Wie alles (bisher) war - Betroffene des MG-Verfahrens berichten
Der folgende Text kann weder alle Einzelheiten unserer Festnahme und die nachfolgenden Monate in U-Haft nachzeichnen noch eine detaillierte Analyse zu politischer Gefangenschaft liefern. Wir werden hier einen stark subjektiv gefärbten Erfahrungsbericht liefern, der einen (ersten) Eindruck vermitteln soll, wie wir die vergangenen Monate nach unserer Inhaftierung und der Haftverschonung so hinter uns gebracht haben.
Zur Vorgeschichte einer politisch-biografischen Zäsur
Der Ursprung unserer Geschichte spielt sich auf einer völlig unbedeutenden Buckelpiste in der Brandenburgischen Pampa ab. Irgendwann in den frühen Morgenstunden des 1. August 2007 werden wir in einer spektakulären, filmreifen Szene in unserem Fahrzeug gestoppt; vor, hinter und neben uns postieren sich Fahrzeuge, schwer bewaffnete Männer und Frauen springen heraus, zerschlagen mit Tonfas unsere Autoscheiben, halten uns ihre entsicherten Knarren Richtung Schädeldecke und ziehen uns teils durch die zerkloppten Fensterrahmen ins "Freie", Schnittwunden und Schläge mit dem Pistolenknauf auf Hinterkopf und in die Rippen inklusive. Nach dem erzwungenen Verlassen unseres Fahrzeugs wurden wir einzeln und einige Meter voneinander entfernt auf den Boden gedrückt, Handschellen rasteten ein und etwas Mützenartiges wurde uns über den Kopf gezogen.
Eintönige Kachelwände auf dem Polizeirevier in Brandenburg/Havel
Innerhalb einer Wartestunde wurden wir einzeln und getrennt voneinander in ankommende BKA-Fahrzeuge verfrachtet und zur örtlichen Polizeistation nach Brandenburg/Havel gebracht. Dort angelangt, begann die ganze Prozedur der Personalienfeststellung, der körperlichen Durchsuchung und des überflüssigen Versuchs, dass wir uns doch zum Tathergang äußern könnten. Unsere gesamte Kleidung bis auf die Unterhose wurde eingezogen und in Plastiktüten verstaut. Als Kleidungsersatzstück bekamen wir einen Einwegmaleranzug zugeteilt, dessen Tragekomfort sich bereits nach einigen wenigen Stunden erheblich verringerte, insbesondere dann, wenn die eigenen Körperausmaße nicht mit der Anzugsgröße korrespondieren wollten.
Auf der Station wurde uns auch erstmals mitgeteilt, worum es sich denn eigentlich handelt. Wir wurden, so die Darstellung von Beamten, dabei beobachtet, wie wir gezündete Brandsätze unter drei Bundeswehr-LKWs gelegt haben sollen. So etwas sei wohl "strafbar", hat man uns gesagt. Einige Stunden später wurden wir zur Abgabe von Fingerabdrücken genötigt, des weiteren wurde uns eine Schweiß-/Geruchsprobe teils durch staatliche Gewaltanwendung abgenommen. Dazu wurden uns Alu-Tüten über die Hände gezogen und an unseren Unterarmen mit starkem Klebeband befestigt. Eine gute Stunde schwitzten wir so vor uns hin. Während der Zeit auf dem Revier wurden wir jeweils einzeln in den Ausnüchterungszellen einquartiert, insgesamt verbrachten wir dort ca. 48 Stunden. In Erinnerung blieben uns allen die grell weiße Kachelei und das penetrante Säuseln der Lüftungsanlage.
Das Ding mit dem "Terroristisch-Sein" haben wir erst ca. 24 Stunden nach unserer Ankunft in Brandenburg/Havel erfahren, als sich unsere AnwältInnen bei uns vorstellten. Ein wirklich beruhigender Moment als klar wurde, dass sich unsere Festnahme bis nach Berlin herumgesprochen haben musste. Von unseren AnwältInnen wurde uns offeriert, dass im Zusammenhang mit dem Vorwurf des versuchten Brandanschlags eine weitere Person festgenommen wurde. Wir, die wir nun zu viert waren, sollen wie drei zusätzliche Leute wegen Mitgliedschaft in der Militanten Gruppe (MG) nach § 129a ganz fett ran genommen werden. Das saß dann erst mal nicht schlecht in der Magengrube. Spätestens ab diesem Zeitpunkt mussten wir damit umgehen, dass an uns das volle Programm staatlicher Repression durchexerziert werden soll.
