"Militanz ohne Organisation ist wie Suppe ohne Salz"
Abschlussworte zur Militanzdebatte von der militanten gruppe (mg)
Redaktionelle Vorbemerkung: Der an dieser Stelle abgedruckte Text der militanten gruppe (mg) wird hiermit erstmals veröffentlicht. Wir danken den GenossInnen für ihre große Geduld, da sie eigentlich eine Zusage von unserem Redaktionskollektiv hatten, dass wir Anfang 2009 diesen Abschlussbeitrag zur Militanzdebatte in der radikal prominent abdrucken werden. Aufgrund technischer Probleme kam es zu dieser bedauerlichen Verschiebung. Trotz der zeitlichen Verzögerung der Veröffentlichung waren die GenossInnen der (mg) damit einverstanden, weiterhin daran festzuhalten, dass die Erstveröffentlichung in der radikal erfolgen sollte.
Wir haben für unseren inhaltlichen Abschlusstext für die versiegende, ach, seien wir gleich zu Anfang ehrlich, für die versiegte Militanz-Debatte nochmals das alte Motto „Militanz ohne Organisation ist wie Suppe ohne Salz“ aus den Spalten der Zeitschrift „Agit 883“ aus dem Archiv geholt. Wir werden uns für den kommenden Kampfabschnitt ein neues Singsang-Motto einfallen lassen müssen bzw. ein Plagiat verwenden; eines, das ähnlich seine Demotauglichkeit beim Skandieren unter Beweis stellen kann. Die Einladung für kreative Vorschläge ist hiermit ausgesprochen... Allerdings geht es uns mit diesen Zeilen, was kaum verwundern sollte, nicht um einen Song-Contest, denn um die Zusammenfassung der zentralen Stränge der Militanzdebatte, die für uns weiter zu ziehen sind.
Einleitung
Wir werden in diesem Text in erster Linie auf die Stellungnahmen und Beiträge eingehen, die sich auf die im Jahr 2001 (wieder)begonnene Militanzdebatte beziehen. Wir konzentrieren uns auf jene Veröffentlichungen, die wir nach der faktisch seit zwei Jahren im Sande verlaufenden Militanzdebatte als zaghafte Wiederbelebungsversuche bzw. mehr oder weniger direkte Anknüpfungen an das bislang inhaltlich Erarbeitete ansehen.
Wir beziehen uns hierbei vor allem auf einen linksradikalen Zusammenhang, der sich mit mehrmaligen Wortmeldungen in die Militanzdebatte eingeklinkt hat: auf den Kreis, der sich freie radikale nennt. Die Schwierigkeit, vor der wir stehen, ist, dass wir aufgrund fehlender aktueller Stellungnahmen dieses Gruppenzusammenhangs nicht wissen, ob dieser überhaupt noch existiert und zu einer potentiellen Reaktion in der Lage ist. Nun kennen wir auch interne Gruppensituationen, die es für einen bestimmten Zeitraum unmöglich machen, nach außen hin mit einer Positionierung in Erscheinung zu treten. Ums genauer zu sagen, wir haben diesbezüglich selbst eine relativ lange Phase ohne hörbaren Originalton hinter uns bringen müssen (vgl. schriftliches Interview in diesem Blatt mit der (mg), Anm. radikal-Redaktion). D.h., wir haben die leise Hoffnung, dass wir erstens (wieder) voneinander Kenntnis nehmen und zweitens einen inhaltlichen Austausch fortsetzen werden, auch wenn Reaktionen, wie die unsrige, manchmal Monate oder gar Jahre brauchen.
Gut, wir werden uns demnach auf Texte eines Personenkreises im wesentlichen fokussieren, d.h. aber nicht, dass wir andere Beiträge, die in den vergangenen anderthalb bis zwei Jahren zu Papier gebracht wurden ignorieren werden. Diese werden zumindest am Rande miteinbezogen, kommentiert und zum besseren Verständnis der diskutierten Positionen zitiert. Wir haben uns damit zu einem kleinen Spagat entschlossen, einerseits alles das an Textmaterial aufzugreifen, dass nach unserer letzten Stellungnahme veröffentlicht wurde, andererseits haben wir eine Kritik von solidarischen GenossInnen aufgenommen, nicht jede kleinste Kleinigkeit irgendwie mit in unsere Beiträge aufzunehmen und damit einer Überfrachtung und Überforderung Vorschub zu leisten. Letztlich sind wir nach der Lektüre zu dem Ergebnis gelangt, dass mit der Schlaglichtsetzung auf die freie radikale-Texte etliche Themenstränge berührt werden, die sich für eine Diskussion unserer Abschlussworte als (mg) eignen. Insbesondere deshalb, weil sich hier ein diametrales Verständnis von der Organisierung revolutionären Widerstandes ablichten lässt. Wir haben immer auf den herausgearbeiteten Kontrast von unterschiedlichen konzeptionellen Ansätzen und Überlegungen gesetzt, um politische Kontroversen aufzeigen und eingehen zu können. Zwischen den freien radikalen und uns lässt sich ein solcher sehr gut ablesen – im Wortsinn.
Apropos: Wenn wir in der Unterzeile von „Abschlussworte zur Militanzdebatte“ reden, so nicht, um zu behaupten, dass sich unser versuchtes Fazit als unumstößliche Leitlinie für uns oder außerhalb unseres Zusammenhangs stehende GenossInnen eignen kann/soll, sondern um die zentralen Positionen zum Komplex Militanz, militante Aktionsformen und militante Politik zusammenzufassen, die ihrerseits nur ein Ausgangspunkt für eine intensive Weiterbeschäftigung sein können. Das meinen wir, wenn wir von einer systematisierten aufeinander aufbauenden inhaltlich-praktischen Organisierung militanter Politik sprechen.
Ein weiteres Handicap soll gleich vorausgeschickt werden. Wir werden nicht dem nachkommen können, was wir in verschiedenen Texten explizit oder implizit gefordert haben: Eine detaillierte Reflexion der Fragmente von Militanzdebatten, die seit der Auflösungsperiode ehemaliger bewaffneter und militanter Gruppenzusammenhänge seit Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrtausends die (Szene-)Öffentlichkeit (in Teilen) bewegte. Wir denken dabei an die äußerst kontroverse Diskussion um die Konzeption der antiimperialistischen zelle (aiz), an die Beendigung des militanten K.O.M.I.T.E.E.-Projektes, an die irgendwann wortlos verschwundene Gruppe Klasse gegen Klasse (KgK) oder aber auch an die Auseinandersetzung um Methoden aus dem Bereich der Kommunikationsguerilla im Kontext des Kappens von Glasfaserkabeln am Frankfurter Abschiebeflughafen..
Unser Fazit, was wiederum besser als Zwischenfazit anzusehen ist, kann demnach nur ein weiteres Etappenziel auf dem Weg zu einer Ausarbeitung militanter Politik sein. Die Unabgeschlossenheit dieses Themenfeldes ergibt sich aus der Sache, um die es geht. Zudem: Die inhaltlich-thematische Enge ist augenscheinlich, wenn es vordergründig um die Bestimmung von Militanz, militanten Aktionsformen und einer sich verdichtenden militanten Politik geht. Wir lösen eine inhaltlich begründete Interventionsform des revolutionären Widerstandes faktisch aus dem Kontext seiner gesellschaftspolitischen Voraussetzungen, Wirkungen und perspektivischen Potentiale heraus. Um eine grundsätzliche Kritik vorwegzunehmen: Die Militanzdebatte ist bereits allein begrifflich auf eine Praxisform verengt und muss unter größten „intellektuellen“ Anstrengungen in einen umfassenderen politischen Rahmen eingefügt werden. Wenn wir in verschiedenen Texten dafür votiert haben, die Diskussion um die Anwendungs- und Umsetzungsmöglichkeiten einer oder mehrerer spezifischer militanter Praxen zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung um eine militante Politik weiterzuentwickeln, so konnte das nur sehr bedingt gelingen. Denn zu mehr als unsere Texte mit einigen wenigen „gesellschaftsanalytischen“ Komponenten anzureichern, hat es nie gereicht. Dieses eklantante Missverhältnis kam zwar in dem einen oder anderen Text zur Sprache, aber eine wirkliche theoretisch-inhaltliche Abhilfe konnten wir bislang nicht leisten und der interessierten Öffentlichkeit vorstellen.
Das Führen einer Militanzdebatte um der Aufrechterhaltung einer Militanzdebatte wegen kann nur in seinen immanenten Begrenzungen gefangen bleiben. Ein Ausbruch kann nur erfolgen, wenn die Grenzen tatsächlich gesprengt werden und der Debattenverlauf in Richtung einer Organisierungsdebatte, wir sagen in eine Organisationsdebatte, überführt wird. Solch eine Aussage allein mit dem diskreditierenden Schlagwortsatz von dem alten sauren Wein in den porösen Schläuchen kontern zu wollen, ist allein deshalb zu simpel, weil sich die Organisierungs-/Organisationsfrage in Permanenz stellt. Der noch so kleinste praktische Ausdruck unserer Politik braucht einen organisierenden Vorlauf. Wir wissen, eine Binsenweisheit, allerdings eine, die der kritischen Überprüfung standhält, so wie manche Bauernregel.
Unser Ziel mit diesem Papier ist, euch einen allerdings nicht zu weitgehenden Eindruck zu vermitteln, in welche Richtung die Reise für uns gehen wird. Welche Weiter- und Umorientierungen wir vorgenommen haben bzw. vornehmen werden müssen, um uns als organisierter Teil des revolutionär-kommunistischen Widerstandes in der BRD eine stabile politische Existenzgrundlage zu verschaffen.
