Der Weg von der „Hassbrennerei“ zum organisierten Sozial-Rebellismus

Ein Nachtrag zur Militanzdebatte.

Von: Einige aus der ex-(mg)

Militante GenossInnen haben in ihrer Erklärung zu einem Stein- und Farbflaschenanschlag auf das Wohnhaus des Hamburger Innensenators Ahlhaus (Interim 669, 23. Oktober 2009) dazu ermuntert, eine Debatte über Zielauswahl und Zielpräzision des „Sports“, (hochwertige) PKWs zu flambieren, zu führen: „... darüber wird zu reden sein müssen.“ Wir nehmen diesen Spielball auf, da erstens jene BekennerInnen lediglich, aber immerhin, den Einwurf zu einer solchen Auseinandersetzung getätigt haben, und wir zweitens eine latente Neigung verspüren, zusätzlich einige Gedankengänge und Vorschläge ins Spielgeschehen einzubringen.

Es war auch für uns unvorhergesehen und es ist durchaus ungewöhnlich, dass sich ein Teil des ehemaligen Gruppenzusammenhangs militante gruppe (mg) als „Einige aus der ex- (mg)“ auf diesem Wege nochmals (und wirklich letztmalig!!) in die Runde der Diskussion um Fragen der Militanz und ihrer praktischen Anwendung sowie Umsetzung begibt. Um gleich etwaigen Spekulationen den Wind aus den Segeln zu nehmen: Wir haben uns selbstverständlich bei unserem ehemaligen klandestinen Gruppenzusammenhang rückversichert, dass wir uns ganz im Sinne der Auflösung in die Transformation der (mg), die im schriftlichen Interview in der letzten radikal 161 vom Juli 2009 ausführlich dargelegt wurde, als „ex- (mg)“ titulieren können. Also, wir sind zu dieser Stellungnahme autorisiert.

Wir wagen uns deshalb ins Diskussionsrund, weil wir die Kontroverse um die „Hassbrennerei“ (Modewort der Berliner Boulevardpresse) für einen geeigneten Anknüpfungspunkt halten, um eine Teildiskussion innerhalb der Militanzdebatte aufzugreifen bzw. zu rekonstruieren. Wir sind von verschiedenen GenossInnen angesprochen worden, ob wir die ablehnende Haltung der militanten gruppe (mg) zum z. T. ungezielten und nicht vermittelten bzw. nicht vermittelbaren „automobilen Kokelwettbewerb“ in den Straßen von Berlin und Hamburg (nochmals) konkreter fassen könnten. Das wollen wir mit dem folgenden Text tun.

In guter alter (mg-)Tradition haben wir uns als Grundlage in der Hauptsache zwei Beiträge zur Hand genommen, um einerseits die dortigen Positionen darzulegen und andererseits, um diese mit Textstellen aus (mg-)Papieren in den Vergleich zu bringen. Darüber hinaus wollen wir vor diesem Hintergrund Anregungen einwerfen und weiterführende Überlegungen entwickeln. D.h., wir werden eingangs einige Passagen aus den Grundlagentexten zitieren, damit sie erinnerlich werden bzw. überhaupt erst einmal vorgestellt sind.

Es ist eine penetrant-konstante Unsitte, dass häufig Zitate, falls sich denn die Mühe gemacht wird, diese herauszufiltern, sinnentstellend aufgelistet werden, um in der Regel die eigene Sicht der Dinge besonders gut aussehen zu lassen. Wir haben in der Vergangenheit versucht darauf zu achten, nicht zu derlei inhaltlichen Verzerrungen zu greifen, um durch Weglassungen oder Akzentverschiebungen das eigentlich Formulierte unserer DiskussionskontrahentInnen zu verunstalten. Das brachte uns verschiedentlich den Vorwurf ein, dass wir viel zu detailversessen wären und teilweise Texte zerreden würden. Ein solcher Einwand hätte dann seine Berechtigung, wenn wir nicht von der etwas pädagogisierenden Idee geleitet wären, eine Debatte genau und ausführlich führen zu wollen. Der einfache und doch so schwer zu erfüllende Hintergedanke ist schlicht und ergreifend, in einer Debatte Ergebnisse erzielen zu wollen, die keiner so raschen Halbwertszeit unterliegen und der einen oder anderen Überprüfung standhalten.

In dieser Hinsicht sind wir gerne unverbesserlich; demzufolge wollen wir als Einstieg für die ersten beiden Textabschnitte exemplarisch jene zu Wort kommen lassen, die sich an der reserviert-verwerfenden Position der (mg) gegenüber der sog. Hassbrennerei stören. Als Kontrast dazu führen wir die von der (mg) zu diesem Teilausschnitt der Militanzdebatte geschilderten Punkte auf, die sich damit auseinandersetzen, inwiefern die Abfackelei von „Nobelkarossen“ ein Beitrag zur praktisch umgesetzten Absicht dieser Diskussion sein kann. Die Patenschaft des sog. Nobelkarossentods wird einer seit dem Jahrtausendwechsel nicht mehr existierenden Gruppierung zugeschrieben: Klasse gegen Klasse (KgK).

Im Anschluss daran versuchen wir Aspekte zu Papier zu bringen, die ein Kriterienkatalog sein können, um der Inbrandsetzung von Fahrzeugen mehr politische Linie und damit Ausdruck zu geben. Das Abschlusskapitel wollen wir mit einem Plädoyer für einen „Sozial-Rebellismus“ in der Lesart des „organisierten Bandenkampfes“ von einem gewissen Karl Plättner beenden. Damit hätten wir unserem Beitrag auch noch einige Balken „theoretischen Überbau“ verschafft, der, so hoffen wir, zusätzlichen Diskussionsstoff liefern wird. Wir setzen darauf, dass aus dem eigenständig und kollektiv vertieften sowie verarbeiteten Diskussionsstoff, der unsererseits vorgelegt wird, gut vorbereitete nächtliche Aktivitäten resultieren.

Die Comic-Figuren „Itchy und Scratchy“ als Verfechter der „Hassbrennerei“

Eventuell ist es etwas irritierend, dass wir den alles andere als galanten Begriff „Hassbrennerei“ verwenden, obwohl er doch aus dem Wortschatz von Bullenreportern aus der Berliner Presselandschaft des Boulevards stammt. Wir machen das u.a. deshalb, weil das bereits ein prägnantes Beispiel ist, dass wir im Ringen um die begriffliche Definitionshoheit vollständig unterlegen sind. Alles fackelnde Tun im engeren oder weiteren Sinne des „Wagensports“ ist mit dem Stigma der „Hassbrennerei“ unentwirrbar verknüpft. Eine Möglichkeit der positiven Uminterpretation sehen wir nicht, können wir auch nicht sehen.

Was heißt das als Ausgangssituation für eine Reflexion, die wir hiermit weiter anschieben wollen? Wir haben als revolutionärer Teil der Linken, ob wir‘s wollen oder nicht, eine entscheidende Niederlage im Kampf um die „Deutungsmacht“ der Hirne und Herzen derer eingefahren, die morgens die besagten Drecksblätter aufschlagen. Wer/welche die Schlagzeilenkurzdiskussion darüber an der Werkbank oder auf‘m Amt kennt, dürfte erfahren haben, was wir meinen, argumentativ klar ins Hintertreffen geraten zu sein. (Die eine oder andere klammheimliche Freude wird dadurch getrübt, wenn der nächste „Beifang“ publik wird, d.h., wenn neben dem „Nobelschlitten“ die Karre von Tante Erna drauf geht) Nicht wenige dieser KollegInnen zählen wir zu unserer Klasse. Und genau darum geht’s uns, wenn wir in den Jahren zuvor von der sozialrevolutionären Seite des Kampfes für den Kommunismus geschrieben, gehandelt und organisiert haben. Als AnhängerInnen eines „plebejischen Populismus“ achten wir stark darauf, dass wir nach dem, was wir ermessen können, in unseren Klassenreihen verstanden werden, auch wenn wir täglich erfahren (müssen), wie mächtig der bourgeoise Gedankenmüll vorherrscht, wie schwer es ist, diesen zu entsorgen.
So viel Vorlauf musste sein, um zu dem Text „Antwort auf den mg-Text aus der Interim 657“ überzuleiten, der im September 2007 erschien und von „Itchy und Scratchy“ zu verantworten ist. Bei dem (mg-)Beitrag „Erklärung zur BAW-Razzia und ‚Gewaltdebatte‘ im Rahmen der Anti-G8-Proteste“ handelt es sich um eine mehrere Kapitel umfassende schriftliche Reaktion auf den „BAW-Wasserschlag“ am 9. Mai 2007 im Vorfeld der G8-Tagung in Mecklenburg- Vorpommern und die anschließende Kontroverse um die Frage „revolutionäre vs. staatliche Gewalt“.
„Itchy und Scratchy“ nehmen u.a. daran Anstoß, dass die (mg) ein Lamento vor sich hertragen würde, was die Medienberichterstattung und die u.a. darüber produzierten Meinungsbilder über militante Kampagnenversuche betrifft: „Das Lamentieren der mg über Medienberichte zur Militanten Kampagne, den Inhalt einiger Erklärungen und die ‚Beifänge‘ im Wagensport zeigen, dass sie nicht verstanden haben, wie Meinungsbildung funktioniert.“

Auch wenn diese Zeilen nichts über das tatsächlich Vorgebrachte des kritisch angeschauten (mg-)Papiers aussagen, lassen diese uns vor allem staunend zurück. Einmal davon abgesehen, dass sie, wenn man die in ihnen liegende Aussage ernst nehmen soll, einigermaßen verworren sind. Allem Anschein nach wird davon ausgegangen, dass allein durch eine quantitative Zunahme von Presseberichten eine Meinungsbildung hervorgerufen wird, die eine breite flammende Sympathie gegenüber Teilen der Linken weckt. Eine steile These, fürwahr. Wir haben tatsächlich die Befürchtung, dass so etwas wie eine „Meinungsbildung“ sehr gut funktioniert hat, nur nicht zu unserem Vorteil. Es wird schwer fallen, diese Distanz, die sich zwischen militanter Politik und ihrer Vermittelbarkeit in Bevölkerungskreise hinein durch die mediale Meinungs- und Stimmungsmacherei ergeben hat, wieder zu verringern.
In dem (mg-)Beitrag „Erklärung zur BAWRazzia und ‚Gewaltdebatte‘ im Rahmen der Anti-G8-Proteste“ wird sich recht umfassend mit den potentiell negativen Folgewirkungen bestimmter Aufrufe zu militanten Kampagnen beschäftigt: „Allerdings kursiert in der Berliner ‚Szene‘ seit einigen Monaten ein mit ‚Autonome Gruppen Berlin‘ unterzeichneter Aufruf, einen lang gezogenen ‚Volxsport-Wettbewerb‘ zum G8-Gipfel zwischen sich beteiligenden Städten zu initiieren.
Wir mokieren uns hier nicht oberflächlich an dem im Aufruf fixierten Punktesystem für einzelne klandestine Aktionsformen und dem damit zum Ausdruck gebrachten Werbeslogan ‚Leistung lohnt sich!‘. Vielmehr handelt es sich bei diesem ‚Wettbewerb‘ um ein Beispiel, bei dem die – wir unterstellen – beabsichtigte Kreativität nach dem Motto ‚Widerstand muss Spaß machen‘ kräftig ins Absurde abrutscht. Diesen Aufruf wird man nur noch als entpolitisierte Karikatur einer ‚militanten Kampagne‘ bezeichnen können, dessen Adressat offenbar sowieso aufgrund der Wortwahl und Stilistik die Boulevardmedien zu sein scheinen - dieses ‚Rezept‘ ist dann auch, wenn man sich die Schlagzeilen in den entsprechenden Gazetten anschaut, voll aufgegangen. Aufgegangen, und zwar in Flammen, sind auch gut ein Dutzend ‚Nobelkarossen‘, die sich selbst nach dem, was davon nach dem Löschvorgang übrig blieb, unschwer als Klein- und Mittelklassewagen von Anwohnerlnnen herausstellten, die einfach das Pech hatten, zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort neben dem 60.000 Euro-Audi des Schauspielers Heintze geparkt zu haben. Um diesen ‚Glückstreffer‘ ist es nicht schade, aber die regelmäßigen ‚Beifänge‘, die sich zwangsläufig aus dieser Art von ‚Wagensportliga‘ ergeben müssen, diskreditieren Militanz auf ganzer Linie.