In den Folgestunden haben wir ein ständiges Hin und Her wahrgenommen, was mit uns geschehen solle bzw. wohin wir erst mal verbracht werden sollen. Erst sickerte durch, dass wir zum BKA nach Wiesbaden gefahren werden, dann hieß es, dass es wohl eine Transportgelegenheit nach Karlsruhe zur BAW geben wird. Schlussendlich übernachteten wir ein zweites mal in den Ausnüchterungszellen. Am nächsten Morgen verdichtete sich der Verdacht: ab nach Karlsruhe?
Wir wollten nie zum KSC!
Schwer bewacht wurden wir zum Gefangenentransporter geführt, jeweils in eine Box gequetscht und ab ging's zu einer Landebahn. Allein das etwa viertelstündige Hochfahren der klapprigen Maschine war ein Spaß für sich, bis die eigentliche Flughöhe erreicht war. Der Kollege, der einige Stunden nach unserer Festnahme ins Berliner LKA-Gebäude verschleppt wurde, befand sich ebenfalls an Bord. Jeweils zwei BKAler platzierten sich links und rechts von uns, beobachten aufs Penibelste unsere Körpersprache oder nonverbalen Kontaktversuche. Nach dem 2-Stunden-Überflug steuerten wir den Hof des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe an. Unsere AnwältInnen erwarteten uns bereits und die ersten Gespräche konnten geführt werden. Jeder von uns Vieren wurde nach einer längeren Wartezeit mit den Anwälten zum BAW-Ermittlungsrichter vorgelassen. Zwei VertreterInnen des BKA servierten ihre Sicht der Dinge, d.h. wir seien Aktivisten der Militanten Gruppe (MG). Unsere Anwälte intervenierten entsprechend, mussten aber schnell feststellen, dass das den Herrn Ermittlungsrichter nur sehr wenig rührte und er hauptsächlich damit beschäftigt war, die mangelnde Rechtschreibung seiner Protokollantin zu korrigieren. Lange Rede, kurzer Sinn: Ausstellung des Haftbefehls mit Gütesiegel. Nach weiteren Stunden des Wartens ging es auf demselben Weg wieder zurück nach Berlin.
Willkommen in der Moabiter U-Haft
Zu vorgerückter Stunde und nach einem langen Arbeitstag wurde unser Begleitschutz richtig ausgelassen. Der Vorstand des BKA-Nachwuchses fing an, kleine "Kassiber" unter seinen Sprösslingen herumzureichen, die wir natürlich registrieren sollten. Auf denen waren verschiedene Euro-Summen notiert, das jeweilige "Kopfgeld" für jeden von uns. Außerdem bepissten sich die honorigen Jungs und Herren des BKA vor Vorfreude, dass sie nach unserer Ankunft in Berlin ganz groß auffahren würden. Ursprünglich sollten wir in der Kruppstraße, in der Nähe der U-Haftanstalt Moabit, landen. Aus welchem Grund auch immer wurden wir weiter delegiert nach Berlin-Ahrensfelde, einem Hubschrauber-Stützpunkt des BGS. Dort wacklig aber sicher Erdboden erreichend, standen auch schon mit MP's bewaffnete BGSler als Empfangskomitee auf dem Rollfeld bereit. Aus weiter Entfernung nahte dann mit Blaulicht der BKA-Konvoi, der uns wie eine Trophäe einmal quer durch die Stadt nach Moabit verschaffte.
Nach dem Durchqueren der Knastpforte ging alles seinen administrativen Gang. Aufnahme und Papierkram, duschen und Unterbringung allein in einer Zwei-Mann-Zelle. Nach wenig Schlaf und völliger Ungewissheit, wie es jetzt weitergeht, ging das ganze Prozedere erst richtig los. Strikt voneinander getrennt durchliefen wir etwa ein halbes Dutzend knastinterner Stationen, einschließlich Arztcheck und "Durchleuchtung", d.h. alle Körperöffnungen werden besichtigt, ob nicht an einer bestimmten Stelle Mitbringsel zu finden sind.