Der frei radikale Fehlwurf einer Neubestimmung von Militanz
Wir wollen, um diesen Abschnitt einzuleiten, die Texte von freie radikale in ihren wesentlichen Inhalten skizzieren und jene Fragestellungen herausstellen, die wir in den anschließenden Unterkapiteln diskutieren möchten. Die frei radikalen Veröffentlichungen wurden in ihrem kurzen Sommer des Jahres 2007 in der Szeneöffentlichkeit platziert. Bislang sind, falls uns nichts durch die Lappen gegangen sein sollte, drei Beiträge in den Interim-Nummern 654, 657 und 661 erschienen. Eine Art publizistische Trilogie in der über zwanzig Jahre bestehenden Szene-Zeitung „Interim“.
Aber der Reihe nach: Der trilogische Auftakttext ‘This is a Love Song’, ein an einer entscheidenden Stelle abgewandelter Titel eines Papiers der Revolutionären Zellen (RZ), hat als Aufhänger die Rückkehr zweier GenossInnen aus dem Exil nach fast 20 Jahren. Beide sollen in den 70er bzw. 80er Jahren in den RZ bzw. in der Roten Zora aktiv gewesen sein. Die freien radikale liefern in ihren ersten paar Zeilen auch eine kurze Selbsteinordnung: „Wir waren Teil militanter, klandestin organisierter Strukturen und autonomer Gruppen. Mit anderen Militanten waren wir in intensiven Diskussionen. Unsere Projekte haben sich zwar über die 20 bis 30 Jahre stets verändert – unsere Kontinuität als militanter Kern ist jedoch unverändert. Mal sind wir stärker präsent – mal weniger.“ Und die Neubestimmungssuche hinsichtlich des Einsatzes revolutionärer Gewalt resultiert daraus, dass „den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen eine tatsächliche emanzipative Militanz in neuer Qualität als Alternative zur Gewalt der Zerstörung“ entgegenzusetzen sei. Zudem sei die „eigene Kolonisierung der Gewaltverhältnisse“ aufzubrechen und es wird darauf verwiesen, dass die „emanzipierte Militanz“ der radikalen Linken zwischen den „polarisierten Gewaltverhältnissen“ des herrschenden Systems und des „Terrors“ fundamentalistisch-islamistischer Gruppen „unsichtbar“ wird. „Alternativen“, die „ausstrahlen“ könnten, haben wir eh nicht, „geschweige denn ein überzeugendes Konzept für eine andere Welt.“
Und die „Alternativen“ der trikontinentalen Befreiungskämpfe, die von der metropolitanen (revolutionären) Linken jahrzehntelang ausgegeben wurden, gelten den freien radikalen (in der Rückschau) als „Heroisierungen patriarchaler, militärischer Strukturen – auch gepaart mit Allmachtsfantasien -, die bei einem Sieg neue Männereliten an die Macht spülten und eine Restrukturierung patriarchaler Herrschaftsmodelle voranbrachten.“
Als positives Gegenbeispiel zur RAF, die in ihrem Signet sogar „eine Waffe im Emblem!“ führten, werden die RZ und die Rote Zora aufgelistet, die viel situationsangemessene „Flexibilität“ mitgebracht hätten und das, so die freien radikale, „zeugt von einer emanzipativen Verfasstheit der Gruppen.“ Der von der RAF initiierte „Front-Prozess“ kommt da weniger schmeichelhaft weg, das dazugehörige Maipapier aus dem Jahr 1982 sei gekennzeichnet durch eine „verquaste Sprache“ und sei „arrogant und kalt“ gehalten.
Hinsichtlich der anvisierten frei radikalen Neubestimmung von Militanz heißt es zum einen, dass „der Propagierung einer militanten Plattform (...) mehr als kritisch“ gegenüber gestanden wird und das „(darauf) mit keinem Wort Bezug genommen“ wurde. Des weiteren ist „die Initiative der mg (...) in politischer und praktischer Hinsicht (...) keine Orientierung“, und außerdem „oft eher ärgerlich.“ Die „immer wieder durchschimmernden kommunistischen, taktischen und ideologischen Vorzeichen“ scheinen auch zu stören. Zum anderen wird eine Art offener Diskussionsrahmen für eine Militanz-Debatte abgesteckt, die „ohne Eile, besonnen und politisch solidarisch“ in der „Interim“ zu führen sei. Eine „Bestandsaufnahme realer gesellschaftlicher Situationen“ müsse am Beginn stehen und auf „Faktenhuberei“ sei zu verzichten. „Courage“ ist ebenfalls mitzubringen, um „militante Optionen neu zu denken und in Handeln umzusetzen oder zu verwerfen.“
Das Thema des zweiten Textes entschlüsselt sich in der Überschrift „Politische Einschätzung zu den Durchsuchungen vor und nach dem G8 im Zusammenhang mit dem Anti-G8 Widerstand aus militanter Perspektive“. Dabei wird sich an einer Beurteilung der BAW-Razzien im Mai 2007 vor Beginn des G8-Gipfels versucht. Eine Ambition sei dabei „die Störung militanter Vorbereitung im Vorfeld des G8“ gewesen, „verbunden mit dem Ziel in mögliche militante Strukturen einbrechen zu können.“
Diese Razzien waren zum einen gegen eine auf den Schreibtischen von BKA und BAW phantasierten „Militanten Kampagne gegen den G8-Gipfel“ gerichtet, ja, und gegen uns. Die freien radikale ziehen dabei eine Parallele von den in den 80er Jahren inkriminierten „anschlagsrelevanten Themen“ (vor allem Gen- und Reproduktionstechnologie und Anti-Rassismus) zu dem Angriff auf (vermeintliche) klandestine militante Netzwerke, um mit Hilfe eines Rasters ganze Polit-Großzusammenhänge kriminalisieren zu können. Der Grund für den staatlichen Verfolgungsaufwand insbesondere im Vorfeld des G8-Gipfels liegt in dem „koordinierten oder unabgesprochenen und doch gemeinsamen Vorgehen“ von Militanten. Die den Gesetzesrahmen brechenden Aktivitäten vor und während des Gipfels kennzeichnen die KollegInnen freie radikale etwas pathetisch als „militanten Vulkan“ und stellen mit Genugtuung fest, dass „ein Land unter völliger Kontrolle anders (aus)sieht.“
Der trilogische Abschluss unter dem Titel „This Is A Love Song Teil III“ hat als Kernstück eine Nachlese zu den Anti-G8-Protesten und stellt in diesem Abschnitt eine inhaltliche Erweiterung/Ergänzung zum zweiten Text dar. Darauf wollen wir an dieser Stelle nicht weiter eingehen.
Interessanter für uns sind hier die Punkte, die sich um die (Wieder-)Initiierung einer Militanzdebatte drehen. Das frei radikale Motiv der Debatteneröffnung wird nochmals klar betont: „Wir möchten demobilisierte, alte militante Strukturen ebenso erreichen wie aktive, organisierte und neue Radikale in den Startlöchern, die neue Antworten auf z.T. auch neue Fragen suchen.“ Als Forum der Debatte schlagen die freien radikale „vorläufig“ die „Interim“ vor. Dabei rufen sie dazu auf, die (finanzielle und strukturelle) Basis jener Publikation zu stärken und wollen Texte, die für uns bspw. inhaltlich wichtig sind (wir kommen weiter unten darauf zurück) verbannt sehen. Als eigentliche Neuerung insbesondere zum ersten Text ist der Aufruf für „eine militante Kampagne gegen Bundeswehreinrichtungen, Zuliefererbetriebe, Denkfabriken, gegen Verantwortliche in Politik, Militär und Wirtschaft“ zu sehen. Die Aktionen seien so durchzuführen, dass „Menschenleben“ nicht gefährdet sind.
Nach der Skizze der von den freien radikalen behandelten bzw. berücksichtigten Inhalten wollen wir uns mit drei Aspekten folgend näher beschäftigen: erstens gehen wir der Frage nach, warum der ungezählte neue Neubestimmungsversuch von Militanz faktisch ohne Resonanz bleiben musste. Zweitens möchten wir den zweiten Teil der immer zum Abschluss prominent gesetzten Parole „Für eine Neubestimmung militanter Praxis jenseits militaristischer Organisationsmodelle!“ auf den Zahn fühlen. Drittens werden wir auf den extrem oberflächlichen Streifzug der freien radikale eingehen, der sich mit uns beschäftigt, aber eigentlich überhaupt nicht mit uns beschäftigen will oder doch, wir werden sehen...
Ein weiterer erfolgloser Versuch, eine Militanz-Debatte zu initiieren
Man sollte ein Unterkapitel nicht gleich ketzerisch einleiten, aber haben wir nicht bereits ausreichend den Projektstart einer Neubestimmung einer Militanzdebatte vermeldet bekommen, ohne das je einer dieser Bestimmungsversuche irgendwie in sich inhaltlich, praktisch und organisatorisch manifestiert worden wäre. OK, man kann es sich einfach machen und die Behauptung aufstellen, dass alles vormals als Neubestimmung Deklarierte ohne Wert und deshalb null und nichtig ist. Vorsicht: Wir meinen, dass das ein fahrlässiger Gedankengang wäre, da man ein dünnes „argumentatives“ Glatteis betreten würde. Einbruchgefahr, ganz klar!
Gelinde gesagt, löst es bei uns nur noch ein starkes Irritiert-Sein aus (dabei müssen wir auf uns achten, nicht in einen Zynismus zu verfallen), wenn GenossInnen, die mit einem gehobenen politischen Anspruch in die Textproduktion einsteigen, die inhaltlich entwickelten und ausgeführten Kontroversen der Militanz-Debatte seit 2001 geflissentlich ignorieren und dann noch die Chuzpe besitzen, diese undiskutiert abzuqualifizieren: „Die Diskussionen um Militanz, die zwar aktuell in diesem Blatt (der „Interim“, Anm. mg) ab und an aufflammen, knüpfen unseres Erachtens nach nicht einmal annähernd an die Tiefe vergangener Auseinandersetzungen an und beanspruchen dies auch nicht wirklich.“ Eine arrogantere Pose ist kaum zu Papier zu bringen, vor allem, wenn völlig mühelos die entsprechenden Belegstellen wegbleiben.