Wir machen nicht die ErfinderInnen dieses ‚Wettbewerbs‘ persönlich für das willkürliche Abfackeln von PKWs verantwortlich, aber wir sehen es als politisch unverantwortlich an, wenn von diesen nicht erklärt wird, dass es für einen verkokelten Schrotthaufen von Tante Erna und Youssuf Aladin keine Punkte gibt. Diese Abfackelei von ‚Nobelkarossen‘ wird seit 2 Wochen medial – und wer/welche wollte sich darüber beschweren – in einen direkten Zusammenhang mit dem ‚Volxsportwettbewerb‘ gebracht. Einen solchen Aufruf aus Jux & Tollerei in Umlauf zu bringen, ohne dazu beizutragen, einzuschreiten, wenn die Dinge aus dem Ruder zu laufen drohen, hat mit einem verantwortlichen Umgang mit Militanz nix zu tun.“
Zu dieser differenzierten (mg-)Stellungnahme fällt „Itchy und Scratschy“ nichts Adäquates an Einwand ein, sie machen nicht einmal Anstalten dazu, sich mit dem inhaltlich Vorgetragenen mit der erforderlichen Genauigkeit auseinanderzusetzen. Der bezeichnendste Zug der „ganzen Kritik“ der beiden Schwadroneure besteht darin, dass sie zu einer Reihe der in dem (mg-)Papier gestellten Fragen und Einstellungen überhaupt keine Notiz nehmen, d.h. nicht in der Lage sind, eine Meinung im Sinne positiver Ansichten zu formulieren. Stattdessen lassen sie sich unvorsichtigerweise zu einer weiteren Aussage verleiten, die den Tatsachen nicht Stand halten kann. Zunächst zitieren wir: „Zur Zielauswahl hat die mg auch nicht viel beigetragen, weder durch Vermittlung von Infos über ‚anschlagsrelevante Objekte‘ noch durch öffentliche Statements etwa zum dramatischen Fahrzeugverlust der Deutschen Bahn und Siemens oder zu technischen Innovationen und Resonanzanschlägen. Ihre Aktionen richten sich fast ausnahmslos gegen Repressionsorgane.“

Die Bandbreite der militanten Interventionen ist in etwa 30 (Brand-)Anschlägen ablesbar. Allein dadurch dürfte eine Zielauswahl gegeben sein, an der man sich gegebenenfalls orientieren kann. In der radikal 158 vom Sommer 2005 und in der radikal 160 vom Winter 2006 sind des weiteren von der (mg) und sympathisierenden GenossInnen eine modifizierte Anleitung von der Marke „Nobelkarossentod“ veröffentlicht und einige Verbesserungsvorschläge bezüglich des Umgangs damit vorgestellt worden. Es ist zudem statistisch nicht haltbar, die (mg-)Aktionen „fast ausnahmslos“ auf das Antirepressionsfeld zu ziehen. Die militant angegangenen Ziele entsprachen der sozialrevolutionär-antiimperialistischen Linie der (mg); dementsprechend finden sich dort staatliche Einrichtungen des Klassenkampfes von oben und internationale Konzerne. In einer (mg-)Anschlagserklärung vom Mai 2007 (Interim 657) lesen wir zudem, in welchem Kontext militante Aktionen gegen Vertretungen bundesdeutscher Repression stehen: „Wir erklären regelmäßig, dass Repressionsorgane ein Zielpunkt revolutionärer Politik im allgemeinen und unserer Interventionen im besonderen sind. Eine Politik, die in einem antagonistischen Verhältnis zur vorherrschenden Wirtschafts- und Eigentumsordnung steht, wird früher oder später mit der Wucht (inkl. des Dilettantismus) der staatlichen Fahndungs- und Verfolgungsmaschinerie konfrontiert werden. Der Kampf für den Kommunismus, für eine herrschaftsfreie und staatenlose Gesellschaft wird neben den sozialrevolutionären und antiimperialistischen Grundlinien immer einen Blick auf die repressionstechnische Gefahrenlage werfen müssen: Unsere militante Intervention als Nachklang zur BAW-Razzia verstehen wir somit als Akt der Prävention, als Gefahrenabwehr und Hinweis (braucht es einen solchen überhaupt noch?!), dass wir nicht widerstandslos auf uns herumtrampeln lassen.“

An einer an der Oberfläche dümpelnden Stilkritik der (mg-)Texte kommen offensichtlich auch unsere beiden Komiker nicht vorbei: „Den Aktionen der mg stimmen wir zu, dem Theorieausstoß weniger. Diese Texte sind vom Stil her für die Infoladen- und Bullenarchive geeignet. Das selbstgefällige Geschwafel in einigen mg-Erklärungen dürfte da kaum ankommen.“ Aber nicht nur der stilistische Einwand wird vorgebracht, sondern die von der (mg) eingeforderte (inhaltliche) Präzision der angewandten Militanz erscheint den beiden ebenso fehl am Platze: „Die uns bekannten Menschen denken beim Steinwurf auf Bullen oder zündeln nicht daran, das ‚für den Kommunismus‘ zu tun. Die politisch motivierten Straftaten werden nun einmal überwiegend nicht von Kadern nach einem Programm begangen, sondern von einem ganz anderen Spektrum. Das von der mg verlangte Niveau an Genauigkeit und Vermittlung kann dabei nur eine untergeordnete Rolle spielen.“
Verwirrend ist hier zunächst einmal das angenommene Nichtverhältnis von Theoriebildung, Praxisausdruck und Organisationsaufbau. Die (mg-)Aktionen waren der unmittelbare „Ausstoß“ von „Theorie“ und die u.a. darüber lancierte Strukturschaffung die Basis, um eine inhaltlich-praktische Kontinuität erzielen zu können. Die Textproduktion der (mg) hatte alles andere als eine archivarische Funktion, denn die einer Praxisanleitung. Wenn es eine Gruppierung der militanten Linken der letzten 10 bis 15 Jahre geben hat, dann war es die (mg), die auf den wechselseitigen Dreiklang von Inhalt-Praxis-Organisierung besonders ausdrücklich setzte. (Da ist z.B. ein Blick in das „Plattform“-Papier der (mg) zu werfen, in dem es um eine Koordinierung militanter Gruppenzusammenhänge geht; siehe Interim 555). Die (mg-)Praxis ist nicht von diesem inhaltlichen Überbau der konkreten Tat und ihren organisatorischen Grundsteinlegungen abtrennbar. Diese miteinander verschränkten Elemente haben ja gerade die „Totalität“ der (mg-)Politik ausgemacht.
Auch wir ziehen es vor, wenn bei einer direkten Tatausführung weniger eine gedankliche Textexegese über teils offene Fragestellungen über den anvisierten Weltkommunismus als eine Konzentration auf den (hoffentlich vorher geprobten) Aktionsablauf stattfindet. Wir halten es selbstredend nicht für hinderlich, wenn die Intention des „Kampfes für den Kommunismus“ bei jedem aktionalen Geschehen mitschwingt, würden dies aber auch nicht als Voraussetzung fixieren wollen.
Einen fundamentaleren Dissens gibt es allerdings bei der laxen Haltung von „Itchy und Scratchy“ gegenüber der Zielgenauigkeit und Vermittelbarkeit von nächtlichen Unternehmungen mit strafrechtlicher Relevanz. Da jede größere Zielferne und mangelnde Unmittelbarkeit von bestimmten militanten Vorhaben auf die gesamte klandestine Szenerie zurückfällt, wird es keine Ausnahme geben können, auf eben jene Zielgenauigkeit und Vermittelbarkeit zu drängen. Ein (Selbst-)Korrektiv bleibt einzufordern, um Fehlentwicklungen insbesondere beim militanten Aktivismus vorzubeugen bzw. zu stoppen. Unklar und unerklärt bleibt, weswegen es lt. „Itchy und Scratchy“ „sinnvoller wäre, die Grundzüge von Organisierung neuen Leuten vorzuschlagen, zu vermitteln.“ Anzunehmen wäre eigentlich, von bereits aktiven GenossInnen zu erwarten, über das, „was geht und was nicht geht“ informiert zu sein und dies als „Grundzüge von Organisierung“ weiterzutragen. Der (selbst-)korrigierende Eingriff ist notfalls von „außen kommend“ zu unternehmen, falls sich bestimmte „alternative Freizeitbeschäftigungen mit Brandwirkung“ verselbständigen und aus dem Ruder zu laufen drohen. Darin sehen wir keine Sheriff-Mentalität walten, sondern eine Übung, um Eigenmächtigkeiten, deren Auswirkungen auf die gesamte klandestin-militante Szenerie ausstrahlen, zu unterbinden.

Wir wollen noch das fragende Fazit von „Itchy und Scratschy“ hinsichtlich der Militanzdebatte kurz erwähnen. Sie resümieren: „Seit 2001 (womit der Beginn der neuerlichen Militanzdebatte zeitlich markiert ist, Anm., Einige aus der ex-(mg)) wurden folgende Fragen nicht geklärt:

* Ist die Massenmilitanz bei Demos endgültig gescheitert oder können wir das neu beleben?
* Was sind die strategischen Perspektiven von klandestinen Aktionen? - Wie werden wir mehr? - Umgang mit Repression?“

Solche und ähnliche Fragen finden sich in Intervallen in Schriftstücken klandestiner Zusammenhänge, und zwar seitdem es Militanzdebatten dieser Art in den entsprechenden Gruppenstrukturen der revolutionären Linken gibt. Es würde den Rahmen ganz schnell zum Bersten bringen, würden wir all die inhaltlichen Elemente und Diskussionsstränge aus der aktuellen Militanzdebatte vortragen, die sich mit diesen von „Itchy und Scratchy“ als ungeklärt bezeichneten Fragen befassen. Es wirft vor allem ein (schlechtes) Licht auf die Fragesteller, dass sie erstens Fragen in den Raum werfen, die bereits x-mal gestellt wurden und sich damit nur in einer Wiederholung ergehen, und dass sie zweitens keine inhaltliche Anstrengung unternehmen, LeserInnen eine Hilfe zu sein, in dem sie sich zumindest auf den Weg machen, einer Beantwortung auf der Grundlage der Diskussionen der Militanzdebatte näher zu kommen.

Wenn man dafür anfällig wäre, könnte man glatt melancholisch werden, wenn man sich allein die eine oder andere Fragestellung anschaut. Selbst diese können bereits in ihrem Gehalt widersinnig sein. Es ist schlechterdings unmöglich, „die strategischen(!) Perspektiven klandestiner Aktionen“ bestimmen zu wollen, da es sich bei klandestin-militanten Praxen nur um – wenn‘ s hoch kommt und gut läuft – taktische Momente handeln kann. Selbst eine zur militanten Politik konzeptionell ausgearbeitete und praktizierte Militanz bewegt sich im Bereich des Taktischen und ist Teil einer strategischen Gesamtlinie, die, um den alten (mg-)Duktus zu bemühen, aus dem komplexen revolutionären Aufbauprozess resultiert. Ein Blick oder auch mehrere Blicke in Textbeiträge aus der Militanzdebatte seit 2001 öffnen bezüglich dieser oder jener Frage bereits ein klein wenig die Augen.
Wenn es nicht gelingt, direkte Anschlüsse und Weiterführungen von vorgenommenen Beantwortungen von Fragestellungen selbst zu versuchen, dann hängt der bspw. von „Itchy und Scratchy“ notierte Frageblock völlig in der Luft. Aber auch zu den Schwierigkeiten eines aufeinander Bezug nehmenden und aufeinander aufbauenden Debattenverlaufs ist bereits Etliches verkündet worden. Die Ungleichzeitigkeit einer Teilnahme an einer Militanzdebatte ist u.a. Ergebnis, dass sich GenossInnen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und zu unterschiedlichen Anlässen einbringen, oder ein verschiedenes Kenntnisniveau vorhanden ist.
Das sind nur einige Faktoren, die es verkomplizieren, kollektiv, kontinuierlich und „ergebnisorientiert“ zu diskutieren. Wir erwarten allerdings von GenossInnen, dass sie sich In-Kenntnis-Setzen bevor sie meinen, dick und fett auftragen zu können. Das sollte
auch im Eigeninteresse liegen, um sich nicht alles an ignoriertem Inhalt vorhalten lassen zu müssen. Zumal diese immer wieder festzustellende Ignoranz faktisch zu einer Blockade und Stagnation eines weiteres Diskussionsverlaufs führt, ja, wie sich zeigt, führen muss. Die Frustration des interessierten Auditoriums für klandestin-militantes Allerlei ist eine logische Folge, wenn eine entsprechende Lektüre nicht einmal einen/eine zu unterhalten versteht.

