Der Verdacht
Fast zwei Jahre lang warf die Bundesanwaltschaft elf jungen Leuten vor, Terroristen zu sein. Die Ermittlungen erbrachten keinen einzigen Beweis
von Andreas Förster
BERLIN. Es ist ein Dienstag im Juni vergangenen Jahres, als Torsten zum Terroristen erklärt wird. Morgens um sechs klopft es an der Tür seiner Wohnung in Berlin-Friedrichshain. "Als ich aufmache, stürmt ein Trupp Vermummter herein und wirft mich zu Boden", erzählt er. Plötzlich liegt er auf dem Bauch, seine Hände sind auf dem Rücken gefesselt. Er hört, wie jemand "Wohnung sicher" ruft. Dann hebt jemand ihn hoch, nimmt ihm die Handschellen wieder ab und setzt ihn auf eine Couch. "Etwa fünfzehn Leute standen in der Wohnung, SEK-Kämpfer und Zivilisten."
Als nächstes sei ein Mann in einem Anzug an ihn herangetreten und habe einen Durchsuchungsbeschluss der Bundesanwaltschaft vorgelesen, erzählt Torsten weiter. Er sei der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verdächtig, hört er. Die Gruppe, zu der angeblich zehn Männer und eine Frau gehören, soll Brandanschläge in Bad Oldesloe verübt haben. "Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen soll", sagt Torsten. "Ich ein Terrorist? Das kann doch nur ein Irrtum sein, dachte ich."
Torsten sitzt in einem Straßencafé in Berlin-Kreuzberg. Er ist 29 Jahre alt, Sozialpädagoge. Er heißt eigentlich nicht Torsten, seine Freunde, um die es später gehen wird, heißen eigentlich auch nicht Klaus, Julius, Paul oder Peter.
Der schmal gewachsene Mann, der Torsten genannt werden will, wirkt unsicher. Fahrig wühlt er in den Papieren vor sich auf dem Tisch. Abgehört habe man ihn und observiert, sagt er, ein Peilsender sei an seinem Auto angebracht worden. Die soziale Einrichtung, bei der er arbeitet, darf seit der Durchsuchung bei ihm vor einem Jahr keine straffällig gewordenen Jugendlichen mehr betreuen. "Dabei habe ich doch nichts mit diesen Anschlägen zu tun", sagt Torsten.
Das Landgericht in Flensburg hat am vergangenen Donnerstag die Razzien bei Torsten und den anderen vom Juni 2007 für rechtswidrig erklärt. Wohnungen und Arbeitsräume von elf angeblichen Linksterroristen in Hamburg, Bad Oldesloe und Berlin waren durchsucht worden. Das hätte nicht angeordnet werden dürfen, sagen die Richter.
Damit dürfte bald das im Frühjahr 2006 von der Bundesanwaltschaft eröffnete Ermittlungsverfahren gegen die vermeintliche Terrorgruppe von Bad Oldesloe eingestellt werden. Es ist längst zu einem Justizskandal geworden. "In dem Bad-Oldesloe-Verfahren sind massivste Grundrechtseingriffe angeordnet und genehmigt worden, obwohl von Beginn an kein hinreichender Tatverdacht gegen auch nur einen der elf Beschuldigten bestanden hat", sagt der Kieler Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der einen der Betroffenen vertritt.
Die Ermittlungen gegen die angeblichen Terroristen beginnen am 27. März 2006. An diesem Tag, morgens gegen halb drei, geraten sechs Fahrzeuge einer Firma für Schweißtechnik in der schleswig-holsteinischen Kreisstadt Bad Oldesloe in Brand. In einem Bekennerschreiben wirft eine Gruppe, die sich "Internationalistische Zellen" nennt, der Firma "ökonomische Ausbeutung" in Afrika vor, weil die im Südsudan an einem Eisenbahnprojekt mitarbeitet. Die bisher unbekannte Gruppe schreibt auch, der Brandanschlag sei Teil des Protests gegen den G8-Gipfel, der ein Jahr später im Ostseebad Heiligendamm stattfinden soll.
