Linke fordert Rücktritt von Harms. "Die Rechtslage einfach ignoriert"
Generalbundesanwältin Harms hat gegen geltendes Recht verstoßen, sagt Exbundesrichter Neskovic (Linke). Anders, als Union und SPD behaupten, sei das keine Auslegungsfrage.
Neskovic: "Meine Rücktrittsforderung war ein Warnschuss." Foto: dpa
taz: Herr Neskovic, die große Koalition will die Generalbundesanwältin Monika Harms nicht absetzen. Warum erhalten Sie diese aussichtslose Forderung noch aufrecht?
WOLFGANG NESKOVIC, 59, ist seit 2005 rechtspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag.
Wolfgang Neskovic: Mir ist klar, dass die Linke allein nicht die Absetzung von Frau Harms betreiben kann. Mich als Richter empört die Schwere der juristischen Verfehlungen von Frau Harms, die in ihrer Tragweite bisher nicht in die Öffentlichkeit vorgedrungen sind. Sie hat eine Gesetzesänderung, die unter Rot-Grün 2003 beschlossen wurde, ignoriert und dabei juristische Fehler gemacht, die einem gut begabten Jurastudenten im dritten Semester nicht unterlaufen wären.
Sie meinen die Änderung des Paragrafen 129 a, der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung unter Strafe stellt.
Die Koalition aus SPD und Grünen hat Ende 2003 beschlossen, dass Werbung für Terroristen und mittelschwere Straftaten grundsätzlich nicht mehr nach Paragraf 129 a verfolgt werden sollen. Aus dem Gesetzestext und seiner Entstehungsgeschichte geht klar hervor, dass dies auch Brandanschläge auf Sachen einschließt, solange sie die Bundesrepublik insgesamt nicht erheblich schädigen. Da müssten schon Atomkraftwerke brennen. Autos anzuzünden, wie es die sogenannte militante gruppe getan hat, reicht dafür nicht aus.
Die Rechtsexperten von großer Koalition und FDP sagen, das sei eben Auslegungssache, wie oft in juristischen Fragen.
Auf diese Formel ziehen wir Juristen uns gern zurück, und in vielen Fällen ist das auch richtig. Aber gerade bei der Novelle des Paragrafen 129 a war die Absicht des Gesetzgebers so klar wie kaum irgendwo sonst: Mittelschwere Straftaten wie die Brandanschläge vor dem G-8-Gipfel sollten grundsätzlich nicht mehr mit dem Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung verfolgt werden. Das ergibt sich unzweifelhaft aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Trotzdem hat Frau Harms dem Willen des Gesetzgebers nicht gehorcht. Hier hat offenkundig ideologischer Übereifer den vorurteilsfreien Blick auf die Rechtslage behindert.
Selbst die Grünen fordern nicht den Rücktritt von Monika Harms, obwohl sie die Gesetzesänderung damals durchgesetzt haben. Übertreiben Sie vielleicht nicht doch etwas?
Über das Vorgehen der Grünen kann ich mich nur wundern. Vielleicht liegt es an Arbeitsüberlastung, dass sie die Urteile offenbar nicht richtig gelesen haben. Hans-Christian Ströbele hat ja personelle Konsequenzen gefordert, allerdings nicht den Namen von Frau Harms genant. Dabei ist doch klar, dass die Bundesstaatsanwaltschaft eine hierarchische Behörde ist und wichtige Entscheidungen dort nicht ohne den Willen der Generalbundesanwältin getroffen werden.
Auch wenn die Grünen auf Ihre Meinung umschwenken würden. Was soll das nützen? SPD und CDU werden Sie sicherlich nicht auf Ihre Seite ziehen.
Soll ich deswegen etwa gar nichts tun? Meine Rücktrittsforderung war ein Warnschuss und soll dazu beitragen, die Öffentlichkeit auf die eklatante Fehlerserie der Bundesanwaltschaft aufmerksam zu machen. Klar ist doch, Monika Harms steht jetzt unter Beobachtung. Das führt hoffentlich dazu, dass sie endlich begreift: Nicht sie hat über den Inhalt eines Gesetzes zu entscheiden, sondern der Gesetzgeber.