Permanente Bedrohung
Bilanzen 2007. Heute: Polizeistaat. Schäubles Panikattacken sollen Bundeswehr im Innern, totale Überwachung und Ausbau der Polizei legitimieren. Die SPD dackelt brav hinterher
Von Ulla Jelpke
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat das Jahr 2007 für einen Frontalangriff auf die Bürgerrechte genutzt. Der »Systemveränderer«, wie ihn der konservative Verfassungsrichter Udo di Fabio bezeichnete, kennt keine Tabus. »Diejenigen, die sagen, Guantánamo ist nicht die richtige Lösung, müssen auch bereit sein, darüber nachzudenken, was die bessere Lösung ist, denn allein mit der Kritik ist kein Problem gelöst«, warb Schäuble in der ARD-Tagesschau am 8. Dezember indirekt für Foltermethoden.
Das Erfolgsrezept des Scharfmachers ist Panikmache. Mitte September scheute er sich in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung nicht, die Bedrohung durch einen terroristischen Angriff »mit nuklearem Material« heraufzubeschwören. »Viele Fachleute sind inzwischen überzeugt, daß es nur noch darum geht, wann solch ein Anschlag kommt, nicht mehr, ob«, schürte Schäuble die Angst vor der »schmutzigen Bombe«. Zu Schäubles rhetorischem Arsenal gehört auch die These, äußere und innere Sicherheit ließen sich nicht mehr auseinanderhalten. Die strikte Trennung zwischen Völkerrecht im Frieden und Völkerrecht im Krieg werde den neuen Bedrohungen nicht mehr gerecht, so Schäuble ebenfalls im November. Auch die Einordnung von Terroristen in das System des humanitären Völkerrechts, das von der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten ausgeht, bereitet dem Minister Schwierigkeiten. Mit dieser Argumentation orientiert sich der deutsche Innenminister offenkundig an der Position der US-Regierung, die »Terrorverdächtigen« weder Rechte nach der Haager Konvention noch nach der Strafprozeßordnung einräumt, sondern sie rechtlos stellt. In diesem Sinne wehrt sich auch Schäuble gegen »Denkverbote«. Das Ergebnis: Die Unschuldsvermutung steht auf der Abschußliste, die Frage nach gezielten Tötungen Verdächtiger (targeted killing) darf gestellt werden, und die Sicherungshaft ohne strafgerichtliche Urteile ist in Aussicht gestellt.
Im Jahr 2007 blieb es nicht bei verbaler Scharfmacherei. Aus der Forderung, die Befugnis für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren endlich im Grundgesetz zu fixieren, wurde der Praxistest beim G-8-Gipfel. Mit rechtswidrigen »Tornado«-Tiefflügen wurden Protestierer gegen das Treffen der Herrschenden überwacht. Die CDU/CSU will aus der angeblichen »terroristischen Gefahr« im Land den »Quasi-Verteidigungsfall« konstruieren. Mit diesem neuen Rechtsbegriff soll das Kriegsrecht im Inneren eingeführt werden.
Das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten wird von CDU/CSU inzwischen offen als überflüssig und vor allem hinderlich bezeichnet. Seit alle Sicherheitsbehörden in einem »Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum« vereint sind, ist dieser rechtsstaatliche Grundsatz praktisch auch schon außer Kraft gesetzt. Nun forciert Schäuble – sehr zur Verunsicherung des Verfassungsschutzes – den Ausbau des Bundeskriminalamtes (BKA) zu einem deutschen FBI. Mit der Reform des BKA-Gesetzes Anfang 2008 sollen der Polizeibehörde Vorfeldermittlungen mit geheimdienstlichen Mitteln – bisher eine Domäne der Schlapphüte – gestattet werden. Aber Schäuble will mehr: Er besteht darauf, Informationen, die andere Staaten unter Folter erlangt haben, auch in der BRD nutzen zu dürfen. Diesem Vorwurf sehen sich auch die Mitglieder der SPD-Grünen-Vorgängerregierung im BND-Untersuchungsausschuß ausgesetzt. Sie scheuten sich zum Beispiel nicht, den von US-Amerikanern nach Syrien entführten und dort gefolterten Mohammed Zammar in Damaskus von deutschen Geheimdienstlern und BKA-Beamten vernehmen zu lassen.
Ein Generalangriff wird auch auf die Privatsphäre geführt. Ganz oben auf Schäubles Wunschliste steht die Verankerung heimlicher Online-Durchsuchungen von Computern im BKA-Gesetz. Im Februar 2008 wird das Bundesverfassungsgericht darüber beraten. Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses Sebastian Edathy (SPD) ließ am 15. Dezember bereits durchblicken, daß seine Partei nach einem Urteil aus Karlsruhe zustimmen werde. Was soll man von Sozialdemokraten, deren Bundesjustizministerin Brigitte Zypries die Vorratsdatenspeicherung in ihrer Jahresbilanz als Erfolg preist, anderes erwarten? Zypries war ja noch nicht einmal in der Lage oder willens, Anwälten und Journalisten bei der Neuregelung der Telefonüberwachung den gleichen Abhörschutz zu verschaffen wie Abgeordneten und Geistlichen. Das Zwei-Klassen-Recht bei beruflich bedingten Geheimnisträgern führte zu heftigen Protesten der Betroffenen sowie der Opposition im Bundestag, wurde aber unbeirrt von CDU/CSU und SPD durchgesetzt.
Gebremst werden die Sicherheitsfanatiker bisweilen noch von Gerichten. So mußte sich die stramm-konservative Generalbundesanwältin Monika Harms beispielsweise vom Bundesgerichtshof belehren lassen, daß die Beweise gegen die angebliche »militante gruppe« nicht ausreichend für Haftbefehle waren, und daß die erhobenen Tatvorwürfe nicht unter den Paragraphen 129a StGB (»Terroristische Vereinigung«) fallen. Die Ausweitung der 129a-Verfahren zur Kriminalisierung und Einschüchterung linker Aktivisten mit entsprechenden Ermittlungsmethoden und Konsequenzen für die Betroffenen ist damit nicht gestoppt.