Geheimcode Gentrification

Haftprüfungstermin für Andrej H. / US-Wissenschaftler fordern Freilassung . Von Anke Engelmann

Auf die Verhaftung des Berliner Stadtsoziologen Andrej H. reagierten Wissenschaftler aus der ganzen Welt mit Empörung und Besorgnis.

Haben Sie schon einmal das Wort »Gentrification« gehört, wissen vielleicht sogar, was es bedeutet? Dann sollten Sie damit rechnen, dass das Bundeskriminalamt (BKA) auch Sie im Visier hat. Denn der Fachbegriff aus der Stadtsoziologie, der den Prozess der Aufwertung von Stadtbezirken und die Vertreibung ihrer alteingesessenen Bewohner beschreibt, scheint in den Augen der Bundesanwaltschaft ein Geheimcode zu sein, an dem sich die Mitglieder der militanten gruppe (mg), einer terroristischen Vereinigung, erkennen.

Seit 31. Juli sitzen drei Berliner in Haft, die – so die Vorwürfe – in Brandenburg auf frischer Tat dabei ertappt worden seien, wie sie Brandsätze an Bundeswehr-Lkw befestigten. Der Stadtsoziologe Andrej H., dem enge Kontakte zu den Beschuldigten vorgeworfen werden, wurde einen Tag später verhaftet, weitere Hausdurchsuchungen folgten, unter anderem bei einem Leipziger Sozialwissenschaftler. Beider Spezialgebiet ist das Thema Gentrification. Den insgesamt sieben Personen wird vorgeworfen, nach Paragraph 129a an der Bildung einer terroristischen Vereinigung beteiligt gewesen zu sein. Dieser 1976 eingeführte Paragraph erlaubt die Verfolgung so genannter »Vereinigungsdelikte«, also von Personen, die sich zur Verabredung von Straftaten zusammengeschlossen haben sollen. Damit reicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe für eine Strafverfolgung aus.

Inzwischen hagelt es Proteste auch von der anderen Seite des Atlantik. Viele Wissenschaftler reagierten alarmiert und empört, insbesondere auf die Festnahme des promovierten Stadtsoziologen Andrej H., der sich auch bei den Protesten zum G8-Gipfel in Heiligendamm engagierte. »Wir verwahren uns aufs Schärfste gegen den unerhörten Vorwurf, die wissenschaftliche Tätigkeit und das politische Engagement von Andrej H. sei als intellektuelle Mittäterschaft in einer terroristischen Vereinigung zu werten«, heißt es in einem Offenen Brief, in dem Forscher aus der ganzen Welt die Generalbundesanwaltschaft auffordern, das 129a-Verfahren gegen alle Beteiligten einzustellen und die Inhaftierten frei zu lassen. Die Unterschriftenliste liest sich wie das Who is Who kritischer Sozialwissenschaft: Namen wie Richard Sennett, Peter Marcuse und Mike Davis. Auf der Jahrestagung der Vereinigung US-amerikanischer Soziologen, die am Wochenende in New York stattfand, habe man zudem heftig über den Fall diskutiert, heißt es in einer Mitteilung des Bündnisses für die Einstellung des 129a-Verfahrens, das sich unmittelbar nach Bekanntwerden der Verhaftungen in Berlin gegründet hatte.

Auch von der Berliner Humboldt-Universität kam eine besorgte Reaktion. Die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft ließen jede wissenschaftliche Tätigkeit als »potenziell kriminell« erscheinen, beschwerten sich 60 Wissenschaftler, darunter Hartmut Häußermann, Wolfgang Kaschuba und Wolfgang Engler.

Kritische Stadtsoziologen wie Andrej H. und sein Leipziger Kollege haben sich nicht in den Elfenbeinturm der Wissenschaften zurückgezogen, sondern ihre Forschung als politische Arbeit verstanden. Beide haben sich in den neunziger Jahren gegen die Umstrukturierung des Prenzlauer Berges in Berlin engagiert.

Seit etwa einem Jahr ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen die sieben Personen. Inzwischen sind die vier Verhafteten in Berlin-Moabit inhaftiert, sitzen 23 Stunden am Tag in Einzelhaft, eine Stunde Hofgang wurde ihnen zugebilligt. Besuch dürfen sie nur aller 14 Tage je eine halbe Stunde durch eine dicke Glasscheibe sehen.
Zumindest für Andrej H. gibt es einen Hoffnungsschimmer. Zur Haftprüfung am 24. August entscheidet sich, ob er aus dem Gefängnis kommt. Für Florian L., Oliver R. und Axel H. ist die Situation aussichtsloser: Ihre Anwälte haben keinen Termin für eine Haftprüfung beantragt.

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