Justiz ignoriert Justiz

Ein Jahr nach Razzien bei Gegnern des G-8-Gipfels in Heiligendamm: Bundesanwaltschaft ermittelt trotz Entzug des Mandats weiter gegen angeblich Terrorverdächtige. Von Jana Frielinghaus

Die Bundesanwaltschaft selbst machte unmittelbar nach den von ihr angeordneten Razzien klar: Hier bestand mitnichten Gefahr im Verzug, die solches Vorgehen gerechtfertigt hätte. Vor genau einem Jahr, am 9. Mai 2007, durchsuchten Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) bundesweit rund 40 Wohnungen, Arbeitsplätze und Projekte linker Aktivisten. In der Folge wurde bekannt, daß der Verfassungsschutz einige Personen bereits seit Jahren observiert hatte – wegen des Verdachts auf Bildung einer »terroristischen Vereinigung« nach Paragraph 129 a des Strafgesetzbuches. Sowohl die Razzien am 9. Mai als auch die Inhaftierung von vier Personen Ende Juli 2007, unter ihnen der Berliner Soziologe Andrej Holm, resultierten aus verdeckten Ermittlungsverfahren. Über den Stand dieser Verfahren informierten am Donnerstag in Berlin Christina Clemm, Anwältin von G-8-Gegnern und als angebliche Angehörige der »militanten gruppe« (mg) Verdächtigten, und Alexander Hoffmann, Rechtsbeistand von Antifaschisten aus Bad Oldesloe. Pedram Shahyar vom Koordinierungskreis des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC resümierte die politischen Wirkungen der Repressalien gegen G-8-Gegner. Sie hätten zu einer starken Solidarisierung und eben nicht zu der beabsichtigten Spaltung der Bewegung geführt. Gemeinsam mit Katja Kipping, Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag, forderte Shahyar die Streichung des Paragraphen 129a. Kipping unterstrich dessen Bedeutung als Instrument zur Einschüchterung und Ausforschung Linker, das »noch nie gegen eine Neonaziorganisation angewendet« worden sei.

Allen aktuellen 129-a-Verfahren gemeinsam ist: Sie laufen weiter, ohne daß dafür noch irgendeine rechtliche Grundlage besteht – oder ihre offizielle Einstellung wird gezielt hinausgezögert. Nach Angaben von Christina Clemm sind in der Strafprozeßordnung keine Fristen festgelegt, nach deren Ablauf die Einstellung eines Verfahrens erzwungen werden kann. Dabei hatte der Bundesgerichtshof (BGH) am 28. November erklärt, die mg sei keine »terroristische Vereinigung«, die BAW müsse die Ermittlungen deshalb an die zuständigen Staatsanwaltschaften abgeben. Bislang sei jedoch nichts bei den zuständigen Behörden angekommen.

Das Verfahren gegen eine angebliche »militante Kampagne gegen den G-8-Gipfel«, gegen die sich die Raz­zien am 9. Mai gerichtet hatten, wurde der BAW vom BGH mit Beschluß vom 20. Dezember entzogen. Es gab schlicht keinerlei reale Verdachtsmomente. Die Akten sind noch immer nicht bei den zuständigen Staatsanwaltschaften angekommen.

Im Bad Oldesloer Verfahren gegen elf Antifaschisten hat die BAW bereits Ende Januar angekündigt, das Verfahren nach Paragraph 129 a fallenzulassen und an die zuständige Staatsanwaltschaft in Flensburg zu übergeben. Dort sind die Akten bis heute nicht angekommen. Anwalt Hoffmann berichtete am Donnerstag von absurden Verdachtskonstruktionen. Der Verfassungsschutz habe dieses Verfahren nicht nur »losgetreten«, so Hoffmann, sondern sich auch in die laufenden Ermittlungen eingemischt. Dies, obwohl es das von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verlangte BKA-Gesetz, das dergleichen legalisieren soll, noch gar nicht gebe. Hoffmann warnte eindringlich vor der Illusion, mit einer richterlichen Kontrolle von fragwürdigen Vorhaben von Ermittlern würde »irgendein Grundrecht geschützt«. Gerade die laufenden Verfahren hätten das Gegenteil gezeigt.