Weil der G8-Gipfel erwähnt ist, übernimmt die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen. Gut ein Jahr vor dem Treffen der acht führenden Industrienationen haben die deutschen Sicherheitsbehörden ihr Vorgehen gegen linksradikale Globalisierungskritiker längst verschärft. Immer wieder gehen in Berlin und Hamburg Autos in Flammen auf, Häuser von Politikern und Unternehmern werden mit Steinen oder Farbbeuteln beworfen. In Bekennerschreiben oder Parolen an den Tatorten wird zum Widerstand gegen G8 aufgerufen. Experten aus Sicherheitsbehörden und Ministerien vermuten in linken Szenetreffs Bombenbastler und militante Gruppen, die mit Anschlägen den Gipfel verhindern wollen.
Beweise für eine neue linksterroristische Bewegung gibt es zwar nicht. Trotzdem eröffnet die Bundesanwaltschaft mehrere Verfahren nach dem Terrorismus-Paragrafen 129a. Dieser Paragraf erlaubt den Einsatz weit reichender Ermittlungsmaßnahmen, von der Wohnraumüberwachung über die Postkontrolle bis zur Ortung von Personen über das Navigationssystem GPS. Zwar müssen Richter diese Maßnahmen stets genehmigen - bei 129a-Verfahren wird allerdings kaum ein Antrag der Bundesanwaltschaft abgelehnt.
Auch in Bad Oldesloe lässt die Bundesanwaltschaft im Frühjahr 2006 nach Linksterroristen fahnden. Es hatte zwei Jahre zuvor schon einmal einen Brandanschlag auf einem Firmengelände in der Stadt gegeben. Und im Jahr 2002 hatte jemand versucht, einen Bus der Bundeswehr im nahen Örtchen Glinde anzuzünden. Die drei Anschläge - der erste auf den Bus war gescheitert - werden nun der vermeintlichen Terrorgruppe von Bad Oldesloe zugeschrieben. Dass die Brände von den gleichen Tätern gelegt wurden, ist nicht belegt. Sondern nur eine Vermutung der Ermittler.
Der erste Verdächtige ist Klaus. Er wohnt in Bad Oldesloe und ist "in linksgerichteten und antifaschistischen Gruppierungen aktiv", wie die Ermittler schreiben. Die Bundesanwaltschaft erklärt Klaus kurzerhand zum Kopf der angeblichen Terrorgruppe. Verdächtig macht ihn allein, dass er in der Nacht des Anschlags im März 2006 vier Mal mit seiner Freundin telefoniert.
Die Telefonate des Paars sind in einer Funkzelle registriert worden, in der Klaus Wohnung liegt - aber auch der Tatort des Anschlags. Die Freundin von Klaus wird zur zweiten Beschuldigten.
Nach Klaus und seiner Freundin gibt es schnell weitere Beschuldigte. Die meisten der jungen Leute sind Polizei und Staatsschutz bekannt. Sie stammen alle aus dem politisch linken Spektrum, aus der Antifa. Sie spähen Neonazis aus, fotografieren sie und organisieren Proteste gegen Nazidemos und Rechtsrock-Konzerte. Dabei geht es auch mal richtig zur Sache, es kommt etwa zu Prügeleien. Gegen einige der Freunde wurde das eine oder andere Mal ermittelt - wegen Landfriedensbruch etwa oder versuchter Körperverletzung. Aber keiner von ihnen ist vorbestraft.
Sie sind Linke und Linksradikale. Aber Terroristen? Der Blick in die Akten zeigt, mit welch vagen Indizien und zum Teil haarsträubenden Begründungen die jungen Leute zu Terrorverdächtigen erklärt wurden.
Julius etwa ist verdächtig, weil er mit Klaus zusammen wohnt und mit ihm Antifa-Aktionen organisiert. Auffällig ist laut Ermittlerbericht auch, dass Julius misstrauisch auf ein Wohnungsangebot in Hamburg reagierte. Dies lasse "Sorge, in eine von staatlicher Seite überwachte Wohnung gelockt zu werden, erkennen", heißt es in einem Vermerk der Bundesanwaltschaft.