Damit steht unseres Erachtens der Punkt fest; es reicht schon lange nicht mehr aus, seine Darlegungen zu bereits erörterten Fragen zu militanten Praxen und militanter Politik auf sehr allgemeine Bemerkungen zu beschränken. Wenn dann hinzukommt, nicht einmal ein vages Versprechen zu verkünden, bei einer künftigen Gelegenheit konkreter werden zu wollen, sondern, wie im Falle von „Itchy und Scratchy“, auf „weitere Zutaten“ warten zu wollen, ja dann wird nicht viel an Reaktionen kommen können.
Allerdings ist bekanntlich darauf zu spekulieren, dass wenigstens wir uns mit diesem und ähnlichem „Nicht-Ertrag“ beschäftigen.

Der Abriss Berlins mittels Grillanzünder und Nobelkarossentod

Wir werden uns in den folgenden Zeilen mit einem Text stellenweise befassen, der zu dem von „Itchy und Scratchy“ einige Parallelen ausweist. Dieser ist u.a. als eine Reaktion auf das „Schriftliche Interview zu Fragen der Organisierung des revolutionären Widerstandes“ mit der (mg) aus der radikal 161 verfasst worden. Wir meinen damit den Text „Betrachtungen von linksaussen“, der von einer Gruppe mit dem klangvollen, stadtsaniererischen Namen „Verein für den Abriss Berlins“ in der Interim 697 im September 2009 eine Veröffentlichung fand. Eingangs versucht sich der „Abrissverein von linksaussen“ an einer Bestandsaufnahme nebst Kurzrückblick: „Die Entwicklung massenhafter militanter Tendenzen war in Berlin in den letzten Jahren durchaus positiv. Dieser Text will zu einer Diskussion über Auswertung und strategische Optimierung dieser Tendenzen beitragen. Denn nur wenn Strategie und Logistik mitwachsen ist dieser Trend unsererseits trotz der anhaltenden Kriminalisierungswelle zu halten und ein Wegbrechen, wie beispielsweise Ende der 90er Jahre nach den Repressionsschlägen Kaindl und K.O.M.I.T.E.E., kann vermieden werden.

Zweifellos können die Jahre 1998-2000 als Tiefpunkt militanter Politik bezeichnet werden. Der Stadtteilaktivismus von KgK war, nach teils heftiger Kritik, ohne Abschlusstext zu Ende, die Verwandlung einer Strassenbahn in eine brennende Barrikade im Herbst 1996 war das letzte starke Zeichen gegen Räumungen.“
Einen kleineren oder größeren klandestinmilitanten Aktionsradius bzw. konjunkturell bedingte Auf- und Abschwünge von Nacht- und Nebel-Aktivitäten hat es in den vergangenen eineinhalb bis zwei Jahrzehnten tatsächlich signifikant gegeben, natürlich auch die Jahrzehnte zuvor. Wenn wir uns aber auf den Zeitraum nach dem sog. Mauerfall konzentrieren wollen, so haben die Auflösungserklärungen eines Teils der Revolutionären Zellen (RZ), der RAF und die allgemeine Desillusionierung über den Zusammenbruch des „Ostblocks“ kräftig nachgewirkt.
Zwei Gruppierungen haben auf sehr diametrale Art in den klandestin-militanten Talsohlen Anfang/ Mitte der 90er Jahre agiert: Klasse gegen Klasse (KgK) und die später als antiimperialistische zelle (aiz) firmierende Kleinstkonstellation. Während KgK zum Markenzeichen eines aktivistischen proletarischen Stadteilkampfes wurde, hat sich die aiz anfangs als „nichtkapitulatorisches“ Signal gegenüber den sog. Deeskalationserklärungen der RAF im April und August 1992 verstanden. Beide Gruppen hatten eine kontinuierliche Aktivität an den Tag gelegt bzw. in die Nachtstunden verlegt und zum Teil eine hohe „Schlagfrequenz“ vorweisen können. Die aiz ist nach zwei Festnahmen 1996, nachdem sie sich immer mehr durch die offensive Unterstützung „radikal-islamischer“ Bewegungen vor allem im Nahen und Mittleren Osten in eine Sackgasse manövriert hat, von der Bildfläche verschwunden. Die Spuren von KgK verlieren sich zur Jahrtausendwende als es keine Aktion mehr unter diesem Label gegeben hat. Ohne Wort- und Tatbeitrag ist auch sie von der Bühne abgetreten. Relativ stabil zeigte sich das explizit autonome Milieu, da es sich all die Jahre zu reproduzieren verstand, allerdings auf einem zahlenmäßig niedriger werdenden Niveau. Möglicherweise ist der desaströs verlaufende „Autonomie-Kongress“ in Hamburg vom Oktober dieses Jahres ein Wendepunkt, der den endgültigen Abgesang des radikalisierten Flügels der „Neuen Sozialen Bewegungen“, der sich Anfang der 80er Jahre schlagzeilenträchtig Bahn brechen konnte, eingeläutet. Und möglicherweise bleibt der sich nationalrevolutionär gebärende Verschnitt der Autonomen übrig, der neonazistische Aufmärsche seit einigen Jahren ziert.

Kennzeichnend für die (mg) war, dass sie ein organisatorisches Ergebnis jener Talsohle ist, die Ende der 90er Jahre durchschritten werden musste, um nach Reflexion und Neusortierung einen erneuten Anlauf unternehmen zu können. Die (mg) ist sozusagen eines der wesentlichsten „Produkte“, da in ihrer Konzeption verschiedene Stränge und Ebenen in inhaltlich-theoretischer, praktisch-aktionaler und organisatorisch-struktureller Hinsicht zusammengekommen sind. Ein Wesensmerkmal ihrer Politik war, in jenen Hinsichten präziser agieren zu wollen und für Außenstehende in den Ausdrucksformen nachvollziehbarer zu sein. U.a. hieraus leitet sich die (mg-)Kritik an der (vermassten) Weitergabe des automobilen Fackelstabs ab. Unumwunden ist zuzugeben, dass auch die (mg) nur ein Übergangsprojekt in den Reihen der revolutionären Linken sein konnte. Die Grenzen und Engpässe sind in dem erwähnten schriftlichen Interview ausführlichst präsentiert worden. Dass die (mg), und auch wir als ein ehemaliger Teil dieses Gruppenzusammenhangs, diese neuralgischen Punkte des Gruppendaseins inhaltlich vermitteln und „geordnet“ von der Auflösung in die prozesshafte Transformation treten konnte, unterscheidet sie positiv von anderen klandestinen Gruppen, die dazu offenkundig nicht in der Lage waren.
Gehen wir dazu über, uns die kritischen Einwürfe des „Berliner Abrissvereins“ kurz anzuschauen. Unter der Zwischenüberschrift „Organisierung, Mobilisierung, Auswahlkriterien“ wird die Tonart zunehmend schräger: „Durch die Veröffentlichung von kinderleichten Methoden wurde in Berlin wie anderswo das Verbrennen von Autos erfolgreich vermasst, so erfolgreich, dass es von Medien, Parteien, Staatsanwaltschaft und (mg) gleichsam wütend bekämpft wird. Die (mg) bedauert im elenden Verschnitt ihrer Kommi-Radikal sogar die Anschläge nicht stoppen zu können, weil sie sich in ihrer Kaderrolle überflüssig fühlt.“ Diese „erfolgreiche Vermassung“ des Inbrandsetzens von Fahrzeugen sagt erst einmal nur etwas über die Quantität aus, wenn man will, kann das als „Erfolgskriterium“ herhalten. Allerdings bleiben die (fahrlässigen) Folgen des hell-grellen Feuerscheins dabei im Dunkeln. Wissentlich oder unwissentlich, was es im Ergebnis nicht besser macht, wird dabei weggedrückt, dass jeder „missglückte Anschlag“ tonnenschwer wiegt und quasi durch eine Vielzahl „geglückter Anschläge“ aufgewogen werden muss, damit er einigermaßen „neutralisiert“ werden kann. Die Grenze zur Demagogie ist dann überschritten, wenn die (mg) in einem Atemzug mit den Organen der herrschenden Politik genannt wird. Auch wenn wir diesen Passus als sehr bemühten Versuch werten würden, einfach nur amüsant wirken zu wollen, so ist es einfach nur indiskutabel jene klandestine Gruppierung, die in den letzten Jahren einiges an Repressionsschüben abgefangen hat, in eine Linie mit ihren erbitterten und erklärten FeindInnen aus den Amtsstuben von BAW und BKA zu stellen. Zumal sich anhand der (mg-)Politik dokumentieren lässt, wie eine Übereinstimmung zwischen Wort und Tat insbesondere in einer praktisch gewordenen Antirepressionsarbeit aussehen kann.

In einem weiteren Punkt wird nach der aussichtsreichen Verortung militanter Energien gefragt: „Die Internationale der HassbrennerInnen stellt jedoch eher den Nährboden für künftige Aufstände als die basislose (mg). Und es brennen auch nicht nur Privat-PKW, sondern auch zunehmend Firmenfahrzeuge von Siemens, Deutsche Bahn, Vattenfall oder Bundeswehr/ DHL. Derartige Aktionsformen entsprechen nun mal dem Level, das an Kleingruppenmilitanz hier entstanden ist, zu mehr hat auch die Militanzdebatte nicht geführt.“
Eine verquere Gegenüberstellung enthält diese Passage allemal. Wir wollen keinen Exkurs diverser Aufstandstheorien servieren. Nur soviel: ein „Nährboden für künftige Aufstände“ kann nur bereitet werden, wenn zum einen organisierte Kerne (plural!) der revolutionären Linken existieren, und wenn zum anderen in dem spontaneistisch geprägten Drang einiger weniger AkteurInnen für die Masse der Lohnabhängigen bzw. der auf dem Abstellgleis geparkten Angehörigen der proletarischen/ subproletarischen Klassen ein Potential einer Befreiungsperspektive erkennbar ist. Eine absurde Vorstellung bzw. Unterstellung, ein Gruppenzusammenhang allein könnte den nährstoffreichen Boden für Insurreaktionen bestellen. Das wäre eine grandiose botanische Überforderung! Die (unfreiwillige) Karikatur einer „Internationale der HassbrennerInnen“ wird möglicherweise tatsächlich eine aufständische Bewegung hervorrufen, vor allem eine Gegenreaktion von AnwohnerInnen, die die Sinnstiftung der automobilen Brandstiftung nicht einmal mutmaßen können.

Wir sind die letzten, die es bedauern würden, wenn die Grillanzünder treffsicherer in ausgewählten Radkästen Verwendung finden. Die Zielscheibe von Firmenfahrzeugen ist insofern richtig, als damit Konzernpolitiken thematisiert werden können. Allerdings müssten sie dann auch thematisiert werden, z.B. über die gute alte schriftliche Bekennung, in der ein wenig über das Wieso-Weshalb-Warum hinterlassen wird. Eine nicht ganz unwesentliche Einschränkung ist auch hier zu machen: zum einen muss klar sein, dass keine vermeintlichen Firmenfahrzeuge attackiert werden, die in Wirklichkeit über irgendwelche Knebelverträge das Hab und Gut von Sub-Sub-UnternehmerInnen sind, die lediglich das Konzernlogo spazieren fahren dürfen. Zum anderen ist all jenen AnhängerInnen des Firmen-Wagensports vorzuhalten, dass sie den kapitalistischen Akkumulationsprozess beschleunigen statt ihn zu bremsen. Die meisten Konzerne dürften bereits seit Jahren dazu übergegangen sein, über einen Leasing- Fuhrpark zu verfügen. Es handelt sich also nicht um tatsächliches Firmeneigentum, was in verkohlten Schrott verwandelt wird, sondern um „Verluste“, die als außerordentliche Abschreibung nicht negativ in der Bilanz zu Buche schlagen. Zudem sind die Automobilkonzerne, die für bestimmte Firmen den Fuhrpark stellen, in der Regel vertraglich verpflichtet, schnellstmöglich für fahrbaren Ersatz zu sorgen. Und so wird die Krise des Automobilsektors durch den Einsatz des Grillanzünders oder „Nobelkarossentods“ um einige Punkte im Promillebereich verringert. Etwas komplizierter dürfte die Wiederbeschaffung für Spezialfahrzeuge sein, die nicht von der Stange zu kriegen sind. Hier wäre am ehesten davon auszugehen, dass sich Geschäftseinbußen für Konzerne ergeben, da sie durch den Wegfall von mobilem Equipment, was nicht innerhalb weniger Tage kompensiert werden kann, (kurzzeitig) in die Bredoullie geraten.

