BGH erklärt Razzien gegen G8-Gegner für rechtswidrig

Die bundesweiten Großrazzien gegen Globalisierungsgegner vor dem G8-Gipfel 2007 waren rechtswidrig. Die Bundesanwaltschaft sei für die Ermittlungen im vergangenen Mai nicht zuständig gewesen.

Das entschied der Staatsschutz-Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) nach der Beschwerde eines Beschuldigten am Freitag in Karlsruhe. Die Gipfelgegner hätten keine terroristische Vereinigung gebildet. Der Gipfel der sieben führenden Industrienationen und Russlands (G8) in Heiligendamm hatte wochenlang zu Protesten geführt.

Einen Monat vorher ging die Bundesanwaltschaft am 9. Mai 2007 mit einer Großaktion gegen die G8-Gegner vor. 900 Beamte durchsuchten 40 Wohnungen, Büros und Treffpunkte der linksautonomen Szene in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen und Niedersachsen. Sie beschlagnahmten zahlreiche Unterlagen. 21 Menschen standen im Verdacht, eine Terror-Vereinigung gegründet zu haben, um den Gipfel mit Brandanschlägen auf Autos und leerstehende Gebäude zu stören.

Nach dem BGH-Beschluss kann eine von den Beschuldigten eventuell gebildete Vereinigung nicht als terroristisch eingestuft werden, was die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft begründet hätte. Als Grund nennt der BGH die Neufassung des Terrorismus-Paragrafen 129a im Jahr 2003. Voraussetzung für die Einordnung etwa von Brandanschlägen als Terrortat ist seither eine erhebliche Schädigung des Staates.

Damit kam der BGH erneut zu einer restriktiven Auslegung, nachdem die rot-grüne Koalition den Terror-Paragrafen auf EU-Vorgaben hin auf den Kernbereich terroristischer Gefährdungen begrenzt hatte. Zuletzt sorgte eine Grundsatzentscheidung im November für Schlagzeilen, nach der die linksextreme "militante gruppe" nicht mehr als terroristische Vereinigung eingestuft wird.

Bei den G8-Gegnern fehlt es nach dem BGH-Beschluss auch an einer besonderen Bedeutung des Falls. Diese wäre zusätzlich für die Bundeszuständigkeit für eine kriminelle Vereinigung erforderlich. Angesichts dieser rechtlichen Gründe sei es für die Entscheidung letztlich ohne Bedeutung geblieben, ob sich die Beschuldigten überhaupt zu einer Vereinigung im strafrechtlichen Sinn zusammengeschlossen haben. Daran gebe es "nachhaltige Zweifel".

Die Bundesanwaltschaft wirft der Vereinigung zwölf Gewalttaten mit einem Schaden von 2,6 Millionen Euro vor. Betroffene und Kritiker hatten nach den Razzien von ungerechtfertigter Kriminalisierung gesprochen. Generalbundesanwältin Monika Harms verteidigte damals das Vorgehen gegen militante G8-Gegner, auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) bewertete die Razzien als richtig.

Grünen-Chefin Claudia Roth lobte das Urteil als "schallende Ohrfeige für die verantwortlichen Akteure". Der Geschäftsführer der Linken, Dietmar Bartsch, sagte: "Es wird zunehmend zu einem Problem, dass der BGH Entscheidungen der Bundesanwaltschaft kassieren muss, um Recht und Gerechtigkeit in Deutschland herzustellen."

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac begrüßte die Karlsruher Entscheidung: "Der BGH hat damit die Generalbundesanwältin zurückgepfiffen und unserem Innenminister, der keine Gelegenheit auslässt, Bürgerrechte zu beschneiden, eine wichtige Nachhilfestunde gegeben." Auch Vertreter von Beschuldigten zeigten sich zufrieden: "Das Konstrukt ist zusammengebrochen", sagte Rechtsanwalt Andreas Beuth in Hamburg zu den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft. "Es ist gelungen, die Repression gegen linke Strukturen politisch und juristisch zurückzuweisen. Der Versuch der Einschüchterung ist nicht aufgegangen."