Hans ist ein Freund von Klaus und Julius und wird allein deshalb ebenfalls zur Terrorgruppe gerechnet. Er sei "stark in die Personenbeziehung eingebunden", vermerkt die Bundesanwaltschaft.
Auch Paul ist ein Freund von Klaus. Ihn macht verdächtig, dass seine Haare auf einer Seite des Kopfs kurz rasiert sind. "Dies entsprach weder seiner bis dahin bekannten Frisur noch der szenetypischen Mode und lässt den Schluss zu, dass die Haare beim Brandanschlag . einen Monat zuvor versengt wurden", schreibt die Bundesanwaltschaft.
Peter wird zum Beschuldigten, nachdem Julius eines Abends einen Computer im linken Szenetreff Ini-Haus in Bad Oldesloe vergessen hat. Von zu Hause ruft Julius deshalb Peter an, der im Ini-Haus arbeitet. Er bittet Peter, den Computer in einem sicheren Raum einzuschließen. Im Bericht der Bundesanwaltschaft heißt es: "Erkenntnissen aus der Telekommunikationsüberwachung zufolge" habe Peter für den Beschuldigten Julius einen Datenträger versteckt.
Torsten, der Sozialpädagoge aus Kreuzberg, gerät als einer der letzten ins Visier der Fahnder. Ihm wird zum Verhängnis, dass er einen Freund hat, der wiederum einige der Bad Oldesloer Beschuldigten kennt. Verdächtig macht Torsten laut Ermittlungsbericht zudem, dass er sich am Telefon mit Freunden auffallend wenig über politische Dinge unterhält.
Bevor die Bundesanwaltschaft die Hausdurchsuchungen bei Torsten und den anderen anordnet, lässt sie die elf angeblichen Linksterroristen monatelang ausspähen. Peilsender werden an Autos montiert, Überwachungskameras in Hausfluren installiert, Mikrofone in Wohnungen eingebaut, Observationskommandos in die Spur geschickt. Die Überwachungsprotokolle und Ermittlungsberichte füllen mehr als fünfzig Leitz-Ordner.
Viel kommt bei der langen und teuren Antiterror-Operation allerdings nicht heraus.
Die zehn Männer und die Frau basteln weder Brandbomben noch schmieden sie Anschlagspläne. In den belauschten Gesprächen geht es meist um Kundgebungen von und Aktionen gegen Neonazis. Und nicht um Globalisierungs-Themen oder den G8-Gipfel. Der interessiert die Antifa-Aktivisten einfach nicht.
Dennoch erwirkt die Bundesanwaltschaft im Mai 2007 beim zuständigen Landgericht in Karlsruhe eine weitere Verlängerung des Lauschangriffs auf die Wohnung der beiden Hauptverdächtigen Klaus und Julius in Bad Oldesloe. Dass die Beschuldigten nicht über Anschlagspläne und den G8-Gipfel reden, sei Ausdruck einer besonderen Konspiration, argumentieren die Ermittler. Indizien oder gar Beweise für den Terrorismusvorwurf ergibt dieser Lauschangriff nicht. Ebenso wenig wie die Durchsuchungen bei den elf Beschuldigten im Juni.
Im Januar 2008 lässt die Bundesanwaltschaft den Terrorismusvorwurf fallen und gibt das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Flensburg ab. Der Bundesgerichtshof hatte in den Monaten zuvor bereits zwei andere Verfahren gegen angebliche Linksterroristen kassiert.
Der Verdacht, dass die Gruppe den G8-Gipfel zum Anlass eines spektakulären Anschlags nehmen würde, habe sich nicht bestätigt, heißt es in dem Abgabevermerk. Und: "Auch aus den bislang durchgeführten Ermittlungen haben sich keine weiteren Hinweise ergeben, die die zunächst angenommene hochgradige Gefährlichkeit der Gruppierung untermauerten."