Im Rahmen der Militanzdebatte, die wir immer noch der Unterscheidung wegen zu früheren Diskussionsanläufen als aktuelle bezeichnen wollen, sind mehrere Initiativen unternommen worden, die ihresgleichen suchen. Es gab eine Interim-Schwerpunktausgabe (Nr. 600) in der Frühphase der Debatte, eine separate Broschüre, die die Beiträge der Militanzdebatte aus den Jahren 2001 bis 2004 komplett veröffentlichte, die Ausgaben der „radikal“ aus der sog. Schwarzen Reihe waren z.T. stark durch Militanzdebattenbeiträge geprägt, und es wurden nahezu alle (mg)-Texte (einschließlich vieler Bezugstexte) als ‘dokumentationX’ ins Netz gestellt. Im Gegensatz dazu hatten bspw. die Broschüren zur K.O.M.I.T.E.E.-Selbstauflösung oder zu den Anschlägen auf Glasfaserkabel im Rhein-Main-Gebiet eher einen thematisch abschließenden Charakter, auch wenn die Intention sicherlich eine andere war. Quantitativ und – wie wir meinen – qualitativ braucht diese spezifische Militanzdebatte nicht unter Verschluss gehalten zu werden, zumal sie seit Anfang/Mitte der 90er Jahre die einzige war/ist, in der die ProtagonistInnen zumindest versucht waren, Anschlüsse und Bezugspunkte zu vorherigen Diskussionsrunden zu entwickeln.
Und nicht zuletzt ist das frei radikale publizistische Strohfeuer ein Paradebeispiel dafür, dass die gruppenspezifische Strukturlosigkeit, man vergleiche dazu die von uns in der Einleitung wiedergegebene Selbstcharakterisierung, keine Debattenkontinuität zulassen kann. Eine Kontinuität in Theorie, Praxis und Organisierung - als kollektiver Prozess gedacht und umgesetzt - ist aufgrund der Anlage eines solchen amorphen Projektes schlichtweg unmöglich. Selbst formulierte Ansprüche müssen sich in Nichts auflösen. So auch hier, ein weiteres Mal. Wir ersparen uns und euch an dieser Stelle eine Auflistung über die folgenlosen bis folgenarmen Wiederbelebungsversuche von Militanzdebatten, es wäre eine ziemlich ernüchternde Bilanz, vor allem für die AusruferInnen.
Wenn wir nach Diskussionsansätzen Ausschau halten, die von freie radikale in die Runde für eine Reaktivierung einer Militanzdebatte geworfen werden, fällt in erster Linie der beinahe heroische Überschwang der Darstellung in Bezug auf die Politik der Revolutionären Zellen und der Roten Zora auf. Auch wir gehören zu den Vorletzten, die den militanten und bewaffneten Projekten aus der revolutionären Linken die Unterstützung verweigern. Eine Verteidigung der ideologischen und organisatorischen Hintergründe unserer Geschichte war im Rahmen der Wiederaneignung der Widerstandsgeschichte der revolutionären Linken stets unser Thema. Da diese Prämisse unserer Politik unweigerlich zur Reflexion führt, gehen wir mit Beifallsbekundungen aber sehr reserviert um. Einige Punkte wollen wir kurz problematisieren, da sich für uns eine (derart positive) Bezugnahme auf die RZ/Zora im Zusammenhang mit der Militanzdebatte nicht so einfach erschließen mag. Die freien radikale schreiben zur Zora erst einmal folgendes, dass wir teilen: „Eine eigenständige bewaffnete, militante, feministische Frauenorganisation sucht man in der Regel in der patriarchalen Geschichte der männerdominierten Linken vergeblich.“ Wir lassen den widerstandsgeschichtlichen Aspekt der autonomen Frauenorganisierung zu anderen Dekaden und in anderen Ländern eben unberücksichtigt und sagen, dass es, wenn sich ein Teil von Genossinnen in einem autonomen Raum organisiert, weil die vormalige Gruppenstruktur ihnen nicht die erforderliche Artikulation gibt, eine Voraussetzung für ein „Zusammen Kämpfen“ ist. Aus dem (partiellen) Getrennt-Sein kann ein verstärktes projektbezogenes Gemeinsames erwachsen, wenn der jeweilige Autonomiegrad in der Aktion respektiert ist.
Eine der Hymnen auf die Zoras klinkt so: „Die Rote Zora (...) war ihrer Zeit ebenfalls weit voraus. Ihr Internationalismus – am Beispiel Adler – ist von heute aus betrachtet nichts anderes als eine auf den Punkt gebrachte militante Antiglobalisierungsaktion.“ In der Hochphase der militanten Kampagne gegen die Bekleidungsfirma Adler in den Jahren 1987/88 waren die Stellungnahmen durchaus etwas differenzierter, vor allem auch, was die Zora-typische Aktionsform des Legens von Brandsätzen betrifft. Hintergrund der stark militant geprägten Kampagne war ein Streik von südkoreanischen Arbeiterinnen gegen kapitalistische und sexistische Ausbeutung in den Adler-Produktionsstätten. Die Anschlagsserie auf Adler-Filialen in der BRD und Westberlin von der Roten Zora und von der Gruppierung „Die Amazonen“ hatte (möglicherweise) einen Einfluss auf das Einlenken (u.a. Lohnerhöhungen für die Arbeiterinnen) der Konzernleitung – zur Überraschung und Irritation vieler MitstreiterInnen. In dem Interim-Vorläufer „Unzertrennlich. Autonomes Blatt“ (Nr. 7, Dez./Jan. 87/88) wird sich unter dem Titel „schaden oder nutzen? antwort auf die kritik an den anschlägen gegen adler“ mit der Motivlage dieses (taktischen) Kompromisses des Konzerns vor dem Hintergrund des „Ökonomischen Sachzusammenhangs“ befasst: „Im Ergebnis stehen wir der Aussage skeptisch gegenüber, daß es nur die hiesigen Anschläge gewesen sein sollen, die Adler zum Rückzug bewegt haben. Wir nehmen eher an, daß langfristig Produktionsverlagerungen geplant sind (...) Außerdem ist von etlichen Konzernen in Südkorea im Sommer den hartnäckigen Kämpfen oft nachgegeben worden, weil eine Lohnerhöhung weniger Profiteinbuße bedeutet als völliger Produktionsausfall.“ Des weiteren heißt es in dem Artikel: „Über die feurigen Grüße der ‘Roten Zora’ an die Frauen von Iri (der Produktionsstätte in Südkorea, Anm. mg) haben wir uns gefreut. Unbenommen davon bleibt, daß uns ein erfolgreicher Boykott mehr gefreut hätte.“
Ein frei radikales Zitat, was wir in der Einleitung nur im Auszug vorgebracht haben, wollen wir an dieser Stelle im Zusammenhang anführen: „Als politische Auseinandersetzung innerhalb und außerhalb der RZ entstand als eigenständige Organisierung die Rote Zora. Hochachtung vor so viel Flexibilität einer selbstorganisierten militanten Struktur – denn diese Veränderungen und Beweglichkeit, die den Organisierten im Alltag vielleicht so nicht bewusst war, zeugt von einer emanzipativen Verfasstheit der Gruppen.“ Wir kriegen den bitteren Beigeschmack nicht weg, dass zu einer derart hochgelobten inneren Gruppenstruktur auch gehören muss, einen „geordneten Rückzug“ anzutreten, wenn man als Zusammenhang an unüberwindliche Grenzen gestoßen ist und das Projekt für beendet hält. Von den Zoras ist nach ihrem letzten bekannt gewordenen Anschlag auf die Lürssen-Werke in Bremen 1995 nichts mehr inhaltlich verbreitet, vor allem nicht die offenbare Auflösung erklärt bzw. vermittelt worden. Wenn eines der exponiertesten klandestinen Projekte der BRD, sprich die Rote Zora, so sang- und klanglos ausläuft, ist das ein aus unserer Sicht zu hoher Grad an „Flexibilität einer selbstorganisierten militanten Struktur“.
Insgesamt halten wir ein derartiges, wenig reflektiertes Einbringen der RZ- und Zora-Politik in die Militanzdebatte für unzureichend. Die interne Zerrissenheit dieses Projektes/dieser Projekte, die Anfang der 90er Jahre relativ breit diskutiert wurde, bleibt völlig unerwähnt. Dazu gehört nicht nur der Konflikt zwischen einer antiimperialistischen und einer sozialrevolutionären Bruchstelle, die Verirrung eines Teils des Gruppenzusammenhangs in die Arme des narzisstischen „Berufsrevolutionärs in der leninistischen Tradition“, Ilich Ramirez Sanchez (alias „Carlos“), bzw. in die ominöse „Organisation Internationaler Revolutionäre“ (OIR), sondern auch ein kritischerer Zugang zur vermeintlich „emanzipativen Verfasstheit“ der Binnenstruktur.
Vor diesem Hintergrund die RAF bzw. zuvorderst den „Frontprozess“ Mitte der 80er Jahre als besonders verwerflich erscheinen zu lassen, grenzt schon an (bewusster) Klitterung der Widerstandsgeschichte der revolutionären Linken. Das den Anstoß zum „Frontprozess“ gebende „Mai-Papier“ von 1982 (eigentlicher Titel „Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front“) ist eines der wenigen kollektiven Diskussionsprodukte der klandestinen, militanten und illegalen revolutionären Linken der BRD. Es markiert nach dem „Herbst ‘77“ eine inhaltlich-praktische Offensive in den Jahren 1985/1986, die danach unerreicht blieb. Zentral an diesem Front-Konzept ist zweierlei: zum einen dokumentiert es, aus der Karambolage mit dem repressiven Staatsapparat um ‘77 nicht desillusioniert und geschlagen hervorgegangen zu sein, und zum anderen die erweiterte Perspektive von Widerstandspotentialen: „Wenn man so will, unterscheidet sich unsere Aktionslinie bis ‘77 von der jetzt darin, daß es bis ‘77 immer auf das ankam, was direkt zum bewaffneten Kampf gekommen ist oder diesen Schritt vorbereitet hat und daß es jetzt darauf ankommt, daß Guerilla, militante und politische Kämpfe als integrale Komponenten im perspektivischen Fluchtpunkt der zu entfaltenden Metropolenstrategie zusammenkommen. Wir sagen: Wenn auch bewaffnete, illegale Organisation der Kern dieser Strategie ist, bekommt sie erst ihre ganze notwendige Kraft, wenn bewaffnete Politik mit militanten Angriffen, mit den Kämpfen aus der ganzen Breite der Erdrückung und Entfremdung und mit dem politischen Kampf um die Vermittlung ihres Prozesses zusammen zu einem bewußten und gezielten Angriff gegen die Dreh- und Angelpunkte des imperialistischen Zentrums gebracht wird.“ In dem koordinatorischen Zusammenkommen von Guerilla, militanten Widerstandsformen und politischen Kämpfen in einer strategischen Gesamtkonzeption in den imperialistischen Metropolen sehen wir tendenziell eine Übereinstimmung mit unseren Überlegungen, die auch immer von (wesentlichen) Aspekten des Frontprozesses mit beeinflusst waren.
