»Das Leben der Anderen -- Teil 2« Katja Kipping über den schleichenden Umbau der deutschen Sicherheitsarchitektur

Die am letzten Wochenende wiedergewählte Vizevorsitzende der LINKEN ist auch für den Dialog mit außerparlamentarischen Gruppen zuständig. Das umstrittene »BKA-Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus« sieht den Umbau der Polizeibehörde zu einer Anti-Terror-Behörde vor -- im Fokus hierbei auch antifaschistische und linksradikale Gruppierungen.

ND: Die Rede ist allenthalben von einem Umbau des Rechtsstaats. Wie geht dieser vonstatten?

Katja Kipping: Die angestrebte neue Sicherheitsarchitektur zeichnet sich für mich durch drei Aspekte aus. Erstens wird das Zentralitätsverbot der Polizei, das nach dem zweiten Weltkrieg aus gutem Grund eingeführt wurde, aufgehoben. Zweitens wird das Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und Polizei zunehmend unterhöhlt. Und drittens wird die Grenze zwischen »Bürger« und »Feind« immer fließender. Es reicht schon, Kontakt zu Verdächtigen zu haben, um selber als verdächtig zu gelten.

Wie weit ist dieser Umbau schon gediehen, welche Rolle spielt hier das neue BKA-Gesetz?

Der Prozess ist von Otto Schily nach dem 11. September 2001 in die Wege geleitet worden. Er hat den Boden bereitet, der jetzt von Wolfgang Schäuble weiter bearbeitet wird. Das BKA-Gesetz, das bislang als Entwurf vorliegt, ist nur die Krönung des Ganzen. Die Razzien im Vorfeld des G-8-Gipfels und die Schikanen, die noch immer gegen die Betroffenen laufen, sind in diese Entwicklung einzuordnen. Es geht da nicht nur um ein paar Linksradikale. Das ist Ausdruck einer neuen Sicherheitsarchitektur, die jeden treffen kann. Sieht man sich Urteile des Bundesgerichtshofs gegen die Bundesanwaltschaft vom letzten Jahr an, hat man zwar den Eindruck, dass die Kontrolle durch den Rechtsstaat funktioniert. Das Gericht hat geurteilt, dass die Ermittlungen nach 129a falsch waren. Trotzdem werden die Ermittlungen nicht eingestellt und es werden weiter Zeugen vorgeladen. Es ist doch in einem Rechtsstaat auch die Frage, wie diese Urteile letztendlich umgesetzt werden.

Der Paragraf 129a stellt die Bildung terroristischer Vereinigungen unter Strafe und wird auf Sozialprotest angewandt. Wieso diese Überspitzung?

Es gibt eine Zunahme der sozialen Spaltung, die leicht zum Sprengstoff innerhalb einer Gesellschaft werden kann. Anstatt durch Prävention und sozialen Ausgleich entgegenzuwirken, werden die Sicherheitsgesetze verschärft. Das halte ich für eine sehr gefährliche Entwicklung. Auch die aktuellen 129a-Verfahren werden in erster Linie genutzt, um über die Beschuldigten und ihr gesamtes Umfeld Daten zu sammeln, die man dann verwenden kann. Dass nur ein sehr kleiner Prozentsatz dieser Verfahren zu einer Verurteilung führt, ist bekannt.

Ist das BKA-Gesetz noch zu verhindern?

Wir arbeiten darauf hin, dass der Entwurf überhaupt nicht zur Abstimmung kommt. Mit gutem Grund: Verheerend finden wir, dass eine lange Reihe von Kompetenzen für das BKA aufgelistet ist. Zweitens ist sehr vage formuliert, inwieweit das BKA gegenüber den Landespolizeien ein Weisungsrecht hat. Im schlimmsten Fall wäre damit das Zentralitätsverbot komplett außer Kraft.

Was, wenn es in Kraft tritt?

Berichte über die Ermittlungen im letzten Jahr lesen sich, als wäre man in den Film »Das Leben der anderen -- Teil 2« geraten. Eine der Lehren aus der DDR ist, dass man Grund- und Freiheitsrechte nicht für ein vermeintlich höheres Ziel opfern darf. Die Parteien, die gern eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit von uns fordern, sollten sich diese zu Herzen nehmen.

Fragen: Jörg Meyer