Und die Flensburger Richter, die vergangene Woche die Razzien nachträglich für rechtswidrig erklärt haben, stellten fest: "Ein Anfangsverdacht nach Paragraf 129a war von vornherein nicht gegeben."
von Andreas Förster
BERLIN. Es ist ein Dienstag im Juni vergangenen Jahres, als Torsten zum Terroristen erklärt wird. Morgens um sechs klopft es an der Tür seiner Wohnung in Berlin-Friedrichshain. "Als ich aufmache, stürmt ein Trupp Vermummter herein und wirft mich zu Boden", erzählt er. Plötzlich liegt er auf dem Bauch, seine Hände sind auf dem Rücken gefesselt. Er hört, wie jemand "Wohnung sicher" ruft. Dann hebt jemand ihn hoch, nimmt ihm die Handschellen wieder ab und setzt ihn auf eine Couch. "Etwa fünfzehn Leute standen in der Wohnung, SEK-Kämpfer und Zivilisten."
Als nächstes sei ein Mann in einem Anzug an ihn herangetreten und habe einen Durchsuchungsbeschluss der Bundesanwaltschaft vorgelesen, erzählt Torsten weiter. Er sei der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verdächtig, hört er. Die Gruppe, zu der angeblich zehn Männer und eine Frau gehören, soll Brandanschläge in Bad Oldesloe verübt haben. "Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen soll", sagt Torsten. "Ich ein Terrorist? Das kann doch nur ein Irrtum sein, dachte ich."
Torsten sitzt in einem Straßencafé in Berlin-Kreuzberg. Er ist 29 Jahre alt, Sozialpädagoge. Er heißt eigentlich nicht Torsten, seine Freunde, um die es später gehen wird, heißen eigentlich auch nicht Klaus, Julius, Paul oder Peter.
Der schmal gewachsene Mann, der Torsten genannt werden will, wirkt unsicher. Fahrig wühlt er in den Papieren vor sich auf dem Tisch. Abgehört habe man ihn und observiert, sagt er, ein Peilsender sei an seinem Auto angebracht worden. Die soziale Einrichtung, bei der er arbeitet, darf seit der Durchsuchung bei ihm vor einem Jahr keine straffällig gewordenen Jugendlichen mehr betreuen. "Dabei habe ich doch nichts mit diesen Anschlägen zu tun", sagt Torsten.
Das Landgericht in Flensburg hat am vergangenen Donnerstag die Razzien bei Torsten und den anderen vom Juni 2007 für rechtswidrig erklärt. Wohnungen und Arbeitsräume von elf angeblichen Linksterroristen in Hamburg, Bad Oldesloe und Berlin waren durchsucht worden. Das hätte nicht angeordnet werden dürfen, sagen die Richter.
Damit dürfte bald das im Frühjahr 2006 von der Bundesanwaltschaft eröffnete Ermittlungsverfahren gegen die vermeintliche Terrorgruppe von Bad Oldesloe eingestellt werden. Es ist längst zu einem Justizskandal geworden. "In dem Bad-Oldesloe-Verfahren sind massivste Grundrechtseingriffe angeordnet und genehmigt worden, obwohl von Beginn an kein hinreichender Tatverdacht gegen auch nur einen der elf Beschuldigten bestanden hat", sagt der Kieler Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der einen der Betroffenen vertritt.
Die Ermittlungen gegen die angeblichen Terroristen beginnen am 27. März 2006. An diesem Tag, morgens gegen halb drei, geraten sechs Fahrzeuge einer Firma für Schweißtechnik in der schleswig-holsteinischen Kreisstadt Bad Oldesloe in Brand. In einem Bekennerschreiben wirft eine Gruppe, die sich "Internationalistische Zellen" nennt, der Firma "ökonomische Ausbeutung" in Afrika vor, weil die im Südsudan an einem Eisenbahnprojekt mitarbeitet. Die bisher unbekannte Gruppe schreibt auch, der Brandanschlag sei Teil des Protests gegen den G8-Gipfel, der ein Jahr später im Ostseebad Heiligendamm stattfinden soll.