Der Fahrtwind, der vom „Abrissverein“ eingeklagt wird, soll merklich rauher werden: „Maßnahmen gegen Polizei und ihre Kooperationspartner sollten als nächster Schritt verstärkt dann stattfinden, wenn diese ihrer Arbeit nachgehen; wenn sie Ladendiebe abholen, Menschen im Park belästigen, Haftbefehle vollstrecken, Fahrkarten kontrollieren (...) Ein sichtbares Zurückdrängen derer, die das brutale Regime dieser Gesellschaft täglich durchprügeln, wird in der Öffentlichkeit auf mehr Zustimmung stossen als ständige symbolische Aktionen nachts.“
Es wird über eine nächste Schrittfolge sinniert, ohne die erste tatsächlich reflektiert und in Teilen abgeschlossen zu haben. Dadurch können sich nur Fehlerquellen und Fallstricke anhäufen, als dass sie durch das übereilte Eintreten in eine neue Phase vermindert werden könnten. Fahrlässig, und eigentlich viel mehr als das: schlicht unverantwortlich! Hier wird eine direkte Konfrontation mit den VollstreckerInnen des staatlichen Gewaltapparats und dessen privatisierten Agenturen als Vorschlag unterbreitet, ohne ermessen zu können, ob das Eskalationsniveau überhaupt (u.a. „repressionstechnisch“) getragen werden kann.
Außerdem bleibt faktisch unerklärt, ob das, was vor dem „nächsten Schritt“ als Standort galt, (unter veränderten Bedingungen und Voraussetzungen) erhalten bleiben soll oder einfach einem kommenden Schritt weichen muss. Das, was einige Zeilen später lediglich nachgeliefert wird, ist eine laue Beschreibung der subjektiven Wahrnehmung der Situation, in der sich klandestin-militante AktivistInnen und Gruppen vermeintlich oder tatsächlich bewegen müssen: „(...) Das Dilemma der Militanten ist nach wie vor ihre Sprachlosigkeit. Zwar erfüllt der directactionblog eine gewisse Funktion, auf die veröffentlichten Erklärungen gibt es aber genauso wenig Reaktionen wie auf Texte in der Interim. Sich verschärfende Repressionen und Diffamierungen durch die Medien verlangen eine genauere Ausrichtung von militanten Aktionen, sonst wird das derzeitige Hoch nicht zu halten sein. Es sollte eine Zwischenbilanz gezogen werden, welche Auswirkungen die Anschläge gegen Gentrification haben, wie Kampagnen weitergehen, wenn die Ziele knapp oder zu riskant werden. Eine strategische Ausrichtung des Freiraumaktionismus muss über das Abfackeln teurer Autos hinauskommen und ist es auch schon, wie die Interventionen gegen Loftbaustellen zeigen.“ Auf wen soll die attestierte „Sprachlosigkeit“ zutreffen? Wer/welche hat es die Jahre zuvor versäumt, sich in den Debattenprozess um Fragestellungen rund um Militanz und die Grundlagen militanter Politik einzubringen? Und so weiter und so fort. Die „Sprachlosigkeit“ ist nicht universell auf das gesamte militante Spektrum zu übertragen, sondern betrifft vor allem den Zweig, der in dem (ominösen) Akt an sich die Vollbringung und letztlich die Vollendung von Militanz sieht. In einem derart reduktionistischen Verständnis von Militanz braucht es keine Erläuterung oder Erklärung, sie genügt sich selbst, ja, nur sich selbst! Von daher sollte die Überraschung nicht als zu groß ausfallen und das Klagelied darüber nur leise angestimmt werden.

Eine „genauere Auswertung“ und eine „Zwischenbilanz“ bleiben solange ungeschrieben und eine bloße Ankündigung, solange diese nur als simple Folie „Wie mach‘ ich weiter, um das Aktionshoch zu halten?“ verstanden wird. Eine einsetzende Reflexion beginnt in der Regel mit einem Innehalten und fällt mit einem temporären Stillstand zusammen, d.h. mit einem sich intensiven Um- und Hinschauen, wozu es ratsam ist, tatsächlich ein- oder mehrere Male Bewegungen einzustellen. Es ist eine schlechte Seite des Aktivismus, wenn er in einen überdrehten Aktionismus umschlägt und vordergründig nur darauf bedacht ist, dem Handeln eine hektisch zusammengeschusterte und damit fragile inhaltliche Basis geben zu wollen. Es ist eine illusorische Vorstellung und Ausdruck eines Praktizismus, dass ein Aktionshoch stets „gehalten werden muss“, um keinen Rückfall zu erleiden. Auszeiten, Ruhepausen und auch Rückzug sind an sich kein Hinweis auf eine „Niederlage“ oder gar auf ein Versagen als politische AkteurInnen, sondern eher ein Zeichen von Reife und Verantwortlichkeit. Damit soll als Ergebnis erzielt werden, nach einer Sammlung neuer Kräfte frisch „ans Werk“ zu gehen.

Eine Reflexion, die einsetzt, kann nur eine Abnahme von Aktivitäten im militant-praktischen Sinne zur unmittelbaren Folge haben. Es ist schwer vorstellbar, dass ein Sich-Zurücknehmen mit dem Standard-Halten von Aktionen parallel laufen kann. Das kann nur als Makel gesehen werden, wenn die Tat, die Aktion zu einem existenzialistischen Phänomen stilisiert wird und über allem steht.
Zum Ende hin läuft der Text, durchaus konsequent, spitz und ultimativ zu: „Aber irgendwann muss die direkte, offene Konfrontation kommen. Für die Organisierung und Vernetzung unter den Kleingruppen (mit unterschiedlichem Erfahrungsschatz) sind Spontanactions wie beim Natotreffen am Rosenthaler Platz oder beim ‚Jeton‘ das Mittel der Wahl. Der erste Schritt dazu kann auch als Training das Angreifen von einzelnen Funkstreifen in grosser Überzahl aus dem Hinterhalt sein. Die Fähigkeit günstige Situationen eskalieren zu lassen, sollte unbedingt angestrebt werden. Die Entwicklungsphasen militanter Erscheinungen sind lang, wie zum Beispiel die erste Kübelaktion gegen das Luxusrestaurant ‚Maxwell‘ in der Oranienstrasse zeigt. Die war im August 87 – die erste Welle gegen Umstrukturierung kam dann erst 1992 richtig in Gang. Jetzt schon für morgen planen.“ Um mit dem Appell anzufangen. Ja, Voraussicht und zwei, drei Schritte weiter und um die Ecke denken ist eine verdammt wichtige Eigenschaft, natürlich. Das, was wir hier allerdings vorgelegt bekommen, ist nicht zur Nachahmung empfohlen. Locker und flockig wird die „offene Konfrontation“ gefordert und eine „Eskalation“ sollte „unbedingt angestrebt werden“. Auch wenn wir davon ausgehen würden, dass es sich hierbei lediglich um einen etwas zu temperamentvollen Sprachgebrauch und eine zu schnelle Schreibe handelt, so stockt uns einigermaßen der Atem - und das soll was heißen. Da der Text des „Abrissvereins“ keine schlüssigen, in sich zusammenhängenden Ausführungen liefert, wie vor dem Hintergrund der in der Realität gemachten und dann niedergeschriebenen Erfahrungswerte organisierter Militanz eine Ausreifung des Konzepts militanter Politik aussehen kann, ist er schlicht und ergreifend unbrauchbar. Statt dessen wird eine Handlungsanleitung offeriert, die, wenn wir uns extremst moderat äußern sollen, kühn ist.

Wir glauben, dass wir jetzt ein Kontrastprogramm brauchen, um in andere Diskussionsgefilde vorzustoßen, die uns ein paar Meter weiter führen können. Wir wollen im folgenden die Textstellen am Stück aus dem „Schriftliche Interview zu Fragen der Organisierung des revolutionären Widerstandes“ mit der (mg), das in der radikal 161 erschienen ist, herausgreifen, die vom „Abrissverein“ ignoriert wurden: „Wir sehen es vor allem als essentiell an, um an unsere „Abschlussworte zur Militanzdebatte“ anzuschließen, aus der Enge der Fragestellung um Militanz herauszukommen, d.h. die Ebene eines „militanten Reformismus“ bzw. „Militantismus“ zu verlassen und eine Debatte um eine klassenspezifisch-proletarische Organisierung und eine daraus resultierende Organisation aufzunehmen. Insbesondere mit dem „militanten Reformismus“ bzw. dem „Militantismus“ bezeichnen wir eine falsche Haltung und verfehlte Handlungsweise, die das Kriterium von Militanz in den argumentativen Fokus setzt, um um diesem herum eine (reformistische) Politik entwickeln zu wollen. Kaum verwunderlich, dass mit dieser „Konzeption“ auch uns die Quadratur des Kreises nicht gelingen konnte.
Was meinen wir genau damit? Wir entlehnen den Begriff des „militanten Reformismus“ dem des „bewaffneten Reformismus“. Dieser Begriff wurde z.B. auf (trikontinentale) Befreiungsorganisationen und -bewegungen angewendet, bei denen der begründete Verdacht bestand, dass sie den bewaffneten Kampf primär deshalb aufrecht erhalten haben, um eine stärkere Verhandlungsposition bei „Friedensgesprächen“ mit offiziellen Regierungsstellen einnehmen zu können. Das Niederlegen der Waffen und die (kontrollierte) Abgabe derselben wurde zur Verhandlungsmasse, um im Gegenzug bspw. politische Gefangene frei zu bekommen, eine Integration der Guerillaeinheiten in das staatliche stehende Heer zu erwirken oder die Zusage für die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung zu erhalten. Wir wollen uns nicht anmaßen, die Taktik des „bewaffneten Reformismus“ pauschal zu verurteilen, mitunter ist es in einigen Ländern faktisch nur möglich, über den bewaffneten Kampf Nahziele zu formulieren und im Erfolgsfalle durchzusetzen. Allerdings steht bei einer derartig vorgenommenen Auslegung des bewaffneten Kampfes kaum mehr eine grundlegende Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Vordergrund; dieser ‚bewaffnete Kampf‘ ist angelegt, ohne größere Anstrengungen durch das Etablishment absorbiert zu werden. Damit erhalten taktische und operative Methoden der bewaffneten Propaganda oder des Guerillakampfes eine Entwertung als Etappen einer revolutionären Politik, die aufs Systemganze zielt.

Gut, und jetzt zur begrifflichen Übertragung: Ein „militanter Reformismus“ steht dafür, dass versucht wird, mit der Drohung oder Ausführung von militanten Aktionsformen Druck auf Dritte, bspw. im Kontext ökonomischer Tagesfragen (z.B. Forderung nach Arbeitsplatzerhalt bei bestreikten Unternehmen, Schikanen auf dem Jobcenter), auszuüben. Militanz verkommt zu einer (zumeist verbalen) Drohkulisse, um Missstände zu bemängeln und Rechte einzufordern. An sich kein Problem, aber wenn wir von „Militanz als eigenständigem Faktor“ sprechen, dann sehen wir dies vor dem Hintergrund, dass wir einen gesamtorganisatorischen Rahmen etablieren müssen, in dem u.a. militante Politik als ein Eckpfeiler von revolutionärem Widerstand verankert ist. Zu sehr ist das „ordinäre“ Militanzverständnis auf eine Praxis reduziert, um etwas einzuklagen, das besser über nichtklandestine Mittel und Methoden zu vermitteln wäre. Falls doch auf militante Aktionsformen zurückgegriffen werden sollte, dann stellt sich vor allem die Frage nach der „Dosierung“ an. Das Ablegen eines Brandsatzes an einem spezifischen Ort oder Objekt ist nicht voraussetzungslos ein Qualitätsmerkmal klandestiner Aktivität. Tja, und der „Militantismus“ ist eine Art der Vollendung des „militanten Reformismus“ und droht faktisch gänzlich zu einem Politikersatz zu werden.