Wir wollen überhaupt nicht ignorieren, dass dieser antiimperialistische Frontprozess nicht von allen kämpfenden Organisationen in Westeuropa geteilt und bejubelt wurde. Zum Teil gab es, insbesondere von den GenossInnen aus der PCE/r und Grapo aus dem spanischen Staat z.B. in der Frage des Parteiaufbaus und des proletarischen Klassenkampfbezugs erhebliche Vorbehalte und eine deutlich formulierte Ablehnung. Aber auch dies ist Ausdruck einer vitalen Debatte unter revolutionären Organisationen und nicht mit einer schlichten Handbewegung abzutun. Wir haben nichts gegen eine Streikultur einzuwenden, die sich auch des literarischen Stilmittels der Polemik bedient. Eine darüber ausgelöste Kontroverse ist zweckgebunden, sie dient dem Ziel der Verständigung in zentralen taktischen, operativen und strategischen Fragen.
Ein anderer Punkt: Das, was im frei radikalen Diskurs als Negativfolie (der „kommunistische Schimmer“) betrachtet wird, halten wir für eine Akzentuierung einer Debatte für förderlich. Eine „Ideologisierung“ der Debatte ist insbesondere von unserer Seite aus angebracht, da wir seit Jahren mit einem „dogmatischen Undogmatismus“ in verschiedenen Diskussionsbeiträgen im Rahmen der Auseinandersetzung um Militanz in Berührung geraten sind.
In einer Replik auf einen Text des ehemaligen Aktivisten der autonomen Lupus-Gruppe aus Frankfurt/M., Wolf Wetzel, haben wir den Aktualitätsbezug für den Kampf für den Kommunismus fern jeder Bekenntnisreiterei verteidigt: „Um ritualisierte Glaubensbekenntnisse geht‘s tatsächlich nicht, das überlassen wir denen, die etwas davon verstehen – den Klerikalen aller Anschauungen. Da, wo der Glaube aufhört, fängt das Denken um den Kommunismus und dessen Übergang von der Vision zur Realisierung an, nur das interessiert uns. Unglaubwürdig ist es allerdings, bei eventueller Nachfrage verklickern zu wollen, daß nur aus taktischen Gründen auf das Unwort Kommunismus verzichtet wurde, um es bei einer günstigeren politischen Großwelterlage dem breiten Publikum schmackhaft zu machen. Kommunismus ist aber keine Saisonware, die man je nach (eigener) Stimmungslage auf dem Markt der Möglichkeiten feilbietet. Und außerdem: Der Kommunismus kann erst dann erledigt sein, wenn wir ihn verwirklicht haben.“ (Interim 621) Und, um uns profunden Beistand zu holen, zitieren wir den Genossen Karl Korsch als Rückversicherung: „Der wirkliche Inhalt und die wirklichen Formen der künftigen kommunistischen Gesellschaft können nicht durch irgendwelche Analogien bestimmt werden, sondern, wie alle andere Wirklichkeit, nur empirisch, und das bedeutet hier: durch geschichtliche Entwicklung und menschlich-gesellschaftliche Tat.“
Zu einem letzten Unterpunkt in diesem Abschnitt: Unschlüssig sind wir uns verstärkt hinsichtlich des Ortes der Militanzdebatte, die wir nur noch in eine grundsätzliche Organisierungs-/Organisationsdebatte eingerahmt sehen möchten. Die „Interim“ hat in den letzten Jahren an Reichweite deutlich eingebüßt. Außerhalb des Berliner Raums nimmt deren Bedeutung Kilometer für Kilometer ab. Das können wir für uns erst einmal nur konstatieren und deckt sich mit dem, was wir im Bundesgebiet registrieren konnten. Wir haben die „Interim“ als (Szene-)Multiplikatorin jahrelang betrachtet, selbst das scheint nicht mehr gesichert zu sein. Allein mit dieser Veröffentlichungspraxis werden wir nur einen zusehends schmaler werdenden Resonanzboden erreichen können. Unsere kommunikativen Räume sind insgesamt extrem begrenzt. Deshalb unterstützen wir gern die Initiative von GenossInnen, in die Traditionsspur des klandestinen Zeitungsprojektes „radikal“ zurückzukehren und haben uns dazu entschlossen, die Erstveröffentlichung unserer Texte hier vorzunehmen. Auch deshalb, weil dieses Zeitschriftenvorhaben als „kollektiver Agitator“ funktionieren soll; als ein publizistisches Instrument der Organisierung innerhalb der revolutionären Linken. Dieser über Militanz-Fragen hinausgehende Organisierungsprozess soll sich, wenn wir die BlattmacherInnen richtig verstanden haben, u.a. über dieses Medium vermitteln und über den Kleinausschnitt der revolutionären Linken in unsere Klasse reichen. Ambitioniert, aber korrekt akzentuiert, wie wir meinen und deshalb nachdrücklich solidarisch begleiten werden.
Ein Neubestimmungsversuch "jenseits militaristischer Organisationsmodelle"
Der in der Zwischenüberschrift aufgenommenen Prämisse „jenseits militaristischer Organisationsmodelle“ bezüglich eines Neubestimmungsversuchs revolutionärer Gewalt kommt für die freien radikale offensichtlich eine hohe Bedeutung zu, da sie in dieser bzw. leicht abgewandelter Form in ihren Texten jeweils als abschließende Erstparole gesetzt ist.Dieser Neubestimmungsversuch kann allerdings nicht einmal in das Versuchsstadium gelangen, da nicht einmal in Ansätzen dargelegt wird, was unter „militaristischen Organisationsmodellen“ und das „jenseits“ davon zu verstehen ist. Wir erfahren nichts darüber, in welchem Befreiungskampf konkret in welchem Land unter welchen sozio-ökonomischen und ideologischen Vorzeichen ein „Militarismus“ in welcher Organisation vorHERRschend war oder aktuell ist. In dieser Form der Nicht-Argumentation bleibt diese Prämisse eine hohle Phrase.
Trotz der ausbleibenden Diskussion um einen „Militarismus“ gerät das frei radikale Gemüt in Wallung und ruft im dritten Text den Interim-LeserInnen zu: „Wir möchten davon verschont bleiben, das Glorifizierungen eines ‘Volkskrieges’ oder Fetischisierung von Waffen (Nr. 654) einen Platz in der Interim haben.“ Was ist der Hintergrund dieser frei radikalen zensorischen Anrufung an? In der Broschüre „protest.widerstand.perspektive. Texte zur Mobilisierung gegen den G8-Gipfel 2007“ ist ein Interview mit zwei AktivistInnen unter dem Titel „Politische Militanz gestern und heute“ abgedruckt. Dieses Interview hat in der besagten Interim-Nummer Platz gefunden. Wie lautet nun diese inkriminierte Passage? „Wir sind hier momentan tatsächlich auch in einer völlig anderen Situation als zum Beispiel in Indien, Kolumbien oder bis vor ein paar Monaten in Nepal beim Volkskrieg der kommunistischen Guerilla, wo es ja um die konkrete Befreiung von einzelnen Gebieten und den offenen Krieg gegen die Oligarchie geht.“ Was soll an dieser Aussage falsch sein? Der Begriff „Volkskrieg“ bezeichnet in diesem Kontext den Revolutionsprozess in dem halbkolonialen und -feudalen Nepal vor dem Fall der Monarchie und dem Etablierungsversuch einer „neu-demokratischen Ordnung“, um uns in der maoistischen Terminologie zu üben. Die Begriffswahl ist kontextgebunden und entspricht dem, was die Kommunistische Partei Nepals (Maoistisch) bzw. jetzige Vereinigte KPN (M) an konzeptioneller Grundlage nun einmal hat(te). Unsere Klammersetzung soll nur darauf hinweisen, dass sich innerhalb der Befreiungsorganisation und der „maoistischen Internationale“ RIM eine hitzige Auseinandersetzung ergeben hat, in welchen Folgeschritten die Revolutionierung fortgesetzt werden soll (u.a. die Frage nach der Übertragungsweise der neudemokratischen Doktrin auf nepalesische Verhältnisse oder die Frage nach der offenen Unterstützung des Volkskrieges auf dem indischen Subkontinent). Das aber nur am Rande.
Wir versuchen unsererseits etwas dahingehend beizutragen, dass wir uns mit dem Problemkreis der dialektischen Verbindung des Politischen mit dem Militärischen (u.a. im Rahmen eines „Volkskrieges“) befassen wollen. Wir haben auch bei dieser hochgradig spannenden Diskussion auf die gebotene gedrängte Darstellung zu achten. Einige Aspekte möchten wir dennoch streifen.
