andrej H. ist umgehende Entlassung und öffentlich gemachte Wiedergutmachung angezeigt. Die Bundesanwaltschaft aber bleibt auf der Anklagebank. Mit Hilfe von Spekulationen und verschwörungstheoretisch zusammengenähten Anklagen ist kein grundrechtsbasierter Staat zu machen!
Wolf-Dieter Narr