Handschellen für die Bundesanwälte

Der Bundesgerichtshof pfeift die obersten Ermittler zurück: Planungen von Militanten bedrohen nicht den Staat. Die Razzien vor dem G8-Gipfel waren deshalb rechtswidrig.
VON CARSTEN LIßMANN

Die oberste deutsche Ermittlungsbehörde wollte nichts unversucht lassen: Fast 900 Beamte waren an der Aktion im Frühsommer des vergangenen Jahres beteiligt. Nur Wochen vor Beginn des G8-Gipfels hatte die Bundesanwaltschaft Objekte der linken Szene in Norddeutschland und in Berlin vom BKA durchsuchen lassen. Begründung der Großrazzia: Militante Gegner des Gipfels sollten daran gehindert werden, Anschläge und gewalttätige Aktionen während des Treffens der Staatschefs in Heiligendamm zu verüben. Man sah die öffentliche Ordnung des Landes bedroht, eine Ansicht, die der BGH nun als völlig überzogen einschätzte.

Gegen insgesamt 18 Personen wurde von Generalbundesanwältin Monika Harms wegen Straftaten im Sinne des Paragrafen 129a des Strafgesetzbuches ermittelt. Der ist so etwas wie ihre stärkste Waffe, erlaubt er doch den Einsatz so ziemlich jeden Mittels, das der Rechtsstaat gegen seine Bürger vorhält. Als Ausgleich sieht der Paragraf jedoch besonders hohe Hürden vor. Und um als "terroristische Vereinigung" zu gelten, reicht es eben nicht, das Anzünden einiger Autos zu planen.

Nicht einmal eine "besondere Bedeutung" des Falles wollten die Richter erkennen. Damit hätte man die Razzien zur Not auch begründen können, wenn die Beschuldigten keine terroristische, aber wenigstens eine kriminelle Vereinigung bilden. Die Richter äußerten allerdings sogar erhebliche Zweifel daran, ob sie überhaupt eine Gruppe gebildet hätten – ob also der Tatbestand der Verabredung zu einer Straftat gegeben war.

Ihr eigentliches Vergehen aber bestand vor allem darin, dass sich Kartenmaterial der Umgebung Heiligendamms beschafft hatten und „anschlagsrelevante Internetrecherchen“ und konspirative Treffen abhielten.

Sowohl die Durchsuchung als auch die vorausgegangene Observierung der Verdächtigen durch das BKA – und vermutlich auch den Verfassungsschutz – waren nur zulässig, weil sich die Ermittler auf den „Terrorparagrafen“ 129a beriefen. Dieser juristische Kniff, das hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung am heutigen Freitag festgestellt, war nicht rechtens. Die Bundesanwaltschaft hätte die Ermittlungen nicht an sich ziehen dürfen, die Zuständigkeit lag ausschließlich bei den Landesbehörden, so der BGH.

Der Bundesgerichtshof widerlegt damit auch die Argumentation der Bundesregierung aus dem vergangenen Jahr. Innenminister Wolfgang Schäuble hatte mehrmals von einer ernsthaften Bedrohungslage vor dem G8-Gipfel gesprochen und vor Straftaten rund um das Treffen gewarnt. Diese Warnungen hatten als Rechtfertigung für die massiven Überwachungsmaßnahmen im Vorfeld und während des Gipfels gedient.

Der BGH dagegen stellt nun fest: Brandanschläge auf Fahrzeuge der Polizei und Bundeswehr sind zwar „nicht zu verharmlosende Straftaten“, den Fortbestand des Staates gefährden sie jedoch keineswegs. Mit ihrem Urteil haben die Richter die unscharfe (und deswegen umstrittene) Formulierung des Paragrafen 129a weiter präzisiert. Schon im vergangenen Jahr waren zwei Entscheidungen über die sogenannte Militante Gruppe zu Ungunsten des Staatsschutzes ausgefallen. Im November 2007 hatte das Gericht geurteilt, dass die Gewalttaten der Gruppierung zwar „potenziell terroristische Delikte“ seien – in ihrer Auswirkung aber kaum dazu geeignet, den Staat erheblich zu schädigen. Gewaltbereite Autonome sollen auch weiterhin von den Behörden verfolgt werden, nur eben nicht als Terroristen vom Generalbundesanwalt.

Auch künftigen Großrazzien hat das Gericht damit einen Riegel vorgeschoben: Die Durchsuchungsbeschlüsse wurden ebenfalls rückwirkend aufgehoben.