Beginnen wir mit einem der Vertreter des „Volkskriegs“-Theorems schlechthin, mit dem Genossen Mao Tse-tung. In seinem Text „Über die Berichtigung falscher Ansichten in der Partei“ ergreift er u.a. das Wort gegen eine Fraktion innerhalb der KPCh, die einen ausschließlich militärischen Blickwinkel in der Revolutionspolitik vertritt: „Sie betrachten die militärische und die politische Tätigkeit als einander entgegengesetzt und erkennen nicht an, daß die militärische Tätigkeit nur eines der Mittel zur Erfüllung politischer Aufgaben ist. Manche versteigen sich zu der Behauptung: ‘Wenn militärisch alles gut steht, steht selbstverständlich auch politisch alles gut; wenn es aber militärisch schlecht steht, kann es auch politisch nicht gut stehen.’ Damit wird noch ein Schritt weitergegangen und das Militärwesen der Politik gegenüber als führend angesehen.“ Also, dem Genossen Mao kann nicht der Vorwurf gemacht werden, denn er wäre haltlos, dass er „militaristischen Abweichungen“ tatenlos zugesehen hätte. Er griff ein und unternahm den Versuch der Korrektur, einer linienförmigen, aber einer absolut notwendigen, um einer tendenziösen Gewichtung auf dem Gebiet der Militärpolitik frühestmöglich Einhalt zu gebieten. Wir müssen keine MaoistInnen sein, um viel Plausibles an dieser Position zu finden. Die, die MaoistInnen sein wollen, können es unsretwegen natürlich gerne sein.
Ebenso entzündete sich in Westeuropa an diesem dialektischen Verhältnis von Politischem und Militärischem eine Debatte. In den in den Aufbruchjahren Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre verfassten Beiträgen der Gauche Proletarienne (Proletarische Linke) aus dem französischen Staat, die gemeinhin „Maos“ genannt und vom Repressionsapparat verboten wurden, wird zur Fragestellung der Vorbereitung eines bewaffneten Aufstandes z.B. hinsichtlich der Problematik der politisch-militärischen Einheit ausgeführt: „Man wird nicht die Okkupation brechen, indem man sich wesentlich eine bessere politisch-militärische Organisation gibt oder eine bessere Verteilung der einzelnen Aufgaben organisiert – so wird der Schraubstock nicht gelöst. Diese Maßnahmen der Neuausrichtung, so bedeutend sie auch sein mögen, sind der politischen Reform in dem Sinne von ‘Mehrheit, Einheit, Demokratie’ und der ideologischen Bewegung, die den politischen Neuansatz möglich macht, untergeordnet (...) Wir müssen uns darüber klar sein, daß es für keines unserer politischen Probleme eine ‘militärische Lösung’ gibt.“ Wir bitten inständig darum, dass insbesondere der letzte Satz dieses Zitats Beachtung findet, denn er beschreibt einen der zentralsten Grundsätze der Phasen des revolutionären Kampfes für den Kommunismus.
Die gefangenen Militanten für den Aufbau der Kommunistischen Partei politisch-militärisch (PC p-m) in Italien, die in wenigen Wochen mit ihrem drakonischen staatsterroristischen Urteil in Mailand zu rechnen haben, haben sich mehrfach zu diesem Fragekomplex schriftlich geäußert. In einem früheren Text vor der Inhaftierung heißt es bspw. unmissverständlich: „Die politisch-militärische Einheit, die Anwendung der Waffen um Politik zu machen ist grundlegend, aber eben, um Politik zu machen und noch nicht den Krieg.“
Setzen wir mit einem Auszug aus einem Beitrag zur Militanzdebatte fort. Ja, hätte das frei radikale Leseverhalten angemessen stattgefunden, dann hätte eine Problematisierung der Frage des „Militarismus“ direkt an das Diskutierte der Militanzdebatte anschließen können, ja müssen – aber egal: Die GenossInnen der Militanten Antiimperialistischen Gruppe – Aktionszelle Pierre Overney (MAG-APO) haben in ihrem Diskussionsbeitrag aus dem September 2003 zum Verhältnis eines politisch-militärischen Ansatzes geschrieben: „Die Präzisierung ‘politisch-militärische Strategie’, die für die meisten revolutionären Organisationen und Befreiungsbewegungen gängig ist, besagt zweierlei: a) zum einen drückt die Voranstellung des Politischen vor dem Militärischen aus, dass die politischen Instanzen (Partei, Kongresse etc.) dem militärischen Zweig der Organisation die Direktiven erteilen und diese für diesen bindend sind, d.h., dass eine potentielle Verselbständigung des Militärischen unterbunden wird, und b) wird durch diese Begrifflichkeit dokumentiert, dass ein fundamentaler gesellschaftlicher Umwälzungsprozess mit einem gewaltsamen Zusammenstoß mit dem (militärischen) Apparat von Staat und Kapital einhergehen wird. D.h. jeder auf Sand gebauten Vision eines friedfertigen Hinübergleitens in eine solidarische Ära a la Kautsky (...) muss aufgrund der historischen Erfahrungen und aktuellen Voraussetzungen eine klare Absage erteilt werden.“ Die Kernaussage hinsichtlich einer politisch-militärischen Strategie ist, dass der zweimal und mehr reflektierende Kopf den Schlagarm mit geballter Faust führt und zum Einsatz bringt – und nicht umgekehrt.
Nun hat, wie vieles in der Welt, auch die (Nicht-)Praxis eines bedeutenden Teils des linksradikalen Milieus in der BRD ein zähes Beharrungsvermögen. Die Überzeugung, dass eine politisch-militärische Strategie kontraproduktiv ist und in eine militaristische Sackgasse mit Nachdruck führt, bleibt in nicht wenigen argumentativen Kurzschlüssen weiterhin bestehen, auch wenn seriöse ProtagonistInnen, wie wir, sich mühen und mühen, um Gegenteiliges vorzubringen. Die Waffen, im umfassenden ideologischen wie „handfesten“ Sinne verstanden, waren von jeher zwischen der proletarisch-klassenkämpferischen und kapitalistisch-imperialistischen Seite im höchsten Maße ungleich. Die Klassen der Reaktion haben sehr schnell begriffen, dass die präventive Konterrevolution die wirksamste Verteidigung des Status quo ist. Wir sind als revolutionäre KommunistInnen viel zu wenig auf Kampfmethoden eingestellt, die uns auch nur eine Ahnung davon geben, nicht stets niedergeworfen zu werden.
Ist es außerhalb einer statistischen Sanktnimmerleinsrechnung möglich, mit untauglichen Methoden aus dem Zustand des Niedergeworfenseins herauszukommen? Vage Hoffnungen und Fatalismus finden in den Tatsachen allerdings keine Begründung. Deshalb: „Die Waffe der Kritik kann die Kritik der Waffen nicht ersetzen“ (K. Marx). Dieser Satz mutet als schlichter Aphorismus an, den man sich wahlweise an den Computerbildschirm oder über die Kloschüssel kleben kann. Wo dieser Denkzettel auch immer hängen mag; dieser ist Ausdruck einer uns sehr vertrauten „revolutionären Realpolitik“. Der Genosse G. Lukacs setzt genau dort an, wenn er uns ins Album diktiert: „Die Frage, die die geschichtliche Situation dem Proletariate stellt, ist nicht die Wahl zwischen Krieg und Frieden, sondern die Wahl zwischen imperialistischem Krieg und Krieg gegen diesen Krieg: Bürgerkrieg. Die Notwendigkeit des Bürgerkrieges, als Abwehr des Proletariats dem imperialistischem Kriege gegenüber, entspringt, wie alle Kampfesweisen des Proletariats, aus den Kampfbedingungen, die die Entwicklung der kapitalistischen Produktion, der bürgerlichen Gesellschaft dem Proletariate aufzwingt.“ Die (idealtypische) Umwandlung des imperialistischen Krieges, in dem die BRD seit anderthalb Jahrzehnten wieder einen aktiven Part übernommen hat, in einen sozialrevolutionären Klassenkrieg der u.a. den sozio-ökonomischen Bedingungen entspricht ist die realpolitische Antwort, um mit dieser dezidiert antimilitaristischen Praxis die Perspektive einer Kriegslosigkeit gesellschaftliche Realität werden zu lassen.
