Mandantengespräche in Ermittlungsakten

Einstellung der 129a-Verfahren gefordert. Von Jörg Meyer

Anlässlich des Jahrestages der bundesweiten Hausdurchsuchungen im Vorfeld des G8-Gipfels am 9. Mai 2007 forderten Attac, Anwälte und die LINKE die Einstellung der 129a-Verfahren gegen 40 Aktivisten.

Es wird weiter ermittelt, obwohl in den vier aktuellen Ermittlungsverfahren gegen linke Aktivisten der Vorwurf der »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« (§129a) längst fallengelassen wurde. Das kritisierte Rechtsanwältin Christina Clemm anlässlich des heutigen Jahrestages der Durchsuchungen im Vorfeld des G8-Gipfels. In Berlin, Hamburg und Bremen waren 18 Personen beschuldigt worden, eine terroristische Vereinigung mit dem Namen »militante Kampagne zur Verhinderung des G8-Gipfels« gebildet zu haben. Weitere Ermittlungsverfahren laufen gegen die »militante Gruppe« (mg), der Brandanschläge auf Bundeswehreinrichtungen vorgeworfen werden – seit 2001 gegen fünf Beschuldigte, seit 2006 gegen weitere sieben in einem zweiten mg-Verfahren. Überdies wurde seit 2006 gegen elf Linke aus Bad Oldesloe, Hamburg und Berlin ermittelt.

Rechtsanwalt Alexander Hoffmann erklärte am Donnerstag in Berlin, dass es sich um »sehr unterschiedliche« Verfahren handele. Allen gemein sei jedoch die »unrühmliche Rolle des Geheimdienstes«. So habe der Verfassungsschutz im ersten mg-Verfahren die polizeilichen Ermittlungen erst angeregt und sich dann mit Videoüberwachungen direkt an ihnen beteiligt. »Alle rechtlichen Grenzen der Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten wurden überschritten«, so Hoffmann. Zudem seien auch Journalisten und Rechtsanwälte abgehört worden. Er selbst habe »seitenlang« seine Rechtshilfetipps an Mandanten in den Ermittlungsakten lesen können.

Auch Katja Kipping, Vizechefin der LINKEN und an den G8-Protesten beteiligt, kritisierte die Verfahren. Sie hätten gezeigt, dass jeder ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten könne. Die Grenze zwischen »Bürger und Feind« verlaufe zunehmend fließend. Den Paragrafen 129a nannte Kipping einen »Schnüffelparagrafen«, der abgeschafft gehöre. Zwischen 80 und 95 Prozent der Verfahren würden ergebnislos eingestellt.

Pedram Shayar vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac forderte ebenfalls die sofortige Einstellung der Verfahren, die Abschaffung der Paragrafen 129a und b sowie die Löschung der »rechtswidrig erworbenen Daten«.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte der Bundesanwaltschaft (BAW) im sogenannten G8-Verfahren die Zuständigkeit im Dezember 2007 entzogen. Das Verfahren von Bad Oldesloe wollte die BAW im Januar von sich aus einstellen. Clemm, Anwältin im G8- und dem jüngsten mg-Verfahren, sagte: »Wäre die Bundesanwaltschaft den aktuellen Beschlüssen des Bundesgerichtshofs gefolgt, hätte es die Überwachungen und Durchsuchungen in diesem Ausmaß nie geben dürfen.« Die BAW habe den Paragrafen jedoch bewusst angewendet, um über ein derart breites Arsenal an Überwachungsmaßnahmen zu verfügen, meinte sie. Obwohl die Entscheidungen des BGH mehrere Monate zurückliegen, seien die meisten Akten noch nicht an die jetzt zuständigen lokalen Staatsanwaltschaften weitergeleitet worden. »Mann muss davon ausgehen, dass in allen Verfahren weiter observiert wird«, sagte Clemm gegenüber ND.

 


9. Mai 2007: Hunderte Beamte durchsuchen 40 Wohnungen, Vereinsräume und Büros in Berlin und Norddeutschland. Am Abend protestieren über 10 000 Menschen in knapp 30 Städten.

13. Juni 2007: Razzien im »Bad Oldesloe-Verfahren« in Norddeutschland und Berlin. l 31. Juli 2007: Drei Personen werden in Brandenburg festgenommen. Sie sollen versucht haben, einen Bundeswehr-Lkw anzuzünden. Eine vierte wird in Berlin verhaftet. Sie sind mittlerweile wieder auf freiem Fuß.

Seit 2001: Durchsuchungen von mehr als 70 Wohnungen, Arbeitsstätten und Projekten, knapp 90 abgehörte Telefone, rund 20 überwachte Wohnadressen, mindestens zwei Mal »Großer Lauschangriff«, 10 Mal »Kleiner Lauschangriff«.

Insgesamt in den Akten benannte Personen: rund 2000.