Außerhalb jedes Vermittlungsverhältnisses steht dabei die narzisstische Brandsatzlegerei des „Nobelkarossentods“. Im „Militantismus“ ist zumindest noch eine Restspur von Politik zu entdecken, wenn auch als Ersatzhandlung, aber die allabendliche alternative Freizeitbeschäftigung des automobilen Herumzündelns trägt nur noch zur Diskreditierung von militanten und klandestinen Aktionsformen bei. Über eine gewisse Zeit haben wir diese Form des nächtlichen Streifzuges noch als eine Lektion des zu erlernenden Umgangs mit Brandsatzmitteln für uns als annehmbar zu interpretieren versucht. Das gelingt uns seit geraumer Zeit nicht mehr; die negativen Begleitumstände dieses falschen Feuerzaubers sind für uns zu mächtig (relative Wahllosigkeit der „Objektauswahl“, verkohlte „Beifänge“ von daneben abgestellten PKWs, selbst geöffnetes Einfallstor für eine breite mediale Hetze etc.), als dass wir dieses sinn-lose Tun tolerieren wollen. (Das heißt überhaupt nicht, dass wir uns keine Gedanken zur klassenspezifischen Vertreibungspolitik in (sub-)proletarischen Wohnquartieren machen; Gentrifizierung ist auch für uns als revolutionäre KommunistInnen, da wir uns innerhalb unserer Klasse bewegen, ein zentrales Thema und der Erhalt von erkämpften politischen, sozialen und kulturellen Freiräumen ist u.a. ein Gradmesser für unsere Verteidigungsfähigkeit als revolutionäre Linke insgesamt).

In unseren Ausführungen zur Militanzfrage schwingt eine große Portion Selbstkritik mit, auch die, dass es uns und anderen GenossInnen nicht möglich war, so viel Einfluss geltend zu machen, dass bspw. dieser Abfackelwettbewerb von „Nobelkarossen“ eingestellt wird. Wir haben jahrelang darauf geguckt und darauf hin gearbeitet, dass sich unsere Existenz als (mg) in erster Linie militant ausdrückt. Die Bestimmung unseres „Seins“ lief im Ergebnis überproportional darüber. Hierin sehen wir mehr und mehr einen Hinweis unserer „revolutionären Ungeduld“ und unseres voluntaristischen Habitus‘. Zentral ging es uns um die organisatorische Umhüllung von praktisch geronnener Militanz; klar, alles inhaltlich schön verpackt, aber letztlich stand das planmäßige Abwerfen und halbwegs geschickte Platzieren des Brandsatzes im Mittelpunkt. Zudem haben wir unsere militante „Schlagzahl“ in den letzten Jahren deutlich erhöht; damit ging nicht immer eine höhere Präzision und „bessere“ Qualität der Anschlagsziele einher. Z.T. haben wir uns in einer Art Hamsterlaufrad befunden, militante Aktion folgte auf militante Aktion und dazwischen stets irgendwelche Texteinschübe und Beipackzettel. Eine faktische Schwerpunktsetzung von Militanz, die uns immer fragwürdiger vorkommt, da wir (eigentliche) Kernthemen damit an den Rand drängen. Kernthemen, die die Organisierung und Organisation an und für sich betreffen und weit über den politisch legitimierten Akt der militanten Unternehmung hinausreichen. Aus unserer Sicht reicht auch unsere bisherige Intention, von einer temporären, punktuellen militanten Praxis zu einer umfassenden militanten Politik zu finden, nicht mehr gänzlich aus, um sich aus diesem Fallstrick herauswinden zu können. Wir bleiben so tendenziell in der Eindimensionalität der Militanz gefangen und kommen nicht in die Breite, die wir brauchen, wenn wir von einer organisierten proletarischen Klassenpolitik reden wollen. Ja, und genau das wollen wir nachdrücklich tun.“

Warum hintergeht der „Abrissverein“ die Argumentationslinien der (mg) vollständig, um sich in einer mäßig gelungenen Polemik zu ergehen? Nicht nur, das damit die schöne literarische Form der Polemik, in der im Florett die Klingen gekreuzt werden, diskreditiert wird, auch der Anspruch, in eine Diskussion tatsächlich eintreten zu wollen, wird unglaubwürdig. Anknüpfungspunkte gäbe es hinreichend. Die Frage nach einem „Militantismus“ oder „militanten Reformismus“ ist in dieser Form erstmals nach unserem Wissen im Rahmen der seit 2001 stattfindenden Militanzdebatte gestellt worden. Auch in den Fragmenten vormaliger Debatten um Militanz und militante Praxisformen ist uns eine Problematisierung eines „militanten Reformismus“ bzw. „Militantismus“ nicht in Erinnerung.

Wenn vom „Abrissverein“ mit diesem Text lt. eigener Bekundung dazu beigetragen werden soll, „zu einer Diskussion über Auswertung und strategische Optimierung militanter Tendenzen“ zu kommen, dann ist dieses absichtsvolle Unterfangen auf ganzer Linie gescheitert. So hochmütig die Diktion dieses Textversuchs auch sein mag, er hält nichts von dem, für das er angetreten sein will. Völlige Ignoranz des bislang zu diesem Teilausschnitt der Militanzdebatte Diskutierten und ein post-pubertärer Wortradikalismus quellen stattdessen aus den Zeilen der „Abrissler“ Berlins. Aber die eigentliche Bankrotterklärung befindet sich zwischen den Zeilen: im Subtext wird die Aura versprüht, dass hiermit einer proletarischen Klassenpolitik Kontur gegeben werden soll. Eine Selbstüberschätzung in Vollendung, die nur noch frappiert. Sei‘s drum. Es stimmt, in manchen Fällen ist es günstiger, Texte bleiben ungeschrieben bzw. gut verstaut und auch nur für zufällige Blicke uneinsehbar in der Schublade.

Versuch, Kriterien für Zielort und Zeitpunkt der Brandsatzlegung zu finden

Nach alldem Ausgeführten und Diskutierten wollen wir uns daran machen, einige Kriterien vorzuschlagen, anhand derer der Grillanzünder und/oder Nobelkarossentod zur Anwendung gelangen kann, oder aber bei Nichterfüllung der Vorbedingungen ungezündet bleiben muss. Wir stützen uns dabei auf die Positionierung der (mg), die sie in mehreren Verlautbarungen vermittelt hat. Damit auch dieser inhaltliche Vermittlungsstand zum Kenntnisstand wird, zitieren wir aus den entsprechenden (mg-)Texten die diesbezüglichen Passagen.
Des weiteren wollen wir unseren Blick auf den ehemaligen Gruppenzusammenhang KgK richten, dem das Copyright für den Brandsatz „Nobelkarossentod“ aufgrund der Erstveröffentlichung zugefallen ist.

Wir haben oben erwähnt, dass allein die boulevardeske Definitionshoheit („Hassbrennerei“) bezüglich des beinahe allabendlichen Zündelns zeigt, dass wir stark ins Hintertreffen geraten sind. Der durch eine breite mediale Hetze begleitete Prozessverlauf gegen Alexandra R. belegt trotz des Ausgangs des Verfahrens diese Defensive. Der Freispruch geht schlicht und einfach unter, wenn zuvor monatelang ein Trommelfeuer der Desinformation im Gange war und wenig unternommen wurde bzw. unternommen werden konnte, um dem entgegenzuwirken. Der medial produzierte Eindruck, dass wahllos und unvermittelt Kraftfahrzeuge (mit oder ohne Firmenschild) angesteckt werden, steht. Und genau dem wollen und müssen wir konterkarieren, deshalb der Kriterienkatalog.

Kommen wir zunächst zu den Aspekten, die aus einem (mg-)Text unter dem Titel „Dementi & ein bisschen mehr“ vom Oktober 2006 aus der Interim 638 stammen. Dieser Text nimmt Bezug auf die Spielrunden in der sog. Wagensportliga, die in den Kontext des deutsch-chauvinistischen „Feiertags“ am 3. Oktober 2006 gestellt wurden. Unter der Gruppenbezeichnung „no name chaoten“ wurden Brandsätze „unter nobelkarossen und fahrzeugen der atomindustrie“ abgelegt. Weiter heißt es zur Einschätzung der Debatte um Fragen militanter Politik: „als fazit der militanzdebatte machen wir aktionen zu den wenigen verbliebenen mobilisierungen. castor, hartz4, repressionsorgane und g8 haben als ziele eine gesellschaftliche relevanz. für weitere kampagnen reichen zur zeit unsere kräfte nicht. in der stadtteilarbeit gibt es noch ansatztmöglichkeiten durch viele angriffsflächen.“

Da in einigen Presseveröffentlichungen die (mg) als Urheberin dieser Reihe von Brandanschlägen auf Fahrzeuge vermutet wurde, dementierte dies die Gruppe in einem Schreiben: „Hierzu stellen wir fest:

* Unsere Gruppe hat mit dieser Anschlagsserie vom 3./4. Oktober dieses Jahres nichts zu tun. Wir bekennen uns zu unseren militanten Aktionen. Wenn wir mit diesen Anschlägen über welchen Hebel auch immer in Zusammenhang gebracht werden, handelt es sich um einen plumpen Akt der Desinformation, was unsere Gruppe und unsere Politik des Organisierungsprozesses innerhalb der revolutionären Linken betrifft!
* Das Ziel der Anschläge, d.h. vermeintliche oder tatsächliche ‚Luxuskarossen‘ durch Brandanschläge zu zerstören, war bislang nicht Teil unserer militanten Interventionsformen. Dies ist für uns auch nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen denk- und umsetzbar.
* Das zumeist relativ willkürliche Auswählen von sog. Luxuskarossen hat in den vergangenen Jahren in der Regel immer dazu geführt, dass neben dem ins Visier genommenen Fahrzeug weitere durch die Brandwirkung in Mitleidenschaft gezogen oder gar komplett zerstört wurden. Dieses ungezielte Agieren lehnen wir grundsätzlich ab, wenn nicht garantiert ist, dass durch den Standort der Luxuskarosse ausschließlich (!) diese entzündet wird und sich die Standorte in Quartieren befinden, in denen nicht Angehörige unsere Klasse wohnen (z.B. Regierungsviertel, Wannsee, Frohnau).“

Die (mg) argumentiert an dieser Stelle vor allem in zwei Richtungen. Zum einen betont sie, dass für sie das Flambieren von „Luxuskarossen“ kein geeignetes Einsatzfeld eines Brandsatzes ist, mit der kleinen zeitlichen Einschränkung „bislang nicht“; zum anderen kritisiert sie, dass der Brand des „Ziel-Fahrzeugs“ aufgrund des dichten Danebenstehens der Nachbarfahrzeuge oft nicht auf dieses eine zu begrenzen ist. Das ist der eine Punkt der Zielungenauigkeit, der andere, dass es kaum „Nobelkarossen“- Anschläge gibt, die sich in den großbourgeoisen Wohnvierteln abspielen.
Wir möchten eine weitere Quelle anführen, in der die Positionierung der (mg) zu diesem Thema um einiges umfassender behandelt wird. Hierbei handelt es sich wiederum um ein Dementi. Sie reagiert auf eine Anschlagserklärung eines anderen militanten Gruppenzusammenhangs, der der (mg) unrichtigerweise einen Anschlag auf LKWs einer Umzugsfirma zuschreibt. In dieser Richtigstellung sind einige Orientierungspunkte für den Umgang mit dem „Nobelkarossentod“ festgehalten worden. Dazu heißt es in dem Text „Zur ‚Roggan‘- Anschlagserklärung der autonomen gruppen“ vom Juni 2006 aus der Interim 638: „Ausdruck des sozialrevolutionären Klassenkampfes ist es notwendigerweise, nicht Angehörigen unserer Klasse durch Auswirkungen unserer Aktionen förmlich in den Arsch zu treten. Zynisch wäre es, wenn wir uns damit abfinden würden, dass dort, wo gehobelt wird Späne fallen.
D.h. nicht, dass negative Begleiterscheinungen bei militanten Aktionen immer ausgeschlossen werden können; es gibt Situationen, wo diese eingeplant werden müssen, um bspw. einen Rückzug abzusichern– wir denken dabei an das Verstreuen von Krähenfüßen, in die ja nun Jeder/Jede hineinfahren kann, wenn man dummerweise grade an einem abzusichernden Aktionsort vorbeibraust. Anders verhält es sich, wenn bspw. durch ein Brandausmaß geradezu fahrlässig die unmittelbare Umgebung in Mitleidenschaft gezogen wird. Dies ist dann der Fall, wenn drei oder mehr Firmen LKWs. in Flammen aufgehen, zwischen denen unbeteiligte Fahrzeuge abgestellt sind oder sich in unmittelbarer Nähe befinden. Bei dem Flambieren der „Roggan“-LKWs sollen lt. Medienberichten, die aufgrund einer Denunziationsabsicht falsch oder zumindest übertrieben sein können, 8 Privat- PKWs beschädigt worden sein. Nun liegt die Coppistraße nicht am Wannsee, wo uns das egal wäre, sondern in einem Lichtenberger Wohnquartier, das keine vergleichbare Bevölkerungsstruktur wie im idyllischen Zehlendorf aufweisen dürfte. Wie viel fallende Späne dürfen wir uns erlauben, um uns als Militante nicht selbst zu diskreditieren? Wo wäre eine dosierte militante Intervention nach Abschätzung der möglichen Folgewirkungen angebrachter, als bspw. eine Klitsche nahe an den Ruin zu bringen?