Lenin knüpfte bereits während des ersten imperialistischen Weltkrieges nahtlos inhaltlich an ein „reales Revolutionsverständnis“ an und unternahm in „Das Militärprogramm der proletarischen Revolution“ viel Überzeugungsarbeit, um das vermeintlich Paradoxe, das in der Parole „Krieg dem Krieg“ vermutet wurde, in allen seinen Facetten aufzulösen: „Das grundlegende Argument besteht darin, die Forderung der Entwaffnung sei der klarste, entschiedenste, konsequenteste Ausdruck des Kampfes gegen jeden Militarismus und gegen jeden Krieg. In diesem grundlegenden Argument besteht eben der Grundirrtum der Entwaffnungsanhänger. Die Sozialisten können nicht gegen jeden Krieg sein, ohne aufzuhören, Sozialisten zu sein. Erstens waren die Sozialisten niemals und können niemals Gegner revolutionärer Kriege sein. Die Bourgeoisie der ‘großen’ imperialistischen Mächte ist durch und durch reaktionär geworden, und wir erkennen den Krieg, den diese Bourgeoisie jetzt führt, für einen (...) verbrecherischen Krieg an. Nun, wie steht es aber mit einem Kriege gegen diese Bourgeoisie? Zum Beispiel mit einem Kriege der von dieser Bourgeoisie unterdrückten, von ihr abhängigen oder kolonialen Völker für ihre Befreiung? (...) Zweitens. Bürgerkriege sind auch Kriege. Wer den Klassenkampf anerkennt, der kann nicht umhin, auch Bürgerkriege anzuerkennen, die in jeder Klassengesellschaft eine natürliche, unter gewissen Umständen unvermeidliche Weiterführung, Entwicklung und Verschärfung des Klassenkampfes darstellen. Alle großen Revolutionen bestätigen das. Bürgerkriege zu verneinen oder zu vergessen hieße in den äußersten Opportunismus verfallen und auf die sozialistische Revolution verzichten. Drittens schließt der in einem Lande siegreiche Sozialismus keineswegs mit einem Male alle Kriege überhaupt aus. Im Gegenteil, er setzt solche voraus (...) Der Sozialismus kann nicht gleichzeitig in allen Ländern siegen (...) Das muß nicht nur Reibungen, sondern auch direktes Streben der Bourgeoisie anderer Länder erzeugen, das siegreiche Proletariat des sozialistischen Staates zu zerschmettern. In solchen Fällen wäre ein Krieg unsererseits legitim und gerecht, es wäre ein Krieg für den Sozialismus, für die Befreiung anderer Völker von der Bourgeoisie (...) Erst nachdem wir die Bourgeoisie in der ganzen Welt, und nicht nur in einem Lande niedergeworfen, vollständig besiegt und expropriiert haben, werden Kriege unmöglich werden. Und es ist wissenschaftlich gar nicht richtig – und gar nicht revolutionär -, wenn wir eben das Wichtigste, die Niederwerfung des Widerstandes der Bourgeoisie, das Schwierigste, das am meisten Kampf Erfordernde im Übergange zum Sozialismus umgehen und vertuschen. Die ‘sozialen’ Pfaffen und die Opportunisten sind gerne bereit, von dem zukünftigen friedlichen Sozialismus zu träumen, sie unterscheiden sich aber von den revolutionären Sozialdemokraten eben dadurch, daß sie von erbitterten Klassenkämpfen und Klassenkriegen, um diese schöne Zukunft zur Wirklichkeit zu machen, nicht denken und sorgen wollen.“
Lenin lässt in seinem Text „Krieg und Revolution“ keinen Zweifel an dem Finale einer Krieg-dem-Krieg-Doktrin: „Unser Ziel ist es, die sozialistische Gesellschaftsordnung zu errichten, die nach der Teilung der Menschheit in Klassen, nach Beseitigung jeder Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und einer Nation durch andere Nationen unbedingt jede Möglichkeit von Kriegen überhaupt beseitigen wird.“ Prägnant und plausibel, wir wir meinen. Und außerdem: wer/welche gegen eine „revolutionäre Realpolitik“ antreten möchte, der/die sollte erstens dreimal überlegen und zweitens exzellente Argumente mit sich führen, sonst wird man selbst in den Untiefen des Vorgebrachten gnadenlos kentern.
Wir haben in den vergangenen Jahren zu verschiedenen Anlässen betont, dass wir die Taktik der bewaffneten Propaganda als Erstphase einer Guerilla- bzw. Milizpraxis im Rahmen einer umfassenden revolutionären Widerstandspolitik nicht vernachlässigen oder gar völlig beiseite lassen können. Sie ist integraler Bestandteil unseres revolutionären Verständnisses, als Defensiv- und potentiell Offensivmittel in der Konfrontation mit den staatlichen Gewaltagenturen, der Sicherung von emanzipatorischem Terrain und dem Voranschreiten im Einreißen reaktionärer Bastionen. Es ist ein „Gebot“ der Selbstbehauptung als revolutionäre KommunistInnen, mit der Tatsache staatlicher Gewalt(exzesse) und einer eventuellen gesellschaftlichen Faschisierung zu rechnen und die Maßnahmen der Abwehr zu untersuchen. Es wäre pure Fahrlässigkeit, bei einer der am sensibelsten anzuwendenden Methode des revolutionären Kampfes für den Kommunismus Improvisation, Zufallsprinzip und Dilletantismus walten lassen zu wollen. Das friendly fire wollen wir aus Gründen des Eigenschutzes und der erforderlichen Zielgenauigkeit gerne unserem Gegenüber überlassen.
Wir sind aber auch nie als romantische HasardeurInnen angetreten. Wir haben bspw. in unserem Beitrag „Kraushaars Buch ‘Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus’“ und die Diskreditierung des bewaffneten Kampfes“ (Interim 629), der nach wie vor einer unserer zentralen Texte bezüglich unseres Verhältnisses zur revolutionären Gewalt ist, eine Auseinandersetzung mit gewaltfreien Aktionsformen für uns als Kollektiv eingeleitet. Von unserer Seite gab und gibt es keine Diskreditierung jener, die unser Verständnis revolutionärer Gewalt nicht teilen: „Wozu auch überhaupt keine Veranlassung besteht, ist, sich mit einem blutrünstigen Märtyrer-Gehabe schmücken zu wollen. Unser Grundsatz ist, damit trotz des Gesagten kein falscher Eindruck aufkommt, dass die Möglichkeit einer auf friedlichem Wege zu erreichenden Zielsetzung der potenziellen Notwendigkeit von (revolutionärer) Gewalt vorgezogen wird. Unser auf Erfahrungswerte gründendes realpolitisches Verständnis gebietet es eher, von der letztgenannten Variante auszugehen. Das wiederum kann aber nicht bedeuten, die Formen und Konzepte ‘gewaltfreier Aktionen’ zu tabuisieren oder gar ins Lächerlich zu ziehen. Diese Aktionsformen verstehen sich sozusagen als „dritter Weg“, als Akte, die sich zwischen einem legalistischen, passiven und duldsamen „Protest“ und der revolutionären Gewalt bewegen. Die Grundsatzkritik der AnhängerInnen der ‘gewaltfreien Aktion’ gegenüber den Befürwortern der revolutionären Gewalt, wonach keine neue Gesellschaftsform mit alten Mechanismen, wie Strukturen, die aus einem gewaltsamen Befreiungsprozess hervorgegangen sind, entstehen kann, sollte man nicht einfach vom Tisch wischen. Zumal von einigen der „Gewaltfreien“ nicht die Legitimität, sondern die Effektivität der revolutionären Gewaltanwendung in Frage gestellt wird. Vor dem Hintergrund dessen, dass nicht gerade wenige (gewaltsame) Revolutionsprozesse schnell ins Stocken geraten und sozialpolitisch pervertieren, eine berechtigte (In-)Fragestellung, der wir uns kaum entziehen können.“ Um daran anzuschließen: der gewaltfreie Widerstand umfasst eine breite Palette von Eingriffsoptionen; diese reichen von bewusst „gesetzeskonform“ gesetzten Aktivitäten, über symbolische Demonstrationen und Aufmärsche bis hin zu direkten Aktionen in Form von Streiks, Boykotten und Blockaden. Die Elemente der Spaß- und Kommunikationsguerilla sind dabei noch nicht einmal andiskutiert. All jene aufgezählten Aktionsformen überschreiten dann die Grenze des Gewaltfreien und des zivilen Ungehorsams, wenn sie einen militanten Ausdruck erhalten, wenn bspw. bei einer Straßenblockade die bloße Obstruktion in eine aktive physische Verteidigung im Rahmen eines Barrikadenbaus vor Angriffen staatlicher Repressionsorgane umschlägt. Dies besagt, dass zum einen die Übergänge von gewaltfrei und militant fließend sein können und zum anderen, dass Militante zumindest über eine vielfältigere Aktionsbandbreite verfügen und anlassbezogen flexibler agieren können. Des weiteren sind wir weit davon entfernt, Aktivitäten erst dann als „wirkliche“ Aktivitäten anzusehen, wenn sie vermeintlich materiell werden. Erstens können symbolische Aktionsformen eine Materialität erzielen und zweitens haben klandestin-militante Methoden nicht per se einen „revolutionäreren“ Background.
Also: Zum Abschluss dieses Abschnitts wollen wir noch einmal anmerken und betonen, dass es allein die proletarische Ethik mitbringt, nicht fahrlässig mit der Methode der revolutionären Gewalt umzugehen. Grundsätzlich gilt: Eine periodische Reflexion zu einem bestimmten Thema oder zu einer bestimmten Praxis kann nur im Rahmen einer reellen Beschäftigung stattfinden. Wir beschäftigen uns mit Fragen der „Gewaltanwendung“ und reflektieren demnach auch über diese. Zu reflektieren sind selbstredend die Fallstricke des Voluntarismus und Subjektivismus - Momente der „revolutionären Ungeduld“ und des „Militarismus“. Und zu dieser Reflexion gehört (weiterhin), dass die Schaffung von Logistik und Organisation der bewaffneten Propaganda nicht mit ihrer unmittelbaren Anwendung und Umsetzung zusammenfällt. Falls sich die Situation ergeben sollte, dass eine Aktivierung der logistisch-organisatorischen Basis der bewaffneten Propaganda ganz weit oben auf der Agenda steht , sagen wir nicht vorher, aber kurz danach mit aller Mitteilungsfreude Bescheid. Einige werfen lakonisch in die Runde, es wäre „mal wieder an der Zeit“ bewaffnet zu propagieren. Allerdings ist diese Entscheidung nicht von flüchtigen Stimmungs- und Meinungslagen abhängig zu machen. In der Geschichte der revolutionären Linken weltweit gibt es kaum zu überblickende tragische Beispiele, dass GenossInnen aufgrund von überinterpretierten Krisenszenarien nach dem Motto „jetzt schnell handeln zu müssen“ aus unserer Mitte gerissen wurden. Wir unterliegen nicht dieser Gefahr; wir haben einen zu kühlen Kopf, der unsere heißen Herzen zu temperieren weiß. Mag schwulstig klingen, aber wir meinen das mit vollem Ernst.
