Koalition schont Generalbundesanwältin. Beißhemmung gegen Harms
Ob Razzien bei G8-Gegner oder das Verfahren gegen Andrej Holm - die Ermittlungen von Generalbundesanwältin Harms kassieren Rüffel um Rüffel. Doch nur die Linke fordert ihren Rücktritt.
Alexander von Stahl hat es getroffen. Weil der damalige Generalbundesanwalt nach der blutigen RAF-Festnahme von Bad Kleinen so tat, als sei alles in Ordnung, musste der spätere Vordenker des nationalliberalen Flügels der FDP im Sommer 1993 gehen. Monika Harms wird vorerst bleiben - trotz einer beeindrucken Reihe von Fehlentscheidungen. Nur die Linkspartei forderte am Montag ihren Rücktritt. Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs belegten, dass Harms den Anforderungen ihres Amtes nicht gewachsen sei, sagt Wolfgang Neskovic, Rechtsexperte der Linken. Daher solle sie in den politischen Ruhestand versetzt werden.
Doch dieses Anliegen hat trotz der Pleitenserie der Bundesanwaltschaft keine große Aussicht auf Erfolg. In der großen Koalition stimmt die SPD zwar der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu, dass die Bundesanwaltschaft mit ihren Aktionen gegen G-8-Gegner ihre Kompetenzen überschritten habe. "Aber so funktioniert nun einmal der Rechtsstaat", sagt Dieter Wiefelspütz, der innenpolitische Sprecher der SPD. Die Rolle einer Bundesstaatsanwältin sei es, "etwas forscher vorzugehen. Und wenn das Gericht dies korrigiert, dann wird sich Frau Harms künftig daran orientieren." Eine Rücktrittsforderung habe derzeit "eine Erfolgsaussicht von genau null Prozent".
Bei den Sozialdemokraten gibt es vor allem deshalb Beißhemmungen, weil Harms von Justizministerin Brigitte Zypries berufen wurde. Man werde die eigene Ministerin sicher nicht beschädigen, sagen SPD-Parlamentarier. Zumal der Zeitpunkt ungünstig ist: Denn die Union profiliert sich mit immer neuen Vorschlägen zur inneren Sicherheit und hat mit Wolfgang Schäuble einen prominenten Minister auf diesem Gebiet. Dagegen hat die SPD im Kabinett allenfalls Zypries zu bieten.
Ähnlich gering ist das Interesse bei den Unionsparteien, das CDU-Mitglied Harms anzuschießen. Außerdem habe eine "zupackende Generalbundesanwältin" wenig zu befürchten, solange nicht eklatante Fehler passierten, heißt es aus der Fraktion. Kein Wunder, dass dem CSU-Innenexperten Hans-Peter Uhl nur zwei Worte zu den Rücktrittsforderungen einfallen: "Alles Unsinn."
Auch die Opposition, mit Ausnahme der Linken, hält sich zurück. Zwar finden sowohl FDP als auch Grüne die Entscheidung des Bundesgerichtshofs richtig, "aber es passiert nun einmal, dass ein Gericht einem Staatsanwalt nicht immer folgt", sagt Jörg van Essen, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Bundestag und selbst ein früherer Oberstaatsanwalt. Zwar habe die Bundesanwaltschaft das geltende Recht anders interpretiert als der Bundesgerichtshof, dabei habe sich Harms aber "an die Regeln des Rechtsstaats" gehalten. "Die Grenze zum Rücktritt ist nicht überschritten worden."
Doch wo genau liegt diese Grenze? "Für mich wäre der Rubikon überschritten, wenn sich die Generalbundesanwältin offen politisch betätigen würde", sagt Jerzy Montag, der Rechtsexperte der Grünen. Allerdings ist auch das Interpretationssache. Schließlich ist Harms politische Beamtin, sodass man all ihre Aktionen als Politik verstehen könnte. Für die Grünen dürfte entscheidend sein, dass eine Rücktrittsforderung derzeit kaum Chancen hätte. "Wir wollen nicht inflationär Rücktritte fordern", sagt Montag, "es muss auch einen gewissen Sinn machen."
Unterdessen prüft der Verteidiger eines G-8-Gegners eine Schadenersatzklage. Zudem setzte der Rechtsanwalt Andreas Beuth der Bundesanwaltschaft eine Frist zur Herausgabe von beschlagnahmten Gegenständen seines Mandanten, darunter Computer, Dokumente und Datenträger. Falls dies nicht bis zum Ende der Woche geschieht, will sich Beuth "weitere Schritte" überlegen.
DANIEL SCHULZ