Gegen späten Mittag haben wir unser jeweiliges 6-7qm-Luxusappartment bezogen. Alle hygienischen Standards hinter uns lassend galt es, sich einzurichten. Erster Schritt dazu ist, sich von den Hausarbeitern, das sind Knackis, die im Knast u.a. für die Essensausgabe verantwortlich sind, Putzmittel geben zu lassen. Es fällt einem auf jeden Fall leichter mit dieser neuen Wohnumgebung einigermaßen klar zu kommen, wenn die Ekelgrenzen nicht allzu früh überschritten werden.
In der Regel ist es so, dass sich spätestens am Folgetag verschiedene Führungskräfte der Anstalt vorstellen und dich versuchen "abzuklopfen". Das reicht vom Teilanstaltsleiter über die Sozialarbeiterin bis zum "Sicherheitschef". Besonders letzterem bereitete unsere Anwesenheit einiges an Kopfschmerzen. Er ließ deutlich seine Überforderung durchblicken ob der Situation, dass er nun auf einen Schlag mit vier "Terroristen" konfrontiert sei. Zeit für Mitleidsbekundungen hatten wir aber nicht.
Knast als soziales Terrain
Nun waren wir drin. Von einem auf den anderen Moment wurden wir aus unseren sozialen, familiären und politischen Zusammenhängen herausgerissen. Wahrlich eine Zäsur. Wir mussten zunächst einmal aus der Schockstarre heraus und uns auf die eingetretene Situation neu einstellen. Die ersten ein, zwei Wochen sind eine Phase, in der alles auf dich sehr surreal einwirkt. Der Mikrokosmos Knast mit seinen eigentümlichen Abläufen erzeugt auch eine bestimmte Form des Interesses nach dem Motto "Was passiert jetzt"? Du bist ständig am Beobachten, Einschätzen und Klären. Die eigentliche Realisierung der zeitlich unbestimmten Gefangenschaft kann nicht sofort eintreten, du bist am Anfang von den neuen, dir völlig unbekannten Eindrücken eingenommen, teils überfordert.
Erst wenn du tatsächlich "angekommen" bist, tritt das ein, was jeden tief nach unten zieht: Hey, du bist wirklich hier, eingesperrt, allein. Ein Großteil deiner Autonomie, die du draußen für dich zu nehmen wusstest, ist hier flöten gegangen.
Es ist unvermeidlich, das du auf das melancholische Loch zusteuerst und auch hineinfallen wirst. Erst jetzt bekommst du deine spezifische Situation direkt zu fassen, leidvoll. Du realisierst, dass sich dein Platz vorerst innerhalb der Knastmauern befindet, dass alle deine Lebensäußerungen extrem reduziert sind; es hat was von Endstation. Endstation ist auch wörtlich im klassenspezifischen Sinn zu sehen: bis auf ein ganz geringer Prozentsatz sammelt der Staat in den Haftanstalten das subproletarische Milieu. Wenn Klassenjustiz einen für alle leicht nachvollziehbaren Ausdruck hat, dann den, dass in den Löchern dieser Republik die Überflüssigen verwahrt und geparkt werden. Deshalb ist Knastkampf auch Klassenkampf!
Aber zurück zum Trübsinn: Entscheidend ist, dass du dich dieser Melancholie nicht ergibst. Allerdings wirst du sie zulassen müssen, damit du für dich einen Weg findest, diese Phase zu überstehen. Das ist anstrengend und zieht sich über Tage hin und kommt in regelmäßigen Schüben immer mal wieder, heftiger und weniger heftig. In einer solchen Situation bist du weitgehend auf dich selbst zurückgeworfen. Die eiserne Tür fällt immer wieder hinter dir zu und der Riegel wird vorgeschoben, dahinter sitzt du, aufgrund des spezifischen Haftstatuts nur du. Wenn du dich bisher noch nicht kennen gelernt hast, spätestens hier ist es soweit. Aber, und das soll mit diesen Darstellungen vor allem vermittelt werden, es gibt viele Hilfestellungen und Möglichkeiten der (mentalen) Vorbereitung auf jene Extremsituation, vor die man als Inhaftierter oder Inhaftierte gestellt ist. Es ist eine große Erleichterung, wenn man ohne "psychische Vorbelastungen" und politisch-ideologisch einigermaßen fest in den Knastalltag gerät. Am besten ist natürlich einen solchen biografischen Knick überhaupt nicht mitzumachen. Aber das ist eben nur der Idealfall. Es