Zum frei radikalen Kritikverständnis: "die beste Kritik ist die einer anderen Praxis und eines anderen Inhalts"
Ein ebenso interessantes wie eigenartiges Kritikverständnis, was uns hier in ihrem Erstlingswerk entgegenkommt. Eine „andere Praxis und ein anderer Inhalt“ dokumentieren an sich kaum „die beste Kritik“. Zumal, wenn von der „Praxis“ nichts nach außen hin vermittelt und dadurch überprüfbar wird und der „Inhalt“ kaum der Rede wert sein kann, zumal der letzte frei radikale Stimmungsbericht vom September 2007 datiert. Seitdem ist nichts mehr von „die beste Kritik“ zu registrieren gewesen. Wir werden uns wohl nie daran gewöhnen können, dass GenossInnen weit projektmäßig auszuholen versuchen, aber schon nach wenigen Metern der Wegstrecke stecken bleiben, verenden oder gar aktiv, aber wortlos, umkehren. Einen Grund sehen wir darin, dass das frei radikale Initiative-Ergreifen gleichzeitig mit einer Indifferenz („Wir können und wollen keine Vorgaben leisten, die zum jetzigen Zeitpunkt die inhaltliche Thematik bestimmt“) einhergeht. Legitimiert wird dieses Halb-Halb mit dem Habitus des Undogmatischen: „Wir vertrauen auf einen Prozess des Selbstlaufes in der Debatte und auf eine politische Reife, von deren Existenz wir wissen, die ohne hierarchische Guru-Moderation auskommt.“ Wir setzen dagegen, um das Leninistische aus uns sprechen zu lassen, auf einen kontrollierten Debattenverlauf, der Kontur nur dadurch erlangen kann, das u.a. moderiert und resümiert wird. Sich-Verantwortlich-Zeigen ist kein Makel, denn eine Voraussetzung für Verbindlichkeit in der kollektiven politischen Arbeit.
Nicht ganz ohne Sarkasmus bliebe noch anzumerken, dass die „politische Reife“ der (potentiellen) AkteurInnen einer Militanzdebatte dadurch gezeigt wurde, diese frei radikale Offerte beinahe unkommentiert gelassen zu haben. Hier wurde fern des seit 2001 Diskutierten ein xter Debattengang zu Militanz angeschoben, aber gleichzeitig eine Verantwortungsübernahme, wohl um den „Selbstlauf der Debatte“ nicht zu blockieren, verweigert. Bizarr.
Warum darauf eingehen, wenn man mit der esoterischen Formel der „selbstlaufenden Debatte“ geködert werden soll? Und warum setzen wir uns mit dem Frei-Radikalismus auseinander? Nun, um zu zeigen, dass der bisherige Debattenverlauf seit 2001 mehr an Substanz hergibt als möglicherweise vermutet und erinnert wird. Jede proklamierte Neuaufnahme der Debatte muss bei der Ignoranz des zuvor Formulierten zwangsläufig hinter dem zurückbleiben, was an Auseinandersetzungsmaterial vorliegt – und es liegt verdammt viel vor, wenn man sich denn der Mühe unterzieht, jenes aufzubereiten und dann in einen neuerlichen Anlauf einbringt.
Bereits in einem Text vom Juni 2005 haben wir in einer Replik auf einen Text von Leuten, die unter dem Label „postautonome und konsumistische Gruppen“ einmal das Wort ergriffen hatten, konstatiert, dass es um die kontroverse Inhaltsfülle der Militanzdebatte und einzelner Aspekte darin gar nicht so schlecht bestellt ist: „Wir finden, dass in den zustimmenden wie ablehnenden Papieren zum ‘Plattformprozess’ sehr viel inhaltlicher Stoff geliefert wurde, der von seiner Dichte her seinesgleichen sucht.“ (Interim 618, 16.6.05) Kennzeichnend für die Versuche, eine kontinuierliche und ergebnisorientierte Militanzdebatte führen zu wollen, ist, dass man aus der Wiederholungsschlaufe bislang nicht herausgekommen ist.
In einem Beitrag von der Gruppe „Revolutionärer Aufbau Berlin“ (RAB) sind Kriterien zu militanter Praxis und militanter Politik sowie zu Militanz und bewaffnetem Kampf zusammengetragen worden, die sich für uns sehr präzise aus dem Diskussionsertrag der Militanzdebatte ergeben (vgl. Interim 648, 18.1.07). Deshalb geben wir eine etwas längere Passage dieses Textes wieder: „Eine militante Praxis ist zunächst einmal eine klandestine („geheime“) Politikform, die sich nicht an die normierten, legal sanktionierten Spielregeln des Strafgesetzbuches hält. Wir wählen unsere Aktionsformen selbst, nach Kriterien, die sich z.B. im Rahmen der Militanzdebatte herausgeschält haben. Militanz wird i.d.R. klandestin, aber aus einer aus dem legalen Alltag heraus entwickelten Politik praktiziert.
Eine militante Praxis ist von der einer bewaffneten Struktur – wie einer Guerilla oder Miliz – zu unterscheiden. Der bewaffnete Kampf setzt statt der Klandestinität eine illegale Organisierung voraus. Damit ist ein hoher logistischer Aufwand (Wohnungen, Rückzugsgebiete, Finanzressourcen etc.) inbegriffen.
Die Differenz zwischen militanter Politik in Form von klandestinen Zusammenhängen und einer bewaffneten Politik in der Form einer Guerilla oder Miliz ergibt sich aus folgenden Punkten: a) unterschiedliche Praxismittel (u.a. Brandsatz bzw. u.a. Schusswaffeneinsatz), b) unterschiedliche Organisierung (Klandestinität bzw. Illegalität), c) unterschiedliche Reproduktion (relative Beibehaltung des sozialen/politischen Umfeldes bzw. Aufbau einer kompletten „Parallelstruktur“), d) unterschiedlicher Repressionsgrad (potentiell § 129a bzw. garantiert § 129a). Diese Trennungslinien sind im Einzelfall relativ, Überlappungen und Zwischenstadien möglich. Diese skizzierten Idealtypen sollen dazu beitragen, im Sinne der Unterscheidbarkeit verschiedene Widerstandsmethoden im Rahmen eines „komplexen revolutionären Aufbauprozesses“ kenntlich zu machen. Wäre allein ein und dasselbe, bräuchten wir keine differenzierbaren, auf bestimmte Situationen/Ziele zugeschnittenen Interventionsformen.
Eine militante Praxis soll unmittelbare Ziele verfolgen bzw. nach Möglichkeit erfüllen: a) Option klandestiner Aktionsfähigkeit mit relativ geringen Voraussetzungen schaffen, b) materiellen Sachschaden u./o. Ideellen Schaden bzw. Einschüchterung verursachen, c) Themen/Aktionsfelder in der Linken und allgemein öffentlich (militant) aufgreifen oder selbst initiieren, d) einen „Nachahmungseffekt“ befördern und Motivationsschub in den Reichen der revolutionären Linken auslösen etc.
Eine militante Praxis kann nur zu einer militanten Politik weiterentwickelt werden, wenn sie das ausschließlich sporadische, punktuelle Agieren überwindet, und sich auf konzeptionelle und organisatorische Grundlagen stützt Diese Grundlagen sind in dreierlei Hinsicht perspektivisch zu erarbeiten: a) den eigenen klandestinen Zusammenhang inhaltlich, praktisch, organisatorisch und reproduktiv „ausreifen“, b) Mitwirkung an einer gruppenübergreifenden Koordinierung klandestiner Zusammenhänge, c) eine militante Gruppe bzw. die Koordination militanter Gruppen wechselwirkend als „eigenständigen Faktor“ der Politik der revolutionären Linken und (!) integralen organisatorischen Teil eines „widerstandsfelder-übergreifenden Netzwerkes“ begreifen.“ .
In einer Nachlese zur militanten Kampagne zum G8-Gipfel im Sommer 2007 in Heiligendamm bezieht sich ein praktisch beteiligter militanter Kern auf die ursprüngliche Zielsetzung der klandestinen Intervention:
„1) die Kampagne sollte ein langfristiges Projekt sein, das militante Politik breit wahrnehmbar zu einem politischen Faktor machen und die Dominanz reformistischer Ansätze in der linken, speziell der Antiglobalisierungsbewegung, zurückdrängen sollte.
2) sie sollte zu einer Konsolidierung und Verbreiterung linksradikaler Politik beitragen und neue Gruppen für militante Politik gewinnen.
sie sollte die unterschiedlichen Bereiche, Ebenen und Strukturen imperialistischer Herrschaft und kapitalistischer Ausbeutung aufzeigen, praktisch angreifen und Verbindungslinien zwischen emanzipatorischen Kämpfen in der BRD, wie auch zwischen Metropole und Trikont herstellen.“
Auch andere, spezifischere praktische Vorschläge und konstruktive Beiträge sind im Kontext der Militanzdebatte reichlich formuliert worden. Als ein Beispiel möchten wir die GenossInnen, die unter dem Namen „gruppe militante konversion“ aufgetreten sind, erwähnen. Wir denken, dass in ihrer Anschlagserklärung auf Fahrzeuge auf dem Gelände der Hochschule der Bundeswehr in Hamburg am 12.12.2007 einige Leitgedanken fixiert sind, die auch für uns in Sachen „praktischer Solidarität“ im Zuge von Repressionsschlägen bindend sind:
„- die Intention der kriminalisierten Aktionen und die Strategie militanter linksradikaler Politik offensiv zu vermitteln,
- die Berechtigung von Militanz und Sabotage als politischem Mittel gegen Imperialismus und Krieg und für eine Befreiung von kapitalistischer Verwertung zu verteidigen,
- und die Repression von Bullen und Justiz durch die Fortsetzung militanter Aktionen zu unterlaufen.“ (aus: Interim 666, 21.12.07)
Des weiteren ist an Projekt-Ideen anzuschließen, die zumindest einen Horizont an Organisierung in Teilen der revolutionären Linken aufmachen, mit allen Haken und Ösen - unwidersprochen! Wir meinen z.B. die Koordinierung klandestiner Gruppenzusammenhänge über das Mittel des inhaltlich-ideologischen Austausches, d.h. über eine konzentrierte Debatte eine Verständigung und Abstimmung unter militanten Kernen quasi zu organisieren, auch wenn diese nicht direkt miteinander strukturell verwoben sind. Einfacher gestaltet sich dieses Abklären bei zwar gruppenspezifisch unabhängigen, aber bspw. durch eine personelle Schnittstelle mit einander verhakelten klandestinen Zirkeln. Dadurch fallen die Kommunikationswege in der Regel kürzer und sicherer aus. Ein klarer Vorteil. Den Idealfall stellt allerdings eine direkte strukturelle Vernetzung von Zellen unter dem Dach einer Organisation dar. Dies gilt es anzustreben, um ein Höchstmaß an Koordination und an einem Strang ziehen zu gewährleisten.