Weil der G8-Gipfel erwähnt ist, übernimmt die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen. Gut ein Jahr vor dem Treffen der acht führenden Industrienationen haben die deutschen Sicherheitsbehörden ihr Vorgehen gegen linksradikale Globalisierungskritiker längst verschärft. Immer wieder gehen in Berlin und Hamburg Autos in Flammen auf, Häuser von Politikern und Unternehmern werden mit Steinen oder Farbbeuteln beworfen. In Bekennerschreiben oder Parolen an den Tatorten wird zum Widerstand gegen G8 aufgerufen. Experten aus Sicherheitsbehörden und Ministerien vermuten in linken Szenetreffs Bombenbastler und militante Gruppen, die mit Anschlägen den Gipfel verhindern wollen.
Beweise für eine neue linksterroristische Bewegung gibt es zwar nicht. Trotzdem eröffnet die Bundesanwaltschaft mehrere Verfahren nach dem Terrorismus-Paragrafen 129a. Dieser Paragraf erlaubt den Einsatz weit reichender Ermittlungsmaßnahmen, von der Wohnraumüberwachung über die Postkontrolle bis zur Ortung von Personen über das Navigationssystem GPS. Zwar müssen Richter diese Maßnahmen stets genehmigen - bei 129a-Verfahren wird allerdings kaum ein Antrag der Bundesanwaltschaft abgelehnt.
Auch in Bad Oldesloe lässt die Bundesanwaltschaft im Frühjahr 2006 nach Linksterroristen fahnden. Es hatte zwei Jahre zuvor schon einmal einen Brandanschlag auf einem Firmengelände in der Stadt gegeben. Und im Jahr 2002 hatte jemand versucht, einen Bus der Bundeswehr im nahen Örtchen Glinde anzuzünden. Die drei Anschläge - der erste auf den Bus war gescheitert - werden nun der vermeintlichen Terrorgruppe von Bad Oldesloe zugeschrieben. Dass die Brände von den gleichen Tätern gelegt wurden, ist nicht belegt. Sondern nur eine Vermutung der Ermittler.
Der erste Verdächtige ist Klaus. Er wohnt in Bad Oldesloe und ist "in linksgerichteten und antifaschistischen Gruppierungen aktiv", wie die Ermittler schreiben. Die Bundesanwaltschaft erklärt Klaus kurzerhand zum Kopf der angeblichen Terrorgruppe. Verdächtig macht ihn allein, dass er in der Nacht des Anschlags im März 2006 vier Mal mit seiner Freundin telefoniert.
Die Telefonate des Paars sind in einer Funkzelle registriert worden, in der Klaus Wohnung liegt - aber auch der Tatort des Anschlags. Die Freundin von Klaus wird zur zweiten Beschuldigten.
Nach Klaus und seiner Freundin gibt es schnell weitere Beschuldigte. Die meisten der jungen Leute sind Polizei und Staatsschutz bekannt. Sie stammen alle aus dem politisch linken Spektrum, aus der Antifa. Sie spähen Neonazis aus, fotografieren sie und organisieren Proteste gegen Nazidemos und Rechtsrock-Konzerte. Dabei geht es auch mal richtig zur Sache, es kommt etwa zu Prügeleien. Gegen einige der Freunde wurde das eine oder andere Mal ermittelt - wegen Landfriedensbruch etwa oder versuchter Körperverletzung. Aber keiner von ihnen ist vorbestraft.
Sie sind Linke und Linksradikale. Aber Terroristen? Der Blick in die Akten zeigt, mit welch vagen Indizien und zum Teil haarsträubenden Begründungen die jungen Leute zu Terrorverdächtigen erklärt wurden.
Julius etwa ist verdächtig, weil er mit Klaus zusammen wohnt und mit ihm Antifa-Aktionen organisiert. Auffällig ist laut Ermittlerbericht auch, dass Julius misstrauisch auf ein Wohnungsangebot in Hamburg reagierte. Dies lasse "Sorge, in eine von staatlicher Seite überwachte Wohnung gelockt zu werden, erkennen", heißt es in einem Vermerk der Bundesanwaltschaft.
