Beihilfe durch Wissenschaft

Wie ein Berliner Soziologe unter Terrorverdacht geriet. Von ALEX RÜHLE

Macht sich jemand des Terrorismus verdächtig, weil er von Berufs wegen oft in Bibliotheken geht? Weil er als Wissenschaftler kritische Texte verfasst? Und weil er in diesen Texten Schlagworte wie Globalisierung oder Gentrifizierung benutzt? Das klingt nach dem kopflosen Aktionismus der USA in ihrem so genannten Krieg gegen den Terror, der in den letzten Jahren zu erheblichen Einschränkungen für die Wissenschaften geführt hat. Jetzt aber sitzt der Soziologe Andrej H. in Karlsruhe wegen ähnlicher Vorwürfe in Untersuchungshaft. Das kommentieren deutsche Wissenschaftler mit Sorge und Protest.

Seit 2001 ermittelt das Bundeskriminalamt im Auftrag des Generalbundesanwaltes gegen die Mitglieder der linksextremistischen „Militanten Gruppe“, kurz „MG“. Die Vereinigung bekannte sich zu mehr als zwei Dutzend Anschlägen, bei denen jeweils nachts Brandsätze auf Gebäude oder Fahrzeuge geworfen wurden. In ihren Bekennerbriefen beschreibt die Gruppe „das Flambieren von Nobelkarossen“ als Bestandteil ihres „revolutionären Kampfes"“, den sie „auf einer sozialrevolutionären und antiimperialistischen kommunistischen Grundlage“ führen will; erst solle die gegenwärtige Gesellschaftsstruktur zerschlagen, dann eine kommunistische Weltordnung aufgebaut werden.

Anfang des Monats wurden nun drei Männer festgenommenen, weil sie dringend verdächtigt werden, in Brandenburg/Havel Brandsätze unter drei Lastwägen der Bundeswehr gelegt zu haben. Außerdem wurde der Berliner Soziologe Andrej H. verhaftet, der sich zweimal mit einem der Verdächtigen getroffen haben soll. Gegen alle vier wird nun wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung nach §129a StGB ermittelt. Die Verhaftung des Soziologen H. führt in Berliner Wissenschaftskreisen allerdings zu heftiger Empörung.

Wie es scheint, sehen die Behörden in Andrej H. einen intellektuellen Vordenker der Gruppe. Jedenfalls begründet die Bundesanwaltschaft ihren Verdacht auf die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung damit, dass sich H. ja mit Themen beschäftige, die auch in den Pamphleten der MG auftauchen. Insbesondere eine Arbeit von 1998 enthalte „Schlagwörter“, die sich in MG-Texten wiederfänden. Auf Nachfrage seiner Anwältin Christina Clemm erklärten die Ermittlungsbehörden, der in diesem Text mehrfach wiederkehrende Begriff der „Gentrification“ mache H. verdächtig.

Intelligent? Sehr verdächtig!

Nun wäre es geradezu merkwürdig, wenn in den Texten eines Berliner Urbanisten, der sich hauptberuflich mit Wohnungspolitik beschäftigt, dieser zentrale Begriff der Stadtsoziologie nicht auftauchen würde. H. promovierte über die „Stadterneuerung der neunziger Jahre in Ostberlin“, und gerade die Ostberliner Stadterneuerung ist zu großen Teilen gleichzusetzen mit dem Phänomen der Gentrifizierung, also der Veredelung des Wohnumfelds durch Umbautätigkeit und Veränderung der Bevölkerung.

Außerdem, so die Bundesanwaltschaft in ihrer Begründung des Verdachts auf die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung, stünden H. „als Mitarbeiter eines Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der militanten Gruppe erforderlichen Recherchen durchzuführen.“ Drittens verfüge Andrej H. „über die intellektuellen und sachlichen Voraussetzungen, die für das Verfassen der vergleichsweise anspruchsvollen Texte der militanten Gruppe erforderlich sind“.

Man muss sicherlich abwarten, ob das Ermittlungsverfahren Andrej H. de facto Straftaten nachweisen kann. Doch die Wortwahl in den Begründungen der Behörden ist gefährlich, hat es doch etwas Bedrohliches, wenn sich Wissenschaftler verdächtig machen, nur weil sie Fachbibliotheken aufsuchen und dazu in der Lage sind, „vergleichsweise anspruchsvolle Texte“ zu verfassen.

Gern wird darauf hingewiesen, dass der §129a ja nur ein Ermittlungsparagraph sei; in lediglich drei Prozent der Ermittlungsverfahren kam es zu Verurteilungen. Dieser Paragraph wird in der Fachliteratur aber heftig kritisiert wegen seiner diffusen Formulierung, eine Straftat sei schon dann „kleiner Terror”, wenn etwa Delikte wie Körperverletzung mit der Vorstellung begangen werden, man könnte dadurch die Bevölkerung einschüchtern oder eine internationale Organisation nötigen.

Zahlreiche deutsche Wissenschaftler befürchten nach der Verhaftung Andrej H.’s eine weitergehende Kriminalisierung kritischer Wissenschaftler. Derzeit kursiert ein offener Brief an die Generalbundesanwältin Monika Harms, in dem zahlreiche Akademiker von Universitäten wie der Berliner Humboldt Universität oder der LMU in München gegen das Vorgehen protestieren werden. Andere äußerten ihre Besorgnis schon im Vorfeld. So sagte der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann, bei dem H. promovierte, mit dem Argument der übereinstimmenden Schlagworte könne man, falls das Vorgehen der Bundesanwaltschaft Schule mache, fürderhin „jeden Wissenschaftler und Journalisten“ zur Strecke bringen. Und Wolfgang Neef von der TU Berlin sagt, als Wissenschaftler, also als jemand, der berufshalber Texte schreibt, habe er Angst, „dass kritische Intellektuelle durch die Aktion gezielt eingeschüchtert werden sollen.“