In einem Text der MAG-APO aus dem Dezember 2003 wird die Funktion einer militanten Plattform umrissen: „Grundsätzlich sehen wir die Aufgabe einer militanten Plattform in drei wesentlichen Punkten: a) eine Debatte aus der Sicht militanter Gruppenstrukturen zu inhaltlichen, praktischen, logistischen und organisatorischen Fragen und Komplexen ihrer originären Politik und Perspektive führen (wobei inhaltliche Beiträge aus offen arbeitenden Zusammenhängen erwünscht, aber erfahrungsgemäß selten sind, wenn es um spezifische Problempunkte einer expliziten militanten Praxis geht); b) Klärungsprozesse bezüglich dieser Fragen und Komplexe vorantreiben, d.h. die Eckpunkte der Konzeption des ‘revolutionären Kampfes für den Kommunismus’ komprimiert aber allgemein verbindlich benennen; c) eine politisch-ideologische Programmatik schrittweise ausformulieren und damit Trennungslinien zu anderen Ansätzen/Überlegungen kenntlich machen, d.h. für Außenstehende sollen politische Positionierungen nachvollziehbar sein und verschiedene konzeptionelle Ansätze der revolutionären Linken miteinander ‘konkurrieren’.“ Diese Skizze von Sinn und Zweck einer „militanten Plattform“ hat für uns weiterhin Gültigkeit. Nicht nur für uns. Die GenossInnen von „some militant activists“ schrieben: „wir unterstützen den ansatz der mg, eine militante plattform für eine kontinuierliche zusammenarbeit aufzubauen.“ (Interim 668, 8.2.08) Klar, solche Wortmeldungen waren in den vergangenen Jahren zu selten, als dass daraus eine stabile militant-klandestine Koordination hätte etabliert werden können.Wichtig ist dabei aber das zielbewußte Agieren, die Tendenz zur Einheit zu repräsentieren.
Und noch was: Für und ist es dabei fünftrangig, wie sich eine verbindliche Koordinierung unter klandestin-militanten Gruppenzusammenhängen nennt. Das ist keine Labelfrage, da gibt’s auch keinen Kreativ-Bonus. Entscheidend ist, dass sich zum einen ein strukturiertes Geflecht von militanten Kernen sucht und findet und zum anderen ein debattenmäßiger Austausch und eine inhaltliche Verständigung bspw. über ein spezielles Medium unter Militanten stattfindet.
Wir wollen mit diesen Belegstellen aufzeigen, dass wir keinen rhetorisch großspurig vorgetragenen Auftakt für eine „Neubestimmung von Militanz“ brauchen. Es gibt sowohl inhaltlich ausgearbeitete Kriterienkataloge zu militanter Praxis, militanter Politik und Militanz in der Differenz zur bewaffneten Propaganda, als auch kontextgebundene (und übertragbare) Ausführungen zu einer militanten Kampagne, aber auch militante Antwortversuche auf Akte präventiver Konterrevolution und nicht zuletzt konkrete organisatorische Vorstellungen der Koordinierung militanter und klandestiner Gruppenstrukturen.
In Summa: Wir verfügen als revolutionäre Linke, die sich in einem komplexen revolutionären Aufbauprozess befindet bzw. in einen solchen begeben will, über ein solides Fundament unserer Politik; ausbaufähig und erweiterbar, wer/welche wollte beides bestreiten. Unser Fazit, das, wir wiederholen uns, als ein weiteres Zwischenfazit zu verstehen ist, fällt vorsichtig optimistisch aus. Wir stehen nicht vor dem Nichts! Verschiedene Gruppenzusammenhänge aus der revolutionären Linken warten förmlich auf diesen unseren Einwurf. Somit haben wir unseren Part erfüllt und geben gleichzeitig Verantwortung an unsere solidarischen GenossInnen ab; mit der Forderung, sich auf allen inhaltlichen, praktischen und organisatorischen Feldern, die wir bestellt haben, zu bewegen.
Schlusspunkte
An diese Schwelle des weiteren (Zwischen-)Fazits herangetreten zu sein, stellt für uns eine beruhigende Tatsache dar, erst einmal. Beunruhigend ist dagegen, dass wir ohne Umschweife einzugestehen haben, keines unserer Ursprungsetappenziele manifestiert haben zu können. Das sollte uns zu denken geben, und macht es auch. Wir befinden uns nicht ohne Grund in einem Entwicklungs- und Weiterbildungsprozess, der vor einigen Monaten eingeläutet wurde und sich mittendrin festgefahren hat. Wir können im gegebenen Moment keine Prognose entwerfen, wann und in welcher Form wir uns nach der internen Sammlung nach außen hin darstellen. Wir können nur, und das ist nicht wenig, feststellen, dass wir weder durch die Festnahme von linken Aktivisten im Sommer 2007 in unserer personellen Gruppenstruktur tangiert worden wären, noch sonst in unserer Existenz gefährdet sind. Wir sind in einer intensiven, sehr intensiven Reflexionsphase („temporärer strategischer Rückzug“ klingt zu überdimensioniert ), die wir allen ans Herz legen, die sich der eigenen bisher gelaufenen Politik zu stellen haben. Als Maßgabe können wir ausgeben, dass eine Gruppeneinheit nicht durch das (interne) Aussprechen von Gegensätzen gefährdet wird, sondern durch das Bestehen-bleiben derselben. Wo ein Gruppenzusammenhang vor eine überraschende, unvorhergesehene Situation gestellt wird, die relativ plötzlich gravierende Streitpunkte hervorruft, da kann ein sofortiges Grundsatz-Problematisieren mitunter kontraproduktiv sein. Wenn die intern aufgekommenen Konfliktlagen nicht auf sorgfältiger Überlegung und Kenntnis beruhen, sondern eher aus dem Impuls heraus resultieren, dann ist die Möglichkeit vorhanden, dass sie sich später quasi von selbst mildern, wenn bessere Bedingungen der kollektiven Überlegung und des intensiveren internen Austausches bestehen. Ein vorzeitiger interner Clash würde nicht verfestigte Divergenzen nur vertiefen und deren Überwindung deutlich erschweren. Anders liegt die Sache dort, wo interne Gegensätze über eine längere Zeit akut vorlagen und sich die widerstreitenden Interessen, Meinungen etc. konkret herausgebildet haben. In einem solchen Fall ist unbedingt intern offen auszusprechen, was ist. Das bietet noch am ehesten die Aussicht, dass der Verschärfung des Zwiespalts Einhalt geboten, er vielmehr eingegrenzt und eventuell abgebaut werden kann.
Wir halten uns für einen politisch reifen und erfahrenen Gruppenzusammenhang, der nach kollektiven Auswegen immer gesucht und diese bisher auch immer gefunden hat. „Lösungsorientiertes Agieren“ haben wir bei internen Reibungen als Prinzip gesetzt. Das setzt voraus, dass interne Unstimmigkeiten nicht zu Mega-Konflikte aufgebauscht, aber auch nicht ignoriert werden. Risse sind dazu da, sie zu kitten und ein Maximum an organisatorischer Geschlossenheit mit einem Maximum an politischer Zuversicht anzustreben. Und außerdem: Der Kampf für eine klassen- und staatenlosen Gesellschaft, nichts anderes ist als Kommunismus zu begreifen, kann nicht eingestellt werden, solange wir nicht durchgedrungen sind. Wir werden aktiver Teil davon sein und bleiben; in welcher konkreten Konstellation ist eine andere Frage. Aber auch diese werden wir einvernehmlich zu lösen wissen.
Vielleicht erinnern sich einige GenossInnen an unsere „schriftstellerischen“ Anfänge als (mg). Bei unserem Textauftakt (vgl. Interim 539, 29.11.01) haben wir einen Beitrag von militanten GenossInnen der „autonomen miliz“ aufgegriffen und ein paar Fragestellungen herausgearbeitet, mit denen wir uns eindringlicher auseinandergesetzt hatten. Dabei ging es um die Frage nach der Nachahmbarkeit von klandestinen Aktionsformen, die Koordinierung unter Militanten und die Wahl der Mittel und Methoden u.a. über das Angebot militanter Interventionen hinaus. Und die Diskussion um diese kontroversen Aspekte führte uns damals zu der Initiative, einen Debattenversuch über Militanz zu lancieren. Wir waren zu diesem Zeitpunkt aus dem Stadium herausgetreten, noch nicht einmal bei der Stellung der Frage angelangt zu sein. Hunderte beschriebene Seiten später haben wir die Ambivalenz zu konstatieren: einerseits haben wir und viele DiskutantInnen der Militanzdebatte Antworten auf diese Fragekomplexe geliefert (und ergänzende oder auch neue Fragen aufgeworfen), andererseits verfügen wir innerhalb der revolutionären Linken über kein kollektives Gedächtnis, zu viel an Geschichtsbewusstsein über unseren Widerstand ist individualisiert und/oder vitrinisiert. Wir sehen kurzfristig keinen Ausweg aus dem Dilemma, dass wir periodisch an (sattsam) bekannte Punkte von Neuem heran müssen. Teils, weil sich Antworten auf dieselben Fragen zu anderen Zeitpunkten tatsächlich ändern, teils, weil sich im Zuge einer Politisierung von nachrückenden Genrationen überhaupt erst einmal Bezüge zum Widerstand der revolutionären Linken und dessen Entwicklungsgeschichte aufbauen müssen. Wir arbeiten weiterhin daran, dieses Dilemma kleiner werden zu lassen...
Bis hierin: Wie fällt unsere weitere (Zwischen-)Bilanz aus? Wir kehren – über den einen oder anderen holprigen Umweg – zu unserem Dreiklang mit Blickrichtung nach vorn zurück:
Für eine militante Plattform - für einen revolutionären Aufbauprozess - für den Kommunismus!
militante gruppe (mg),
Winter 2008/2009
Quelle: radikal 161, Sommer 2009, Seite 5-15
http://home.arcor.de/radi161/texte/salz.html