G-8-Gegner sind keine Terroristen

04. Januar 2008 Es war ein Paukenschlag vor dem G-8-Treffen in Heiligendamm. Die Bundesanwaltschaft ließ 40 Wohnungen in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen durchsuchen. Etwa 900 Beamte waren beteiligt, Polizisten der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes. Doch war der Bund für diese Durchsuchungsaktion gar nicht zuständig. Das hat jetzt der Bundesgerichtshof entschieden - genauer gesagt: Der 3. Strafsenat unter Vorsitz von Klaus Tolksdorf, dem künftigen Präsidenten des Gerichts.

Von Reinhard Müller

Tolksdorf hat schon mehrfach in (tatsächlichen und vermeintlichen) Terrorprozessen deutlich gemacht, wie wichtig der penible Umgang mit den rechtsstaatlichen Grundlagen in politisch sensiblen und öffentlichkeitswirksamen Fällen ist. Er ist deshalb nicht unumstritten, vor allem in der Union, die aber schließlich doch seiner Berufung an die Spitze des höchsten ordentlichen Gerichts zustimmte. Der 3. Strafsenat unter Tolksdorfs Führung hat schon kürzlich im Verfahren gegen die „Militante Gruppe“ auf die Einschränkung der Terrorismus-Vorschrift durch Rot-Grün im Jahr 2003 hingewiesen. Er setzte die Haftbefehle gegen die Linksextremisten gegen Auflagen außer Vollzug.

Potentiell terroristische Delikte

Die Beschuldigten seien zwar dringend verdächtig, versucht zu haben, Bundeswehrfahrzeuge anzuzünden und der „Militanten Gruppe“ anzugehören. Doch begründe das nicht den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung - obwohl die Tätigkeit der Gruppe darauf ausgerichtet sei, Anschläge gegen Gebäude und Fahrzeuge staatlicher Institutionen sowie privater Unternehmen zu begehen.

Zwar handelt es sich bei derartigen Taten um potentiell terroristische Delikte. Seit der Neufassung der Vorschrift im Jahr 2003 ist die Beteiligung an einer Organisation, die auf die Begehung derartiger Straftaten ausgerichtet ist, indes als Betätigung in einer terroristischen Vereinigung nur noch dann strafbar, wenn die Taten dazu bestimmt sind, im Einzelnen aufgezählte - staatsgefährdende - Ziele zu erreichen, und darüber hinaus „durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen“ können.

Mit der Einfügung dieser zusätzlichen Merkmale hat der Gesetzgeber die Strafbarkeit nach ausführlicher Erörterung im Gesetzgebungsverfahren „bewusst deutlich eingeschränkt“, wie der Bundesgerichtshof hervorhob. Daraus schloss er, dass die Gruppe nur als kriminelle Vereinigung angesehen werden kann: Die von ihr bereits begangenen und beabsichtigten Taten sind demnach „nicht geeignet, die Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Gesetzes erheblich zu schädigen“.

Harms warf dem Gerichtshof Einseitigkeit vor

Die Karlsruher Richter sahen sich also nicht imstande, etwas zu bestrafen, was Gesetzgeber ihrer Ansicht nach ausdrücklich nicht mehr unter Strafe stellen wollte. Generalbundesanwältin Harms, früher selbst Richterin am Bundesgerichtshof, warf dem Senat daraufhin Einseitigkeit vor: „Wir haben eine Tendenz in der Rechtsprechung, die die Gefahr aus dem Blick nimmt und mit feinen juristischen Überlegungen dazulegen versucht, dass alles nicht so schlimm ist.“ Das gelte für das Legen von Brandsätzen wie für die Sympathiewerbung für Terrorgruppen, sagte Harms Anfang Dezember auf einer Fachtagung in Berlin. Sie warnte nachdrücklich vor einer Ungleichbehandlung von rechter und linker Gewalt.

Allerdings fügte sie kürzlich auf der Jahrespressekonferenz ihrer Behörde in Karlsruhe hinzu, ähnlich wie einst ihr Vorgänger Nehm: Es gehe hier um unterschiedliche Rechtsauffassungen und nicht um Sieg oder Niederlage. Immerhin waren die Durchsuchungen vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs gebilligt worden. Doch der 3. Strafsenat pocht auf die Form, die hier auch eine Föderalismusfrage ist: Es handele sich bei den Brandanschlägen und Fahrzeuge und ein leerstehendes Gebäude um „nicht zu verharmlosende Straftaten“. Es ging immerhin um zwölf gewalttätige Aktionen und einen Schaden von insgesamt etwa 2,6 Millionen Euro. Doch seien nach der Verteilung der Aufgaben im Bundestaat hier die Länder für die Strafverfolgung zuständig.

Eine Frage der Form

Warum? Der Bundesgerichtshof hat offengelassen, ob sich die beschuldigten Globalisierungsgegner tatsächlich zu einer Vereinigung im strafrechtlichen Sinn zusammengeschlossen hatten - daran bestehen seiner Ansicht nach allerdings „nachhaltige Zweifel“. Doch selbst wenn sich die G-8-Gegner organisatorisch zu solch einer Vereinigung zusammengetan hätten und nicht nur ein loses Netz darstellten, so war nach Auffassung der Karlsruher Richter die Bundesanwaltschaft nicht zuständig. Denn eine terroristische Vereinigung scheide nach der Beschränkung der Vorschrift durch den Gesetzgeber aus. Es bliebe also eine kriminelle Vereinigung. Doch hierfür ist der Bund nur zuständig, wenn der Fall eine besondere Bedeutung hat. Die sieht der Bundesgerichtshof in diesem Fall nicht, anders als bei der „Militanten Gruppe“. Die Bundesanwaltschaft wird den Fall deshalb abgeben - voraussichtlich an die Staatsanwaltschaft in Hamburg.

Text: F.A.Z., 05.01.2008, Nr. 4 / Seite 2