Hans ist ein Freund von Klaus und Julius und wird allein deshalb ebenfalls zur Terrorgruppe gerechnet. Er sei "stark in die Personenbeziehung eingebunden", vermerkt die Bundesanwaltschaft.
Auch Paul ist ein Freund von Klaus. Ihn macht verdächtig, dass seine Haare auf einer Seite des Kopfs kurz rasiert sind. "Dies entsprach weder seiner bis dahin bekannten Frisur noch der szenetypischen Mode und lässt den Schluss zu, dass die Haare beim Brandanschlag . einen Monat zuvor versengt wurden", schreibt die Bundesanwaltschaft.
Peter wird zum Beschuldigten, nachdem Julius eines Abends einen Computer im linken Szenetreff Ini-Haus in Bad Oldesloe vergessen hat. Von zu Hause ruft Julius deshalb Peter an, der im Ini-Haus arbeitet. Er bittet Peter, den Computer in einem sicheren Raum einzuschließen. Im Bericht der Bundesanwaltschaft heißt es: "Erkenntnissen aus der Telekommunikationsüberwachung zufolge" habe Peter für den Beschuldigten Julius einen Datenträger versteckt.
Torsten, der Sozialpädagoge aus Kreuzberg, gerät als einer der letzten ins Visier der Fahnder. Ihm wird zum Verhängnis, dass er einen Freund hat, der wiederum einige der Bad Oldesloer Beschuldigten kennt. Verdächtig macht Torsten laut Ermittlungsbericht zudem, dass er sich am Telefon mit Freunden auffallend wenig über politische Dinge unterhält.
Bevor die Bundesanwaltschaft die Hausdurchsuchungen bei Torsten und den anderen anordnet, lässt sie die elf angeblichen Linksterroristen monatelang ausspähen. Peilsender werden an Autos montiert, Überwachungskameras in Hausfluren installiert, Mikrofone in Wohnungen eingebaut, Observationskommandos in die Spur geschickt. Die Überwachungsprotokolle und Ermittlungsberichte füllen mehr als fünfzig Leitz-Ordner.
Viel kommt bei der langen und teuren Antiterror-Operation allerdings nicht heraus.
Die zehn Männer und die Frau basteln weder Brandbomben noch schmieden sie Anschlagspläne. In den belauschten Gesprächen geht es meist um Kundgebungen von und Aktionen gegen Neonazis. Und nicht um Globalisierungs-Themen oder den G8-Gipfel. Der interessiert die Antifa-Aktivisten einfach nicht.
Dennoch erwirkt die Bundesanwaltschaft im Mai 2007 beim zuständigen Landgericht in Karlsruhe eine weitere Verlängerung des Lauschangriffs auf die Wohnung der beiden Hauptverdächtigen Klaus und Julius in Bad Oldesloe. Dass die Beschuldigten nicht über Anschlagspläne und den G8-Gipfel reden, sei Ausdruck einer besonderen Konspiration, argumentieren die Ermittler. Indizien oder gar Beweise für den Terrorismusvorwurf ergibt dieser Lauschangriff nicht. Ebenso wenig wie die Durchsuchungen bei den elf Beschuldigten im Juni.
Im Januar 2008 lässt die Bundesanwaltschaft den Terrorismusvorwurf fallen und gibt das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Flensburg ab. Der Bundesgerichtshof hatte in den Monaten zuvor bereits zwei andere Verfahren gegen angebliche Linksterroristen kassiert.
Der Verdacht, dass die Gruppe den G8-Gipfel zum Anlass eines spektakulären Anschlags nehmen würde, habe sich nicht bestätigt, heißt es in dem Abgabevermerk. Und: "Auch aus den bislang durchgeführten Ermittlungen haben sich keine weiteren Hinweise ergeben, die die zunächst angenommene hochgradige Gefährlichkeit der Gruppierung untermauerten."
Und die Flensburger Richter, die vergangene Woche die Razzien nachträglich für rechtswidrig erklärt haben, stellten fest: "Ein Anfangsverdacht nach Paragraf 129a war von vornherein nicht gegeben."