Protest gegen die Verhaftung des Stadtsoziologen Andrej H.

OFFENER BRIEF an dem Generalbundesanwalt

Am 31. Juli wurde der Berliner Stadtsoziologe Dr. Andrej H., der auch mit Mieterorganisationen im Ruhrgebiet in Fragen der Privatisierung zusammenarbeitet, wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer angeblichen "terroristischen Vereinigung" nach Paragraph 129a verhaftet. Mieterforum Ruhr e.V., der MieterInnenverein Witten u. Umg. e.V., der Mieterverein Dortmund e.V., Habitat Netz e.V. und das International Network for Urban Research and Action INURA Rhein-Ruhr haben gegen die unglaublichen "Begründungen" dieses Haftbefehls protestiert. Weitere Leute haben sich namentlich angeschlosen.

 

An den
Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof
Brauerstraße 30
76135 Karlsruhe
Telefax: (0721) 81 91 59 0
eMail: poststelle@generalbundesanwalt.de
07.08.2007

OFFENER BRIEF: Verhaftung und Beschuldigungen gegen Dr. Andrej H.

Sehr geehrte Damen und Herren,

aus der Presse haben wir erfahren, dass unser Kollege, der Stadtsoziologe Dr. Andrej H., wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer angeblichen "terroristischen Vereinigung" nach Paragraph 129a am 31. Juli in Berlin verhaftet wurde. Gegen weitere Kolleg/innen soll ermittelt werden.

Soweit uns bekannt, gründen sich die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft - neben angeblichen früheren „konspirativen“ Treffen mit anderen Beschuldigten - auf folgende "Indizien":

  • Ein 1998 von Andrej Holm veröffentlichter wissenschaftlicher Artikel zur Gentrifizierung in Ost-Berlin enthalte "Schlagwörter und Phrasen" , "die in Texten der ‘militanten(n) Gruppe (mg)’ gleichfalls verwendet werden". Die Häufigkeit der Übereinstimmung sei "auffallend und nicht durch thematische Überschneidungen erklärlich". Außerdem sei er als promovierter Politologe "intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der ‘militante(n) Gruppe (mg)’ zu verfassen".
  • Dem Angeklagten stünden "Bibliotheken zur Verfügung [ ], die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der militanten Gruppe erforderlichen Recherchen durchzuführen".

Diese Argumentation ist in empörender Weise absurd und spricht allen rechtsstaatlichen Grundsätzen Hohn. Kein/e Wissenschaftler/in ist davor geschützt, dass "militante Gruppen" sich aus seinen/ihren Texten bedienen. Jedem/r Wissenschaftler/in stehen Bibliotheken zur Verfügung, ebenso wie jedem/r Inhaber /in eines Bibliotheksausweises. Wer sich in seiner Stadt diskutierend auch im linken Milieu bewegt, kann im Zweifel immer vorgeworfen werden, dass er/sie dabei auch in Kontakt zu "Militanten" gekommen ist. Potentiell steht damit jede Kommunikation mit "Radikalen" unter dem Generalverdacht des Terrorismus.

Müssen wir befürchten, dass sich nunmehr alle Stadtforscher/innen und Aktivist/innen, die sich konsequent und auf hohem intellektuellen Niveau kritisch zur neoliberalen Stadtentwicklung, Privatisierung und Hartz IV äußern, sich dabei als Teil sozialer Bewegung begreifen und ihre Analysen einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, im potentiellen Visier der Fahnder befinden?

Dr. Andrej H., der an der Humboldt Universität arbeitet, hat immer wieder seine Analysen und Einschätzungen zur Privatisierung von Wohnungen unseren Organisationen zur Verfügung gestellt. Er hat bei Veranstaltungen - zum Beispiel des Mieterforums Ruhr - Vorträge gehalten und mit uns über politische Einschätzungen beraten. Er arbeitet mit uns auch in internationalen Netzwerken (u.a. im International Network of Urban Research and Action - INURA und in einer Arbeitsgruppe des Habitat International Coalition - HIC) zusammen.

Werden auch unsere Veröffentlichungen und Veranstaltungen nun darauf überprüft, ob sie Ausdrucksweisen enthalten, die von "militanten Gruppen" eventuell verwendet werden? Wann dürfen wir mit Haussuchungen rechnen?

Wir müssen diesen Haftbefehl nach jetzigem Kenntnisstand als einen Anschlag auf die Freiheit der Meinung, und der Forschung begreifen. Da wir uns – wie Dr. Andrej H. - in offenen Kommunikationsformen und Netzwerken gegen die Aushöhlung des verfassungsrechtlich verankerten Sozialstaates und die Zerstörung unserer Städte durch Privatisierung wenden, fühlen wir uns durch diesen Übergriff in unseren demokratischen Grundrechten bedroht.

Wir fordern die sofortige Freilassung von Dr. Andrej H.!

für die Initiatoren:

Karsten Albrecht, Peter Dembski, Aichard Hoffmann, Martin Halberstadt, Ralph Klein, Martin Krämer, Helmut Lierhaus, Manuel Lutz, Dr. Sebastian Müller, Sabine Mosler, Rainer Stücker, Knut Unger

für:

Mieterforum Ruhr e.V. - MieterInnenverein Witten u. Umg. e.V.- Mieterverein Dortmund e.V.
Habitat Netz e.V. – AG Habitat im Forum Umwelt und Entwicklung
International Network for Urban Research and Action INURA Rhein-Ruhr
Weitere Mitunterzeichner/innen Unterstützer/innen) (Stand : 12.8.07)
Jürgen Lutz, Mieter helfen Mietern Frankfurt e.V.
Ralf Harth, Mieterbündnis Frankfurt e.V.
Stefan Krug und Jürgen Wolf, Die Linke, Witten
Melanie Kloth, Brüssel
Michael Wenzel, Geschäftsführer Mieterverein Bochum
Katharina Schwabedissen, stellv. Landessprecherin DIE LINKE.NRW
Lasse Wichert, Witten
Elisabeth August, Wuppertal
Markus Kurth, MdB Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Harald Thomé / Tacheles e.V. Wuppertal
Brigitte Karhoff / Bundesvorstand des wohnbund e.V.
Helma Haselberger / Mietshäuser Syndikat, Freiburg
Mag Wompel, LabourNet Germany
Knut Unger, Mieterforum Ruhr