Wir müssen darauf achten, dass wir einer erkennbar stärker werdenden medialen Hetze á la „es kann jeden treffen“ (Berliner Zeitung-Artikel „Mit Feuer und Flamme“, Report-Sendebeitrag) keine oder nicht zu viel Nahrung geben. Und das würde auf uns als revolutionäre Linke insgesamt zurückfallen.
Wir gehen hierauf etwas näher ein, weil wir, um im Jargon zu bleiben, nach unserem Brandanschlag auf einen LlDL-Neubau „gebrannte Kinder“ sind und gelernt haben, mit dem faktisch Unvorstellbaren kalkulieren zu müssen (vgl. Interim 612, 24.2.05). Deshalb hoffen wir auch inständig, dass sich vor dem Anstecken eines LKW‘s, die oft eine Pennkabine haben, versichert wurde, das diese leer war.
Wir sind weit davon entfernt hier den moralischen Zeigefinger in die Luft recken zu wollen, denn bspw. würden wir aus unserer Vergangenheit die Aktion gegen einen Chrysler-Vertragshändler im April 2002 im Nachklang äußerst kritisch sehen. Die damalige inhaltliche Begründung der militanten Intervention teilen wir nach wie vor, allerdings ist der praktische Austragungsort einigermaßen konstruiert gewesen, wenn man einen Vertragshändler, der die abgefackelten Karren im Gegensatz zu einer Firmenniederlassung finanziell selbst zu tragen hat, mit dem Protest gegen einen imperialistischen Krieg in Verbindung bringen will. Wir sehen es als eine wichtige Aufgabe der Militanzdebatte an, die eigene Politik und die des gesamten militanten Spektrums der revolutionären Linken zu reflektieren, um Fragezeichen, die an der einen oder anderen Stelle latent öfter einmal aufkommen, nicht zu ignorieren, sondern im Rahmen einer solidarischen inhaltlichen Auseinandersetzung auszuräumen. Nur so kommen wir unserer Meinung nach dazu, nicht nur das punktuelle brennende Fanal vor Augen zu haben, sondern den Blick über das Einmal-Ereignis hinauszurichten.

Wir halten es für völlig legitim (und wir selbst praktizieren es auch), die vielen „kleinen helfer des systems“ zu benennen und u.U. militant anzugreifen. Wir als Gruppe bzw. das militante Spektrum an sich steht vor den logistischen Grenzen, an die „ganz großen Fische“ und z.T. nicht einmal mehr an den „Mittelbau“ der institutionellen und personellen Stützen dieser kapitalistischen Gesellschaftsformation heranzukommen. Das hat einerseits mit den immanenten Begrenzungen militanter Politik zu tun, andererseits tatsächlich damit, dass bestimmte „anschlagsrelevante Objekte“ oder EntscheidungsträgerInnen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nur mit großem logistischen, organisatorischen und zeitlichen Aufwand angegriffen werden können. Dass das dennoch nach wie vor umsetzbar ist, zeigen die vorbildlichen Beispiele aus Hamburg (Marnette, Straubhaar).“

Aus diesen wiedergegebenen Passagen aus (mg)-Textbeiträgen lassen sich unserer Ansicht nach einige Kriterien destillieren, die einen Rahmen abstecken, in dem sich Brandanschläge, die sich insbesondere gegen Kraftfahrzeuge richten, bewegen sollten.

* Der Wahllosigkeit und faktischen Willkür bei der Auswahl von „Ziel-Fahrzeugen“ ist eine Absage zu erteilen. Wenn eine „Nobelkarosse“ ins Visier genommen wird, dann ist im Vorfeld zu recherchieren, ob es sich bei dem Halter/der Halterin um jemanden/jemande handelt, der/ die z.B. eine luxussanierte Wohnung in einem proletarischen Wohnquartier bezogen hat und damit Teil des Gentrification-Problems ist, alteingesessene MieterInnen zu vertreiben. Ein (vermeintlicher) Bonzen-Habitus von Personen und ihres fahrbaren Untersatzes allein reicht als Rechtfertigung für einen Brandanschlag nicht aus. Es ist penibel darauf zu achten, dass es keine „Beifänge“ gibt. Ist das aufgrund der Lage der „Nobelkarosse“ nicht geboten, dann ist der Vorgang abzubrechen und andernorts zu wiederholen.
* Der Verdrängungsprozess von AltmieterInnen ist in den Innenstadträumen seit Jahren in vollem Gange. D.h., dass die (namentlich) Verantwortlichen dieser Stadtteilpolitik z.T. ebenfalls seit Jahren ausgemacht sind. Es sollte eine Verlagerung der Aktionsfelder stattfinden. Eine Verlagerung, die sich weniger an einem zumeist wahllos bleibenden Abfackelwettbewerb von PKWs abarbeitet, als sich bspw. auf Wohnungsbaugesellschaften, bezirkliche Einrichtungen, „Bauherren“ von Carlofts und ein örtliches Gewerbe fokussiert, dass eine „Wohnumfeldverbesserung“ verlangt.
* Es ist grundsätzlich erforderlich, klandestinmilitante Aktivitäten in einen Erklärungs- und Begründungszusammenhang zu bringen. Das trifft insbesondere auf Themen- und Aktionsfelder zu, die in der öffentlichen Wahrnehmung als „Tummelplatz von Chaoten“ diskreditiert sind. Wenn hinsichtlich der automobilen Anwendung des Grillanzünders und „Nobelkarossentods“ politisch das Ruder herumgerissen werden soll, dann haben sich die VerfechterInnen dieses Agierens selbst anhand der hier skizzierten Kriterien nach außen hin zu vermitteln, was der Sinn & Zweck der Übung über die Nacht hinaus sein kann bzw. in der Perspektive sein soll. Das, was sich bislang von selbst vermittelt, ist die fortgesetzte „Hassbrennerei“ als Selbstzweck, hinter der partiell eine „politische Motivation“ zu stecken scheint. Und genau diese ist mittels Erläuterungen aus den Rauchschwaden zum Aufscheinen zu bringen.
* Eine fortgesetzte bzw. wieder aufzunehmende „Hassbrennerei“ ist aus unserer Sicht nur denkbar und ein gangbarer Weg (natürlich unter Berücksichtigung der bereits genannten Kriterien), wenn eine ausgewertete „militante Untersuchung“ den Schluss nahe legt, dass der vollzogene „Nobelkarossentod“ im (erklärten) Interesse der prekarisierten AnwohnerInnenschaft ist, um bspw. einem bestimmten Wohnareal einen unattraktiven Stempel zu verpassen, so dass dieses von Investorenprojekten, die „Gentrifizierung“ und Verdrängungsfolgen mit sich bringen, verschont bleibt.
* Ein weiteres entscheidendes Kriterien, ob eine spezifische Aktionsform unverändert fortgesetzt, wie auch immer abgewandelt oder zeitweilig bzw. vollständig eingestellt werden soll, ist, inwiefern sich aus dem praktischen Tun (einschließlich der vorherigen und parallelen Diskussion wie Reflexion) organisatorische Strukturen ergeben, die an einem längerfristigen Projekt arbeiten. Demnach meinen wir kein kurzatmiges Aufflackern von temporären Zusammenschlüssen von (sporadisch) Aktiven, sondern die Orientierung, beständige organisatorische Kerne zu bilden, die ausbaufähig sind. Aktivismus, der in Aktionismus umschlägt, befördert in der Regel keine organisatorische Festigkeit von Strukturen, sondern das Gegenteil: Desorganisation, insbesondere dann, wenn die stärker werdende Repression auf die Instabilität von Gruppenzusammenhängen trifft. Die Folge ist, dass mit der nachvollziehbaren Verunsicherung solche fragilen Gruppenzusammenhänge porös werden und in sich zusammenfallen.

Wir wissen, die Formulierung von Kriterien hat immer etwas Klinisches, so, als ob jene am Reißbrett entstanden sind. Uns ist auch klar, dass Kriterien eine gewisse „Elastizität“ haben, z.T. eine Auslegungssache sein können. Dennoch halten wir es für wichtig, solche zu erarbeiten und (fest-)zuschreiben, damit überhaupt erst eine in der Auseinandersetzung gewachsene Verständigung eintreten kann.
Nicht minder ist uns klar, dass es d i e „makellos- saubere“ soziale Revolution nicht geben wird. Selbst die „Vorübungen“ dazu sind mit vielerlei Makel, die z.T. zeitweise diametral zum Ziel einer egalitären und libertären Gesellschaftsform stehen, behaftet. Dieser Fakt kann aber nicht dahingehend instrumentalisiert werden, vorab die fallenden Hobelspäne als notwendiges, unabänderliches Übel einzukalkulieren. Unsere Aufgabenstellung sehen wir dagegen darin, die Anzahl der fallenden Späne zu minimieren.

Vom Kokelwettbewerb zum sozial-rebellischen Plättnerismus

Nach dem wir versucht haben, den kontroversen Diskussionsverlauf bezüglich des Phänomens der massierten Anwendung des Grillanzünders und des Kohlestiftes etwas dokumentaristisch zu rekonstruieren, wollen wir dazu übergehen, einen Ansatz vorzustellen, der uns möglicherweise Raum lässt, um aus der Sackgasse der „Hassbrennerei“ herauszukommen. Wir denken, dass das das ist, was bislang augenscheinlich gefehlt hat.
Wir versuchen dies damit nachholen, dass wir ein konkretes Projekt unterbreiten: Da eine sozialrevolutionäre Orientierung allein aus der automobilen Flammenspur und den verkohlten Wracks kaum zu erkennen sein wird, braucht es unseres Erachtens einen „populistischen“ Bezugspunkt, einen, der von allen aus unserer Klasse dann verstanden werden kann, wenn sie sich in den Motivationen und Handlungen der nächtlichen StreifzüglerInnen (potentiell) wiederfinden können. Wir sprechen hier von einer biografischen Phase des Karl Plättner, der ähnlich wie Max Hoelz, zum Synonym eines nicht stromlinienförmigen kommunistischen Agitators und Praktikers Anfang der 20er Jahre wurde. Plättner bewegt sich immer noch, zu unrecht, im Schatten des um einiges legendäreren Hoelz. Allerdings sind in den vergangenen Jahren ein paar publizistische Anläufe unternommen worden, um Plättners Werdegang nachzuzeichnen.

Hoelz und noch mehr Plättner können als Vertreter eines Sozial-Rebellentums nach der Lesart des britischen Sozialhistorikers Eric Hobsbawm verstanden werden. Auch wenn Hobsbawm in seinen Ausführungen in der Hauptsache von bäuerlichen Sozialrebellen, die durch die ländlichen Weiten umherziehen, spricht, lassen sich einige charakteristische Momente des sozialen Rebellismus auf komplexe städtische Zentren und Ballungsräume übertragen.
Sozialrebellen handeln nicht aus Eigennutz oder Gier und stellen ihre Raubzüge sowie sonstigen Taten der Umverteilung in den Kontext des Klassenkampfes arm gegen reich. Es steht und stand sicherlich nicht ausschließlich Edelmut bei jeder begangenen Tat im Vordergrund, oft ging es darum, die Struktur des organisierten Bandenverbundes zu reproduzieren. Dennoch, die Form eines organisierten Bandenwesens ist ein unmittelbarer Ausdruck eines klassenkämpferischen Verhaltens von sozial Deklassierten gegen die herrschende Ordnung mit samt ihren Konventionen und Restriktionen. Nicht umsonst mussten solche Aktivitäten und Verbände von der Obrigkeit denunziert und als „gemeine Verbrecherkohorten“ gekennzeichnet werden.
Einige Schriften Plättners, obwohl heute de facto nur einem interessierten, teils akademischen, teils linkskommunistisch inspirierten Klientel bekannt, hallen nach. Die Schrift, auf die wir an dieser Stelle speziell unser Augenmerk richten wollen, trägt den bezeichnenden Titel „Der organisierte rote Schrecken! Kommunistische Parade-Armeen oder organisierter Bandenkampf im Bürgerkrieg“.