ist auch hilfreich, wenn man sich frühzeitig mit dem Thema Knast und politischer Gefangenschaft auseinandergesetzt hat. Zum einen gibt es eine kaum mehr abzuarbeitende Fülle von Erfahrungsberichten zum Überleben im Knast, die von ehemaligen politischen Gefangenen oft in Autobiografien verfasst wurden, zum anderen ist das Thema Knast schon immer ein Interventionsfeld der revolutionären Linken gewesen, da sich hier Auswirkungen staatlicher Verfolgungsmaßnahmen am unmittelbarsten zeigen. Eine wichtige Einschränkung der Repressionsvorbereitung ist aber gleich nachzureichen: jede individuelle oder kollektive Beschäftigung mit Knast und politischer Gefangenschaft hat Grenzen. Du kannst das, was auf dich mit aller Härte im Falle staatlicher Repression eindrischt oder wie sich Knast konkret anfühlt, nicht im Sandkasten probeweise simulieren. Eine Auseinandersetzung draußen mit dieser Thematik und das real damit Konfrontiertsein drinnen sind zwei Paar Schuhe. Aber, und das ist dick zu unterstreichen, du kannst einiges von dem, das im Knast eintritt schneller beurteilen, abwenden und mildern. Du bist im Rahmen dessen, was möglich ist vorbereitet. Das ist viel und wird dir helfen!
Die Solidarität von draußen, die du drinnen spürst
Kaum überzuberwerten ist die Rolle, die solidarischen FreundInnen, KollegInnen und GenossInnen draußen zukommt. Angefangen vom Briefe Schreiben über Besuche bis zur Mobilisierung von Protesten ist alles für den/die Gefangenen existenziell. Dadurch wurde die Isolierung drinnen, der wir partiell ausgesetzt waren, aufgebrochen. Wenn du merkst, dass um dich herum ein solidarisches Netz geknüpft wird, dann hat das sofort positive Rückwirkungen auf dein Gemüt und deinen Kampfgeist. Diese Wechselwirkung funktioniert gut. Das ist übrigens auch ein wesentlicher Punkt, der dich im Knast "privilegiert". Du hast eine erkennbare politische Unterstützung, die dich von draußen erreicht und weit über deinen Familien- und Freundeskreis geht. Alle anderen Knackis verfügen darüber nicht oder nur kaum. Auch wenn du dich im Knast selbst noch so sehr von deiner "Rolle" als politischer Gefangener abkoppeln willst, allein dein Knastumfeld sorgt dafür, dass du aufgrund des Kontextes deiner Festnahme und der Mobilisierung draußen einen Sonderstatus hast. Natürlich begreifst du dich auch drinnen als politisches Subjekt, wenn du nicht untergehen und stabil bleiben willst. Unterwirfst dich nicht dem Regelwerk des Knastregimes. Du zehrst von den Erlebnissen und Erfahrungen der GenossInnen, die in welchem Winkel dieser Welt auch immer für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung in vielfältigster Weise kämpfen und z.t. für Jahrzehnte in den Kerkern der staatlichen Gewalt verschwinden. Erstens relativiert das deine eigene Situation, zweitens siehst du dich verpflichtet, Knast nicht als tiefes, schwarzes Loch wahrzunehmen, sondern als Kampfterrain, als den politisch zu besetzenden Raum, der dir in dieser speziellen Situation zur Verfügung steht. Die absolute Reduktion des (Über-)Lebens im Knast bringt es mit sich, dass die Frontverläufe klar definiert sind. Vieles, wenn nicht fast alles an Grau- und Zwischentönen geht hier notwendigerweise verloren. Du bist angegriffen worden und jederzeit dem Zugriff des Staates ausgeliefert.
Das scheint einfach gesagt, ist es auch. Nicht in allen Momenten fällt es dir leicht tough zu sein, manchmal ist es dir sogar unmöglich. Diese Stimmungsschwankungen haben wir alle durch. Und genau da kommt wieder massiv die Solidarität von draußen ins Spiel, sie schafft Mut und Zuversicht, dass sie dich trotz aller Schikanen und Machtdemonstrationen nicht packen können, du ihnen entgegenzutreten weißt. Du bist mit den Methoden und Mitteln, die sie gegen dich auffahren nicht kaputtzukriegen - ein großartiges Gefühl!
Einige Ex-Inhaftierte aus dem MG-Verfahren