Hintergrund dieser Agitationsschrift, die eigentlich mehr eine Abrechnungsschrift ist, ist die Niederlage des als „Märzaktion 1921“ geschichtlich eingegangenen proletarischen Aufstands, der stark im damaligen mitteldeutschen Raum konzentriert war. Die Region galt als „rotes Herz“ Mitteldeutschlands, in der die 1917 als linke SPD-Abspaltung gegründete USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) die Mehrheit der proletarischen Massen um sich sammeln konnte. Als zur Jahreswende 1918/1919 die KPD(Spartakusbund) das Licht der proletarischen Welt erblickte, wurde sie zur dominanten Kraft. Aber auch die links- bzw. rätekommunistisch orientierte KAPD, die im Frühjahr 1920 aufgrund ihrer Stellung zum Parlamentarismus und zur Gewerkschaftsfrage aus der KPD hervorgegangen war, hatte eine solide Massenbasis im mitteldeutschen Industriebezirk. Diese Dominanz von Fraktionen der proletarischen Aktion, die links von der SPD und z.T. der KPD standen, rief den reaktionären Verbund der kapitalistischen Spitzen auf den Plan. Die Industriellen und Firmenbesitzer appellierten inständig an die sozialdemokratische Regierung Preußens, diesem Treiben ein Ende zu setzen. Auf die SPD war wiederum Verlass. Der Streik im Mansfelder Kupferbergbau Anfang Februar 1921 hatte das kämpferisch gestimmte Proletariat im Industriebezirk Halle-Merseburg insbesondere in den Leuna-Werken mobilisiert. Im Verlauf der Arbeitskämpfe wurde der Generalstreik ausgerufen, der letztlich durch die „Schutzpolizei“ (Schupo) des preußischen Staates bewaffnet niedergerungen wurde. Eine zentrale Wegmarke von (gescheiterten) Revolten des organisierten Proletariats war damit gesetzt.

Diese Zeit war insgesamt von proletarischen Erschütterungen geprägt: In der Folge der Novemberrevolution von 1918 kam es zu einer Reihe von sozialen Eruptionen und Versuchen revolutionärer Erhebungen in verschiedenen Landstrichen des gefallenen deutschen Kaiserreiches. Die Blütezeit der (im Anfangsstadium stecken gebliebenen) sozialen Revolution zieht sich von dem Januaraufstand 1919 durch die Revolutionären Obleute und die frisch gegründete KPD (Spartakusbund), den Märzkämpfen des gleichen Jahres, der Niederschlagung des reaktionären Kapp-Lüttwitz-Putsches im April 1920 durch einen Generalstreik und die Bildung von Arbeiterwehren, der erwähnten sog. Märzaktion 1921 bis zum fehlgeschlagenen „Deutschen Oktober“ 1923 hin. Der sog. Deutsche Oktober von 1923 markiert den (vorläufigen) Endpunkt der mit dem Sturz des Kaiserreichs im November 1918 begonnenen proletarischen Aufbruchstimmung. Die Aussicht auf revolutionäre Veränderungen und die Errichtung einer sozialistischen Räte-Republik war in weite Ferne gerückt. Dies war keine Entwicklungslinie, die nur auf Deutschland beschränkt gewesen wäre; ganz im Gegenteil, in vielen Teilen Europas kam es im Zuge der siegreichen Oktoberrevolution im russischen Zarenreich zu einem starken Anwachsen von Räte-Bewegungen und von zumeist kurzlebigen Räte-Republiken (wie z.B. in Ungarn). Nach dem Ende des ersten imperialistischen Weltkrieges geriet das aristokratische Dynastiensystem, das Europa beherrschte, kräftig ins Wanken, viele Regime implodierten aufgrund der neuen politischen Gemengelage...

Der Inhalt und die Diktion der besagten Plättner- Schrift sind speziell vor dem Hintergrund der Niederwerfung und des Zusammenfalls der sog. Märzaktion zu berücksichtigen. Innerhalb der KPD entwickelte sich eine fulminante Kontroverse um die Haltung der Partei (-Leitung) während dieses proletarischen Aufruhrs. Der damalige KPD-Vorsitzende Paul Levi bezeichnete diese parteiintern und vermittelt über eine Broschüre als „Putschismus“, den er auf ganzer Linie ablehnen würde. Levi, der u.a. als Rechtsanwalt Rosa Luxemburg vertreten hat, musste den Parteivorsitz abgeben und wurde aus der Partei ausgeschlossen. Er gruppierte eine Schar (rechts-)opportunistischer KommunistInnen um sich, die Kommunistische Arbeitsgemeinschaft (KAG). Diese Gruppierung verstand sich selbst nicht als eine Parteiformation, sondern setzte mit Hilfe agitatorischer Mittel auf eine einheitliche sozialistische Arbeiterpartei. Die KAG fand ihren Platz unter dem Dach der USPD, die nach der Vereinigung des linken Mehrheitsflügels mit der KPD im Herbst 1920 nur noch aus einem „Rest“ bestand, auch wenn dieser personell recht beachtlich war. Diese auch als „Rest-USPD“ bezeichnete Partei schloss sich im Herbst 1922 der SPD an. Levi integrierte sich mit seiner Gruppierung und ihren AnhängerInnen damit ebenfalls in die SPD. Fortan bezog er bis zu seinem Tode 1930 die Stellung auf dem linken Parteiflügel der deutschen Sozialdemokratie. Damit schloss sich der Kreis seiner Biografie. OK, Schluss hier; wir wollen uns nicht weiter in parteigeschichtlichen Exkursionen verlieren und ein studentisches Colloquium abhalten.

Lasst uns zu Plättner und dem, was wir etwas augenzwinkernd „Plättnerismus“ nennen möchten, kommen. Plättners politische Biografie weist einige Stationen auf, die bis zu seiner Inhaftierung Anfang Februar 1922 einen ziemlich geradlinigen (böse Zungen sagen dazu „linkssektiererischen“) Verlauf zeigen. Er ist im besten Sinne des Wortes als kommunistischer Aktivist und Sozial-Rebell zu charakterisieren, als einer, der sein Kommunistisch-Sein nicht als ein bloßes, folgenloses Bekenntnis verstand, sondern auszog, um gezielt in den Kreislauf von Unterdrückung und Ausbeutung einzuschreiten. Ein Typ der Tat, der dabei vorher den Kopf anzustrengen wusste.
Plättner gehört seit seinem Eintritt in die SPDoppositionelle freie sozialistische Jugend während des ersten imperialistischen Weltkriegs zu den Mitbegründern der Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD), die mit der Spartakusgruppe um Liebknecht, Luxemburg und Mehring zur KPD(S) fusionierten und zum Kreis derer, die die KAPD aus der Taufe hoben. Trotz seines parteipolitischen Engagements war er nie jemand, der sich in der administrativen Zettelei eines Parteiapparats verbraucht hätte, sondern eine revolutionäre Partei-Form als dynamisierenden Faktor einer fundamentalen Gesellschaftsveränderung verstanden wissen wollte und sich dementsprechend agitatorisch verhielt. Damit musste er in einen dauerhaften Clinch mit den Wächtern der „Parteidisziplin“ geraten und an innerparteiliche konservative Grenzen stoßen. U.a. davon handelt die Broschüre „Der organisierte rote Schrecken! Kommunistische Parade-Armeen oder organisierter Bandenkampf im Bürgerkrieg“.

Was ist der zentrale Inhalt, was sind die zentralen Fragestellungen dieser Broschüre und warum kramen wir (vermeintlich) Vergilbtes hervor? Ganz einfach: Rebellion steht periodisch auf der Tagesordnung unter kapitalistischen und imperialistischen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen. Plättner personifiziert dieses Rebellische (in einer spezifischen gesellschaftspolitischen Konstellation) in Perfektion, einschließlich aller Idealisierungen und Ikonisierungen des Sozial-Rebellismus. Wenn wir von dem letztgenannten abstrahieren und uns auf die Kernaussagen konzentrieren, dann entkleiden wir zwar die Plättnerische Diktion von ihren begrifflichen Accessoires, aber legen die Elemente sozial-rebellischer Tätigkeit frei, die wir für übertragbar halten.
Plättner stellt zunächst vor allem das Versagen der kommunistischen Parteien, der VKPD (so nannte sich die KPD kurzzeitig, nach dem sie sich mit dem linken Flügel der USPD im Herbst 1920 vereinigte) wie der KAPD während der sog. Märzaktion 1921 fest. Diese Ernüchterung über diese beiden Partei-Papiertiger schildert er drastisch: „Die VKPD schmückt ihre roten Lappen mit dem unvermeidlichen Sowjetstern und trägt ihn bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit voran; darüber hinaus aber mag sie Tinte fabrizieren, um über die künstlich zu errichtende Einheitsfront des Proletariats in der Massenpartei alle Rezepte niederschreiben zu können. Die KAPD organisiert ihre Märchenerzähler und politischen Großväter und fabriziert darüber hinaus Programme, für deren Durchsetzung sie nichts tut, und schließt alle die aus ihren Reihen aus, die den Programmen realen Wert geben und praktisch danach handeln. Sie mag also die Rausschmeißer organisieren.“

Plättner greift hier den praktischen und aktionalen Phlegmatismus der links von der SPD stehenden proletarischen parteipolitischen Formationen an. Insbesondere hat er nur noch Sarkasmus dafür übrig, dass sowohl die KPD als auch die KAPD proletarische Abwehrorganisationen etablieren wollten, diese sich aber faktisch als Placebos herausstellten und am Gängelband von dogmatischen Partei-Patriarchen hingen: „Es geht nicht an, daß die illegalen Kampforganisationen repräsentiert werden von großen Strategen, noch viel weniger aber von doktrinären Marx-Auslegern, die in jeder Phase des Bürgerkriegs erst ihr Gesetzbuch aufklappen und nachschlagen, ob Marx wohl auch diese Methoden verstehen würde, wenn er noch lebte (...).“

Für Plättner waren kämpferische Einheiten keine Ausstellungsstücke für die Galerie, die man hin und wieder vorzeigt und paradieren lässt zu Aufführungszwecken. Wenn die eigens für Kampfhandlungen aufgestellten Verbände nicht für tatsächliche und effektive Interventionen zu gebrauchen waren, so konnten sie auch keinen Zweck haben. Plättner ist da klar akzentuiert: „Es konnte nicht darauf ankommen eine illegale Kampforganisation um der Kampforganisation selbst willen zu bilden, sondern in der Hauptsache kam es darauf an, diese illegalen Kampforganisationen mit illegalen Kampfmethoden vertraut zu machen. Illegale Kampfmethoden drücken sich jedoch nicht aus in der militärischen Strategie allein, sondern illegale Kampfmethoden sind der Ausdruck der ungesetzlichen Handlungen selbst, ungesetzliche Handlungen, zu denen man nicht nur theoretisch auffordert, sondern die man stündlich praktisch ausführt – einmal um die Waffe selbst gebrauchen zu lernen und zum andern, um die bürgerliche Gesellschaft in ihrem Lebensnerv tödlich zu treffen.“
Plättner verabschiedet sich demnach von paramilitärischen Organisationen der proletarischen Aktion, die von den parteipolitischen Extravaganzen von VKPD und KAPD abhängig sind und deren Einsatzfähigkeit und -bereitschaft real nur auf dem Papier existiert: „(...) alle diese illegalen Organisationen wurden durch die Parteien geschaffen, die damit ihre speziellen Parteiinteressen und nicht die Interessen der proletarischen Revolution wahrnahmen. Die illegalen Parteiapparate wurden mechanisch geschaffen, sie lebten zwar, aber ihnen fehlte der Impuls, fehlte das Wollen zum Kampf mit allen Mitteln. In diesen Vereinen waren hinter den Kulissen, fern vom Schußfeld stehende Befehlsgewaltige, die die Puppen kommandierten.“

Vor diesem Hintergrund kommt Plättner zu dem kreativen Wurf, den „organisierten Bandenkampf“ für die Umsetzung einer sozialrevolutionären Linie zu konzipieren, der sich von den (fiktiven) „kommunistischen Paradearmeen“, die nur in den Hirnen einiger Altvordern von VKPD und KAPD herumspuken, unterscheidet. Selbstbewusst schreibt er: „Auf dem Arbeitsgebiet des organisierten Bandenwesens liegt die Kraft und die Voraussetzung für das Gelingen unserer Absicht.“ Er hebt darüber hinaus den beispielgebenden Faktor von klandestinmilitanten und/oder klandestin-bewaffneten Aktionen hervor: „Wir sagen: Unsere Arbeit muß Beispiel sein, das Beispiel muß Schule machen, die Schule muß Begeisterung erwecken.“ Dazu passt, dass Plättner entschieden darauf setzt, von den Angehörigen der eigenen proletarischen Klassen verstanden zu werden, auch wenn sie anfangs nicht alle Aktivitäten in ihrem Gehalt und von ihrer perspektivischen Ausrichtung im Detail nachvollziehen können. Zweifelsfrei ist aber: „Es kommt darauf an, unsere Arbeiten volkstümlich und im Tagesgebrauch verwendbar zu gestalten.“
Zu dieser „Volkstümlichkeit“ gehört ausdrücklich, sich von dem egozentrischen und auf den eigenen Vorteil bedachten Verbrechertum klar abzugrenzen. Zwar stellt er heraus, dass Enteignungsformen ein wesentlicher Bestandteil der reproduktiven Tätigkeit von sozial-rebellischen Verbänden sind, aber gleichzeitig verweist er auch auf die immanenten negativen Erscheinungen: „Das Nächstliegende zur Gestaltung unserer ganzen Organisationsarbeiten sind die Expropriationen; sie sind in jeder Beziehung Voraussetzung für unser Dasein. Nun ist das Enteignen gewiß nichts Neues. ‚Enteignet‘ ist schon immer worden. Es ging gewöhnlich so vor sich: Enteignen – Teilen – Verleben! Dann wiederholte sich das Spiel und wurde zum Schauspiel übelster Art. Eine gewisse Dekadenz kam zum Vorschein, Korruption riß ein, schwache Charaktere wurden schwächer und verlumpten, warfen sich in Putz und Glanz und mimten den Gebildeten, weil sie sich mehrere Klassiker anschaffen konnten.“ Neben den sich zeigenden dekadenten Zügen, besteht die unterschwellige Tendenz, dass sich jene Gruppen nur noch mit einem ideologischen Umhang schmücken: „Sie alle wußten, diese Enteignungsgruppen, warum sie enteigneten. Sie gingen aber an ein Projekt, das mit einigen Schwierigkeiten verbunden war, nicht heran, denn ihre werte Person konnte in Gefahr kommen. So nahm das Enteignen unter kommunistischem, ideellem und politischem Deckmantel die Methode der erbärmlichen Tagedieberei und Straßenräuberei an.“ Den Enteignungsort und die damit verbundene Zielsetzung definiert Plättner unzweideutig: „(...) (wir) können schon gar nicht auf den Gedanken kommen, dort zu enteignen, wo nichts zu enteignen ist; d.h einem kleinen Mädchen die Handtasche fortzunehmen ist ein Akt für ordinäre, ganz gewöhnliche, desorganisierte und degenerierte Straßenräuber (...) Wir gehen an die Quelle der Enteigner – das sind die Banken und die Betriebe, die Quellen all unseres Elends. Dort haben wir Aufräumungsarbeiten zu leisten.“

Plättners Projekt der sozial-rebellischen Verbände entspringt keiner spontaneistischen Eingebung. Er setzt auf einen organisatorischen Vorlauf wie auf die organisatorische Stärkung der einzelnen Kampfeinheiten im Rahmen der eingeleiteten Konfrontationen mit Staat und Kapital. Er schreibt: „Das Ganze aber setzt wieder voraus, eine methodische Vorbereitungslinie zur Gestaltung aller politisch-militärischen Dinge.“ Und an einer anderen Stelle heißt es: „Wir wollen ja damit nur den Weg zeigen und betonen, daß alles in einem Organisationsrahmen stehen muß.“
Dementsprechend hat er in seiner Broschüre einen recht detaillierten Struktur- und Aufgabenplan für die Bildung der proletarischen Kampfeinheiten entworfen. Hinsichtlich des organisatorischen Verständnisses hält er u.a. fest: „Wir selbst sind keine Partei, die Parteigeschäftsinteressen zu wahren hat, sondern wir sind eine Zusammenfassung aller vorhandenen revolutionäre-aktiven Genossen, die in ihrer Zusammensetzung Parteilose, Anhänger der VKPD, KAPD und Allgemeinen Arbeiter- Union sind.“ Auch für das Kernstück des „organisierten Bandenwesens“, den „Aktions-Räten“, favorisiert er, dass sich diese „nach Möglichkeit aus VKPD und KAPD und parteilosen Genossen (zusammensetzen).“ Die Plättnerische Organisation soll keinesfalls als Parteianhängsel funktionieren. Er will vielmehr die bestehenden Parteiformationen VKPD und KAPD strukturell durch eigens entsendete „Beauftragte“ nutzen, die eigene und potentielle Anhängerschaft für das Projekt des „organisierten Bandenkampfes“ zu mobilisieren. Damit die einzelnen lokalen „Aktions-Räte“ koordiniert werden können, unterbreitet Plättner in seinen Ausführungen den Modellvorschlag, einen „Obersten Aktions- Rat“ als „Kopf“ für den „werdenden Kampfapparat“ zu bilden. Das sei dann die Voraussetzung „für die Umstellung des Bandenapparats in einen einheitlichen Führerapparat“.
Und Plättner nennt eine weitere zentrale organisatorische Grundbedingung für die politischmilitärische Tätigkeit: „Unsere Arbeit ist unterirdische Arbeit, ist unter der Erdoberfläche wühlende und vorbereitende Arbeit, die dann an die Öffentlichkeit dringt, wenn sie genügend vorbereitet ist.“ Also, von Spontaneismus keine Spur; das ambitionierte Projekt soll auf Basis der gemachten Erfahrungen der zurückliegenden Periode von Revolten und Aufbrüchen des Proletariats in eine planvolle Unternehmung überführt werden.
Plättner schätzt die Reichweite seines Konzepts verhältnismäßig nüchtern ein. Er sieht es als eine Aufstandsvariante in einer Pluralität von konzeptionellen Entwürfen an: „Wir sind nicht der Meinung, daß unser Weg die proletarische Revolution selbst ausmacht, aber wir sind der Meinung, daß dieser Weg einer der vielen ist, die zur proletarischen Revolution führen.“

Dieser Weg wurde je unterbrochen; die polizeilichen Verfolgungsmaßnahmen liefen gegen die „Plättner-Bande“ im Verlauf des Jahres 1921 auf Hochtouren. Mehr und mehr seiner Mitstreiter wurden aufgespürt und verknackt. Im Zeitraum vom Dezember 1921 bis zum Februar 1922 wurden faktisch alle Aktivisten, einschließlich Plättner, gestellt und inhaftiert. Anfangs sollte die politische Dimension des „plättneristischen“ Revoltierens prozessual unter den Tisch fallen, in dem das Verfahren nicht vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig eröffnet werden sollte, der das juristische Terrain für politische Schauprozesse war. Letztlich kam es zu einem Staatsschutzprozess in Leipzig. Plättner wurde Ende November 1923 zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt, seine mitkämpfenden Genossen erhielten in der Regel mehrjährige Zuchthausstrafen. Plättner kam unter einer SPD-geführten Koalitionsregierung im Zuge des sog. Amnestiegesetzes 1928 vorzeitig aus der Haft.
Eine auf der Hand liegende Gefahr besteht darin, die Positionen Plättners grob fahrlässig zu vereinfachen und damit zu verfälschen. Plättners „Lehre“ des „organisierten Bandenwesens“ könnte sich, falls sie aus jedem zeitgeschichtlichen Kontext heraus gelöst wird, zu einer Rechtfertigungsformel für die „Hassbrennerei“ verkommen. So wie mit anderen „Lehren“ auch, könnte sie zu einem Steinbruch degradiert werden, aus dem man beliebig das herausbricht, was einem/einer gerade einfällt. Wir hoffen aber inständig, mit unseren Darlegungen Vorkehrungen getroffen zu haben, dass dies Plättner posthum nicht widerfährt. Somit kann der sozialrebellische Plättnerismus oder plättneristische Sozialrebellismus nicht dazu herhalten, dass die „Hassbrennerei“ als seine übertragene, zeitgemäße Form erscheint. Allerdings stehen wir vor kaum weniger großen Anschlussproblemen, wenn wir den Sozialrebellismus und Plättnerismus offerieren. Zwei davon sind z.B. in Frageform: Steht der Plättnerische Ansatz des „organisierten Bandenkampfes“ nicht glasklar in der Tradition „revolutionärer Ungeduld“, die die Beurteilung gesellschaftlicher Verhältnisse und die Eingriffsmöglichkeiten in dieselben vorrangig vom eigenen Wollen, Können und letztlich auch Wünschen abhängig macht? Bereiten wir mit unserem möglicherweise etwas skurril anmutenden Vorschlag des „roten Schreckens“ nicht eine Steilvorlage, um ein grandios gescheitertes Projekt als Farce wieder aufleben lassen zu wollen?

Und wir haben ein weiteres Problem nur halbwegs galant umgangen. Wir haben die „historische Gestalt“ Karl Plättner lediglich auf einen biografischen Abriss beschränkt. Unaufgezeigt bleiben bspw. die durchaus gravierenden Schwankungen und Widersprüchlichkeiten in der politischen Lebensgestaltung Plättners nach seiner Inhaftierung. Die Haftzeit setzte Plättner u.a. aufgrund der permanenten Konflikte mit den Anstaltsleitungen stark zu. In seiner autobiografischen Schrift „Der mitteldeutsche Bandenführer“, die 1930 erschien, spiegelt sich dies deutlich wieder. Vom früheren Elan ist kaum mehr etwas geblieben. Weder geht es primär, wie der Buchtitel vermuten lassen würde, um seine aktivistische Zeit Anfang der 20er Jahre, noch finden sich dort politisch-ideologische Auseinandersetzungen. Über viele, viele Seiten referiert Plättner über seine „Bittstellerei“, um Vergünstigungen im Knastalltag zu bekommen. Erich Mühsam sprach in einer Rezension von einer „weinerlichen Selbstbespiegelung“, die Plättner zwischen zwei Buchdeckeln niederschrieb.
Unaufgearbeitet bleibt auch, dass von Plättner mehrere Schriften aus seiner aktivistischen Zeit vorliegen; man müsste den auseinander gehenden Positionen nachspüren, insbesondere was seine Haltung zur KPD betrifft. Nach der Haft zeigt sich Plättner als „geläutert“, der kritisch auf seinen radikalistischen Irrlauf zurückblickt und den Wiedereintritt in die KPD begehrt.

Wie dem auch sei. Das sind alles Vernachlässigungen, die zuweilen schwer wiegen. D.h., dass wir in diesen von uns aufgewärmten und zugleich erweiterten Diskussionsstoff einige Handicaps eingebaut haben, die behoben werden müssten, falls uns etwas daran liegen sollte, den Sozialrebellismus Plättnerischer Prägung ohne heroischen Anklang zu propagieren. Denn dazu gibt es auch keine Veranlassung. Vielmehr ist unsererseits zu hinterfragen, wie wir die durchaus vor uns liegenden Fallen eines als „linkssektiererisch“ und „voluntaristisch“ diffamierten politischen Wirkens und Probierens mit einem rutschfesten Untergrund pflastern können.
Dick zu unterstreichen bleibt: Wenn wir die soziale Revolution auf unsere Fahne schreiben, dann ist damit das Ziel der Befreiung unserer Klasse klar erkennbar markiert. Wenn wir in diesem Zusammenhang u.a. eine Anlehnung an einen „plättneristischen Sozial-Rebellismus“ als eine populäre Kampfvariante suchen, dann haben sich selbstredend die angewandten Aktionsmittel diesem Ziel zu verpflichten. Obligatorisch sind alle Formen der proletarischen Aktion, und nur jene, die unsere sozialrevolutionär- klassenkämpferische Linie stärken, zu verallgemeinern, sprich zu popularisieren.

In diesem Sinne:
Bildet sozial-rebellische Banden!
Dezember 2009

Quelle: home.arcor.de/radi161/texte/exmg.html